Wie viel kostet ein Krieg?#
Der Erste Weltkrieg war für Österreich finanzpolitisch eine große Herausforderung.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 22./23. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Herbert Hutar
Der Erfolg hat viele Väter, das gilt auch für Zitate: "Zum Krieg führen sind drei Dinge nötig: Geld, Geld und nochmals Geld." Gleich vier Personen wird dieser Spruch zugeschrieben: Zwei weniger bekannten Heerführern der Renaissancezeit, dem kaiserlichen Feldherren Raimondo Montecuccoli und dem Prinzen Eugen, einer der wenigen Gestalten in der österreichischen Geschichte, die ihre Bedeutung gewonnenen Kriegen verdanken.
Dieser hatte schon als Hofkriegsratspräsident unter Kaiser Leopold I. - ungeachtet seiner glänzenden Erfolge - stets Anlass zur Klage über mangelnde Mittelzuteilung. Und so hat sich die Legende der etwas schlampigen, aber friedlichen Monarchie fortgepflanzt, die im 19. Jahrhundert nicht zuletzt durch den verlorenen Krieg von 1866 noch verstärkt wurde. Daran konnte auch nichts ändern, dass Kaiser Franz Joseph stets Uniform trug und Armeeangehörige hohes Sozialprestige genossen.
Hohe Militärausgaben#
Tatsächlich waren die Militärausgaben der Monarchie in absoluten Zahlen vor Kriegsausbruch geringer, als die der anderen späteren Kriegsteilnehmer, der Gegner wie der Verbündeten. Gemessen am Volkseinkommen aber sieht die Sache anders aus, hält der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber fest: Die Militärausgaben betrugen in Deutschland 3,5 Prozent des Volkseinkommens, in Großbritannien 3,6 Prozent, in Österreich-Ungarn jedoch 4 Prozent, nur Russland lag mit 6 Prozent darüber. Da spielt sicher der unterschiedliche Industrialisierungsgrad der einzelnen Volkswirtschaften eine Rolle, aber nach einer Friedenspolitik Österreich-Ungarns sieht das nicht aus.
Bereits 1912 hat sich die Regierung unter dem Eindruck der Balkan-Kriege mit dem Wehr- und Kriegsleistungsgesetz die Verfügung über die männliche Zivilbevölkerung, vor allem die Arbeiter in der Rüstungsindustrie, gesichert. "Auch die nicht zum Kriegsdienst verpflichteten Arbeiter wurden der militärischen Disziplin unterworfen", schreibt Sandgruber. Dies bedeutete oft Lohnkürzungen auf das Niveau des Soldatensolds und das Verbot gewerkschaftlicher Tätigkeit. Die Umstellung auf die Kriegswirtschaft gelang 1914 umso reibungsloser.
Trotzdem schien die Monarchie seltsam überrascht. Weder Vorratshaltung, noch organisatorische Abwicklung und vor allem das Geldwesen waren auf einen längeren Krieg vorbereitet. Waren doch alle Patrioten überzeugt, dass sich nach wenigen Monaten ("Serbien muss sterbien") das reinigende Gewitter des Krieges verzogen haben und die Sonne des Sieges über der Monarchie aufgehen würde. Der Krieg sei mit den vorhandenen Vorräten an Waffen und Munition, an Lokomotiven und Waggons, an Nahrungsmitteln und Rohstoffen bis zum baldigen Sieg zu führen, und die Verlierer hätten dann zu zahlen, so die Illusion. Die Kampfkraft der serbischen Truppen, die in den Balkankriegen ab 1912 große Erfahrung sammeln konnten, wurde sträflich unterschätzt. Das Kräftemessen mündete schließlich in einen erschöpfenden Drei-Fronten-Krieg am Balkan, gegen Russland und gegen Italien.
