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Die Entwicklung des Hakenkreuzes zum todbringenden Symbol des Nationalsozialismus #

von Peter Diem

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Beachte: Der Autor distanziert sich ausdrücklich von jeglicher Absicht, das Gedankengut autoritärer, faschistischer, nationalsozialistischer und anderer antidemokratischer oder unmenschlicher Systeme zu verherrlichen oder zu propagieren. Die Aufnahme der folgenden Texte und Abbildungen in das Austria-Forum dient einzig und allein wissenschaftlichen und aufklärererischen Zielen und einem vertieften Verständnis der österreichischen Zeitgeschichte.

--> Korrigierter und ergänzter Text als pdf zum Herunterladen

--> Siehe hierzu auch den Essay von Wolfgang G. Jilek
--> sowie den Artikel über die Swastika

Das Ursymbol#

Bis auf den heutigen Tag spukt das zentrale Symbol der nationalsozialistischen Bewegung, das Hakenkreuz, in manchen Köpfen herum und gelangt so als gezielte oder auch nur unbesonnene Schmiererei auf Wände, Grabsteine oder Busfenster. Auch im Internet hat es manchen Auftritt auf neonazistischen Websites. Im folgenden wird versucht zu klären, was die Faszination dieses Zeichens ausmacht, das als Heilszeichen entstand und als verbrecherisches Todessymbol endete.

Das Hakenkreuz (die Swastika) ist ein klassisches Ursymbol: es wurde über Jahrtausende hinweg in vielen Teilen der Welt als Heilszeichen oder Dekorationselement verwendet, bis es gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa zum zentralen Symbol von Deutschnationalismus, Pangermanismus und Antisemitismus wurde, um schließlich als millionenfach reproduziertes Abzeichen des Nationalsozialismus bis auf den heutigen Tag sein Unwesen zu treiben. Die moderne Symbolbedeutung und der symbolpublizistische Einsatz des Hakenkreuzes geht auf Gruppierungen zurück, die nach der Jahrhundertwende im österreichisch-bayrischen und sudetendeutschen Raum wirkten. Wir halten es deshalb für legitim und notwendig, uns mit dem unheilvollen Symbol einer unseligen Vergangenheit im Detail auseinander zu setzen. Die Bezeichnung "Swastika" kommt wahrscheinlich aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie "es ist gut". Das Hakenkreuz wurde somit als ein Zeichen des Heils, als Glückszeichen und als Symbol für Gesundheit und langes Leben angesehen und verwendet.

Die Swastika kommt in ihrer fünftausendjährigen Geschichte in vielen Formen vor: aufrecht oder schräg stehend, mit geraden oder gebogenen Haken, die Enden im Uhrzeigersinn nach rechts weisend oder gegen denselben gerichtet. Sehr deutlich ist die Verwandtschaft des Hakenkreuzes mit dem Radkreuz, aus dem es ebenso abgeleitet werden kann wie aus der Kombination zweier Doppelwinkel, die wie laufende Beine aussehen und damit Bewegung signalisieren. Nach Wilhelm Reich stellt das Hakenkreuz die Verbindung von Mann und Frau im Geschlechtsakt dar - ein gutes Beispiel für ein symbolisches „Dualsystem“. Entscheidend für die psychologische Wirkung des Hakenkreuzes aber ist die durch die Anordnung seiner vier Haken entstehende optische Dynamik, die einen Rotationseffekt hervorruft, der den Charakter des Hakenkreuzes als Feuerrad und Sonnensymbol unterstreicht. Dabei waren stets beide "Drehrichtungen" möglich, sodass dem Hakenkreuz eine weitere Bedeutung - ähnlich dem Yin/Yang-Prinzip - beigelegt werden kann. Das Hakenkreuz kann als Sonnensymbol und Symbol des Lebens, als Zeichen für die vier Windrichtungen, die vier Elemente, die vier Jahreszeiten etc. aufgefasst werden. Meist wurde es in seiner langen Geschichte auf ornamentale Weise - als alleinstehendes Symbol oder in Reihen bzw. Bordüren - verwendet. Das Hakenkreuz war in ganz Asien mit Ausnahme Persiens sowie im indischen Kulturkreis verbreitet - aber auch in Nord- und Südamerika, in Zypern, West- und Nordeuropa sowie in der keltischen Kultur. Nationalsozialistische Autoren bemühten sich in der Zwischenkriegszeit, möglichst viele Bildnachweise für die Existenz des Hakenkreuzes in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit zu erbringen.

--> Friedrich Rausch, Das Hakenkreuz - sein Sinn und seine Bedeutung, München, Ehers Nachfolger, 1933

--> Jörg Lechler, Vom Hakenkreuz. Die Geschichte eines Symbols. Leipzig, Kabitzsch, 1934. 2.erw. Aufl. 600 Abb. 1 Farbtafel, 89 Seiten. Auf der Basis dieses Werks:

--> Fritz Geschwendt, 5000 Jahre Hakenkreuz, Schriften zu Deutschlands Erneuerung, Nr. 23, Breslau, 1935, 33 Abb. 16 S.

Foto: P. Diem
Foto: P. Diem
Die Swastika konnte nach diesen Forschungen auf dem Boden jungsteinzeitlicher Tongefässe aus Siebenbürgen, auf Spinnwirteln und Gesichtsurnen aus Troja (2500-1800 v.Chr.), auf keltisch-iberischen Münzen und im China der Sung-Dynastie (10.-13. Jh. n.Chr.) festgestellt werden. Sprachlich wird das Hakenkreuz von den Chinesen "wan" genannt, was die Zahl 10.000 bedeutet. 10.000 ist für die Chinesen "die große Zahl", ihr Ausdruck für Unendlichkeit. Daher ist in dem Wort "wan" Unendlichkeit gleich langes Leben gleich viel Segen, großes Glück ausgedrückt. Auch hieraus geht hervor, dass das Hakenkreuz Glücksbedeutung besitzt.

Anmerkung: Schon im Jahr 1897, als der Begriff "Swastika" noch in keinem Wörterbuch zu finden war, publizierte der amerikanische Prähistoriker Thomas Wilson einen 250 Seiten langen, reich illustrierten Text, in dem er in überaus genauer Form die prähistorischen Beispiele für die Verwendung des Hakenkreuzes in allen Teilen der Welt nachzeichnete. Ich verdanke den Hinweis auf dieses Werk dem 1930 in Tetschen geborenen Psychiater, Anthropologen und Symbolforscher Wolfgang G. Jilek (Vancouver).

--> Thomas Wilson/Jamna Das Akhtar, The Swastika, Oriental Publishers, New Delhi, 1973 (Ergänzte Neuauflage des Originals aus 1897)

--> Malcom Quinn, The Swastika, Constructing the Symbol, Routledge, London, 1994

Von besonderem Interesse für die NS-Ideologie war natürlich der Gebrauch des Hakenkreuzes durch die Germanen. Es werden Ringe, Becher und vor allem Speerspitzen angeführt, die aus der Zeit zwischen dem dritten und vierten nachchristlichen Jahrhundert stammen und zeigen, wie die Swastika in die Lanzenspitzen eingraviert worden war. In Skandinavien wird das Hakenkreuz auf den Hammer Thors zurückgeführt, von dem es in der pränationalsozialistischen Symbolik auch noch öfter begleitet wird.

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--> Obige Fotos: Wolfgang Jilek

Die Swastika tritt auch im christlichen Bereich auf, so auf Grabsteinen in römischen Katakomben und auf dem Grabmal des Vandalen Stilicho (+ 408) in einer Kirche in Mailand. Die rote Stola eines Messdieners auf einem Bild in der Marienkirche von Lübeck (16.Jh.) trägt eine Reihe gelber Hakenkreuze. Im Wiener Museum für angewandte Kunst wird der "Gösser Ornat" aus dem Jahr 1230 aufbewahrt, den ebenfalls ("statische") Hakenkreuze zieren. Ein anderes Beispiel ist eine Heiligendarstellung in der Kathedrale von Tarragona (Katalonien) aus dem 12. Jahrhundert, die von ("dynamischen") Hakenkreuzen eingesäumt wird. Wenn berichtet wird, auch die Ornamentik der Synagoge von Kaparneum enthalte ein Hakenkreuzmuster, so ist dies stark übertrieben, da das dortige Motiv in Wirklichkeit ein Sonnenrad mit sieben Flügeln ist. Wenn das Hakenkreuz als Sinnbild für Christus ("crux gammata", Gammadion) aufgefasst wurde, so stellte es diesen als das Zentrum der vier Evangelisten dar (Vervierfachung des Buchstaben Gamma, daher die Bezeichnung.

Als Zeichen Buddhas symbolisierte die Swastika den Schlüssel zum Paradies. Das buddhistische Hakenkreuz soll auf Goldplättchen aus dem Grab des 477 v.Chr. verstorbenen Religionsgründers gefunden worden sein. Es existieren viele Buddhabilder mit dem gegen den Uhrzeigersinn gerichteten Hakenkreuz, wie es noch heute in Asien, z.B. in Japan, üblich ist. In Broschüren des Roten Kreuzes wird ein rotes linksgeflügeltes Hakenkreuz sogar als mögliches Rettungszeichen in Sri Lanka angegeben.

Foto: Wolfgang Jilek
Foto: Wolfgang Jilek
Foto: P. Diem
Foto: P. Diem

--> Aufsatz zur Geschichte der Turnerbewegung

Quelle: Dr. Fritz Gschwend, 5000 Jahre Hakenkreuz, Breslau 1935
Turnerkreuz als frühes Hakenkreuz
Allgemein lässt sich sagen, dass dem Hakenkreuz in seiner frühen Geschichte offenbar keinerlei negative Bedeutung beigemessen wurde. Der deutsche "Turnvater" Jahn verband Anfang des 19. Jahrhunderts die vier Anfangsbuchstaben seiner Parole "Frisch, Froh, Fromm, Frei" zu einem Hakenkreuz mit gebogenen "F"-Haken:

Damit gelangen wir in jene geistesgeschichtliche Periode vor etwas über hundert Jahren, in welcher das Hakenkreuz in einem fatalen Zusammenspiel zwischen deutschnationalen Sektierern in Wien und München seine Umdeutung zum mystischen Kultsymbol militanter pangermanischer und antisemitischer Zirkel, Gruppierungen, Parteien und schließlich der von Hitler hysterisierten Massen erfuhr. Weit verbreitete war das Hakenkreuz als Abzeichen der etwa 100 deutschen Freikorps, die nach Auflösung der deutschen Armee 1918 auf Betreiben der Obersten Heeresleitung gebildet wurden. Neben den Farben Schwarz-Weiß-Rot und der (alten) Reichskriegsflagge war das oft am Stahlhelm geführte Hakenkreuz Teil der "Landsknechtmode" der Freikorps, die sich - infolge ihrer Gegnerschaft zur Weimarer Republik nicht ganz zu Unrecht - als "verlorene Haufen" fühlten. Die Freikorps übernahmen aber auch alte Heereszeichen. Das Edelweiß des Alpenkorps wurde von dem von der Thule-Gesellschaft (s.u.) gegründeten oder zumindest beeinflussten "Freikorps Oberland" geführt, dem sich auch 1921 der spätere österreichische Heimwehrführer Ernst Rüdiger Graf Starhemberg angeschlossen hatte, bevor er 1923 nach München zur Hitlerbewegung stieß. Die Freikorps führten das Hakenkreuz in verschiedener Form: als Armbinde, auf den Stahlhelm gemalt oder als Standarte:



23. Nov. 1918: Oberleutnant Gerhardt Rossbach ruft zur Bildung des ersten „Freikorps“ auf, der „Freiwilligen- Sturmabteilung Rossbach.
23. Nov. 1918: Oberleutnant Gerhardt Rossbach ruft zur Bildung des ersten „Freikorps“ auf, der „Freiwilligen- Sturmabteilung Rossbach.

Stahlhelm, Modell 1916 von Angehörigen der Marine-Brigade Ehrhardt
Stahlhelm, Modell 1916 von Angehörigen der Marine-Brigade Ehrhardt

Standarte des Freikorps Roßbach (1919)
Standarte des Freikorps Roßbach (1919)
--> Karlheinz Weißmann: Schwarze Fahnen, Runenzeichen, Düsseldorf, 1991, 100 f

Hat Hitler die Hakenkreuzfahne erfunden?#

Die Behauptung Adolf Hitlers, er selbst habe die Hakenkreuzfahne entworfen, kann zur Gänze stimmen, zum Teil richtig sein - oder ganz falsch sein. Das letztere ist am wahrscheinlichsten. Hier zunächst der häufig zitierte Originaltext aus "Mein Kampf":

"Ich selbst trat immer für die Beibehaltung der alten Farben ein, nicht nur weil sie mir als Soldat das Heiligste sind, das ich kenne, sondern weil sie auch in ihrer ästhetischen Wirkung meinem Gefühl weitaus am meisten entsprechen. Dennoch musste ich die zahllosen Entwürfe, die damals aus den Kreisen der jungen Bewegung einliefen, und die meistens das Hakenkreuz in die alte Fahne hineingezeichnet hatten, ausnahmslos ablehnen. Ich selbst - als Führer - wollte nicht sofort mit meinem eigenen Entwurf an die Öffentlichkeit treten, da es ja möglich war, dass ein anderer einen ebenso guten oder vielleicht auch besseren bringen würde. Tatsächlich hat ein Zahnarzt aus Starnberg auch einen gar nicht schlechten Entwurf geliefert, der übrigens dem meinen ziemlich nahe kam, nur den einen Fehler hatte, dass das Hakenkreuz mit gebogenen Haken in eine weiße Scheibe hineinkomponiert war. Ich selbst hatte unterdes nach unzähligen Versuchen eine endgültige Form niedergelegt: eine Fahne aus rotem Grundtuch mit einer weißen Scheibe und in deren Mitte ein schwarzes Hakenkreuz. Nach langen Versuchen fand ich auch ein bestimmtes Verhältnis zwischen der Größe der Fahne und der Größe der weißen Scheibe sowie der Form und Stärke des Hakenkreuzes. Und dabei ist es dann geblieben."

Hakenkreuzfahne 1920 mit Adolf Hitler
Hakenkreuzfahne 1920 mit Adolf Hitler
Endgültige Form der Hakenkreuzflagge (1923)
Endgültige Form der Hakenkreuzflagge (1923)
In der Folge schildert Hitler auch noch die Entstehung von Armbinde und Parteiabzeichen und interpretiert noch einmal die ideologische Bedeutung der Hakenkreuzfahne: "Als nationale Sozialisten sehen wir in unserer Flagge unser Programm. Im Rot sehen wir den sozialen Gedanken der Bewegung, im Weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch ist und antisemitisch sein wird."

--> Adolf Hitler, Mein Kampf, NSDAP, München, 1938, 551-557.

