Krieg und Schönheit#
Vor 350 Jahren, am 18. Oktober 1663, wurde Prinz Eugen von Savoyen geboren, der als Feldherr in die Geschichte und als Sammler, Bauherr und prachtliebender Schöngeist in die Kunstgeschichte eingegangen ist.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 19./20. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Birgit Schwaner
Ein Haarbüschel, etwa sechs Zentimeter lang und in der Mitte von einem silberfarbenen Bändchen zusammengehalten, so dass sich das Haar nach rechts und links pinselartig auffächert: mausbraun, grau durchzogen, ein wenig struppig. Jemand hat es in ein rundes Behältnis gelegt, auf hellen Stoff, goldumrahmt. Alles in eine Vitrine gesetzt, und daneben ein kleines Schild: "Haarlocke des Prinzen Eugen." Oft geben einem gerade die unscheinbaren Dinge zu denken.
Prinzengedenken#
Die Vitrine steht im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien, im ersten Stock, "Abschnitt 7", neben weiteren Schaukästen mit Exponaten zu Leben und feldherrlichem Wirken des berühmten Savoyers: Fahnen und Standarten seines Dragonerregiments, Wappen, Siegel, Briefe, Schlachtenbilder, Porträts; Goldbesticktes, Rotsamtnes, historisch Bedeutendes.
Nur der kleine Kürass fehlt dieser Tage; man hat ihn nach Schlosshof ausgeliehen, für die Ausstellung "Triumph und Passion" zum 350. Geburtstag des Prinzen Eugen. Der Brustharnisch des nur 1, 54 Meter großen Mannes passte einem Zehnjährigen und wird wohl im Marchfeld, nicht anders als in Wien, auch die Kinder zum Staunen bringen. Aber wie sehr Eugen von Savoyen seinerzeit verehrt wurde - das lässt vielleicht kein Ausstellungsobjekt besser erahnen, als die berührend banale, graubraune "Haarlocke" hinter Glas, die wie jede Reliquie nicht nur auf einen Menschen verweist, sondern auch auf eine Legende . . . nein, mehrere, geradezu eine Unmenge Legenden und Anekdoten, Interpretationen und Projektionen.
Schließlich war der Prinz Eugen als Volksheld, Feldherr, Staatsmann, Bauherr und Mäzen bereits zu Lebzeiten in ganz Europa bekannt und - sozusagen - in allen damaligen Medien präsent, man schrieb über ihn in Flugblättern, nannte seinen Namen in Predigten, Korrespondenzen und verfasste Biografien. Und selbstverständlich sorgte er persönlich, sobald die Mittel vorhanden waren, für den eigenen Ruhm und Nachruhm - gab Porträts und Schlachtengemälde in Auftrag, ließ Schlösser bauen, wie das Belvedere oder Schlosshof, die wir noch heute besichtigen, und Gärten anlegen, in denen wir spazieren, sammelte Kunstwerke, Bücher, Tiere und Pflanzen.
Was, selbstverständlich? Ja. Jedenfalls, im endenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert, als die mehr und minder Mächtigen Europas sich in ihren Selbstinszenierungen vor allem an einem orientieren: Ludwig XIV., dem Herrscher Frankreichs, der absolutistisch als Sonnenkönig auftritt und mit seiner Schlossanlage Versailles den architektonischen Maßstab für hochwohlgeborene Bauherren vorgibt. Dazu bald noch etwas mehr. Vorerst und hauptsächlich sei hier (im Versuch, sich ein wenig der Person zu nähern, die sich hinter so viel Legenden verbirgt) der Blick auf die unscheinbare Jugend des Prinzen Eugen gerichtet. Auf die Jahre, die der außergewöhnlichen Karriere des für die Geschichte Österreichs so wichtigen Prinzen vorangingen:
Pariser Kindheit#
Eugen von Savoyen-Carignan wird am 18. Oktober 1663 in Paris geboren. Die Adresse, an der das Ereignis stattfindet, ist prominent: Hôtel de Soissons, Rue Viarmes 2. Hier, unweit der Stadtresidenz Ludwigs XIV. - der selbsternannte "Roi soleil" ist eben fünfundzwanzig Jahre alt (die Regierungsgeschäfte führt er seit zwei Jahren) - wohnt Olympia, Prinzessin von Savignon-Carignan, geborene Mancini und verwandt mit dem zwei Jahre zuvor verstorbenen, mächtigen Kardinal Mazarin, dem Nachfolger Richelieus. Eugen ist ihr fünftes Kind, zugleich ihr fünfter Sohn; in den nächsten Jahren wird er noch drei Schwestern erhalten.
