Ein "Held der Freiheit"#
Am 11. November 1917 starb der letzte noch lebende Abgeordnete des ersten Österreichischen Reichstages von 1848: Hans Kudlich. Er hatte sich vor allem für die Rechte der Bauern eingesetzt.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 11. November 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Brigitte Biwald
Hans Kudlich war im Revolutionsjahr 1848 mit 25 Jahren der Jüngste von den 383 Abgeordneten des Österreichischen Reichstages. Mit seinem Antrag auf "Bauernbefreiung" löste er damals eine der größten Eigentumsverschiebungen in der Geschichte der Donaumonarchie aus.
Geboren wurde Kudlich am 25. Oktober 1823 in Lobenstein/Úvalno in Österreichisch-Schlesien, dem kleinsten Kronland der Donaumonarchie, das heute zu Polen gehört. Er war das jüngste von elf Kindern einer Bauernfamilie. Grundherren waren die Liechtensteiner, die auch in Mähren (bis ins heutige Weinviertel) großen Grundbesitz hatten. Wie sein älterer Bruder Josef Hermann und viele andere Bauernsöhne Lobensteins besuchte Hans Kudlich ab 1834 das Gymnasium in Troppau/Opava.
Neue Freiheitsideen#
Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Gymnasialzeit erhielt Hans Kudlich die Erlaubnis (!) der Liechtenstein’schen Herrschaft, in Wien Philosophie und Rechtswissenschaft zu studieren. Dort fand der Neunzehnjährige rasch Anschluss an eine Gruppe schlesischer Landsleute mit ähnlichen politischen Interessen. Schon früh scheint dabei die Bauernfrage ein zentrales Thema gewesen zu sein. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich der junge Bauernsohn als Hauslehrer bei den Söhnen des großbürgerlichen Rechtsanwaltes und Fabrikbesitzers Josef August Eltz. Dieser führte den Studenten in den bürgerlich-liberalen Intelligenzclub ein, wo Kudlich mit der Idee einer österreichischen Staatsreform konfrontiert wurde.
Während sich am 13. März 1848 die niederösterreichischen Stände (Adel, Kirche Bürgertum) im Landhaus in der Wiener Herrengasse versammelten, demons-trierten Bürger und Studenten im Innenhof des Gebäudes. Geplant war die Übergabe einer Bittschrift an Kaiser Ferdinand I.. Kudlich trat bei dieser von mehreren Rednern dominierten Kundgebung für die Abschaffung der Robot (unentgeltliche Dienstleistungen für die Grundherrschaft) ein, fand aber kein Gehör. "Juden, Presse, Gewissen, Lehrer und Lernen, alles wurde emanzipiert, nur nicht der Bauer", schreibt er später in seinen Lebenserinnerungen.
Die Demonstration, die zu einem Tumult ausartete ("Märzrevolution") wurde durch herbeigerufenes Militär gewaltsam aufgelöst. Es waren zahlreiche Verletzte und fünf Tote zu beklagen. Kudlich selbst wurde durch einen Bajonettstich verwundet und als "Held und Märtyrer der Freiheit" gefeiert. Die Ereignisse bewirkten die Abdankung von Staatskanzler Metternich am 13. März und die Zusage des Hofes, nach der Pressefreiheit auch eine Verfassung (Constitution) zu gewähren.
Hans Kudlich blieb nach seiner Verwundung vorerst noch für einige Zeit in Wien, engagierte sich als Mitglied der rund 1500 Mitglieder zählenden Akademischen Legion für seine Freiheitsideen. Im Mai 1848 kehrte er nach Lobenstein zurück und hielt dort unzählige Versammlungen ab. Dabei forderte er die Bauern auf, die Dienstleistungen gegenüber ihren Grundherrn zu verweigern. Er erklärte, dass mit dem 13. März alle Untertänigkeit und der Robot aufgehört habe. Diese Auftritte waren ausschlaggebend für die Kandidatur zum Österreichischen Reichstag, dem ersten frei gewählten Parlament der habsburgischen Monarchie.