Das Buch "Mein Kampf" entstand zumindest teilweise während der Festungshaft Hitlers in Landsberg, d.h. zwischen November 1923 und Dezember 1924 ("Meine Hochschule auf Staatskosten"). Dabei wurde wie folgt vorgegangen. Die für die Entstehung der (NS)DAP sehr wichtige Thule-Gesellschaft (s.u.), eine ordensähnliche Vereinigung pangermanischer und antisemitischer Sektierer, wurde zu dieser Zeit vor allem von Professor Karl Haushofer, dessen Schüler Rudolf Hess, dem Schriftsteller Dietrich Eckart und des aus Estland stammenden Ingenieurs Alfred Rosenberg repräsentiert. Hess hatte sich auf Veranlassung Haushofers nach dem Putschversuch vom 8.11.1923 freiwillig den Behörden gestellt, um Adolf Hitler, den die Mitglieder des innersten Kreises des Thule-Ordens am 3. Oktober 1919 bei einer DAP-Veranstaltung "entdeckt" und am 29. Juli 1921 zum ersten Vorsitzenden der mittlerweile in NSDAP umbenannten Partei gemacht hatten, weiter "betreuen" zu können. Die Haft in Landsberg glich eher einem Kuraufenthalt. Hitler konnte unter denkbar lockeren Haftbedingungen täglich vor einer Hakenkreuzfahne Hof halten. Rudolf Hess setzt ihm dabei die Ideen des Geopolitikers Haushofer auseinander. Diese werden dann noch mit dem Gedankengut Alfred Rosenbergs verschnitten. Hess tippt das Ergebnis dieser "Häfen-Ideologie" in die Schreibmaschine. Daraus entsteht 1924 der erste Band von "Mein Kampf", der zweite erscheint erst 1927. Die Endredaktion des Werkes obliegt Pater Dr. Gerhard Stempfle, einem weiteren braunen Weggenossen, der allerdings im Zusammenhang mit dem Röhm-Putsch liquidiert wird.

--> E. R. Carmin: "Guru" Hitler, SV International, Zürich, 1985, 125 ff.

Hitler hatte bei der ersten Großveranstaltung der DAP im Münchner Hofbräuhaus am 24. Februar 1920 das in 25 Thesen gegliederte Grundsatzprogramm der Deutschen Arbeiterpartei DAP ("Brechung der Zinsknechtschaft", "Gemeinnutz vor Eigennutz" etc.) als Redner vorgetragen, ohne an seiner Abfassung entscheidend beteiligt gewesen zu sein. Hauptverantwortlich dafür zeichneten der ebenfalls aus dem Thule-Kreis stammende Eisenbahnschlosser Anton Drexler ("Mein politisches Erwachen - aus dem Tagebuch eines deutschen sozialistischen Arbeiters" - so seine programmatische Schrift zur DAP), der schon genannte antisemitische Dichter Dietrich Eckart und der Ingenieur und Wirtschaftstheoretiker Dr. Gottfried Feder, ebenfalls ein Thule-Bruder. Schon zwei Jahre davor, im Mai 1918, war in Österreich eine "Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei" gegründet worden. Die DAP wurde etwa Anfang März 1920 "in Anlehnung an die verwandten sudetendeutschen und österreichischen Gruppierungen" in NSDAP umbenannt und übernahm angeblich gleichzeitig das "Kampfsymbol der Gesinnungsfreunde jenseits der Grenze, das Hakenkreuz."

--> Joachim C. Fest, Hitler, Ullstein, Frankfurt, 1973, 183

Im Gegensatz zu dieser verbreiteten Auffassung muss jedoch festgehalten werden, dass die Protonationalsozialisten bereits seit der Gründung des "Arbeiter-Ringes" durch den Journalisten Karl Harrer und seinen Thule-Freund Anton Drexler im Oktober 1918 und nach dessen Weiterentwicklung zur "Deutschen Arbeiter-Partei" im Frühjahr 1919 unter dem Hakenkreuz der Thule-Gesellschaft auftraten - ja mehr noch, unter eben jener Fahne, hinter der bald die ersten SA-Verbände marschieren sollten.

Gobelin mit Reichsadler und Hakenkreuz von Rudolf Hermann Eisenmenger

Die Thule-Gesellschaft#

Was war nun diese Thule-Gesellschaft, die - wie wir nun sehen - der eigentliche Motor beim Aufbau der NSDAP, die Urzelle eines verschworenen Geheimbundes um Hitler und Himmler und die Keimzelle der NS-Symbolik war?

Um die Jahrhundertwende hatte sich - zum Teil wohl als Reaktion auf den sogenannten wissenschaftlichen Marxismus - in vielen (halb)gebildeten Kreisen Europas eine regelrechte Okkultismus- und Esoterikwelle entfaltet:

--> Schon 1855 war die Schrift "Die Ungleichheit der menschlichen Rassen" des französischen Grafen Arthur Gobineau erschienen, in der dieser den Gegensatz zwischen der Herrenrasse der Arier und den minderrassigen Semiten herausgearbeitet hatte.

--> Lange vor Alfred Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts" (1930) hatte der Schwiegersohn Richard Wagners, Houston Stewart Chamberlain (geboren 1855 in Portsmouth, 1889-1909 in Wien ansässig, gestorben 1927 in Bayreuth) mit seinem Werk
"Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) den Antisemitismus in Österreich und Deutschland theoretisch untermauert
(Georg Ritter von Schönerer hatte 1882 seinen antisemitischen "Deutschnationalen Verein" gegründet).

--> In Wien hatte der Runen- und Germanenforscher Guido von List (1848-1919) – später, wie auch Lanz von Liebenfels, in Verbindung mit dem Münchner Thule-Orden stehend - die Guido-von-List-Gesellschaft gegründet, deren prominentestes Mitglied der Wiener Bürgermeister und Praktiker des politischen Antisemitismus, Dr. Karl Lueger, war.

--> 1908 beschreibt Guido von List das Hakenkreuz als „Zeichen der Reinheit des Blutes“. Es ist nicht auszuschließen, dass in von ihm geführten mystischen Zirkeln auch sexualmagische Praktiken und Schwarze Magie betrieben wurde. Jedenfalls wurde schon damals am Konzept des "Übermenschen" gebastelt. Ursprünglich Kaufmann von Beruf, betrachtet sich List als letzter Magier der "Armanen", die er für die geistigen Führer und Priester der "Arier" hält. List begründete die Runen-Esoterik und die Ariosophie. Schon 1875 - mit 27 Jahren - hatte er die 1500. Wiederkehr des Sieges der Germanen über die Römer in Carnuntum mit einem nächtlichen Feuer und dem Vergraben von acht Weinflaschen in Hakenkreuzform unter dem Heidentor gefeiert.

--> Nicholas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, Marix, Wiesbaden 2004 (eng. Orig. 1982), p. 370
--> Regina Zoller, Die Thule-Gesellschaft (1994)

1907-13 begegnet Adolf Hitler in Wien den Theorien des ausgetretenen Zisterziensermönches Jörg Lanz von Liebenfels (recte: Adolf Josef Lanz). Dieser hatte einen "Neu-Templerorden" gegründet und gab die rassentheoretische Zeitschrift "Ostara" heraus.

--> Wilfried Daim, Der Mann, der Hitler die Ideen gab", Böhlau, 2. Auflage, Wien, 1985.
--> Kurzfassung des Buches von Wilfried Daim: Der Mann, der Hitler die Ideen gab, München, 1958 (pdf)

--> Der 1869 geborene Geograph Karl Haushofer unternimmt um die Jahrhundertwende zahlreiche Asienreisen, bei welchen er intensive Kontakte mit dem Magier und Esoteriker Georg Iwanowitsch Gurdjieff pflegt. In Tibet und Japan muss er oft mit dem Hakenkreuz in seiner asiatischen Ausprägung konfrontiert worden sein (von Haushofer stammt der für die NS-Ideologie so wichtige Begriff des "Lebensraums"). Haushofer wird Mitglied einer buddhistischen Geheimsekte in Japan und kommt zu der Überzeugung, dass die Wiege des arischen Menschen in Zentralasien liege. Im Himalaja hätten sich die Nachkommen der „Übermenschen“ des zerstörten Thule angesiedelt.

--> Haushofers Lehrer Georg Iwanowitsch Gurdjieff errichtet in Fontainbleau bei Paris ein esoterisches "Erweckungszentrum", das auf totaler Unterwerfung seiner Schüler beruht - eine frühe Vorwegnahme des Kadavergehorsams der SS-Ordensburgen. Gurdjieff vertritt eine Kosmologie, nach der der Mensch seine magische Verbindung mit dem Universum vergessen habe und deshalb eine Art Mutation notwendig sei.

--> Ähnliche Ansätze verfolgte der Vater der beiden bekannten Schauspieler Paul und Attila Hörbiger, der Wiener Techniker Hanns Hörbiger (1860-1931), mit seiner in der NS-Zeit zu einer Art offiziöser Wissenschaft avancierten "Welteislehre".

Ausweis der Thule
Aufbauend auf den Lehren von Gurdjieff (der übrigens noch den bekannten Bhagwan Shree Rajneesh von Poonah fünfzig Jahre später inspirierte), brachte Karl Haushofer, der auch ein glühender Verehrer von Ignatius von Loyola war (Rudolf Hess nannte ihn den "wahren Magier des Dritten Reiches"), eine stattliche Sammlung gängiger Mythen als esoterisches Handwerkszeug in die Thule-Gesellschaft ein, so die "Weisen aus der Wüste Gobi", "Hyperborea", die Gral-Sage etc. Dazu kam ein weiterer Eiferer, Rudolf Freiherr von Sebottendorf (recte: Rudolf Glauer oder Erwin Torre). Dieser war 1917 als türkischer Staatsangehöriger aus der Levante nach Deutschland gekommen. Wahrscheinlich Freimaurer, Rosenkreuzer und Theosoph, war er trotz seiner unklaren Herkunft bestens geeignet, eine wichtige Rolle bei der Grundsteinlegung des Nationalsozialismus zu übernehmen. Noch dazu verfügte er über beträchtliche finanzielle Mittel - neben esoterischen Kenntnissen und antisemitischen Neigungen wohl die beste Eintrittskarte in die damaligen (klein)bürgerlichen Zirkel des (post)wilhelminischen Deutschlands.

Nach einem kurzen Gastspiel als Gründer einer völkischen Loge in Berlin ließ sich Sebottendorf in der Zweigstrasse in Bad Aiblingen nieder, wo er den "Thule-Förderer- und Freundschaftskreis" als "völkische Loge" und einen gleichnamigen Orden gründete. Dieser hatte bald genügend "rassenreinen" Zulauf. Das Aufnahmeformular war mit einem Hakenkreuz geschmückt, die Versammlungsräume der Thule-Gesellschaft zierten fliegende Sonnenräder. Als Anstecknadel diente ein von zwei Speeren durchkreuztes Hakenkreuz. Der Gruß der Thule lautete "Heil und Sieg" – ein Wort, das man noch Jahrzehnte hören sollte. In den Orden selbst wurden nur besonders qualifizierte Bewerber aufgenommen, darunter der einstmalige Sekretär des Alpenvereins, Guido von List, und der Ex-Zisterzienser Lanz (von Liebenfels) - beide aus Wien, die es bald zum Meistergrad brachten. Prominente Mitglieder der aus dem seit 1912 bestehenden "Germanenorden" hervorgegangenen Gesellschaft waren der ehemalige Reichstagsabgeordnete Dr. Gottfried Feder, Karl Harrer, der sozialdemokratische Antisemit Julius Streicher, Dr. Karl Haushofer und sein Schüler Rudolf Hess sowie der Schriftsteller Dietrich Eckartund Dipl. Ing. Alfred Rosenberg - wie man sieht, eine illustre Runde. Erst später, etwa 1920, wurde der Orden noch um die Namen Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Hermann Göring "bereichert".

Emblem der thule_Geselslchaft
Emblem der Thule-Gesellschaft
Das Programm der Thule war eindeutig: Hierarchische Ordnung statt Demokratie und Gleichmacherei, Geheimwissen als Instrument zur Errichtung einer neuen Weltordnung durch ein besonderes arisches Priestertum im Kreise einiger weniger Eingeweihter, die sich einer neuen Kampf- und Massenorganisation bedienen sollten. Der Thule-Orden träumte den Traum von einem "Dritten", einem "tausendjährigen" Reich und führte einen "Kreuzzug" gegen den Bolschewismus. In richtiger Einschätzung des Zustandes der deutschen Kollektivseele nach dem Ersten Weltkrieg (durch die "Demütigung" von Versailles) strebte die Thule eine totale Neuordnung an: der verhasste Staat, der sich mit dem "jüdischen Sünden-Bock" eingelassen hatte, sollte mit wahrhaft ödipaler Stosskraft abgeschafft werden, um die Wiedervereinigung mit der "Mutter Germania", der rassenreinen Volksseele, zu erlangen. Nicht von ungefähr hatten militante Rassentheoretiker wie Lanz und Hitler immer auch eine stark Mutterfixierung. Dazu die manifesten Sexualängste: Das beweist auch der Ausspruch von Joseph Goebbels: "Wie viel hat der Jude unserer Mutter Deutschland angetan!" (zitiert nach "Profil", Nr. 37 vom 11. 9. 1989).

Dass aus diesem Streben eine "Theokratie des Bösen" erwachsen musste, ist tiefenpsychologisch gut erklärbar. Das Münchner Versammlungslokal der Thule war 1918-22 Treffpunkt von Exponenten verschiedenster nationalistischer und pan-germanistischer Gruppen, die man als Protonationalsozialisten bezeichnen kann (proto- indiziert Vorläufer, prä- nur chronologisch vorhergehend, wie in prähistorisch). Der oben erwähnte Rudolf Sebottendorf erwarb die Selcherzeitung "Münchner Beobachter" mithilfe seiner (angeblich jüdischen) Freundin Käthe Bierbaumer von der Witwe des vormaligen Eigentümers um ganze 5000 Mark. Sie erschien ab 1918 mit dem Untertitel "Sportblatt" - zur Tarnung, aber auch als Mittel, um die Jugend zu gewinnen. Aus ihr wurde wenig später der "Völkische Beobachter", das zentrale nationalsozialistische Kampfblatt. Im Oktober 1918 beauftragte Sebottendorf den Journalisten Karl Harrer und den Eisenbahnschlosser Anton Drexler mit der Gründung des "Arbeiter-Ringes" - der oben angeführten Keimzelle der NSDAP, die somit eine "reinrassige" Thule-Schöpfung war und dementsprechend auch deren gesamte politische Symbolik mit auf den Weg bekam. Sebottendorf notiert befriedigt:

"Das, den Gruß der Thule-Leute, machte Hitler zum , die Thule-Zeitung machte der Führer zum , zum Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands. Unser Thule-Zeichen, das germanische Hakenkreuz, übernahm Hitler in dieser Form als Symbol der siegenden NSDAP".