Konnte sich die Monarchie auch aus den Balkankriegen von 1912/13 heraushalten, so litt doch die Exportwirtschaft, und die Handelsbilanz rutschte ins Minus. Nationalökonomen und Banker waren alarmiert, der Gouverneur der Österreichisch-Ungarischen Bank, der Notenbank der Monarchie, drängte bereits im April 1913 auf "finanzielle Kriegsbereitschaft", jedoch vergebens, betont der Historiker Manfried Rauchensteiner. Im Juli 1914, als Notenbank-Gouverneur Alexander Popovics und die wichtigsten Bankenchefs vorab vom unmittelbar drohenden Krieg informiert wurden, war es für einen umfassenden geldpolitischen Kurswechsel zu spät. Tatsächlich erschienen die Geldvorräte für einen kurzen Krieg ausreichend, lediglich kleine Banknoten mussten nachgeliefert werden.
Schon die Mobilmachung zeigte die neuen Dimensionen einer Kriegsfinanzierung deutlich auf, ganz zu schweigen von all dem, was in den folgenden Kriegsjahren noch kommen sollte. Es wäre naheliegend gewesen, die Steuerschraube zur Kriegsfinanzierung anzuziehen. Das wurde aber mit Blick auf das wenig einträgliche Steuersystem, einen erwarteten kurzen Krieg und auf die Stimmung in der Bevölkerung vermieden. Erst 1916 wurde für Firmen eine Kriegsgewinnsteuer eingeführt, die jedoch zum Teil durch Zeichnung von Kriegsanleihen beglichen werden konnte.
Bereits in den ersten Kriegsmonaten explodierte der Geldbedarf, die Geldmenge hat sich beinahe verdoppelt. Ermöglicht wurde dies durch den Ende Juli 1914 legalisierten Zugriff der Regierung auf die Notenpresse, die Abgabe von Gold und Devisen wurde eingestellt, das war das Ende des seit Jahrzehnten bestehenden Goldstandards. Manfried Rauchensteiner spricht vom Öffnen der Büchse der Pandora. Bis Kriegsende hat sich die Geldmenge auf rund 40 Milliarden Kronen verzehnfacht, parallel dazu beschleunigte sich die Inflation: 1914 lag sie bei 70 Prozent, in den Jahren nach 1916 kam es zu einer praktischen Verdoppelung der Preise in jedem Jahr. Die Rechnung dafür hatte nach dem Krieg die Bevölkerung vor allem in Österreich mit extremer Mangelwirtschaft bis hin zur Hungernot zu bezahlen.
Aber der Griff zur Notenpresse reichte bald nicht mehr. Selbst die direkte Verschuldung des Staates bei den Banken stieß bereits 1915 an ihre Grenzen. Es musste ja nicht nur der "laufende" Kriegsbetrieb finanziert werden, sondern es mussten auch die immensen Verluste ausgeglichen werden, unterstreicht Manfried Rauchensteiner: Millionen Gewehre, tausende Geschütze gingen verloren oder fielen dem Feind in die Hände und mussten nachbeschafft werden. Überhaupt expandierte die gesamte Rüstungsindustrie, aber nicht nur das: Die Hinterbliebenen von hunderttausenden Gefallenen mussten ebenso versorgt werden wie nicht mehr einsatz- und erwerbsfähige Invaliden, dazu rund 1,5 Millionen Kriegsgefangene.
Die Kriegsanleihen#
Und so entstand das zweite wichtige, das ergiebigere Finanzins-trument, die Kriegsanleihen. Die erste von insgesamt acht Kriegsanleihen wurde in Österreich bereits im Herbst 1914 aufgelegt, in Ungarn sollten es insgesamt 17 Anleihen werden. Die erste österreichische Kriegsanleihe war schnell unter die Leute gebracht, und - mit einem Erlös von 2,2 Milliarden Kronen - fast ebenso schnell wieder verbraucht. Mit 5,5 Prozent jährlicher Verzinsung sollte sie 1920 zurückgezahlt werden. Die übrigen Anleihen - später mit 6,25 Prozent verzinst - sollten im Halbjahresabstand folgen, die Tilgungen wurden bis 1930 verlängert.
Die Finanzverwaltung konnte die Kriegsbegeisterung und gegen Ende des Krieges auch die Opferbereitschaft der Menschen in klingende Münze umsetzen: 35 Milliarden Kronen flossen in die Staatskasse, allerdings empfindlich ausgehöhlt durch die Infla- tion, die - verglichen mit der Kaufkraft von 1914 - nicht einmal 10 Milliarden ergaben.
