Adolf Hitlers Wegbereiter#
Vor 90 Jahren wurde in München das 25-Punkte-Programm der "Deutschen Arbeiterpartei", der Vorläuferin der NSDAP, verabschiedet. Seine geistigen Väter waren allerdings Österreicher.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 27. Februar 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Christoph Rella
"Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Großdeutschland ..." "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein." Dies sind einige der Grundsätze, welche die von Anton Drexler 1919 gegründete "Deutsche Arbeiterpartei" (DAP) am 24. Februar 1920 in München in ihr 25-Punkte-Programm aufgenommen hatte und die noch im selben Jahr von ihrer Nachfolgerin, der NSDAP, ohne Abstriche übernommen wurden.
Inhaltlich waren diese Forderungen allerdings ein alter Hut und keine Erfindung der Deutschen. So entspricht etwa die Behauptung, die Anschlussidee sei eine reichsdeutsche gewesen, nicht den Tatsachen. Genauso wenig ist die Ansicht zutreffend, der NS-Rassenwahn sei in einem Münchner Bräuhauskeller erfunden worden. Vielmehr liest sich vieles in dem Programm als inhaltliche Zusammenfassung dessen, was österreichische Politiker und Ideologen bereits viele Jahrzehnte früher gefordert hatten. Kurz: Es gab lange bevor dieses Gedankengut 1920 nach Deutschland "exportiert" wurde, Nazis in Österreich. Aber beginnen wir von vorn.
Trennungserfahrungen#
Die Österreicher hielten die 1806 aus der Taufe gehobene Monarchie bar ihrer Territorien des zuvor aufgelösten Hl. Römischen Reiches deutscher Nation nicht mehr für vollkommen. "Unsere Sache ist die Sache Deutschlands", tönte einst Erzherzog Karl angesichts der Napoleonischen Bedrohung. "Mit Oesterreich war Deutschland selbstständig und glücklich; nur durch Oesterreichs Beystand kann Deutschland wieder beydes werden."
Aber Deutschland – oder besser gesagt Preußen – wollte nicht unter Wiener Führung glücklich sein und trieb damit Österreich, das bei Königgrätz sein Waterloo erlebte, ins Unglück. Sebastian Haffner hat den damaligen Gemütszustand der Österreicher so beschrieben: "Mit dem ganzen Deutschland hinter sich hatten die österreichischen Deutschen ihr Vielvölkerreich beherrschen und prägen können. Seit 1866 waren sie aus Deutschland ausgesperrt, in ihrem eigenen Reich eine Minderheit, gegen den erwachenden Nationalismus der vielen Muss-Österreicher wehrlos, zu einer (mit den Ungarn geteilten) Vorherrschaft verurteilt, für die ihre Kraft und Zahl nicht mehr ausreichte." Viele Blicke blieben auf Deutschland gerichtet: Neidvoll bewunderte man den hohen Lebensstandard "im Reich", Bismarcks Sieg über Napoleon III. sowie die Proklamation des Kaiserreiches 1871 in Versailles. Die Deutschen schienen alles richtig zu machen. Von Nazis keine Spur.
Deren Vordenker saßen vielmehr im österreichischen Reichsrat. Etwa Georg Ritter von Schönerer, der 1873 in Wien die "Alldeutsche Bewegung" gründete und deswegen in der Geschichtsschreibung zu Recht als "Großvater des Nationalsozialismus" bezeichnet wird. Sein zunächst sozial ausgerichtetes "Linzer Programm" von 1882, das der "Deutschnationalen Bewegung" ein politisches Fundament gab, war bereits wenige Jahre später von den Ergüssen seiner ideologischen Erben kaum zu unterscheiden. So agitierte Schönerers Programm etwa gegen die slawische Mehrheit in Zisleithanien, lehnte den Kapitalismus genauso ab wie den Liberalismus, Marxismus und Klerikalismus und forderte den Anschluss der deutschsprachigen Gebiete der Monarchie an das Deutsche Reich. 1883 verlangte der Politiker sogar die Entlassung aller jüdischen Lehrer, die Schaffung von Ghettos sowie die "Beseitigung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten".