--> E. R. Carmin, a.a.O. 76

Am 19. April 1919 stellt Sebottendorf mit Hilfe der nach Nürnberg geflohenen Bayerischen Staatsregierung des pfälzischen Sozialdemokraten Johannes Hoffmann das "Freikorps Oberland" auf, aus dem wenig später der erste SA-Verband werden sollte. Ziel der sogenannten "Weißen Truppen" unter dem Oberbefehl des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske,deren erste Formationen schon Ende 1918 geplant wurden und im Aufbau begriffen waren, war München, wo am 6. April 1919 Sozialdemokraten und Anarchisten die Räterepublik proklamiert hatten. Die Kommunisten hatten diese Proklamation ursprünglich abgelehnt, da sie meinten, unter den gegebenen sozialen und politischen Verhältnissen sei eine Räterepublik nicht überlebensfähig. Erst als infolge eines Rechts-Putsches etwa eineinhalb Wochen später die führenden sozialdemokratischen und anarchistischen Protagonisten der Räterepublik verhaftet und aus München entführt worden waren, übernahmen die Kommunisten die Führung der Münchner Roten Armee zur Abwehr der auf München zumarschierenden Weißen Truppen. Diese sahen die Münchner Rote Armee nicht als exekutiven Arm einer kriegführenden Macht im Sinne der Genfer Konvention an. Für Noske war die Rote Armee nur eine Truppe von Insurgenten, die man nicht gefangen nahm, sondern sofort füsilierte. Auch die mit Rot-Kreuz-Binden versehenen Sanitäter wurden nicht verschont. Das Verhalten der Weißen Truppen ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt und wurde auch auf Flugblättern und Plakaten bekannt gemacht. Die Erregung darüber löste bei Fritz Seidel, dem Kommandanten des Luitpoldgymnasiums, in dem die verhafteten Mitglieder der Thule-Gesellschaft festgehalten wurden, eine Kurzschlusshandlung aus. Er befahl am Nachmittag des 30. April die Hinrichtung der Gefangenen, die für ihn keine Geiseln, sondern Kombattanten waren, als Vergeltung für die Massaker der Weißen Truppen. Noch in der Nacht zum 1. Mai distanzierte sich der Münchner Arbeiter- und Soldatenrat von diesem Vorgehen. (Information von Günther Gerstenberg)

Über die nach dem Begräbnis der Thule-Mitglieder abgehaltene Trauerloge berichtet Sebottendorf:

"Das Rednerpult war mit einer erbeuteten Kommunistenfahne bedeckt, an Stelle des Hammers und der Sichel hatte eine Schwesternhand das Hakenkreuz im weißen Felde angebracht, das Hakenkreuz, das alle Wände der Loge schmückte, für das die Thule-Leute in den Tod gegangen waren."

--> Rudolf von Sebottendorf, Bevor Hitler kam, Deukula, München, 1933, S. 166f.

Anmerkung: Sebottendorfs Buch wurde bald nach seinem Erscheinen (1933) von den Nazibehörden unterdrückt, denn Hitler wollte keine Dokumente über Vorläufer-Bewegungen verbreiten lassen. Immerhin wurde dem alternden Herrn "Baron" später ein Gnadenbrot zuteil - beim Nachrichtendienst der reichsdeutschen Vertretung in Istanbul, wo er sich beim Ende des Dritten Reiches am 9. Mai 1945 in den Bosporus stürzte.

--> Nicholas Goodrick-Clarke, a.a.O. p. 133 ff.
--> Hermann Gilbhard, die Thule-Gesellschaft, Kiessling, München 1994
--> Georg Franz-Willing. Ursprung der Hitlerbewegung 1919-1922, Schütz, Preußisch Oldendorf, 1974, pp. 39-48,
--> zur Thule-gesellschaft siehe auch: http://www.relinfo.ch/thule/info.html

"Ritter Jörg" - Lanz von Liebenfels #

Merke: Das Hakenkreuz als praktisch verwendetes politisches Symbol der arisch-pangermanischen, antisemitischen Weltanschauung wurde in den völkischen Zirkeln Österreichs und Deutschlands ungefähr zur selben Zeit ausgegraben und als Vereinsabzeichen eingesetzt.

Nach Wilfried Daim ist zu vermuten, dass Österreich in diesem Fall sogar eine traurige Vorreiterrolle zukommt. Daher steht sein Buch über Lanz von Liebenfels auch unter einem Ausspruch von August Maria Knoll, des am Weihnachtsabend 1963 im 63. Lebensjahr verstorbenen österreichischen Soziologen und linkskatholischen Sozialreformers: "Der Nationalsozialismus ist jene Bewegung, die das preußische Schwert der österreichischen Narretei zur Verfügung gestellt hat."

Wer war nun der "Mann, der Hitler die Ideen gab"? Geboren als Sohn eines Lehrers am 19. Juli 1874 in Wien-Penzing steht sein Name im Taufbuch als Adolf Josef Lanz. Bekannt unter dem von ihm selbst "verbesserten" Namen Jörg Lanz von Liebenfels (ein Großvater war vermutlich jüdischer Herkunft, wie dessen Name und Beruf - Abraham (nach seiner Konvertierung: Franz) Hoffenreich, Handelsmann in der Slowakei - vermuten lässt), war Lanz seit frühester Jugend darauf versessen, "Tempelritter" zu werden und eine "Templerburg" zu besitzen. Zunächst trat er neunzehnjährig nach bestandener Matura in den Zisterzienserorden im Stift Heiligenkreuz bei Wien ein. Eine in Stein gehauene Abbildung einer Männergestalt mit nimbiertem Haupt, die auf einem affenähnlichen Tier steht (für Lanz das BÖSE PRINZIP), beeinflusst ihn offenbar nachhaltig. Ein Traumgesicht habe ihm gesagt, dass es sich bei der Gestalt um einen Tempelritter handle. Dies bestätige ihn in seiner Absicht, Templer zu werden. (Der begüterte Templerorden existierte von 1119 bis 1312 und verfolgte das Ziel, die Ungläubigen zu bekämpfen und das Hl. Grab zu schützen). Für Lanz war das oben erwähnte, 1894 in Heiligenkreuz aufgefundenes Relief Ausgangspunkt seiner "ariosophischen Forschungen". Zu allem Überfluss war auch sein Novizenmeister, Nivard Schlögl, ein kämpferischer Antisemit. 1899 trat Lanz - vermutlich einer Liebesgeschichte wegen und weniger aufgrund von ikonographischen Streitigkeiten - aus dem Kloster aus, behielt aber zeitlebens seinen Ordensnamen - den des Drachentöters Georg (Jörg) - bei. Vielleicht hat Lanz dabei auch an Georg Ritter von Schönerer gedacht. Der Ordensaustritt von Lanz trägt Züge einer "Los-von-Rom-Bewegung": er geht hin, seine eigene "christliche" Kirche zu gründen - "ein ariosophisches Institut für sakrale heroische Rassenzucht" - als Gegenbild zum "verjudeten" Christentum. Daher verwendet Lanz auch später für "Jesus" den aus der gotischen Ulfila-Bibel stammenden, offenbar genügend germanisch klingenden Namen "Frauja". Das Programm seines "Ordens des Neuen Tempels" (1907 !) beginnt mit folgendem Satz:

"Die Staaten werden im Interesse ihres Bestandes der Kultur zur planmäßigen Zucht der staats- und kulturerhaltenden Menschen arischer Rasse kommen müssen".

Der neue Orden übernahm Elemente sowohl des Templerordens als auch des Zisterzienserordens (weißer Habit mit Kruckenkreuz). Man hielt Gralsfeiern ab, für die Tausende Seiten selbstverfasster liturgischer Literatur zur Verfügung standen. Assoziationen mit dem Ku-Klux-Klan drängen sich auf. Zentrum des Ordens war die auf einem Felsen im Strudengau gelegene Burg Werfenstein, die Lanz seit 1896 kaufen wollte, aber erst 1907 vertraglich als sein Eigentum erwerben konnte. Daneben besaß der Neutemplerorden noch mehrere Burgen in Deutschland und Ungarn.

Beachte: Im Rahmen einer Kulthandlung wurde zu Weihnachten 1907 zum erstenmal eine Hakenkreuzfahne auf Burg Werfenstein gehisst. Ein Nachbar von Lanz, Franz Herndl, beschreibt diesen Vorgang in seinem autobiographischen Roman (zit. nach Daim, a.a.O, S. 81): "Die eine Flagge, auf den Trümmern des einstmaligen 'Palas' an einem neu errichteten Maste befestigt, zeigte einen silbernen Adlerflügel auf rotem Grunde, während die andere, die auf dem noch erhaltenen Turm aufgezogen war, auf goldenem Grunde vier blaue Lilien um ein rotes Hakenkreuz darstellte."

Die erstere Flagge enthält das von Lanz in der Schweizer Gemeinde Zuzgen im Aargau aufgefundene Wappen der Familie Lanz von Liebenfels. Seine heraldischen Elemente "rot" und "Adlerflug" passen sehr gut zur radikalen Weltanschauung des Wiener Weltverbesserers. Die zweite Flagge deutet Wilfried Daim wie folgt: "Der goldene Grund als Symbol der Ewigkeit, die Lilien als Symbol der (Rassen-)Reinheit und das rote Hakenkreuz als Symbol des aufsteigenden Arioheroischen".

In einer 1976 erschienenen sonderbaren Apologetik des Neutemplerordens wird die erste Hakenkreuzflagge wie folgt beschrieben: "Sie zeigte auf blauem, goldumrahmten Feld ein goldenes Hakenkreuz und rote Lilien in den vier Ecken".

Hakenkreuzflagge 1907 nach Rudolf J. Mund
Hakenkreuzflagge 1907 nach Rudolf J. Mund

Hakenkreuzflagge 1907 nach Wilfried Daim
Hakenkreuzflagge 1907 nach Wilfried Daim
Reproduktion: P. Diem

--> Rudolf J. Mund, Jörg Lanz v. Liebenfels und der Neue Templer Orden, Spieth Verlag, Stuttgart, 1976, 77

In Deutschland dürfte der Münchner Alfred Schuler der erste moderne Hakenkreuztheoretiker gewesen sein. Schon 1895 wollte er über das Hakenkreuz dissertieren, da er in der Swastika "das mittelpünktliche Symbol der vorgeschichtlichen Menschheit entdeckt zu haben glaubte und bis zuletzt an den Aufschlüssen festhielt, die ihm darüber durch Schulung dessen, was er 'innere Wahrnehmung' nannte, zu eigen wurden."(zit. nach Daim, a.a.O. S. 84, Lit. S. 315.)

Guido von List, Foto: C.H. Schiffer Aus: Wikicommons unter CC
Guido von List
Foto: C.H. Schiffer Aus: Wikicommons unter CC
Bild 'LIST'

Daim konnte zwar keine Verbindung zwischen dem Kreis um Alfred Schuler (dem auch Stefan George und Rainer Maria Rilke angehörten) in München und jenem um Lanz bzw. Guido von List in Wien nachweisen. Wie wir aber durch E. R. Carmin (a.a.O. 71) erfahren haben, waren die beiden letzteren prominente Mitglieder der Thule-Gesellschaft. Es ist daher anzunehmen, dass sehr wohl Kontakte zwischen den genannten Protonationalsozialisten diesseits und jenseits des Inns bestanden haben. Zumindest war man wechselseitig über das einschlägige Schrifttum informiert.

Nach Guido von List (--> "Die Bilderschrift der Ariogermanen", Leipzig, C. F. Steinacker, 1910) sei das linksflügelige Hakenkreuz eine "Ur-Glyphe", die "Fyrfos" (Feuerzeugung) bedeutet und als heiliges Geheimzeichen der Armanen, der geistigen Führer der Arier, auch Hakenkreuz oder Swastika heißt. Neben der Ableitung aus dem Sanskrit (svasti = Glück) stellt Guido von List eine Beziehung zwischen "thu" und "ask" ("tue wachsen") und dem germanischen Gottesnamen "Tuisk-fo" her.

--> Wilfried Daim, Das Hakenkreuz in der Neuzeit, Vortragsmanuskript, 30. 5. 1957

Das rechtsflügelige Hakenkreuz soll hingegen das Feuer der Empörung gegen die Behinderung neuer Ideen symbolisieren. Als solches soll es als "Pflugrad" (in einen Kreis gestellt, die Haken gerundet) auf den Fahnen der Bauernkriege geführt worden sein, wovon sich der Begriff "Rädelsführer" ableite. (Alle diese wohl vorwiegend assoziativen Deutungen passen sehr schön zu den frühen Nationalsozialisten).

Wenn man nun beide "Glyphen" übereinander lege, entstehe das "Redende Haupt", das "heiligste Sigill des Armanentums" - eine dem Malteserkreuz, Lilienkreuz oder Kruckenkreuz ähnliche Form, die - in gnostischer Weltsicht - als die Verdichtung des Geistes zum Stoffe = Tod (linksflügelig) vereinigt mit der Entdichtung des Stoffes zum Geiste = Leben (rechtsflügelig) interpretiert werden kann.

Das linksflügelige Hakenkreuz findet sich folgerichtig auf einem Grabstein, den ein Neutempler 1914 seiner verstorbenen Frau setzte, während das rechtsflügelige sowohl am Titelblatt der Schrift Lists "Das Geheimnis der Runen" (1908) als auch in einer Beilage zu einem Ostara-Heft von Lanz (1909) vorkommt (Hitler hat in seiner Wiener Zeit mit größter Wahrscheinlichkeit Ostara-Hefte gelesen).

Kruckenkreuzabzeichen, Foto: P. Diem
Kruckenkreuzabzeichen
Foto: P. Diem
Jerusalemkreuz
Jerusalemkreuz
Jedoch wird das aus beiden Formen des Hakenkreuzes zusammengesetzte Kruckenkreuz für die Neutempler zum wichtigeren Symbol. Das zu dieser Zeit in Österreich politisch noch "unbesetzte" Kruckenkreuz war dem Jerusalemkreuz (dieses enthält noch vier kleine Kreuze in den Winkeln) sehr ähnlich. Als Wappen des Königreiches Jerusalem fand es sich im großen kaiserlichen Wappen, ohne dass ein zugehöriges Territorium existierte - eine für die "Neutempler" bedeutsame, jedenfalls positive Assoziation.


Für den deutschen Tiefenpsychologen und Publizisten Friedrich W. Doucet sind Symbole, wenn sich echt sind, Produkte des kollektiven Unbewussten (C.G. Jung), die die Eigenschaft haben, ihrerseits wieder eine magische Anziehungskraft auf das menschliche Unbewusste auszuüben. Er verweist auf einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen der Hakenkreuzinterpretation Schulers und jener Lists: beim Münchner Schuler wird die Drehung immer so angenommen, dass die Haken "nachgezogen" werden, während sie beim Wiener List in die Drehrichtung vorausweisen. Doucet fasst das Hakenkreuz so wie Schuler auf und meint, dass Haushofer es war, der das Symbol des Hakenkreuzes ausgewählt hat, dabei aber trotz seiner genauen Asienkenntnisse die "verkehrte" Drehrichtung gewählt hat. Den deutschen Protonationalsozialisten, die die bestehende Ordnung zerstören und durch eine neue ersetzen wollten, sei eine aus dem Unbewussten kommende, und (daher durchaus logische) Fehlleistung unterlaufen: sie wollten ein Glückssymbol schaffen, haben aber durch die Wahl der "falschen" Drehrichtung (dem glückbringenden Ursymbol Swastika entgegenlaufend!) und der "falschen" Farbe (Schwarz ist als Todesfarbe kein Sonnensymbol) ein negatives Symbol kreiert, das den Todeskeim symbolisch von Anfang an in sich trägt.
--> Friedrich W. Doucet, Im Banne des Mythos, Die Psychologie des Dritten Reiches", Bechtle, Esslingen, 1979, 90 ff.