Die Zeichnungserfolge und vor allem die Flops zeigten schon früh erhebliche innenpolitische Brisanz, vor allem im Nationalitätenstreit, der nur oberflächlich vom Kriegsgetöse übertönt wurde: Der Statthalter von Böhmen, Franz Fürst Thun-Hohenstein, musste sich vor dem Untersuchungsrichter verantworten, weil die wichtigsten Banken seines Kronlandes nur ein Viertel des Erlöses - verglichen mit den österreichischen Kreditinstituten - verkauft hatten. Tatsächlich war der finanzielle Patriotismus der Tschechen überschaubar.
Der Chef einer tschechischen Großbank, Jaroslav Preiß, schrieb bereits 1914, dass das Ende des Krieges "in undurchsichtigen Nebel gehüllt sei". 1916 wurde er verhaftet, weil er vor den Risiken der Kriegsanleihen gewarnt hatte. Noble Zurückhaltung übten auch weite Kreise des Großgrundbesitzes und der Aristokratie in Österreich wie in Ungarn, obwohl der Kaiser persönlich erst 44 Millionen Kronen und später noch mehr zeichnete.
Am meisten Kriegsanleihen wurden von den institutionellen Anlegern, also Banken und Versicherungen gezeichnet, sowie von der Großindustrie, vor allem von den großen Heereslieferanten wie der Gebr. Böhler & Co. AG oder Dynamit Nobel. Die Werbung war mehr als aggressiv und reichte bis knapp an die Nötigung: Es gab nicht nur unzählige Werbeplakate, es hatten Postämter bis 21 Uhr, und auch sonn- und feiertags für Anleihezeichner geöffnet, Kommunen wurden Anleihezeichnungen vorgeschrieben, und beim Militär wurde so mancher Urlaubsschein erst im Zusammenhang mit ein paar Kronen Kriegsanleihe unterschrieben. Die größten Opfer haben so die Millionen kleiner Leute gebracht, Private ebenso wie Gewerbetreibende, die ihre Ersparnisse in Kriegsanleihen gesteckt hatten und nach Kriegsende vor dem finanziellen Nichts standen.
Noch heute finden sich in so mancher Familie in Österreich ganz tief unten im Kasten die kunstvoll ausgefertigten Zertifi-kate mit Doppeladler und etwa dem Wortlaut: "Fünfte Österreichische Kriegsanleihe - fünfeinhalbprozentiger Schatzschein über zehntausend Kronen ... mit 11 halbjährigen Coupons... etc.", und auf der Rückseite das auf die Coupons draufgestempelte "N" - also "Non Valeur" - nichts wert.
Mangelwirtschaft#
Unter dem Strich wurde der Krieg zu drei Fünftel über Anleihen und zu zwei Fünftel über die Geldschöpfung finanziert. Spendenaktionen gegen Kriegsende, unter anderem für im Feld erblindete Angehörige des Heeres, die Ausspeisungsaktion der Arbeitslosen oder so makabre wie die Aktion zur Anschaffung künstlicher Gliedmaßen, trugen zwar nichts zur Kriegsfinanzierung bei, konnten aber so manche Kriegsfolge etwas mildern, stellt der Historiker Manfried Rauchensteiner fest.
Aber all die verzweifelten Kunstgriffe, die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten, nutzten nichts. Die anfängliche Vergeudungswirtschaft wandelte sich zur Mangelwirtschaft.
Das Eisenbahnwesen war überfordert. 1917 begann die Verknappung der Rohstoffe dramatisch zu werden. Hunger machte sich breit. Dann, im letzten Kriegsjahr, folgte der rasche militärische und wirtschaftliche Zusammenbruch. Die Folgen hatte die junge Erste Republik zu tragen. Erst 1924 konnte mit der Einführung des Schillings ein Schlussstrich unter die Finanzkatastrophe des Ersten Weltkrieges gezogen werden.
Herbert Hutar, Dr. phil., früher Leiter der Wirtschaftssendung "Saldo" (Radio Ö1), arbeitet nun als Wirtschaftsjournalist in Wien.