Olympias Mann Eugen Maurice de Savoyen, Comte de Soissons entstammt einer Nebenlinie der Herzöge von Savoyen - einem kleinen Land, das geografisch von der Umgebung Turins bis zu den Westalpen reicht, ungefähr das Gebiet des heutigen Piemont umfasst. (Savoyen liegt also zwischen Frankreich und Italien, das zum deutsch-römischen Reich gehört - und damit zwischen zwei Großmächten, die einander argwöhnisch beobachten und sich das Ländchen allzu gern längst einverleibt hätten; zum Schutz ihres Territoriums betrieben die Herzöge von Savoyen zumeist eine Art "Schaukelpolitik" mit wechselnden Allianzen.)
Die Mutter Olympia#
Eugen Maurice ist als angesehener General der französischen Armee und Gouverneur der Champagne oft unterwegs. Dafür hat Ludwig XIV., der die jetzt dreiundzwanzigjährige Olympia von Kindheit an kennt, eine geraume Zeit lang seine Jugendfreundin regelmäßig im - übrigens 1552 von seiner Urgroßmutter Katharina von Medici erbauten - Hôtel de Soissons besucht, Gerüchten zufolge sogar als ihr Liebhaber. Entsprechend ins höfische Geschehen verstrickt wird sich Olympia auch in nächster Zukunft mehr um die eigene Chronique scandaleuse und die Planung höfischer Feste kümmern als um ihre Kinder. Seit 1660 Oberintendantin der Königin wohnt sie ohnehin oft in ihrem Appartement in den Tuilerien und überlässt ihre Kinder dem strengen Regiment ihrer Schwiegermutter Marie de Bourbon sowie - damals kaum ungewöhnlich - Hauslehrern und Dienerschaft.
Unter diesen Umständen wundert es nicht, dass spätere Biografen Eugens lückenhafte Erziehung ansprechen - die ansonsten, so gut eben möglich, der damals üblichen Ausbildung der Söhne der Hocharistokratie entsprach. Wert gelegt wurde auf Sprachkenntnisse (im Fall Eugens wahrscheinlich Italienisch, Französisch, Latein, etwas Spanisch), humanistische Bildung und die christliche Religion, hinzu kommt etwas Mathematik (Eugens Lehrer Vacheur, ein Freund des berühmten Festungsbaumeisters Vauban, berichtete von der lebhaften Vorliebe und Begabung seines Schützlings für dieses Fach).
Der Ehrenmann#
Allerdings sollten Wissen und Können vornehmlich der Persönlichkeitsbildung dienen. Es galt, den Adelssprössling zu einem Ehrenmann zu erziehen, zu einem honnête homme, der sein Auftreten und Tun an den vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit und Maßhalten ausrichtete und gottesfürchtig auf die Macht von Glaube, Liebe, Hoffnung vertraute.
In späteren Jahren - da ist er längst "Europas heimlicher Herrscher" (so der Untertitel einer sehr lesenswerten Biografie von Franz Herre, Erstauflage 1997) - wird der Prinz Eugen von seinen Zeitgenossen oft als Verkörperung dieses Ideals eines hônnete homme beschrieben werden. Vorerst aber sieht man ihn als eher verwahrlostes Kind, im Garten des Hôtel de Soissons spielend, blass und farblos, die Haltung etwas schief (wegen einer leichten Wirbelsäulenverkrümmung) und ansonsten, wie seine Geschwister, wenig beachtet.
Wobei dieses Bild hauptsächlich einer Quelle entspringt: den Briefen Lieselottes von der Pfalz, der zweiten Frau des Herzogs von Orleans, des Bruders Ludwigs XIV. Eher abfällig heißt es dort: "Prinz Eugen ist ein kleines, mutwilliges, schmutziges Bübchen. . . . Ein kurz aufgeschnupftes Näschen, ziemlich langes Kinn und so kurze Oberlippen, dass er den Mund allezeit ein wenig offen hat und zwei breite doch weiße Zähne sehen lässt . . . aber die Augen waren schön."
Die kurze Oberlippe, den leicht geöffneten Mund und die südländisch dunklen, strahlenden Augen wird man ebenfalls später noch oft erwähnen, dann allerdings in glanzvollem Kontext. Wobei dem Hinweis auf Eugens kurze Nase zumeist derjenige auf seinen exorbitanten Schnupftabakkonsum folgt - damals übrigens eine hocharistokratische Mode, auch bei den Damen. Die aber, anders als der Prinz Eugen, eine Feier wohl eher verließen, als sich mit Tabakflecken auf dem Gewand zu präsentieren. Wogegen der Prinz Eugen, vielleicht von Kindheit an, in dieser Epoche (des Barock und Absolutismus), die so sehr die Oper und den theatralisch ausgeschmückten Auftritt liebte, im Zweifelsfall bereit war, jedes Prunkgewand gegen einen einfachen braunen Rock einzutauschen, der ihm den Beinamen "kleiner Kapuziner" eingebracht hatte.