Wir müssen dieser interessanten Theorie freilich entgegenhalten, dass in der praktischen Auseinandersetzung mit den marxistischen Parteien ein rotes Symbol wenig sinnvoll gewesen wäre. Was die Drehrichtung betrifft, so kann man für beide Richtungen gute Gründe anführen. Die des "schneidenden" Rades (rechtsflügelig, nach rechts drehend) ist wohl die aggressivere Assoziation als die des "brennenden" Rades (rechtsflügelig, nach links drehend). Offenbar war die erstere die näherliegende. Und warum sollte man ausschließen, dass die Protonationalsozialisten in ihrer magischen Ritterideologie am alten germanischen Todestrieb partizipierten und demgemäss ihre Symbole eher aus dem Reich des Schattens als aus jenem des Lichtes wählten? Adolf Hitler kannte im übrigen Guido von List. Er schätzte vor allem sein Buch "Deutsch-mythologische Landschaftsbilder" (Berlin, 1891), in dem List den steinernen Spuren der Armanen und den germanischen Ortsnamen nachgeht. Hitler ließ ein solches Buch für Bayern entwerfen (Daim, a.a.O., 92f.). Hitler war das Hakenkreuz auch zweifellos schon aus seiner Wiener Zeit bekannt. Wenn es sich nicht um Fälschungen handelt, hat Adolf Hitler im Herbst 1920 eine Reihe von Skizzen für Parteiabzeichen und Parteifahne angefertigt, die sich heute in Privatbesitz befinden.

'Schwarzes Hakenkreuz auf weißem Feld ... Dieses Zeichen finde ich im Ring  sehr stark'
'Fahne der neuen deutschen Bewegung/Tuch - rot/Tuchkreis weiß/gerades Kreuz mit Haken schwarz Rotes Tuch - blutrot - um die Arbeitermassen anzusprechen' (Dez. 1920)
Sturmabteilungsmann mit Hakenkreuzfahne und Hakenkreuz am Stahlhelm (1920)

Eigenhändige Kommentare Hitlers:

Bild links: "Schwarzes Hakenkreuz auf weißem Feld ... Dieses Zeichen finde ich im Ring sehr stark"
Bild Mitte: "Fahne der neuen deutschen Bewegung / Tuch - rot / Tuchkreis weiß / gerades Kreuz mit Haken schwarz Rotes Tuch
- blutrot - um die Arbeitermassen anzusprechen"
(Dez. 1920)
Bildmotiv rechts: Sturmabteilungsmann mit Hakenkreuzfahne und Hakenkreuz am Stahlhelm (1920)

--> Billy F. Price, Adolf Hitler als Maler und Zeichner, Gallant, Zug, 1982, 200 f.

Georg Franz-Willing schildert die Entstehungsgeschichte der Hakenkreuzfahne wie folgt:

"(Der Starnberger Zahnarzt Friedrich)Krohn kannte das Hakenkreuzzeichen bereits aus seinem Familienwappen. Auf seinen ausgedehnten Auslandsreisen hatte er es unter anderem in einer Kirche in Mexiko entdeckt. Am 2. Mai 1919 verfasste er eine Denkschrift unter dem Titel: „Ist das Hakenkreuz als Symbol nationalsozialistischer Parteien geeignet?" In seinen Entwürfen trat Krohn für das links gerichtete Hakenkreuz ein. Nach einer buddhistischen Vorstellung, so erzählte er dem Verfasser, bedeutet das links gerichtete Hakenkreuz Glück und Heil, das rechts gerichtete Untergang. Für das links gerichtete traten auf Grund seiner Fürsprache von den Teilnehmern der Besprechungen nach seiner Erinnerung Drexler, Körner, Harrer, Hechenberger und Dr. v. Levin ein. Hitler aber entschied sich für das rechts gerichtete und setzte seinen Willen durch. Dementsprechend änderte Krohn seinen Entwurf. Als Krohn die Ortsgruppe Starnberg gründete, schmückte er das Rednerpult mit der von ihm entworfenen und gefertigten Hakenkreuzflagge. So erschien sie zum erstenmal in der Öffentlichkeit. Anton Drexler nahm an der Gründungsversammlung der Starnberger Ortsgruppe am 20. Mai 1920 teil. Als er den Saal betrat und das mit der Hakenkreuzflagge geschmückte Rednerpult sah, rief er freudig: „Da haben wir ja unsere Parteiflagge!" Am anderen Tag wurde vom Münchner Parteiausschuss mit Zustimmung des Werbeobmannes Hitler die Flagge übernommen und nach ihrem Vorbild auch das Parteiabzeichen angefertigt (Anton Drexler hat dem Zahnarzt Friedrich Krohn auf seinen Wunsch hin in einem Brief v. 24.5.1935 bestätigt, dass die Partei von ihm die Hakenkreuzflagge habe).

Die Anfertigung des Parteiabzeichens wurde dem Goldschmied Josef Fueß übertragen. Nach der Schilderung von Fueß entstand das Parteiabzeichen noch vor der Fahne. Die Entwürfe machte Fueß, der verschiedene emaillierte Muster vorlegte, unter denen Hitler dann die Auswahl traf. Hitler selbst machte nur Andeutungen, wie er sich das Abzeichen vorstellte. Entwurf und Ausführung überließ er Fueß. Da Fueß auf Grund der Versammlung im Hofbräuhaus am 24. 2. 1920 zur Bewegung gestoßen war, fällt die Entstehung des Abzeichens ins Frühjahr 1920. Die ursprüngliche Aufschrift lautete DAP und wurde dann auf Hitlers Wunsch und Vorschlag abgeändert; die neue Inschrift lautete: Nat. Soz. DAP

Parteiabzeichen, Hakenkreuzabzeichen
Hakenkreuzabzeichen, Parteiabzeichen ("Bonbon") - Foto: P. Diem
Krohns Starnberger Hakenkreuzflagge hatte seine Frau genäht. Die ersten Muster der Hakenkreuzfahne der Münchner Ortsgruppe fertigten Rudolf Schüßlers erste Frau, Frau Fueß und Jenny Haug an. Krohn hatte dafür zwei Entwürfe unterbreitet; einen mit dem Sonnenrad und einen mit den geraden gekreuzten Balken; für letzteren hatte sich Hitler entschieden (mündliche Mitteilung von Friedrich Krohn). Zur selben Zeit, als in München monatelange Debatten im Parteiausschuss über ein Parteisymbol stattfanden, bemühte sich der Führer der Wiener Nationalsozialisten, Dr. Walter Riehl, ebenfalls, das Hakenkreuz als Parteisymbol durchzusetzen. Im Februar 1920 zeichnete er den ersten Entwurf des Hakenkreuzabzeichens (im Jargon "Bonbon") und skizzierte auch ein Fahnenmuster mit dem Hakenkreuz auf weißem Feld. Es wurde dann beschlossen, den bereits vorhandenen Abzeichen, Hammer und Eichenlaub, das Hakenkreuz beizufügen.

Am 1. Mai 1920 wurde die Hakenkreuzfahne erstmals öffentlich von einer Gruppe österreichischer Bergfreunde auf dem Wege von Dürnstein nach Krems getragen. Auf der Salzburger Tagung im August 1920 erklärte Hitler, „dass das Hakenkreuz als offizielles Abzeichen zu tragen sei"

--> Gedächtnisprotokoll von Alois Gränt über die erste Verwendung des Hakenkreuzes, in:
--> Alexander Schilling, Dr. Walter Riehl und die Geschichte des Nationalsozialismus, Leipzig 1933, S. 378—330)

Die Konvergenz des Vorgangs beruht auf einer gemeinsamen Wurzel: diese ist die Guido-von-List-Gesellschaft, aus der der Germanenorden hervorgegangen war. Auffällig bleibt auf jeden Fall die Gleichzeitigkeit des Ereignisses.

--> Franz-Willing, a.a.O. 123 ff.

Die Ausführungen über die Hakenkreuzsymbolik der Partei stützen sich laut diesem Autor auf die mündliche und schriftliche Mitteilung von Friedrich Krohn, Josef Fueß, Karolina Gahr, Erna Hanfstängl und anderen Personen. Zur Farbwahl schreibt Franz-Willing: Friedrich Krohn hatte auch die Farben Schwarz-Weiß-Rot ausgewählt und vorgeschlagen. Tatsächlich hatte er sie auch bei seiner Hakenkreuzflagge als erster verwendet:

„Die alten deutschen Reichsfarben (Sturmfahne der deutschen Ritter im Mittelalter) und als Protest gegen das Diktat von Versailles: Schwarz als Zeichen der Trauer wegen des verlorenen Krieges, weiß als Zeichen unserer Unschuld am Kriegsausbruch 1914/18 (Protest gegen Kriegs­schuldlüge!) und rot als Zeichen der Liebe zur Heimat, insbesondere der Liebe zu den verlorenen Grenzgebieten", so legte Krohn den Sinn der Farben aus.

Vernehmen wir nun nochmals Hitlers Schilderung:

„Ich selbst hatte unterdes nach unzähligen Versuchen eine endgültige Form niedergelegt: eine Fahne aus rotem Grundtuch, einer weißen Scheibe und in deren Mitte ein schwarzes Haken­kreuz. Nach langen Versuchen fand ich auch ein bestimmtes Verhältnis zwi­schen der Größe der Fahne und der Größe der weißen Scheibe sowie der Form und Stärke des Hakenkreuzes. Und dabei ist es dann geblieben." Die Farben deutete Hitler wie erwähnt wie folgt: „Als nationale Sozialisten sehen wir in unserer Flagge unser Programm. Im rot sehen wir den sozialen Gedanken der Bewegung, im weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und anti­semitisch sein wird."

Gleichzeitig wurde auch die Anfertigung von Hakenkreuz-Armbinden nach dem gleichen Muster und der gleichen Farbenanordnung in Auftrag gegeben.

NS-Standasarte
NS-Standarte
Um die Jahreswende 1922/23 entstand unter dem Eindruck von Mussolinis Machtergreifung und vom Faschismus her beeinflusst ein neues Symbol: die Standarte als Feldzeichen der Sturmabteilung. Nach Krohns Mitteilung gab Röhm dazu die Anregung. Hitler hielt es um diese Zeit für notwendig,„dieser Weltorganisation der jungen Weltanschauung noch ein besonderes Symbol des Sieges zu geben: die Standarte. Auch sie habe ich selbst entworfen und dann einem alten treuen Parteigenossen, dem Goldschmiedemeister Gahr, zur Ausführung gegeben"

Josef Fueß berichtete, dass er auf Wunsch Hitlers die Entwürfe gemacht habe. Da Fueß selbst so große Stücke nicht herstellte, empfahl er Hitler, die Ausführung dem Goldschmied Otto Gahr zu übertragen, der sie dann nach den Entwürfen von Fueß anfertigte. Frau Karolina Gahr, die Witwe des am 1. 1. 1932 verstorbenen Goldschmieds berichtete, dass Hitler auf der Suche nach einem Briefstempel den Adler für diesen Stempel verwenden wollte. Er studierte eine Reihe von Kunstzeitschriften, besuchte auch mehrfach die Staatsbibliothek - vermutlich die heraldische Abteilung - und machte mit Gahr zusammen Entwürfe. Die Ausarbeitung um die Jahreswende 1922/23 musste in größter Eile erfolgen, um die Standarten zum Reichsparteitag Ende Januar 1923 fertig zu haben.

Exkurs (im Hinblick auf Beiträge österreichischer Nazis zur Symbolik der NSDAP):

Weil das weiße Hemd verboten wurde, marschierten einige SA-Männer 'oben ohne'
Weil das weiße Hemd verboten wurde,
marschierten einige SA-Männer "oben ohne"
Foto: ONB/Ruebelt, 1932
Das Braunhemd kam im Jahre 1924 auf, war also in der alten Partei, die nach dem Putsch des 9. November 1923 aufgelöst und verboten wurde, überhaupt nicht vorhanden. Es stammte von dem Freikorpsführer Gerhard Roßbach. Bei einer Besprechung in Salzburg im Jahre 1924 zwischen Röhm, Göring und Roßbach warf Röhm die Frage der Uniformierung der SA (Frontbann) auf. Roßbach verwies auf das khakifarbene Hemd, das er trug. Röhm sagte: „Das sieht gut aus", während Göring beifällig nickte. So wurde von Röhm auf Roßbachs Vorschlag das Braunhemd eingeführt und dann von Hitler übernommen. Der sogenannte „Hakelstecken" wurde als Waffe mitgeführt. Heines machte in München ein Geschäft zum Verkauf der Braunhemden auf, das von der Partei übernommen wurde. Die Sturmabteilung der alten Partei vor 1923 erhielt als eine Art Uniform um die Jahreswende von 1922/23 graue Windjacke mit Gürtel und Skimütze. Am linken Arm wurde die Hakenkreuzbinde getragen. Der "Heilgruß" tauchte in der Münchner nationalsozialistischen Partei im Jahre 1920 allmählich auf. Bekannt war er bereits vor dem ersten Weltkrieg in der völkischen Bewegung Österreichs, von der ihn die völkischen Verbände des Altreichs übernommen hatten.

--> Alle Quellenangaben hierzu bei Franz-Willing, 126 f.

Erfunden hat Hitler das Hakenkreuz also ebenso wenig wie die NSDAP und deren Ideologie. Was von ihm stammt, ist die Durchsetzung eines auf ein Zentralsymbol aufbauenden, geschlossenen propagandistischen Konzepts. Millionenfach wirksam geworden als mystisch einigendes und den Kampf befehlendes Symbol ist das Hakenkreuz - stärker als ähnliche faschistische Symbole in ganz Europa - durch seine physische Vervielfältigung als Abzeichen und Bild, auf Flaggen und Fahnen, aber vor allem auch durch das in der NS-Zeit erstmals eingesetzte audiovisuelle Medium Film.

Die folgenden ergänzenden Ausführungen hiezu stammen von Prof. Wolfgang Jilek (Vancouver):

Aus den frühen Photographien der Nazifahne geht eindeutig hervor, dass das Hakenkreuz in dieser ersten offiziellen Fahne "statisch" war - wie auch auf Hitler's Zeichnung des "Sturmabteilungsmanns" mit N.S.-D.A.P. Fahne vom Sommer 1920. Erst um 1923 setzte sich die Fahne mit dem um 45 Grad gedrehten Hakenkreuz in der Nazipartei durch. Nur auf den unzweifelhaft von Hitler nach italienisch-faschistischem Vorbild entworfenen SA-Standarten blieb das Hakenkreuz statisch, und auf den Fahnen von einigen SS-Einheiten.