Der wichtige Antrag#
Nach seiner Wahl zog Kudlich in den konstituierenden Österreichischen Reichstag ein. Unter den 383 Abgeordneten fanden sich 92 Bauernvertreter (24 Prozent). Sie kamen aus allen Kronländern, aber es überwog die Zahl der slawischen Abgeordneten.
Kudlich stellte bereits in der 3. Sitzung am 26. Juli 1848 den Antrag auf "Aufhebung des Unterthänigkeitsverhältnisses", der wörtlich lautete: "Die hohe Reichsversammlung möge erklären: Von nun an ist das Unterthänigkeitsverhältnis samt allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten aufgehoben, vorbehaltlich der Bestimmungen, ob und wie eine Entschädigung zu leisten sei."
Der Antrag beinhaltete vordergründig nichts Neues. Schon nach den Märzereignissen war den Bauern von der Regierung die Aufhebung der Untertänigkeit in Aussicht gestellt worden. Details, wie die Entschädigung der Grundherren, sollten in den vom Adel dominierten Landtagen verhandelt werden. Kudlich wollte diesen Prozess beschleunigen, aber sein Antrag vom 26. Juli scheint wenig durchdacht gewesen zu sein. Mit den aufzuhebenden Rechten und Pflichten wären auch die den Bauern zustehenden Servitute wie Holzungs- und Weiderechte auf grundherrlichen Besitzungen oder Gemeinschaftsgründen beseitigt gewesen. Tausenden Bauern wäre die Existenzgrundlage entzogen worden. Die Folge dieses unausgereiften Antrags waren endlose Debatten.
Die Entschädigungsfrage hatte Kudlich bewusst offen gelassen, um vorerst eine breite Zustimmung im Reichstag zu finden. Die praktische Durchführung der Entschädigung der Grundherren bildete jedoch das Hauptproblem, Ratlosigkeit war die Folge. Kudlich regte "Parteiengespräche" unter den einzelnen Gruppen des Reichstags an, brachte aber keinen gemeinsamen Antrag zustande. Schließlich wurde nach 35 Sitzungen am 1. September der Kompromissantrag des Salzburger Abgeordneten Joseph Lasser gegen den Willen Kudlichs vom Reichstag angenommen. Damit waren die bäuerliche Untertänigkeit und alle feudalen Lasten aufgehoben. Bezüglich der Entschädigungsfrage einigte man sich auf die ungenaue Formulierung ". . . für einige dieser aufgehobenen Lasten ist eine Entschädigung zu leisten, für andere nicht."
Ab August 1848 wurde Kudlich von Radikalen, Demokraten und Studenten als Held aufgebaut. Die Kundmachung des Reichstagsbeschlusses erfolgte am 7. September 1848. Zwei Tage später sank-tionierte Kaiser Ferdinand I. das Grundentlastungsgesetz ("Bauernbefreiungsgesetz"), das damit rechtskräftig wurde. Die Geldentschädigung für die Grundherren hatten die Bauern und der Staat zu tragen. In Galizien, einem der ärmsten Kronländer, wurde die gesamte Entschädigung vom Staat geleistet.
Die "Grundentlastung" blieb das einzige Reformwerk des Österreichischen Reichstages, das auf Dauer Bestand hatte. Damit hatte man aber auch die Bauern gegen weitergehende politische Forderungen immunisiert.
Die Niederlage#
Bekanntlich eskalierten am 6. Oktober 1848 ("Oktoberrevolution") die politischen Geschehnisse während einer Protestdemonstration vor dem Kriegsministerium am Hof. Theodor Graf Baillet de Latour, der Kriegsminister, wurde ermordet. Kudlich versuchte einzugreifen, konnte den Minister aber nicht retten. Gleichzeitig näherte sich von Böhmen kommend die kaiserliche Armee unter Alfred I. Fürst zu Windisch-Graetz, um die Revolution in Wien endgültig niederzuschlagen.
Kudlichs Versuch, nieder- und oberösterreichische Bauern zusammen mit Wiener Bürgern für die bewaffnete Abwehr der kaiserlichen Armee zu gewinnen, war erfolglos, der Reichstag wurde Mitte November 1848 nach Kremsier/Kroměřiž in Mähren verlegt. Kudlich nahm an den dortigen Reichstagssitzungen teil. Am 2. Dezember 1848 trat Kaiser Ferdinand zurück und übergab die Herrschaft an seinen Neffen Franz Josef, der bis 1916 regieren sollte.