So hieß es auch im 1703 gegründeten "Wiennerischen Diarium" (dem Urahn der "Wiener Zeitung") in Berichten über Veranstaltungen am Kaiserhof wiederholt: "Ihre Durchlaucht Prinz Eugen von Savoyen waren nicht im Staatskleid, sondern in Jaegertenue erschienen." Dem schmächtigen Kriegshelden scheint stets anderes wichtiger als eine blendende Kostümierung gewesen zu sein: Kriegführen und sein Regiment, die politische Arbeit im Dienste des Kaisers, seine Bauvorhaben und Sammlungen. Freilich darf eine lebende Legende überall im braunen Rock erscheinen, sie hat ohnehin Glanz.
Militär oder Kirche#
Aber noch kann hiervon nicht die Rede sein, noch ist der bald Hochberühmte ein Kind, für das niemand große Karrieren erträumt. Vor allem nicht, nachdem 1673 Eugens Vater im Heerlager bei Unna verstirbt. (Hätte er länger gelebt, wer weiß, der Prinz Eugen wäre mit seiner Hilfe vielleicht auf einem notablen Posten in der französischen Armee gelandet und die Geschichte Europas anders verlaufen.)
Die folgenden Jahre bringen mit sich: eine Reise mit der Mutter zu den herzöglichen Verwandten nach Turin, wo man dem Fünfzehnjährigen eine Tonsur verpasst und ihn in eine Soutane kleidet, auf dass er sich daran gewöhne: Da es für einen nicht-erstgeborenen Sohn aus Adelskreisen, der keinen Anspruch auf ein Erbe hat, nur die berufliche Alternative "Militär oder Kirche" gibt, haben ihn Mutter und Großmutter für den geistlichen Stand vorgesehen. Doch den "kleinen Abbé" - wie er nun genannt wird (das echot später im "kleinen Kapuziner" ein wenig nach) - zieht es auf der Spur des Vaters, der Brüder, zu den Soldaten. Als er neunzehn ist, streitet er deswegen mit der herrischen Großmutter, die ihn, als er nicht nachgibt, aus dem Stadtpalais wirft. Einen Monat darauf, im März 1683, erhält er, durch die Vermittlung seines Freundes, des Prinzen Condé, eine Audienz bei Ludwig XIV. Er hat vor, um einen Offiziersposten im französischen Heer zu bitten, das inzwischen stärkste in Europa ist, selbst in Friedenszeiten 200.000 Mann zählt.
Aber der König betrachtet den Sohn seiner schönen Jugendfreundin mit Missfallen. Selbst von kleinem Wuchs stört ihn vielleicht, dass der junge Savoyer mit der braunen Perücke Schuhe mit noch höheren Absätzen (16,5 cm) trägt als er und ihn - in dessen leerem Schlafzimmer sich noch jeder verbeugen muss - direkt anblickt: eine Impertinenz.
Vielleicht spielte zudem eine Rolle, dass Olympia einige Jahre zuvor aufgrund ihrer vermeintlichen Verwicklung in eine prominente Giftaffaire aus Frankreich verbannt worden war und dass, während sie in Europa von Hof zu Hof reist, ihre Feinde hier gegen sie und ihre Familie intrigieren. Jedenfalls wird Eugens Bitte abgelehnt, auch ein zweites Mal. Voltaire berichtet später, Ludwig XIV. habe nach dem Abgang des Prinzen seine Umgebung (ironisch?) gefragt, ob er jetzt die größte Dummheit - "la plus grande gaffe" - seines Lebens begangen habe.
Das hat ihm wohl die Historie beantwortet. Denn das Versäumnis des französischen Königs, ein Feldherrengenie in die eigenen Reihen aufzunehmen, wurde, wie man weiß, zum Glücksfall für den Habsburger Kaiser Leopold I. und seine beiden Nachfolger, Joseph I. und Karl IV.