Es bleibt unklar, ob Hitler diese dynamische Drehung selbst veranlasste. Sicher gab es bereits Vorbilder in alten pan-germanistischen Publikationen, dort meist mit abgerundeten Haken. Während im Buddhismus das Hakenkreuz statisch linksgedreht als "Herz Buddhas" gedeutet wird, hat das rechtsgerichtete statische Hakenkreuz in der Symbolik des Hinduismus eine ganz bedeutende Stellung, manchmal wird es dort auch um 45 Grad nach rechts gedreht dargestellt. Da sich aber auf den russischen Rubelnoten der Kerensky-Regierung 1917-18 ein um 45 Grad nach rechts gedrehtes Hakenkreuz - identisch mit dem späteren Nazisymbol - findet, ist nicht auszuschließen, dass die Idee von Alfred Rosenberg stammte, der 1918 aus dem ehemaligen russischen Baltikum in München eintraf und sehr bald zum Thulekreis sowie zur pangermanistischen Boheme in Schwabing stieß - ein Kreis um den Dichter der völkischen Romantik und Mentor Hitlers, Dietrich Eckart - oder auch von weißrussischen Emigranten, die mit den Alt-Nazis der "Thule" in engem Kontakt standen und auch erheblich zur Finanzierung der jungen Bewegung beitrugen.

Hindu-Swastika an einer Ortstafel in Bali (1985), Foto: Wolfgang Jilek
Hindu-Swastika an einer Ortstafel in Bali (1985)
Foto: Wolfgang Jilek

250-Rubelschein der Regierung Kerensky (1917), Foto: Wolfgang Jilek
250-Rubelschein der Regierung Kerensky (1917)
Foto: Wolfgang Jilek

Die besondere Konfiguration der Grundfarben Rot-Weiß-Schwarz und die Drehung des Hakenkreuzsymbols verliehen der Nazifahne ihre Dynamik und ihre massenwirksamen, psycho-physiologischen Eigenschaften und Effekte:

Das in der Hakenkreuzfahne vorherrschende Rot ist die ideale Signalfarbe, ein archaisches Warnzeichen vor Blut und Feuer. Es bewirkt eine starke Stimulation im Zentralnervensystem. Rot wird von allen Säugetieren wahrgenommen und in allen menschlichen Sprachen benannt, auch wenn andere Farbbezeichnungen fehlen. Durch den kontextuellen Kontrast des Hakenkreuzes in der weißen Scheibe mit dem diese umgebenden Rot wird die Luminanz des Weiß und der Stimuluseffekt des schwarzen Zeichens erhöht. Die Drehung des Hakenkreuzes um 45 Grad maximiert den Signalwert dieses Symbols. Neuropsychologisch liegt dem folgender Mechanismus zu Grunde:

(1) Nach dem Prinzip der Prägnanz wird durch das Zentralnervensystem die äußere Figur so transformiert, dass die wahrgenommene Figur so prägnant, d.h. von so guter Gestalt ist, wie es die Stimulus-Figur zulässt.

(2) Nach dem Prinzip der Schließung besteht die Tendenz, irreguläre oder offene ganzheitliche Formen als geschlossene wahrzunehmen. Wenn aber die beobachtete Figur so gestaltet ist, dass ihre Wahrnehmung als geschlossene Figur trotz der Schließungstendenz unmöglich wird, dann erzeugt der optische Stimulus eine nervös-psychische Spannung durch neuronale Exzitation in Retina- und Gehirn-Strukturen, in denen die visuellen Wahrnehmungsprozesse stattfinden.

Hakenkreuzdynamik nach W. Jilek
Hakenkreuzdynamik nach W. Jilek
Anders ausgedrückt: In der Hakenkreuzfahne hat die visuelle Stimulierung durch das um 45 Grad gedrehte Hakenkreuz nämlich zunächst den Effekt, eine Schließung des Zeichens in seiner Wahrnehmung zu provozieren; jedoch sind die Lücken darin zu groß, um vom Wahrnehmungsapparat unterdrückt zu werden. Daraus resultiert der Eindruck dynamischer Bewegung einer quasi rotierenden Figur. Das Hakenkreuzzeichen erscheint zuerst geschlossen, dann offen, und wird so zu einer Spannungsquelle, die die Aufmerksamkeit des Beobachters erzwingt. (C. G. Jung sah im dynamischen Hakenkreuzsymbol der Nazifahne einen Appell an das Unbewusste und seine Abgründe, so in "Wotan", Neue Schweiz. Rundschau, Jgg.3, 1935, p. 660-666). Durch diese Eigenschaften wird das Nazisymbol bestens geeignet als Konditionierungs-Stimulus in der totalitären Propaganda, welche das visuelle Zeichen mit einer lautstarken Botschaft kombiniert; besonders wenn das Individuum vielen gleichartigen Stimuli ausgesetzt wird, begleitet von akustischen Signalen mit der gleichen Botschaft, ständig wiederholt in Ansprachen, Schlagworten und Sprechchören, in einer Massensituation kollektiver Suggestion.

--> Wolfgang Jilek, "Semiotic Aspects and Psychophysiological Effects of Totalitarian Symbols", Vortrag, 15th International Congress of Vexillology, Zürich, August 1993, verspätet veröffentlicht im Flag Bulletin 2001.

Der Siegeszug des Hakenkreuzes im Deutschen Reich#

Beim "Reichsparteitag der Freiheit" am 15. September 1935 werden vom Deutschen Reichstag einstimmig die berüchtigten "Nürnberger Gesetze" beschlossen:

  • das Reichsflaggengesetz,
  • das Reichsbürgergesetz und
  • das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre.

Für das erste der drei Gesetze, das in der Folge durch eine Reihe von Verordnungen und Erlässen mit deutscher Gründlichkeit konkretisiert wird, findet Reichstagspräsident Hermann Göring folgende einführende Worte:

“Die alte Flagge ist in Ehren eingerollt, sie gehört einem vergangenen Deutschland der Ehre an. Aber unter den a l t e n Farben mit einem n e u e n Symbol begann der Kampf um die Freiheit ... Zwei Flaggen waren es, die letzten Endes in Deutschland um die Freiheit rangen: ein blutrotes Tuch, in dem einen der S o w j e t s t e r n , in dem anderen aber leuchtend das Sonnenzeichen des H a k e n k r e u z e s. Hätte jene rote Flagge mit dem Sowjetstern gesiegt, dann wäre Deutschland untergegangen im Blutrausch des Bolschewismus. Danken wir Gott und der Vorsehung, dass unser Feldzeichen siegte, denn damit ging für Deutschland das Wunder auf der Volkswerdung und damit seiner Rettung für alle Zeiten".

Die ersten drei der fünf Artikel des Reichsflaggengesetzes vom 15. September 1935 lauten wie folgt:

Artikel 1. Die Reichsfarben sind schwarz-weiß-rot.
Artikel 2. Reichs- und Nationalflagge ist die Hakenkreuzflagge. Sie ist zugleich Handelsflagge.
Artikel 3. Der Führer und Reichskanzler bestimmt die Form der Reichskriegsflagge und der Reichsdienstflagge.

NS-Flaggen
NS-Flaggen

Reichsparteitag
Reichsparteitag

Die obige Abbildung zeigt die vier Spezialformen der Hakenkreuzflagge. Für sie wurde das Format 3:5 vorgeschrieben, während für die Nationalflagge mit dem Hakenkreuz keine Formatvorschrift bestand (interessant, dass dies bis heute auch in Österreich so gesehen wird).

  • Die Reichskriegsflagge war das Hoheitszeichen von Wehrmacht, Luftwaffe und Kriegsmarine.
  • Reichsdeutsche Kriegsschiffe setzten die Gösch, wenn sie vor Anker lagen.
  • Die Handelsflagge war von den Kauffahrteischiffen zu führen. Sie durfte mit dem Eisernen Kreuz versehen sein, wenn ein verdienter Marineoffizier Schiffsführer war.
  • Die Reichsdienstflagge mit dem zur Stange gewendeten Kopf des Adlers führten alle staatlichen Verwaltungen, inklusive Reichsbahn, Reichsautobahn und Reichsbank, und zwar an Gebäuden und Fahrzeugen an Stelle der Nationalflagge.

Erst zwei Jahre später, in einer zweiten Verordnung zur Durchführung des Reichsflaggengesetzes, datiert mit 28. August 1937, wurden folgende allgemeine Beflaggungstage eingeführt:

1. Reichsgründungstag (18. Januar)
2. Tag der nationalen Erhebung (30. Januar)
3. Heldengedenktag (16. März wenn Sonntag, sonst Sonntag davor)
4. Führers Geburtstag (20. April)
5. Nationaler Feiertag des Deutschen Volkes (1. Mai)
6. Erntedanktag (1. Sonntag nach Michaelis = 29. September)
7. Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung (9. November)

Am 7. März 1936 wurde auch die genaue Gestaltung des Hoheitszeichens des Reiches durch Verordnung bekannt gemacht: "Das Hoheitszeichen des Reichs zeigt das Hakenkreuz, von einem Eichenkranz umgeben, auf dem Eichenkranz einen Adler mit geöffneten Flügeln. Der Kopf des Adlers ist nach rechts gewendet..." In einen Kreis mit Umschrift gesetzt, entstand aus diesem Zeichen jener runde "Farbdruckstempel", mit der Millionen großteils verbrecherischer Erlässe, Bescheide und Befehle des Dritten Reiches versehen waren. Diese Gesetze und Verordnungen waren im Deutschen Reich nicht nur bürokratische Vorschriften geblieben, sondern durch die reiche Propagandatätigkeit, die damals entfaltet wurde, weit über die Grenzen sichtbarer Ausdruck der neuen Machthaber und ihrer Ideologie geworden. Insbesondere trug der deutsche Tonfilm zur Verbreitung der nationalsozialistischen Symbole bei. Sie sollten wenige Jahre später, durch Verordnung vom 14. Januar 1939, geltendes Recht in der in das Deutsche Reich eingegliederten "Ostmark" werden.

Doch noch war es nicht so weit. Noch hoffte man im autoritären Ständestaat, unter dem Kruckenkreuz und durch Rückgriff auf alte Traditionen - wie etwa durch Einführung der alten kaiserlichen Uniformen - österreichische Identität zu stiften und sich vom Nationalsozialismus abzugrenzen, obwohl man sich weiterhin voll zum Deutschtum bekannte – die bekannte „kognitive Dissonanz“ des Austrofaschismus.

Das Hakenkreuz - Heils- und Todessymbol aus und in Österreich#

Wie wir gesehen haben, brauchte das Hakenkreuz gar nicht nach Österreich importiert zu werden, um als Abzeichen für nationalsozialistische Vereine und Gruppierungen gewählt zu werden. Das Hakenkreuz war in Österreich spätestens seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts bekannt, als es der antisemitische "Deutsche Turnerbund" (gegründet 1889 in Deutschböhmen) als Abzeichen führte. Dessen Nachfolgeorganisation, der "Deutsche Turnerbund 1919" mit Sitz in Wien, bildete eine der Kerntruppen des Nationalsozialismus und war maßgeblich am Putschversuch vom 25. Juli 1934 beteiligt.

Noch heute findet sich ein deutschnationaler Spruch am Portal des "Ersten Wiener Turnvereins" in der Schleifmühlgasse 23 im 4. Bezirk:

Turner-Grundsätze
Turner-Grundsätze

Wien 4., Schleifmühlgasse 23 - Foto: P. Diem
Wien 4., Schleifmühlgasse 23 - Foto: P. Diem

Aufsatz zur Geschichte der Turnerbewegung

Es ist davon auszugehen, dass erst der massive propagandistische Einsatz des Hakenkreuzes und der Hakenkreuzfahne im so genannten "Altreich" dieses Zeichen auch breiteren Schichten der Bevölkerung in Österreich bekannt machte. Für deutschnational gesinnte Kreise in der "Ostmark" war das Hakenkreuz jedenfalls schon sehr früh Zeichen einer tief empfundenen Hoffnung, wie der hymnische Lobpreis, geschrieben vom Verfasser des Textes der zweiten österreichischen Bundeshymne, dem steirischen Pfarrer Ottokar Kernstock, im Frühjahr 1923 beweist:

Das Hakenkreuz im weißen Feld,
auf feuerrotem Grunde,
gibt frei und offen aller Welt
die hochgemute Kunde:
Wer sich um dieses Zeichen schart,
ist deutsch mit Seele, Sinn und Art
und nicht bloß mit dem Munde.

Das Hakenkreuz im weißen Feld,
auf feuerrotem Grunde,
zum Volksmal ward es auserwählt
in ernster Schicksalsstunde,
als unter Schmerzen, heiß und tief,
das Vaterland um Hilfe rief,
das teure, todeswunde.

Das Hakenkreuz im weißen Feld,
auf feuerrotem Grunde,
hat uns mit stolzem Mut beseelt.
Es schlägt in uns'rer Runde
kein Herz, das feig die Treue bricht.
Wir fürchten Tod und Teufel nicht!
Mit uns ist Gott im Bunde!

--> Näheres zu diesem sogenannten „Hakenkreuzlied“ siehe den Beitrag über "Sei gesegnet ..."
--> Vergleiche hierzu die sogenannte "Ostmark-Hymne" von Richard Maux (1938)

Illegale Nazis lassen im Wienerwald einen Ballon mit Hakenkreuz steigen
Illegale Nazis im Wienerwald
Das Hakenkreuz erfüllte die ihm zugedachte Funktion in der legalen wie in der (seit 19. Juni 1933) illegalen Zeit der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich. Was Karl Kraus ein "Gezücht von Hakenkreuzottern" nannte, nannte der Volkmund "Hakenkreuzler" oder "Hakler". Diese verwendeten ihr Symbol als einigendes Zeichen und als Mittel der Provokation. Es tauchte in den verschiedensten Formen überall und immer wieder auf: in Form von auf Berghängen entzündeten Feuern oder in Melonen geschnitzt, an den Zylinder gesteckt, an einen davonlaufenden Hahn gebunden, zwischen den Türmen der Wiener Votivkirche aufgespannt oder als eine sich selbst entzündende Holzkonstruktion in einem auf den Grazer Jakominiplatz gestellten Paket.

Graz und die Steiermark waren für die nationalsozialistische Propaganda besonders anfällig, was sich von Jänner 1938 gegen den 12. März 1938 hin von Tag zu Tag steigerte.

Der Herausgeber der „Neuen Kronenzeitung“, Hans Dichand (geb.1921 in Graz), berichtet darüber:

"Am 24. Februar hält der Bundeskanzler eine große Rede, die über Lautsprecher auf den Hauptplatz übertragen werden soll. Der große schöne Platz mit dem Erzherzog-Johann-Denkmal in der Mitte ist schon Stunden vorher von den Anhängern Hitlers besetzt. Als die ersten Sätze Schuschniggs aus den auf volle Lautstärke gestellten Lautsprechern kommen, flattern die unter den Barock- und Renaissancedächern nistenden Tauben in panischer Angst auf. Das Horst-Wessel-Lied übertönt die Worte des Kanzlers. Bürgermeister Schmied lässt sich zwingen, vom Balkon des Rathauses eine große Hakenkreuzfahne zu entrollen; eine rot-weiß-rote Fahne, die vorher dort hing, wird zerrissen. Der Bürgermeister wird als 'Hakenkreuz-Schmied' in die Chronik dieser turbulenten Ereignisse eingehen. Die Blamage für die 'Vaterländischen' ist tödlich."

