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Finsterer Reaktionär oder großer Europäer?#

Klemens Fürst Metternich war eine Schlüsselfigur beim Wiener Kongress. Wie seine politischen Leistungen zu beurteilen sind, ist unter Historikern umstritten. Die liberale und nationale Geschichtsschreibung charakterisiert ihn als einen rückschrittlichen Reaktionär, konservative Historiker sehen in ihm einen Vordenker europäischen Ideengutes.#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Mittwoch, 10. Juni 2009)

Von

Friedrich Weissensteiner


Klemens Fürst Metternich
Metternich wurde am 15. Mai 1773 in Koblenz geboren. Als Jusstudent wurde er 1789 Augenzeuge des Ausbruchs der Französischen Revolution. Dieses Erlebnis prägte seine politische Einstellung nachhaltig.
© FURCHE / Foto: Kunsthistorisches Museum, Wien

Der österreichische Staatskanzler Klemens Fürst Metternich, der einer ganzen Epoche seinen Namen gab, war im Urteil seiner zahlreichen zeitgenössischen Kritiker und Gegner ein regelrechtes historisches Ärgernis. Mehr als das. Man hasste den hoch intelligenten, geistreichen, aber aalglatten Salondiplomaten, der vom Wiener Ballhausplatz aus im Dienste des österreichischen Kaiserhauses in ihren Augen seine verderblichen Netze über ganz Europa spann (die Spinne war übrigens Metternichs Lieblingstier), aus tiefstem Herzen. In Deutschland, in der Habsburgermonarchie, im Ausland. In allen Gesellschaftsschichten, vornehmlich im gebildeten, politisch interessierten Bürgertum. Den aus dem Rheinland stammenden, weltmännischen Grandseigneur kümmerte das herzlich wenig, selbst wenn diese Kritik aus den Reihen seiner adeligen Standesgenossen kam.

Ein Fürst macht Geschichte#

"Ich habe Geschichte gemacht", resümierte er, als er längst von der Bühne des Weltgeschehens abgetreten war, "und deshalb die Zeit, sie zu schreiben, nicht gefunden. In hundert Jahren wird der Geschichtsschreiber mich anders beurteilen, als die, die heute mit mir zu tun haben. Das Urteil der Nachwelt ist das einzige Urteil, nach dem ich geize, das mir nicht gleichgültig ist."

Das Urteil der Nachwelt, von dem er sich so viel versprach, fiel und fällt allerdings zwiespältig aus. Die liberale und nationale Geschichtsschreibung des neunzehnten und des vorigen Jahrhunderts charakterisierte ihn als einen rückschrittlich gesinnten, starrköpfigen Reaktionär, der die Entwicklungstendenzen seiner Zeit nicht erkannte oder missachtete, so mancher konservative Historiker sah (sieht) in ihm einen großen Europäer oder zumindest einen Vordenker europäischen Ideengutes. Eine ausgewogene Beurteilung seines zweifellos geschichtsträchtigen Wirkens wird wohl in der Mitte zwischen diesen historiografischen Extrempositionen zu suchen und zu finden sein.

Durch Hochzeit zur Hocharistokratie#

Der im rheinländischen Koblenz geborene Klemens Metternich wurde 1789 als 16-jähriger Jusstudent in Straßburg Augenzeuge des Ausbruchs der Französischen Revolution. Es war ein Schlüsselerlebnis. Die Ausschreitungen einer wütenden Volksmenge und die Flucht der Familie vor den Franzosen über London nach Wien festigten sein milieubedingtes, konservatives Weltbild und bestimmten zeitlebens sein Denken und Handeln. Sein lebenslanger Kampf gegen revolutionäre Volksbewegungen war ein Grundpfeiler seines politischen Credos. In der Haupt- und Residenzstadt des Kaisers schlug dem Zuwanderer nicht gerade adeliges Wohlwollen entgegen. Das ändertesich schlagartig, als der gut aussehende junge Kavalier Eleonore Kaunitz, die Enkelin des Staatskanzlers Maria Theresias, Fürst Wenzel Anton Kaunitz, heiratete. Diese Verbindung verschaffte Metternich den Zugang zur Hocharistokratie und zu den einfl ussreichsten Kreisen am Kaiserhof. Sie war das Sprungbrett für seine steile Karriere, die ihn in verhältnismäßig kurzer Zeit bis an die Staatsspitze führte. Dazu gehörten aber natürlich auch Qualitäten, die er in reichem Maße besaß: chamäleonhafte Wandlungsfähigkeit, geistige Elastizität, diplomatische Raffi nesse, politisches Feingespür. 1809 von Kaiser Franz I. zum "Außenminister" ernannt, spielte er im Kampf gegen Napoleon, den Zerstörer der alten monarchischen Ordnung und des europäischen Gleichgewichts, alle diese Fähigkeiten aus und trug auf diplomatischem Weg entscheidend zur endgültigen militärischen Niederlage und zum Sturz des größenwahnsinnigen Korsen bei.