Als schließlich 1885 Juden die Mitgliedschaft bei den Deutschnationalen verboten wurde, verließ der junge Victor Adler die Bewegung und schloss sich der Sozialdemokratie an. Ebenso nachdrücklich wie das Judentum bekämpfte Schönerer übrigens auch die katholische Kirche. Seine 1897 ins Leben gerufene "Los-von-Rom-Bewegung" hatte sich mit der Hoffnung auf einen baldigen Anschluss an das Deutsche Reich zum Ziel gesetzt, den katholischen Österreichern den Übertritt zum "unverdorbenen deutschen Protestantismus" schmackhaft zu machen. Mit der Begründung, dieser vertrete ja "von sich aus die Belange des Deutschtums besser" als die römische Kirche; so befand später auch Hitler.
Liebenfels und Lueger#
Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang das Phänomen des österreichischen Antisemitismus. Dessen Zunahme im 19. Jahrhundert ist unter anderem auf die "Judenbefreiung" von 1867, den bei vielen Christen damals latent vorhandenen religiösen Antisemitismus sowie auf das Wachstum des jüdischen Bevölkerungsanteils zwischen 1857 und 1910 (in Wien um das Zehnfache von 1,3 auf 10,8 Prozent) zurückzuführen.
Fast ein Drittel aller Studenten an den Gymnasien und Universitäten waren jüdischer Herkunft und in den "freien Berufen" hatte beispielsweise jeder zweite Arzt, Rechtsanwalt oder Journalist jüdische Wurzeln. Dieser wirtschaftlich begründete und oft aus Neidgefühlen gespeiste Antisemitismus paarte sich mit dem rassisch-ethnischen, dessen Vorläufer ein Österreicher namens Jörg Lanz von Liebenfels war; jener Mann also, der – wie es im Titel eines bekannten Buches von Wilfried Daim heißt – "Hitler die Ideen gab". Der selbsternannte Doktor und Baron war Anhänger der Ariosophie, einem zur Religion hochstilisierten "Kult der arischen Rasse". Außerdem war Liebenfels Gründer des Ordens der "Neu-Templer", dessen Aufnahmekriterien sich an rassischen Merkmalen orientierten.
Die ab 1905 in Wien veröffentlichten "Ostara-Hefte" der Templer propagierten eine ario-heroische Rassenkultreligion, die sich insbesondere gegen "rassisch minderwertige" Mitglieder der Gesellschaft richtete, also Juden, Sozialisten, Kommunisten, Feministen oder Homosexuelle.
Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass Adolf Hitler während seiner Wiener Jahre (1907 bis 1913) durch die Ostara-Lektüre von Lanz’ krausen Ideen gehört hat. Sein "Lehrmeister" in Sachen Antisemitismus war aber niemand Geringerer als der Wiener Bürgermeister Karl Lueger. Ihm, dem Mitbegründer der Christlichsozialen Partei, zollt Hitler in "Mein Kampf" sogar seine "unverhohlene Bewunderung". Er sehe, schreibt er, "in dem Manne mehr noch als früher den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten". Dass Kaiser Franz Joseph Lueger wegen dessen antisemitischer Gesinnung und scharfer Polemik gegen die jüdischen Bürger mehrere Male die Sanktion für das Bürgermeisteramt verweigert hatte, verstand Hitler nicht. Später wird er den Nationalsozialismus als "Fusion von Nationalismus und Antisemitismus" definieren und nicht verhehlen, dass Lueger für ihn ein "klassisches Studienobjekt von tiefster Bedeutung" war.
DNSAP – NSDAP#
Angesichts der Spannung zwischen den Nationalitäten der Monarchie kam es schließlich am 15. November 1903 im nordböhmischen Aussig zur Gründung der ersten (österreichischen) "Deutschen Arbeiterpartei" (DAP), die allgemein als Vorläuferin aller nationalsozialistischen Parteien angesehen wird. Die Forderungen der DAP deckten sich mit jenen des "Linzer Programms". Ihr politisches Ziel: "Radikale soziale und wirtschaftliche Reformen zur Rettung der deutsch-österreichischen Arbeiter aus ihrer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Unterdrückung." 1907 übernahm der Österreicher Walter Riehl die Parteileitung, also in dem Jahr, in dem nachweislich in Österreich zum ersten Mal eine Hakenkreuzfahne gehisst wurde.