--> Hans Dichand, in: Thomas Chorherr, 1938 - Anatomie eines Jahres, Wien 1987, 78 ff.

In den Memoiren des langjährigen steirischen Landeshauptmannes Anton Rintelen, der vom Christlichsozialen zum aktiven Nationalsozialisten mutiert war und im Rahmen des Juliputsches 1934 als Bundeskanzler vorgesehen war, liest sich dasselbe Ereignis wie folgt :

"Am 24. Februar wogte in Graz ein Meer nationalsozialistischer Fahnen. Abends, zur Stunde, in der die Rede des Kanzlers Dr. Schuschnigg beginnen sollte, waren an die 20.000 Menschen unter dem Brausen nationaler Lieder vor dem Rathaus aufmarschiert. Eine Abordnung begab sich nun zum Bürgermeister und forderte die Hissung einer Hakenkreuzfahne. Über seine Weisung wurde nun das Symbol der Bewegung am Eckturm des Gebäudes entrollt. In unbeschreiblicher Begeisterung entbot die unübersehbare Menge dem wehenden Banner den deutschen Gruß. Die ersten Sätze der Kanzlerrede, die ein Lautsprecher wiedergab, gingen unter in dem erlösenden Jubelruf, der wie aus einem Munde zum nächtlichen Himmel aufstieg. Und wie die Glockentöne einer neuen Zeit klang es über die Stadt: 'Deutschland, Deutschland, über alles ...' hinüber zum nahem Freiheitsplatz, wo die Gliederungen der ‚Vaterländischen Front’ versammelt waren, um die Kanzlerrede zu vernehmen."

--> Kurt Wimmer, Damals, 1938, Verlag für Sammler, Graz, 1988, 33

Nach vollzogenem "Anschluss" dauerte es noch volle drei Wochen, bis der "historische Tag" anbrach, an dem Hitler nach Graz kam. Die Journalisten, die den Besuch beschrieben, "wurden zu Lyrikern" (Kurt Wimmer):

"Ein azurblauer Himmel spannt sich über der mit dem ersten Frühlingsgrün gezierten Fahnenstadt und strahlendes Sonnenlicht verleiht den Bannern und Fahnen einen magischen Schimmer - Hitler-Wetter, wie es schöner nicht gedacht werden kann".

Oder:

"Die Bahnhofshalle ist zu einem Dom geworden. Ein Gewölbe aus rotem Fahnentuch, Tapeten aus Tannengrün und goldenem Lorbeer, Läufer über den Steinfliesen haben den nüchternen Raum völlig verwandelt. Es ist ein Weiheraum geworden, durch den der Führer schreiten wird. Der schöne klassische Bahnhof verschwindet unter den Fahnen und der weite Vorplatz ist umrandet von Ehrenpforten aus Tannengrün mit goldenen Hakenkreuzen und langen goldenen Bändern ... Die Menschen stehen wie die Mauern und in jeder Hand halten sie Hakenkreuzfähnchen zum Winken. Stundenlang sitzen sie, hängen in den Bäumen wie die Trauben....".

--> Kurt Wimmer, a. a. O, 74.

An die Stelle der Ehrenpforten traten sehr bald Kasernentore und Lagereingänge, auch solche mit der Aufschrift "Arbeit macht frei", also Konzentrationslager. Vorerst aber genehmigte Hitler noch einen Antrag, den Oberbürgermeister Julius Kaspar am 26. April gestellt hatte: Am 5. Juli 1938 erhielt Graz das Recht, sich "Stadt der Volkserhebung" zu nennen - "in Anerkennung der besonderen Verdienste der Steiermark und ihrer Hauptstadt im Kampf um die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich."

Der Sieg des Hakenkreuzes war vollkommen. Im Juli 1938 wurde des NS-Putsches des Jahres 1934 gedacht und die Mariensäule am Eisernen Tor mit NS-Transparenten umbaut. Das Hakenkreuz siegte schließlich auch in Graz über den Davidstern, als am 9. November die Synagoge am Grieskai angezündet wurde.

In der "Tagespost" vom 11.11.1938 liest sich das Ereignis wie folgt:

"Der Vorfall spielte sich blitzschnell ab. Das Tor zum Judentempel - ein aufdringlicher orientalischer Bau, der als Sitz des geistigen Zentrums der Juden in der Steiermark jedem verhasst ist - wurde erbrochen. Die Menge drang in das Innere ein. Volksgenossen erkletterten die Spitze der Kuppel und entfernten den Zionsstern, der in die Tiefe stürzte und hier in Stücke brach, Symbol des Zusammenbruches der jüdischen Weltherrschaftsgelüste..."

--> Kurt Wimmer, a.a.O. 100

Am 24. Februar 1938 hielt Bundeskanzler Kurt Schuschnigg die erwähnte Rede vor dem "Bundestag", der aus 59 Vertretern bestehenden gesetzgebenden Körperschaft des autoritären Ständestaates. In dieser Rede wollte er vor allem auf sein Treffen mit Hitler vom 12. Februar reagieren. Die lange Rede war stellenweise gewunden und ohne wirkliche Aussage - weder innenpolitisch, noch gegenüber dem Deutschen Reich. Mit Phrasen wie "Gut deutsch, treu österreichisch allerwegen" versuchte der Kanzler, Stimmung für sein Programm zu machen. Dies gelang ihm vor allem gegen Ende der Rede, die er mit den berühmt gewordenen Worten "Bis in den Tod: Rot-Weiß-Rot" schloss.

Vor dem Parlament, das mit einem riesigen, von Scheinwerfern beleuchteten Kruckenkreuz geschmückt war, kam es zu einer großen Sympathiekundgebung für den Kanzler, an der auch Sozialdemokraten mit ihrem Abzeichen, den an die Rockaufschläge gehefteten "Drei Pfeilen", teilnahmen (Kurt Skalnik in: Chorherr, 1938, 189). Doch die Agitation unter dem längst verbotenen Hakenkreuz ("Inländer" durften es nicht am Rockaufschlag tragen) ging weiter, bis die Hakenkreuzfahne in der Nacht zum 12. März 1938 erstmals auf dem Balkon des Bundeskanzleramtes entrollt wurde und und wenig später von der Rathausfassade wehte. Das Hakenkreuz war in Österreich nunmehr in Mode. Tausende aus Blech gestanzte Hakenkreuze wanderten von der Hinterseite des Rockaufschlages auf die Vorderseite: die "Märzveilchen" blühten (Bezeichnung für bisher illegale Nazis, die sich nunmehr zu erkennen gaben). Viele Österreicher, die nichts mit den Nazis gemein hatten, steckten sie einfach an, um in Ruhe gelassen zu werden. Der verstorbene General Emil Spannocchi, 1938 Offiziersanwärter im österreichischen Bundesheer, berichtet, dass eine Freundin - offenbar eine attraktive "Nazisse" - beim ersten Rendezvous verschämt das von ihr getragene Hakenkreuz wieder hinter dem Revers ihres Mantels verschwinden ließ, da sie annahm, es würde einen angehenden österreichischen Offizier stören. Doch dieser wurde bald auf den Heldenplatz kommandiert, leistete den Eid auf Hitler und trug den "Hoheitsvogel" auf der Uniform.

Das unausrottbare Hakenkreuz an der Busstation 40A am Schottenring
Das unausrottbare Hakenkreuz im Mai 2013 auf einer Wiener Bank- Foto: P. Diem
--> Der Bergfried der Burg Hochkraig in der Gemeinde q Bez. St. Veit an der Glan/Kärnten:

Frauenstein
Frauenstein vor und nach der Bearbeitung - Quelle: http://Wehrbauten.at

Das Hakenkreuz im persönlichen Erleben eines jüdischen Wieners#

In seinem z.T. autobiographischen Roman „Auch das war Wien“ (Ullstein, 1987) schildert Friedrich Torberg in bewegten Worten die Stimmung im März 1938. Es lohnt sich für uns Nachgeborene, diese beklemmende Schilderung zu lesen, die hier absichtlich in ausführlicher Form wiedergegeben wird.

S. 315-317 Im Zeichen des Zeichens

Der große Höllenreigen war losgebrochen, nun dauerte er schon den zweiten Tag, und alles, alles fügte sich ihm ein. Nichts blieb ihm entzogen, nichts gab es, was vor ihm bestehen konnte in früherer Gestalt und Art. Alles war anders. Tot oder lebendig: alles war anders. Die Stadt war eine andre Stadt, die Menschen waren andre Menschen - und was diese ändern Menschen in dieser ändern Stadt vollführten, hatte mit Stadt und Menschen nichts mehr gemein. Der große Höllenreigen war losgebrochen.

Er stand im Zeichen des Zeichens. So Unerhörtes geschah unter diesem Zeichen, so noch nicht da Gewesenes, als geschähe es einzig deshalb, um unerhört zu sein und noch nicht da gewe­sen. So restlose Aufhebung aller bisherigen Gültigkeiten geschah, dass es immer zwingender einer restlosen Ungültigkeit zustrebte, nichts sollte mehr gelten, nichts außer dass nichts mehr galt, vielleicht auch die Aufhebung nicht, vielleicht war sie schon ungültig da sie sich noch vollzog und würde im nächsten Augen­blick sich selber aufheben. Es geschah die vollkommene Umkeh­rung, es kehrte sich alles um und um, in einem zuckenden, brüllenden Reigen, kehrte sich um, um sich umzukehren, der Höllenreigen an sich, zu keinem ändern Zweck als dem der er selbst schon war, zum Zweck des eigenen Mittels, des Zeichens m dem er stand, er stand im Zeichen des Zeichens.Dieses Zeichen: was war es denn, was bedeutete es, was galt es? Wozu dienten diese Hakenkreuzbanner, diese Hakenkreuz­fähnchen, diese Hakenkreuzabzeichen?

Sie dienten nicht. Sie herrschten. Es ging um sie, um sie und nicht um die Bedeutung die sie etwa symbolisieren mochten. Es ging darum, dass man Hakenkreuzbanner flattern lassen durfte, Hakenkreuzfähnchen schwingen, Hakenkreuzabzeichen tragen. Darum ging es. Darum war der Höllenreigen losgebrochen, und darin bestand er. Die sich ihm hingaben, zuckend und brüllend, merkten wohl gar nicht, wie er ihnen zum Selbstzweck erstumpfte; wie vor dem tollen Gefühl, dass sie teilhaben durften daran, alles andre dahinschwand. Dieses Gefühl nur berauschte sie, dieses Gefühl ihrer selbst, dieses Selbstgefühl. Sie fühlten sich. Oh, wie sie sich fühlten! Sie besahen das Hakenkreuz an ihrem Rockaufschlag: und fühlten sich. Sie erhoben die Hand, brüllten ihr Hitlerheil hervor: und fühlten sich. Oh, und wie oft sie die Hand erhoben! Sie fluteten durch die Straßen, wälzten sich über die Fahrdämme aufeinander zu und verquollen wirr ineinander: nur um wieder und wieder die Hand zu erheben. Und oh, wie laut sie brüllten! Jeder für sich und in Gruppen brüllten sie, regellos brüllten sie und in strengem Takt, und brüllten immer aufs neue, brüllten hinein in den Schritt und Tritt der einmarschierenden Truppen, in das Rattern der motorisierten, in das Getöse der Tanks und Panzerwagen überm bebenden Pflaster und in das Dröhnen der Propeller vom Himmel her, vom nahen Himmel her, denn die Flugzeuge fliegen ganz niedrig, hart über den Dächern weg, so groß zu sehen, dass selbst die schweren Bomber harmlos wirken in ihrer Greifbarkeit und mächtig nur durch den Lärm. Aber wir, wir machen ja auch Lärm. Hei was für Lärm wir machen, hei, heissah, heil, Siegheil, Heil Hitler, ein Volk ein Reich ein Führer, wir danken unserm Führer, Heil Hitler, heissah, hei. Solchen Lärm machen wir. Wenn einer mittendrin steht, hört er den Lärm der Flugzeuge gar nicht mehr, und wenn er vollends noch mitbrüllt, mag er fast glauben, dass er stärker sei als die Flugzeuge. So gewaltig ist der Lärm, so mächtig. Lärm ist Macht.

Oh, Macht! Die da lärmen, weil sie die Macht haben, sind von Macht durchtränkt in jeder Zuckung ihres Reigens, von Macht gehoben ist der Rausch ihres Selbstgefühls, Macht fließt und strömt, Macht, einzelweise gekeltert in jedes Einzelnen Rausch, auf Flaschen abgezogene Macht für Jedermann, da ist sie, da marschiert sie, da kommt sie angerattert und angedröhnt, die Macht, meine Macht, ich spüre sie, diese Macht, ich fühle sie in mir, ich fühle mich in ihr - und oh! ich hab mich schon als alles mögliche gefühlt: aber mächtig noch nie. Jetzt bin ich mächtig. Jetzt habe ich Tanks und Kanonen und Bombengeschwader, ich bin groß, ich grenze ans Meer, ich bin eine Weltmacht, eine siegreiche Weltmacht, ich habe ein Land erobert, ich habe mich selbst erobert, ich habe mich einverleibt, mir selber einverleibt, ich bin verdoppelt und bin über mich erhoben, ich habe und bin die Macht, ich brülle und stampfe vor Macht— und keiner von ihnen, wie sie da brüllen und stampfen, keiner von ihnen würde es wahrhaben wollen, dass in diesem Brüllen und Stampfen schon alle Teilhaberschaft an der Macht sich erschöpft. Oder was wäre es sonst? Haben sie wirklich teil? Haben sie mehr als sie hatten? Sie haben nicht mehr, und werden auch nicht mehr haben (sondern weniger). Sie haben nichts als das Hakenkreuz im Knopfloch. Es ist das Einzige, woran sie ihren Sieg erkennen, es ist ihr einziger Sieg und Gewinn: dass sie das Hakenkreuz tragen dürfen. Es ist das Einzige, wodurch sie unterschieden sind von den Verlierern, von jenen völligen und garantierten Verlierern, welche das Hakenkreuz nicht tragen dürfen, es ist das Einzige, wodurch sie erhoben sind über sich und über jene. Sie haben nichts. Sie sind. Was sind sie? Arier. Was ist das? Sie wissen es nicht. Selbst dies, selbst dieses ihr Eins und Alles und Gloria Viktoria, vermögen sie nur an der Verneinung zu fassen, nur daran, dass sie etwas nicht sind: sie sind keine Juden. Das genügt. Das bringen sie mit und das macht ihnen niemand nach, nicht einmal die Juden. Das sichert ihnen den Zutritt. Das sichert ihnen die Teilnahmsberechtigung und Teilhaberschaft, das hebt und erhebt sie vom nichtssagenden Anbeginn bis hoch über sich hinaus und bis in den Rausch und Taumel, bis dass sie brüllen und stampfen vor Macht, vor unwiderstehlicher unbegrenzter Macht, heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt. »So!« sagt eine entschlossene Stimme, sagt ein dürftig ausse­hender Mann mit Zwicker und Regenschirm, ein Kleinbürger mittleren Alters, er trägt jedoch ein blechernes Hakenkreuz im Knopfloch und ein papiernes Fähnchen in der Hand. »So!« sagt er. »Und jetzt holen wir uns Deutschböhmen!«

S. 326 f. Betäubung

Der große Höllenreigen wirbelte und kreiselte und kreißte, gebar sich scheußlich immer wieder aus sich selbst, und trächtig von ihm die Stadt gebar vertausendfacht das Zeichen, in dem er stand. Unübersehbar ihren Poren entspross es, wuchs auf und quoll, wucherte über die Straßen und Häuser, haftete in allen Gewändern, setzte aus allen Händen sich fort, rankte an Masten und Türmen sich hoch, zog sich in Bändern quer durch die Luft, lagerte riesenhaft auf eigens ihm zubereiteten Flächen, sprang schwarz aus dem weißen Kreis der Fahnen hervor, der blutroten Fahnen welche die Stadt übermachtigt hielten ganz und gar. Eingebettet in Fahnen, niedergeschlungen von Fahnen, nur für die Fahnen da: nicht war die Stadt mit Fahnen geschmückt, sondern die Fahnen schmückten sich mit der Stadt, nicht wehten die Fahnen im Wind, sondern es wehte der Wind in den Fahnen, die Fahnen waren das Eigentliche, das wahrhaft Vorhandene. Die Fahnen bestanden und geschahen. Was immer sonst geschah, konnte nur aus den Fahnen bestehen. Und es geschah des großen Höllenreigens letzte Steigerung. Er überschlug sich seinem Gipfel zu, kippte noch ein Mal schrill empor, in einer rasenden Begier sich selbst zu übertreffen, hinauszutorkeln über sich um eines endlich erkennbaren, end­lich sichtbaren Sinnes willen: der Herr und Meister erschien, der Leibhaftige hielt seinen Einzug.