Nach der gewaltsamen Auflösung des Kremsierer Reichstages am 7. März 1849 und der Rückkehr zum Absolutismus wurde gegen Kudlich und sechs weitere Abgeordnete ein Haftbefehl erlassen. Kudlich flüchtete nach Frankfurt, wo er seinen Bruder Hermann traf. Auf seiner weiteren Flucht kam er in die Pfalz, wo im Mai 1849 ein Aufstand ausgebrochen war. In der dort eingerichteten provisorischen revolu-tionären Regierung bekleidete Kudlich kurz das Amt eines Staatssekretärs. Nach der Besetzung der Pfalz durch preußisches Militär floh Hans Kudlich nach Karlsruhe, Ende Juli 1849 erreichte er dann die Schweiz. Auf sicherem Terrain studierte er in Bern und Zürich Medizin.
1852 sollte Kudlich aus der Schweiz ausgewiesen werden. Er konnte aber sein Medizinstudium noch abschließen und entschloss sich, nach Amerika auszuwandern. Vorher hatte er Luise Vogt, die Tochter eines liberalen Berner Professors der Medizin, geheiratet.
In der Neuen Welt#
Im April 1853 reiste Hans Kudlich, 30-jährig und Besitzer eines Schweizer Passes, mit einem Segelschiff von Le Havre nach Amerika. Die Überfahrt verdiente er sich als Schiffsarzt. 1854 errichtete er in Hoboken bei New York eine Augen- und Ohrenarztpraxis. Als Vater von neun Kindern baute er sich in den Staaten eine respektable Existenz auf und fand als Wahlhelfer Abraham Lincolns rasch Ansehen.
Ganz anders sah seine Situation in seiner alten Heimat aus: Am 10. März 1854 wurde Dr. med. Hans Kudlich wegen Beteiligung an der Oktoberrevolution 1848 durch das k.k. Landesgericht in Wien in Abwesenheit zum Tode durch den Strang verurteilt, jedoch 1867 begnadigt. Erst 23 Jahre nach seiner Flucht aus Wien besuchte er 1872 - mittlerweile amerikanischer Staatsbürger - mit seiner Frau und seinen Kindern Linz, wo er freudig empfangen wurde. Bis zu seinem Tod sollte er noch vier weitere Male Österreich besuchen.
1873 erschienen seine Autobiographie "Rückblicke und Erinnerungen" in drei Bänden, für die Revolution 1848 bis heute eine wesentliche Quelle. Die Vollendung seines 80. Lebensjahres wurde in Hoboken und New York ausgiebig gefeiert. Amerikanische Medien bezeichneten Kudlich als "österreichischen Bauernkönig".
Zeit seines Lebens förderte Kudlich deutsche Vereine und Schulen in Amerika. Obwohl er vor Antisemitismus warnte, wurde er in einschlägigen Publikationen als nationaler Kämpfer des "Deutschtums" vereinnahmt und glorifiziert.
Insgesamt gesehen wurde zum Themenkomplex Hans Kudlich viel publiziert; Straßen, Plätze und Gedenktafeln erinnern an ihn. Bis 18. März 2018 kann im nordböhmischen Chomutov eine Wanderausstellung besucht werden, die von Walter Kudlich, dem Urgroßneffen Kudlichs, in Zusammenarbeit mit dem Regionalmuseum Chomutov initiiert wurde. Diese Ausstellung soll auch in Linz und Poysdorf gezeigt werden.
Brigitte Biwald, geboren 1951 in München, promovierte Historikerin, lebt in Perchtoldsdorf.
Literatur:#
- Brigitte Biwald: Von Gottes Gnaden oder von Volkes Gnaden? Die Revolution von 1848 in der Habsburgermonarchie. Der Bauer als Ziel politischer Agitation. Wien 1996.
- Robert Hausmann: Hans Kudlich (1823-1917) und die Folgen der Revolution von 1848. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Nr. 100, Graz 2009, S. 9-27.