Bei den Wahlen 1911 erhielt die DAP rund 30.000 Stimmen und zog mit drei Mandaten in den Reichsrat ein. Dieser Erfolg verstärkte die Radikalität der Forderungen der Partei: So sollte es etwa "in deutschen Gebieten nur noch für deutsche Arbeiter" Arbeit geben, lautete eine Parole. Auch "dem ständig wachsenden jüdischen Geist im öffentlichen Leben" wurde der Kampf angesagt sowie die Forderung aufgestellt, "mit den Brüdern im Reich vereint ... einen einzigen Deutschen Staat – frei von Juden – zu schaffen".
Der DAP-Ideologe Rudolf Jung schrieb die Inhalte der nationalsozialistischen Weltanschauung in seiner 1918 erschienenen theoretischen Studie über die "Grundlagen des nationalen Sozialismus" nieder. Insgeheim hoffte er wohl, "zum Karl Marx der Partei" aufzusteigen; nämlich jener DAP, die dann auch tatsächlich am 5. Mai 1918 im Rahmen eines Parteitags in "Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei" (DNSAP) umbenannt wurde.
Dies geschah ein Jahr vor der Gründung der (deutschen) DAP in München. Hitler selbst tat 1920 bei einer Rede seine Enttäuschung darüber kund, "dass erst heute, nach so vielen Jahren, die gleiche Bewegung, die in Deutschösterreich schon 1904 begonnen hat, im Deutschen Reiche Fuß zu fassen beginnt".
Als die NSDAP 1920 in Deutschland allmählich begann, "Fuß zu fassen", war die DNSAP längst durch den Zerfall der Donaumonarchie zerrissen, wobei sich die Partei zuletzt nur in Österreich und in der Tschechoslowakei als überlebensfähig erwies. Zwar erreichten die österreichischen Nationalsozialisten bei den ersten Wahlen zur "Provisorischen Nationalversammlung" nur 0,78 Prozent der Stimmen; doch konnte die DNSAP in den Bundesländern punkten, wie etwa das beachtliche Ergebnis in Salzburg (13,75 Prozent) beweist.
Den Kampf mit der NSDAP um die politische Vorreiterrolle im deutschsprachigen Raum sollte die österreichische DNSAP – damals immer noch unter der Leitung von Walter Riehl – allerdings verlieren. 1924 kam es endgültig zum Bruch. Und der Gewinner bei der Auseinandersetzung war ein anderer Österreicher: Adolf Hitler.
Christoph Rella, geboren 1979, ist promovierter Historiker und freier Mitarbeiter bei der "Wiener Zeitung".
Neben zeitgeschichtlichen Themen befasst er sich mit neuzeitlicher Kolonialgeschichte. Derzeit arbeitet er an einem Buch über europäische Festungsbauten in Westafrika und in der Karibik.
Völlig richtig wird hier erfreulicherweise der österreichische Ursprung des Deutsch-Nationalismus treffend herausgearbeitet.
Bezeichnenderweise waren es noch dazu Wiener jüdische (!) Historiker wie Heinrich Friedjung, der mit seinem Werk "Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland" (in zehn, in rascher Folge erschienen Auflagen) nach 1866 die Bismarck-Verehrung und den Deutsch-Nationalismus mit enormer Medienreichweite propagierten.
Friedjung war damit der meistgelesene Autor seiner Zeit. Aber auch ungarische, jüdische Historiker wie Eduard von Wertheimer gehörten zu den bedingungslosen deutschnational gesinnten Bismarck-Verehrern.
Natürlich wollten sie keineswegs Hitler den Weg bereiten, aber die von Ihnen propagierte Bismarckverehrung legte auch den Grundstein für die Überzeugung, dass Österreich ebenfalls einen starken Mann wie Bismarck brauche, womit es später zum Führerkult nicht mehr weit war.
Lit.: Karl Glaubauf : Bismarck und der Aufstieg des deutschen Reiches in der Darstellung von Heinrich Friedjung, Eduard von Wertheimers und Ottokar Lorenz. Phil. Diss.; Wien 1977
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--Glaubauf Karl, Mittwoch, 5. Mai 2010, 07:33