Sie krümmten sich und zuckten ihm entgegen, völlig entfes­selt, völlig außer Rand und Band, völlig außer sich - aber weil sie vorher doch nie so richtig gefesselt waren, vermochten sie Rand und Band und Spalier zu halten, vermochten sie regelrecht außer sich zu geraten, in ein streng schon und herrisch bemessenes Übermaß, von fremden Herren bemessen, von fremden Bütteln schon überwacht. Sie tobten und brüllten ihm zu, mit der letzten Kraft ihrer heiseren Kehlen - aber weil sie doch genau so gut jedem ändern zugebrüllt hätten, der ihnen nun erschienen wäre, ließen sie willig und erleichtert ihr Gebrüll in vorgeschriebene Texte lenken, in Sprüche und Chöre von erprobtem Wortlaut, und brüllten so diesem Einen zu, als gäbe es wirklich keinen ändern, nur ihn, den Führer, den Meister, den Heilbringer, den Hitler, den der gemeint war wenn man Heil Hitler brüllte, heil, Siegheil, Heilhitler, wir danken unsrem Führer, wir wollen unseren Führer sehn, lieber Führer sei so nett und zeige dich am Fensterbrett, Heilhitler, Siegheil, heil... Dem Haus, das die Tollen umheulten, dem Tollhaus schräg gegenüber lag ein andres von sonst ähnlicher Beschaffenheit, ein großes Hotel desgleichen. Auch dieses hatte zum Tollhaus erko­ren sein können und jenes in seiner allgemeinen Beschaffenheit verbleiben - (ach alles hätte auch umgekehrt sein können, alles)-, nun also war das Hotel Imperial das toll verwandelte, und schräg gegenüber das Grand Hotel lag da als ein großes Hotel auf der Ringstraße, zwar dem Brennpunkt der Tollheit zunächst, aber nicht in ihren Bannkreis gehörig, ausgeschieden, abgeschieden beinahe.

S. 359-361 Das Hakenkreuz am Stephansturm

… Martin, mit einem Mal, fühlt sich bleischwer von Erschöpfung überkommen, von grenzenlo­ser Schlaffheit und Schläfrigkeit, es ist ein ungefähres Dösen in das er langsameren Schritts verfällt, ein unentschiedenes Schwanken zwischen Erkenntnis und Entschluss, er wird sich zwar klar darüber, dass er keinesfalls zu Fuß bis in die Liechten­steinstraße gehen will - aber ein Taxi zu nehmen, kommt ihm nicht mehr klar genug in den Sinn, und da er jetzt auf den Stephansplatz hinaustritt, scheint es ihm durchaus das Gege­bene, den nächsten Autobus zu benützen. Und er reiht sich unter die Wartenden ein, in einem Dusel zu dünn zum Träumen, und dennoch Blick und Sinn leicht überschleiert, so steht er da, macht ab und zu ein paar Schritte, schaut dann und wann nach dem Autobus aus, dann und wann ziellos umher - und merkt nun zum zweiten, zum dritten Mal schon, dass die Leute rings an der Haltestelle desgleichen nach etwas schauen, rasch und ver­stohlen, mit aufwärts gerichteten Blicken-: Auf der Spitze des Stephansturms, schlapp vom schräge einge­steckten Schaft hinab, hängt eine Hakenkreuzfahne. Der Stephansturm ist ein Kirchturm. Da hängt eine Haken­kreuzfahne auf einer Kirche. Hoffmann, was weißt du über den Stephansdom? Der Stephansdom ist das Wahrzeichen Wiens. Mit seinem Bau wurde unter der Herrschaft Rudolfs II.von Habsburg begon­nen, und an seine Entstehung knüpfen sich zahlreiche Legenden. Der 138 m hohe Stephansturm ist einer der höchsten Kirchtürme Europas. Ist das alles, was du weißt? Nein, bitte. Auf der Spitze des Stephansturms hängt eine Hakenkreuzfahne. Was redest du da für Unsinn?

Bitte Herr Lehrer, das ist kein Unsinn. Ich hab's bitte selber gesehen. Eine Hakenkreuzfahne auf dem Stephansturm. Auf dem Stephansturm eine Hakenkreuzfahne. Auf dem Wahrzeichen Wiens - aber darum geht es ja gar nicht. Das wäre langst kein Grund mehr, dass Martins Kiefer aneinandermalmen in hilfloser Empörung. Er hat ja schon auf allen möglichen Wahrzeichen Wiens die Hakenkreuzfahne gesehn, auf dem Rathausturm, auf dem Parlament, auf dem Ballhaus-Palais, und da, und dort; hat ingrimmig immer wieder, bei jedem betroffenen Gebäude, seine Schulbildung mobilisiert: hier, bitte, der 1726 von Fischer von Erlach im Barockstil erbaute Trakt der Hofburg ist nunmehr durch eine Hakenkreuzfahne verschandelt. Ebenso bitte hier, das Tor des Renaissance-Traktes. Und hier, und hier: verschan­delt. Jetzt hätte er also die Verschandelung des Stephansturms festzustellen und ingrimmig abzutun - und vermag es nicht. Sein Ingrimm erstirbt. Es wird ihm zum ersten Mal vor einer Hakenkreuzfahne unheimlich.

Vielleicht müsste man jetzt beten - aber er kann auch nicht beten. Ach nicht, weil es sein Gott nicht ist, der in diesem Gotteshaus wohnt - wenn Belsazar aufersteht, verhöhnt er Jehovah in jedem - ach nein, nicht deshalb. Sondern ihm graut vor der Kläglichkeit des Gebets. Vor der Gewissheit: dass auch dann nichts geschähe. Hohn über Gottes Haus: und nichts geschieht. Jetzt hab ich noch einmal hinaufgeschaut: die Hakenkreuzfahne hängt da, und nichts ge­schieht. Einst wollte - und dies ist der einzige Trost - und zahlreich sind die Legenden welche sich knüpfen - einst wollte der Teufel selber den Dombaumeister von Sankt Stephan versuchen, und ist zuschanden geworden an Gott. Vielleicht wird auch dieses hier: wie Gott selber zuschanden geworden Ist am Teufel - vielleicht wird auch dieses dereinst nur eine Legende sein, eine der zahlreichen Legenden um den Dom von Sankt Stephan, eine Geschichte im Lesebuch, vom Ministe­rium für Kultus und Unterricht allgemein approbiert für die III. Klasse der öffentlichen Volksschulen, Zweiter Abschnitt, Aus Heimat und Vergangenheit, Lesestück Nummer 7, wir kommen heute zur Legende vom Hakenkreuz auf dem Ste­phansturm — aufgezeigt, bitte - was willst du denn, Hoffmann - bitte Herr Lehrer, der Großpapa hat gesagt, dass ihm sein Großpapa noch erzählt hat, wie das Hakenkreuz am Stephansturm gehangen ist - schon gut, mein Kind, setz dich wieder hin und gib schön acht - bitte Herr Lehrer, der Großpapa vom Großpapa hat’s aber wirklich gesehn, mit eigenen Augen — wahrhaftig, er hat es gesehn. Er sieht es noch immer. Er hat nochmals hinaufgeschaut und hat es nochmals gesehn.


In den Tagen des "Anschlusses" traten auch massiv die Hakenkreuzarmbinden auf - nicht nur bei SA-Angehörigen oder Ordnern, sondern auch etwa bei vielen Wiener Polizisten, die sie als Illegale wohl schon wochenlang in der Tasche mitgeführt hatten.

--> Alfred Pietsch, Es regnete Hakenkreuze", Molden Verlag Wien, 2004, S. 58 ff.

Unheil kündigt sich an

Von der Wohnung im vierten Stock konnten wir nach Westen hinauf das Schloss am Wilhelminenberg sehen. Im Jahr 1936 erlebte unsere Familie eines Nachts vom Fenster aus ein beeindruckendes Naturschauspiel. Über längere Zeit war am ganzen Himmel ein herrlich schillerndes Licht zu sehen. Dieses Licht glänzte in einem grandiosen Farbenspektrum. Die Farben Orange, Blau, Violett und Rot schimmerten über den nordwestlichen Himmel Wiens. Mit Spannung beobachteten wir dieses Ereignis. Die Nachrichten im Radio berichteten dann über ein großes Nordlicht. Am nächsten Tag besprachen wir mit Nachbarn und Freunden aufgeregt und beeindruckt dieses einmalige Geschehen. Unter den älteren Leuten gab es einige, die sagten: „Das ist ein Zeichen des Himmels! Ein Nordlicht kündigt immer Unheil oder große Ereignisse an!" Viele fragten sich daher: Kann denn noch Schlimmeres kommen als die große Arbeitslosigkeit, die Auflösung des Parlaments, der Bür­gerkrieg, die politischen Unruhen und Morde? Oder hat es sich eben einfach nur um ein Naturereignis gehandelt?

Das Unheil kam tatsächlich auf Österreich zu. Doch für mich waren diese aufregenden Kindheitsjahre zwar geprägt durch Armut, aber auch geprägt durch viele schöne und spannende Erlebnisse in Freiheit und Natur. Mit der Hofplatt'n tobte ich durch Gassen und Plätze von Sandleiten, und die Politik war für uns Kinder glücklicherweise noch weit entfernt.

Im Jahr 1937 kam mein Vater eines Tages von einem beruflichen Engagement aus Graz zurück. Er erzählte, dass er dort zum ersten Mal illegale Nationalsozialisten kennengelernt habe. Die Nationalsozialistische Partei war damals in Österreich verboten. Er berichtete, dass das Erkennungszeichen der illegalen Mitglieder ein rundes Parteiabzeichen mit Hakenkreuz sei. Sie trugen das Abzeichen versteckt unter dem Sakkoaufschlag. Wenn sie Gesinnungsgenossen begrüßten, dann drehten sie den Sakkoaufschlag einfach um und gaben einander so zu erkennen. Vater war nie Mitglied dieser Partei gewesen, ist aber doch schon vor 1938 einigen Parteimitgliedern begegnet. Später, nach Hitlers Einmarsch, waren sehr schnell viele dieser „Illegalen" in der braunen SA-Uniform zu sehen. Wer keine Uniform besaß, zeigte seine Treue zur Partei oder auch nur seine Sympathie durch weiße Kniestutzen und ein weißes Hemd. Nicht wenige trugen am linken Arm die Binde mit dem Hakenkreuz….

Es regnete Hakenkreuze

Über Sandleiten war ein mächtiges Dröhnen zu hören. Ich stürzte zum Fenster und sah, dass vom Westen her viele Flugzeuge über die Stadt flogen. Der Himmel war voll mit deutschen Militärmaschinen. Sie ließen in Massen kleine, silbrig glänzende Hakenkreuze aus Leichtmetall und auch Flugzettel herunterregnen. Ich rannte in den Hof, um das Ereignis mit meiner Hofplatt'n zu beobachten. Begeistert sammelten wir Buben die Hakenkreuze vom Boden auf. Hitler demonstrierte also seine unglaubliche Macht zuerst in der Luft. Er und sein militärischer Führungsstab wussten schon, wie man diesen Einmarsch sensationell inszenierte. Dieser gezielten Propagandamaschinerie konnte sich so leicht niemand entziehen, und schon gar nicht wir Kinder...

„Die Deutschen sind da, die Deutschen fahr'n übern Ring!", riefen die Menschen und kamen von allen Seiten zur Ringstraße gelaufen. Ich saß gerade mit meinem Onkel in einem Kaffeehaus in der Innenstadt am Schwarzenbergplatz. Manchmal lernte ich mit meinem Onkel für die Schule. Für das gemeinsame Üben belohnte dieser mich dann mit einem Besuch im Kaffeehaus, und ich bekam eine gute Jause. „Die Deutschen kommen!", hörten wir die Massen immer wieder rufen, und nun war ich nicht mehr zu halten. Ich rannte dem Onkel davon und lief hinaus zur Ringstraße, um das Spektakel zu sehen. Da stand ich nun mit offenem Mund und großen Augen. Ich bemerkte die staunende Menge um mich herum kaum. Es kamen Motorräder mit Beiwägen, es folgten ungezählte Militärfahrzeuge in graugrüner Tarnfarbe, voll mit Soldaten. Besonders faszinierten mich die gepanzerten Fahrzeuge. Dann kamen die Infanteristen in graugrünen Uniformen. Sie marschierten in schwarzen Stiefeln und trugen das Gewehr über der rechten Schulter. Am Gürtel, dem „Koppel", hingen vorne links und rechts die Patronentaschen. Links hinten im Gürtel steckte ein kurzer Spaten, rechts eine Feldflasche, und hinten baumelte eine Gasmaske im Metallbehälter. Auf dem Kopf trugen sie einen schweren Stahlhelm. Österreich war mit 100.000 Mann Soldaten besetzt worden, und diese Männer waren offensichtlich für den Kampf bestens ausgerüstet. Einige Kompanien sangen beim Marschieren Lieder. „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein („zwei-drei-vier"), und das heißt (zwei-drei-vier) ERIKA!" Das Zwei-drei-vier half den Soldaten, den Takt des Liedes besser mit dem Schritt in Gleichklang zu halten. Ich sollte diese Art des Singens und Marschierens vier Jahre später beim Arbeitsdienst und als Soldat selbst zur Genüge kennenlernen! „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein (zwei-drei-vier), und das heißt (zwei-drei-vier) ERIKA!" Und die genagelten Stiefel dröhnten auf dem Asphalt. Die Lieder erzielten jedes Mal eine große Wirkung, sowohl beim Zuhörer als auch beim Singenden selbst. (Das war auch eine Erfahrung, die noch auf mich zukommen sollte.) Staunend hörte ich den zackig marschierenden Soldaten zu. Die Menschen am Ring applaudierten, grüßten oder winkten, und die deutschen Soldaten winkten zurück. Zu diesem Zeitpunkt waren noch nicht jene überwältigenden Begeisterungstürme der Massen zu bemerken, die ich dann beim persönlichen Besuch Hitlers in Wien erleben sollte. Aber der Einmarsch des deutschen Militärs über die Ringstraße war eine beeindruckende Demonstration der Macht. Ich lief aufgeregt nach Hause und berichtete meinen Eltern in allen Einzelheiten davon. „Mutti", sagte ich, „diese Soldaten haben mich begeistert!" Ich betonte es immer wieder.