Das Thema Eros#
Ehe mit der Abreise in Richtung Passau und Wien ein neuer Abschnitt in der Biografie des Prinzen Eugen beginnt - man könnte auch sagen: dessen militär- und kulturhistorisch wesentlicher Teil sowie das Ende seiner Jugend -, sei kurz das Thema "Eros" gestreift. Und damit noch einmal auch Lieselotte von der Pfalz; denn wieder ist es die auch für ihre Übertreibungen bekannte Schwägerin Ludwigs XIV., die sich brieflich darüber auslässt. Der "kleine Abbé" schreibt sie einmal, führe ein sexuell ausschweifendes Leben, ja, er und sein Cousin, der Prinz von Turennes, würden von ihren Kompagnons sogar mit den Namen zweier als besonders verrucht angesehener Pariser Huren benannt und "auch dazu gebraucht". Noch Jahrzehnte später spottet sie, Eugen "incommodiere sich nicht mit Damen, ein paar schöne Pagen wären besser sein Sach . . .".
Aus heutiger Sicht müsste man wohl einerseits auf das libertäre Klima am damaligen französischen Hof verweisen, und dessen wohl besonderen Einfluss auf männliche Jugendliche (oder die Frage nach möglichem Missbrauch stellen). Und anderseits darauf, dass keine weiteren Dokumente zur Homo- oder Heterosexualität Eugens von Savoyen vorliegen. Es scheint fast, als habe er auch das Thema Sexualität mit Paris hinter sich gelassen.
Allerdings sei hinzugefügt, dass Homosexualität, allein ihre Möglichkeit, für einen Feldherrn und Staatsmann, den die Nachwelt idealisieren will, nicht einmal heutzutage opportun ist. Nicht wenige Biografen des Savoyers verschweigen die einschlägigen Bemerkungen Lieselottes - vor allem solche, in denen er hauptsächlich als eiserner Kriegsheld dargestellt wird (bevorzugt des deutschnationalen 19. Jahrhunderts und der Nazizeit, wo "Prinz Eugen" etwa der Name einer Freiwilligen-Division der Waffen-SS war, aufgestellt von Banater Volksdeutschen).
Der "Prinz Eugen", dessen 350. Geburtstag dieser Tage gefeiert wird, ist natürlich ein anderer: weder der Jugendliche aus dem Hôtel de Soissons noch der auch unerbittliche Feldherr und Staatsmann, der im Zweifelsfall "die Gewissheit des Krieges" einem weniger stabilen Frieden vorzog. Sondern vor allem der Bauherr und Kunstliebhaber.
Freilich ist, wie so oft, auch hier das Schöne nicht ganz vom Schrecklichen zu trennen, die Finanzierung der Kunstwerke nicht von den Toten auf den Schlachtfeldern. Nachdem Eugen am 12. September 1683 vor den Toren Wiens als "Volontär" (im Rang eines Leutnants) an der Entscheidungsschlacht gegen das Osmanische Heer teilgenommen hat, tritt er in kaiserlichen Dienst - der Rest ist in den Geschichtsbüchern nachzulesen: seine Ernennung zum Oberst (noch 1683), General (1685) und Feldmarschall (1693), schließlich zum Oberbefehlshaber im Türkenkrieg (1697) und zum Hofkriegsratspräsidenten (1703). Seine siegreichen Schlachten gegen die Osmanen, durch die Österreich zur Großmacht aufsteigt (nach dem Frieden von Karlowitz, 1699) und schließlich seine größte territoriale Ausdehnung erreicht, als die Türkei 1718 große Teile des Balkan an das Habsburgerreich abtritt. Prachtentfaltung
Im Zuge dieser Erfolge wächst nicht nur das Ansehen und die Macht des Prinzen Eugen, sondern auch sein Wohlstand. Und sobald er es sich leisten kann, baut er ein Stadtpalais in der Himmelpfortgasse in Wien (das inzwischen neu restauriert und als Barockmuseum wiedereröffnet wurde) und mehrere Sommerresidenzen. Das Untere und Obere Belvedere entstehen, mit ihrer einmaligen Gartenanlage, schließlich Schlosshof. Und der Platz reichte nicht, alles aufzuzählen: die Pflanzen in seinen Orangerien, die Tiere seiner Menagerie (der ersten im deutschsprachigen Raum), die Bücher seiner Bibliotheken - und das umfassende Interesse auch an der Wissenschaft und Philosophie seiner Zeit, das ihn in den Augen der Nachwelt schließlich zur Symbolfigur für die beginnende Aufklärung werden ließ. Freilich einer, die, noch im Barock verankert, sich - nach dem Modell des Sonnenkönigs - gerne als Herkules, Mars oder Apoll darstellen ließ: strahlend und unverwundbar.
Birgit Schwaner, geboren 1960 in Frankenberg, lebt als Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Publikationen, darunter das Sachbuch "Prinz Eugen" (Metroverlag, Wien 2010) und 2013 die Erzählung "Polyphems Garten" (Klever Verlag, Wien).