Schimmer göttlicher Autorität #
Das Jahr 1934, der Bürgerkrieg und die Errichtung des Ständestaates und die Rolle der katholischen Kirche im autoritären System: Überlegungen mit unerlaubtem Konjunktiv. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 6. Februar 2014)
Von
Christian Rathner
Am 25. Juli 1934 stürmten Nationalsozialisten das Bundeskanzleramt. Engelbert Dollfuß wurde erschossen. Anton Rintelen sollte neuer Bundeskanzler werden. Stattdessen wurde er verhaftet, der Putschversuch scheiterte. Wer hätte am Morgen dieses Tages den Abend richtig vorhersagen können?
Geschichte lässt sich nicht konstruieren. Die Frage „Was wäre gewesen, wenn...“ ist zu recht unter Historikern verpönt. Doch manchmal drängt sich der historische Konjunktiv dennoch auf: Was um Gottes willen wäre geschehen, wenn alles so gekommen wäre, wie es sich die Mächtigen der damaligen Katholiken in Kirche und Politik 1934 gewünscht hatten?
Nach dem I. Weltkrieg gab es keinen Kaiser mehr. Die katholische Kirche stand wie verwaist in einer fremd gewordenen Welt. Die Demokratie erschien ihr als „rotes“ Projekt, mit dem sie sich nur widerwillig abfand. Man hielt sich an die Christlich-sozialen. Groß war die Angst vor Bolschewismus und Sozialismus. Die Gräben zwischen Katholiken und Sozialisten wurde tiefer.
Der Katholikentag im September 1933 stand im Zeichen der Wiener Türkenbelagerung von 1863. Aber in Wirklichkeit ging es um die Wehrhaftigkeit gegenüber der „roten Gefahr“. Man gedachte des Wien-Verteidigers Graf Starhemberg. Sein Nachfahr war Politiker und Führer der Heimwehr, die sich immer deutlicher zum Faschismus bekannte. Aber auch die Heimwehr feierte Messen. Im Umfeld des Katholikentages hielt der Katholik Dollfuß auf dem Trabrennplatz auch die „große programmatische Rede“, zu der ihn sein Mentor, Benito Mussolini, ermutigt hatte. Dollfuß hatte im März eine Gelegenheit zur Ausschaltung des Parlaments genutzt. Die Parteiendemokratie sah er wie ein Fuhrwerk, dessen Pferde in verschiedene Richtungen ziehen. Jetzt solle, so Dollfuß, ein „sozialer, christlicher, deutscher Staat Österreich auf ständischer Grundlage und unter starker autoritärer Führung“ entstehen. Die Hoffnung auf einen nach Berufsständen organisierten Staat ohne Klassenkampf verband Dollfuß mit der Enzyklika „Quadragesimo anno“. Einwände, diese Enzyklika habe eine Gesellschaftsreform im Auge und könne nicht als Grundlage für einen autoritären Staat dienen, blieben ungehört.
Die Bischöfe reagierten begeistert. Kardinal Innitzer sah im Umbau von demokratischen Formen zu autoritärer Führung göttliche Fügung am Werk: „Das Führerprinzip bricht sich in der Alten und Neuen Welt Bahn. In der Kirche herrscht es seit jeher.“ In ihrem Weihnachtshirtenbrief schrieben die Bischöfe: „Jede irdische Gewalt und Autorität erstrahlt im Schimmer der göttlichen Autorität“. Selbst der Papst habe seinen Segen erteilt. Zudem zog die Kirche ihre Priester aus der Parteipolitik zurück. Dieser Beschluss sollte den Übergang zur neuen Einheitspartei „Vaterländische Front“ erleichtern, ist aber darüber hinaus bis heute von großer Bedeutung.
Als sich am 12. Februar der Schutzbund gegen fortwährende Schikanen bewaffnet zur Wehr setzte, schlug das Regime mit großer Härte zurück. Kardinal Innitzer veröffentlichte zwar einen Aufruf zum Frieden, zeigte sich aber treu an der Seite des Regimes. Er nahm am Staatsbegräbnis für die gefallenen Polizisten und Staatsbeamten teil und nannte sie „Helden, die das Unheil von den Altären abgewendet“ haben. Als das Regime Schutzbund- Kämpfer zum Tod verurteilte, bat Innitzer für sie um Gnade. Ohne Erfolg.
Ständestaat „im Namen Gottes“ #
„Im Namen Gottes des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht“ wurde die Verfassung des neuen Staates am 30. April 1934 verabschiedet. Nur wer der katholischen Kirche oder der vaterländischen Front angehörte, durfte Beamter sein. Bibliotheken wurden von linker und liberaler Literatur gesäubert. Lehrer kontrollierten den Kirchenbesuch ihrer Schüler.
Nach Dollfuß’ Tod machte sich leise Ernüchterung breit. Innitzer war enttäuscht, dass die Kirche kein Monopol für die Jugenderziehung erhielt. Bischöfe kritisierten, dass der Ausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitern ausblieb. Außerdem: Die Entertainerin Josephine Baker durfte in Wien auftreten. Im Kino sorgte die nackte Hedy Lamarr für Furore. Zu einer Distanzierung der Kirche vom Ständestaat ist es nie gekommen, aber der Kardinal meinte, man hätte mit dem Begriff „christlicher Staat“ vielleicht noch warten sollen.
Man hätte. Nicht nur Parteien, auch Betriebsräte, Gewerkschaften und Interessensverbände wurden ausgeschaltet. Keine Rede von einer „Entproletarisierung des Proletariats“ durch gerechte Löhne, wie sie die katholische Soziallehre forderte. In so genannten Anhaltelagern ging es zwar weniger grausam zu als in den KZs der Nazis, aber die Idee, sich Andersdenkender zu entledigen, war dieselbe. Einer der Insassen im Lager Wöllersdorf: der Wiener Sozialdemokrat Otto Glöckel, Schulreformer und früher Verfechter der Gesamtschule.
Im März 1938 läuteten die Kirchenglocken zur Begrüßung Adolf Hitlers. Aber diesmal erfüllte sich die anfängliche Hoffnung der Kirche auf eine regimenahe Machtposition nicht. Manchmal ist die Geschichte auch in der Katastrophe gnädig. Denn ihre Distanz zu dem Nazi-Regime, die in vielen Fällen bis zu Widerstand und Martyrium führte, verhalf der katholischen Kirche zu jenem Mindestmaß an Glaubwürdigkeit, das nach 1945 entscheidend war. Diesmal war sie keine Stütze des Regimes gewesen. Eine „freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ wurde denkbar. Kardinal König konnte glaubhaft machen, dass er „Bischof aller Katholiken“ sein wollte. Nicht zuletzt wurde das Konzil mit seiner Hinwendung zur modernen Welt und seiner Abkehr vom Antisemitismus möglich. Was wäre gewesen, wenn der Ständestaat überlebt hätte? Müsste man sich heute noch vor einem Kirchenaustritt psychiatrisch testen lassen? Sicher ist: Der autoritäre Traum vom katholischen Staat ist gescheitert – zum Glück für die Kirche.
Der russisch-orthodoxe Priester und Theologe Alexander Men hat seiner Kirche in Sowjetzeiten eingeschärft: Je mehr sie sich der Macht nähere, desto mehr entferne sie sich vom Evangelium. Hätten ihn nicht KGBAgenten ermordet, er wäre vermutlich heute noch ein unbequemer Mahner. Und er würde mit Papst Franziskus angeregt diskutieren. Aber das ist schon wieder ein verbotener historischer Konjunktiv.