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Rekrutenvereidigung am Heldenplatz., Foto: Unbekannt. Aus: Wikicommons unter CC
Rekrutenvereidigung am Heldenplatz.
Foto: Unbekannt. Aus: Wikicommons unter CC

Bei der Vereidigung von Rekruten auf dem Heldenplatz 1938 scheint den nunmehr "ostmärkischen" Militärs die korrekte Anbringung der Reichskriegsflagge offenbar noch nicht ganz bewusst gewesen zu sein. Das untenstehende Bild zeigt die Reichskriegsflagge bei der Vereidigung der Rekruten auf dem Wiener Heldenplatz. Sie war zum Entsetzen der reichsdeutschen Stellen seitenverkehrt aufgehängt worden - vermutlich als Folge "ostmärkischer Schlamperei" beim Umgang mit Staatssymbolen. Aber vielleicht schon als ein erstes Anzeichen dafür, dass die Verbindung zwischen „Kamerad Schnürschuh" und den Trägern des preußischen "Knobelbechers" (deutscher Militärstiefel) nicht ewig dauern würde.

Das Hakenkreuz hatte auch in Linz (wo Arthur Seyss-Inquart als Innenminister eilfertigst schon am 5. März 1938 (!) den "deutschen Gruß" und das Deutschlandlied legalisiert hatte) wie auch in Salzburg, in Innsbruck und Klagenfurt gesiegt. Die Städte und Dörfer der "Ostmark" hatten auch in der Zeit nach dem "Anschluss" noch öfter Flaggenschmuck anzulegen. Mit Feiern verschiedenster Art suchte sich der Nationalsozialismus auf emotionale Art die Herzen der Menschen zu erobern, was anfänglich auch ganz gut gelang. Die Begeisterung für Adolf Hitler und den Nationalsozialismus - durch Autobahnbau, Urlaubsaktionen der KdF ("Kraft durch Freude"), angeschafften Volksempfänger und erhofften Volkswagen noch gesteigert - sollte sich bald legen. Kurze Zeit nach Kriegsbeginn (Überfall auf Polen am 1.9.1939!) begann sich die Versorgungslage zu verschlechtern und die ersten Todesnachrichten trafen ein: "... fand den Heldentod...".

Oft war das Geburtsdatum mit einer Lebensrune ("Man"-Rune ) und der Todestag mit einer Todesrune ("Yr"-Rune ) gekennzeichnet. Dazu traten noch das Eiserne Kreuz oder der Reichsadler. Symbole, die während fast sechs langen Kriegsjahren wenig Trost zu spenden vermochten. Runen und andere germanische Symbole wurden als Abzeichen im Rahmen der Sammlungen des "Winterhilfswerks", in Bastelbüchern etc. in großer Zahl in die "Ostmark" gebracht. Sie sollten als sichtbarer Ausdruck altgermanischer Bräuche ("Julfest", "Sommersonnenwende" etc.) den Glauben an das neuheidnische "Dritte Reich" verstärken.

Die Jugend wurde in Jungvolk, Hitlerjugend (HJ) und in den Bund Deutscher Mädel (BDM) eingegliedert, die alle anderen Jugendorganisationen ersetzten. Die BDM-Uniform bestand aus dunkelblauem Rock, weißer Bluse mit schwarzem Halstuch und braunem Knoten sowie einer braunen Kletterweste mit vier Taschen. Die Abzeichen des Jungvolks und der HJ waren die weiße Sig-Rune auf schwarzem Grund und das Hakenkreuz auf rot-weiß-rotem Grund. Es konnten bisher keine Hinweise darauf gefunden werden, dass in dieser Farbkombination in irgendeiner Weise - vielleicht auch nur unbewusst - ein Hinweis auf die österreichische Herkunft Adolf Hitlers zu erblicken ist. Jedenfalls marschierten "Austro-Nazis" mit rot-weiß-roten Fahnen, die das Hakenkreuz zeigten, 1931 über den Wiener Heldenplatz. Die bei HJ-Lagern gehissten Hakenkreuzflaggen zeigten ihren rot-weiß-roten Charakter besonders deutlich:

Bild 'rwr_Hakenkreuz1'

Bild 'rwr_Hakenkreuz2'

Bild 'Kramer'

--> Hochschule für angewandte Kunst, Zeitgeist wider den Zeitgeist, Wien, 1988, 262.

Die Spätfolgen des nationalsozialistschen Hakenkreuzkults#

Es dauerte geraume Zeit, bis das allgegenwärtige Hakenkreuz 1945 aus den Fahnentüchern, von den Gebäuden und aus den Urkunden entfernt worden war. Es aus dem Gedächtnis der Österreicher zu tilgen, war eine weit schwierigere Aufgabe und ist es bis heute geblieben - deshalb ist antifaschistische Wachsamkeit immer noch am Platze.

Antifaschistische Ausstellung, 16. September 1946

Merke: In der Überflutung Österreichs mit Hakenkreuzflaggen, Hitlerbildern und sonstigen NS-Symbolen - besonders in der ersten Zeit nach dem "Anschluss" - liegt eine der wesentlichsten Ursachen für die starke Zurückhaltung, mit welcher man heutzutage den Staatssymbolen in Österreich gegenübertritt. Da diese Einstellung in der innerfamiliären und schulischen Sozialisation gewissermaßen "sozialbiologisch" weitergegeben und vererbt wird, wird dieses Phänomen trotz dem stark gewachsenen österreichischen Nationalbewusstseins wohl noch einige Zeit anhalten.

Scherzausdrücke, Verballhornungen, Spitznamen

Es ist im Rahmen dieses Textes nicht möglich, alle jene Ausdrücke wiederzugeben, die, im Volksmund spontan geprägt, zu synonymen Begriffen für einen geachteten oder verachteten Repräsentanten der Obrigkeit oder einen öffentlichen Sachverhalt wurden und damit fast schon Symbolcharakter angenommen haben. Die Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen am 12. März 1938, die von vielen Österreichern herzlich willkommen geheißen wurden ("Blumenfeldzug") führte alsbald zu einer Reihe von scherzhaften Ausdrücken, mit denen sich die Österreicher über die missliche Lage, in die sie geraten waren, hinwegzutrösten versuchten.

Hitler am 9. April im Wiener Rathaus
Hitler am 9. April im Wiener Rathaus

"Märzveilchen" wurden jene Mitbürger genannt, die knapp nach dem Anschluss entdeckten, dass sie ja immer schon für die oder bei der Partei (also "Parteigenossen" und nicht bloß "Volksgenossen") gewesen waren. Sie trugen von einem Tag auf den anderen stolz die "Pletschn", das - vermutlich - von Hitler selbst entworfene NS-Parteiabzeichen. Weibliche Parteimitglieder wurden zu "Nazissen", höhere Dienstgrade der NSDAP hießen "Goldfasane". Der "Führer" wurde zum "Gröfaz", zum "größten Feldherrn aller Zeiten". Gauleiter Bürckel wurde zum "Bierleiter Gaukel", während der 1940 zum deutschen Reichsstatthalter in den Niederlanden ernannte Österreicher Dr. Seyß-Inquart (1892-1946) den nicht sehr respektvollen Beinamen "Scheiss ins Quadrat" erhielt. Dagegen waren die Niederländer noch vornehm, die ihn "zes en een kwart" (= sechs Gulden und ein Viertel) nannten. Die Nazis revanchierten sich und bezeichneten Kardinal Innitzer, der seine anfänglich positive Haltung gegenüber den Nationalsozialisten bald aufgegeben hatte, als "inser Unnützer".

Mancher Leser wird sich nun fragen, warum wir uns hier so ausführlich mit verschiedenen Phänomenen der NS-Zeit beschäftigen. Sollte über diese Dinge nicht endlich Gras wachsen? Die Antwort ist nicht leicht: Vieles spricht dagegen, manches aber auch dafür. Das klare Nein, dem der Verfasser zuneigt, liegt in dem Umstand begründet, dass bis auf den heutigen Tag viele Dinge ungeklärt sind, unter den Teppich gekehrt wurden, verdrängt wurden. Weitgehend unbekannt ist, wie sehr Anschlussideologie und Deutschnationalismus das erste Drittel des 20. Jahrhunderts in Österreich prägten und wieviele NS-Symbole auch oder vor allem in Österreich ihren Ursprung hatten. Vieles wurde den jungen Österreichern auch nie mitgeteilt - die Eltern wollten nicht, die Schulen "durften" nicht. Umgekehrt aber wirken manche dieser ins Unterbewusstsein verschobenen Phänomene bis heute nach.

Man kann dabei an die bis in die Gegenwart auftretenden Hakenkreuz-Schmieraktionen oder an manches Wirtshausgespräch denken, an politische Urlaute oder einfach an gewisse Kleinigkeiten - etwa daran, dass für das neue KfZ-Kennzeichen für den Bezirk Neusiedl/See nicht "NS" sondern "ND" gewählt werden musste, weil Abkürzungen wie "HJ", "NS", "SA", "SS" oder auch "VF" auch nach mehr als einem halben Jahrhundert heute eben noch einen Signal- oder Symbolwert haben.

Gleichzeitig soll aber betont werden, dass bei aller Strenge gegenüber damaligen Tätern und Mittätern Vorsicht geboten ist, wenn es darum geht, jeden Mitläufer pauschal zu verurteilen. Die Hand zur Versöhnung musste und muss vor allem jenen gereicht werden, die ihren Irrtum einbekannten und sich als gute Demokraten in das Nachkriegs-Österreich eingefügt haben.

Eine zusammenfassende Darstellung bietet eine interessante Facharbeit aus Geschichte von Lukas Große-Kleimann (pdf 1.1 MB)

Anhang: Gesetzliche Regelungen#

Abzeichengesetz und Verbotsgesetz regeln die Frage, ob Symbole des Nationalsozialismus heute verwendet werden dürfen. Aus dem Gesetzestext geht klar hervor, dass eine Darstellung von Symbolen dann unproblematisch ist, wenn sie sich "eindeutig gegen das Ideengut der betreffenden verbotenen Organisation richtet". Verboten sind nach dem Verbotsgesetz 1947 alle NS-Gliederungen.

Abzeichengesetz 1960 - BGBl.Nr. 84/1960 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 117/1980

§ 1. (1) Abzeichen, Uniformen oder Uniformteile einer in Österreich verbotenen Organisation dürfen öffentlich weder getragen noch zur Schau gestellt, dargestellt oder verbreitet werden. Als Abzeichen sind auch Embleme, Symbole und Kennzeichen anzusehen. (2) Das Verbot des Abs. 1 erstreckt sich auch auf Abzeichen, Uniformen und Uniformteile, die auf Grund ihrer Ähnlichkeit oder ihrer offenkundigen Zweckbestimmung als Ersatz eines der in Abs. 1 erwähnten Abzeichen, Uniformen oder Uniformteile gebraucht werden. (3) Orden und Ehrenzeichen, die eines der im Abs. 1 oder Abs. 2 erwähnten Embleme aufweisen, dürfen öffentlich weder getragen noch zur Schau gestellt werden.

§ 2. (1) Die Verbote des § 1 finden, wenn nicht das Ideengut einer verbotenen Organisation gutgeheißen oder propagiert wird, keine Anwendung auf Druckwerke, bildliche Darstellungen, Aufführungen von Bühnen- und Filmwerken sowie Ausstellungen, bei denen Ausstellungsstücke, die unter § 1 fallen, keinen wesentlichen Bestandteil der Ausstellung darstellen. (2) Auf sonstige Ausstellungen finden die Verbote des § 1 dann keine Anwendung, wenn sich die Ausstellung und deren Zweckbestimmung eindeutig gegen das Ideengut der betreffenden verbotenen Organisation richten.

§ 3. (1) Wer einem Verbot des § 1 zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Amtsbereich einer Bundespolizeibehörde von dieser, mit Geldstrafe bis zu 10.000 S oder mit Arrest bis zu einem Monat zu bestrafen. Überwiegen erschwerende Umstände, so können Geld- und Arreststrafen auch nebeneinander verhängt werden. (2) Abzeichen, die den Gegenstand einer strafbaren Handlung im Sinne des § 1 bilden, sind, soweit dies nach der Beschaffenheit der Abzeichen möglich ist, für verfallen zu erklären.

(3) Der Versuch ist strafbar.

§ 4. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist das Bundesministerium für Inneres betraut.

Verbotsgesetz 1947 - StGBl.Nr. 13/1945 zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 25/1947

Artikel I: Verbot der NSDAP.

§ 1. Die NSDAP, ihre Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK), ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen überhaupt sind aufgelöst; ihre Neubildung ist verboten. Ihr Vermögen ist der Republik verfallen.

--> Verbotsgesetz

Anmerkung: Wie bereits eingangs erklärt, distanziert sich der Autor im Sinne der oben erwähnten Gesetze ausdrücklich von jeglicher Absicht, das Gedankengut autoritärer, faschistischer, nationalsozialistischer und anderer antidemokratischer oder unmenschlicher Systeme zu verherrlichen oder zu propagieren. Die Aufnahme der obigen Texte und Abbildungen in das Austria-Forum dient einzig und allein wissenschaftlichen und aufklärerischen Zielen und einem vertieften Verständnis der österreichischen Zeitgeschichte, aus dem zumindest indirekte Mitverursachung und Mitschuld von Österreichern an den Gräueln der NS-Zeit hervorgehen.


Eine umfassende Geschichte des Hakenkreuzes, die keine Frage offen lässt und somit wesentlich zum Verständnis der Wirkung dieses Symbols beiträgt.

--Glaubauf karl, Dienstag, 26. Januar 2010, 11:18


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