'Wiener Kongress' von Jean-Baptiste Isabey (1815)
"Wiener Kongress" von Jean-Baptiste Isabey (1815)
1814/15 wurden am Wiener Kongress die Grenzen in Europa neu festgelegt, um eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen. Bei der Unterzeichnung der "Wiener Kongressakte" stand Metternich in der Mitte seines Lebens auf dem Höhepunkt seiner Macht.
© FURCHE / Foto: Archives Charmet

Nach dem Zusammenbruch des hegemonialen napoleonischen Herrschaftssystems kamen die Vertreter der europäischen Staaten mit ihrem zahlreichen Gefolge in Wien zu einem Kongress zusammen, der vom 1. November 1814 bis zum 9. Juni 1815 tagte.

Ziel der illustren Fürstenversammlung war die territoriale Neuordnung Europas und die Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung. Gastgeber war Kaiser Franz I., den Vorsitz führte Klemens Metternich. Ihm zur Seite stand sein engster Mitarbeiter, der geistvolle Friedrich von Gentz.

Friedensordnung mit Sprengkraft#

Die Verhandlungen, die hinter verschlossenen Türen stattfanden, führten infolge der machtpolitischen Gegensätze der Großmächte (Großbritannien, Rußland, Österreich, Preußen, Frankreich) zuweilen bis an den Rand des Abbruchs.

Metternich setzte im Wesentlichen seine staats- und ordnungspolitischen Ziele durch. Die legitime monarchische Gewalt wurde wieder hergestellt, nicht jedoch in Deutschland, das man als losen Staatsverband von 35 Einzelstaaten und 4 freien Reichsstädten konstituierte. Der Zusammenschluss der vielfältigen Staatsgebilde in Italien, zu einer Lega italica nach dem Muster des „Deutschen Bundes“, der Metternich vorschwebte, scheiterte am Widerspruch des Kaisers. Metternichs Idee einer von der Solidarität der Großmächte getragenen und auf dem machtpolitischen Gleichgewicht beruhenden Friedensordnung, die auch das besiegte Frankreich miteinschloss, wurde indessen (vorübergehend) verwirklicht. Mit dieser Friedensordnung, als deren wichtigsten Pfeiler er das territorial arrondierte, multinationale Habsburgerreich betrachtete, schuf er eine Barriere gegen die liberalen und nationalen Strömungen der Zeit, deren revolutionäre Sprengkraft er allerdings unterschätzte. Von einer Mitsprache der Bürger am politischen Geschehen hielt Klemens Metternich nichts, der Begriff Volkssouveränität hatte in seinem Denken keinen Platz.

Am Höhepunkt seiner Gestaltungskraft#

Bei der Unterzeichnung der "Wiener Kongressakte" stand der konservative Staatsmann von europäischem Format in der Mitte seines Lebens auf dem Höhepunkt seiner Gestaltungskraft. Im September 1815 schlossen auf Initiative Zar Alexanders I. Russland, Preußen und Österreich die "Heilige Allianz" , in der sich die Herrscherdieser Staaten verpflichteten, nach den Prinzipien der christlichen Liebe und Gerechtigkeit zu regieren und einander beizustehen. Metternich betrachtete diesen Pakt zwar als "lauttönendes Nichts", funktionierte ihn aber zu einem Instrument restaurativer Interventionspolitik um. In Deutschland, wo vor allem das Bürgertum und die Studentenschaft lautstark einen nationalen Einheitsstaat forderten, wurden auf Veranlassung Metternichs die Universitäten einer scharfen Kontrolle unterworfen, freiheitlich gesinnte Professoren aus ihren Ämtern entlassen und alle Druckwerke einer strengen Zensur unterworfen. In einigen italienischen Staaten knüppelte die kaiserliche Armee revolutionäre Erhebungen nieder.

Metternichs Rolle als "Kutscher Europas" fand mit dem Ausbruch der Julirevolution in Frankreich, die rasch auf andere Staatenübergriff, ein unrühmliches Ende.

Kaiser Franz I. ließ seinem Staatskanzler in der Außenpolitik verhältnismäßig freie Hand. Innenpolitisch engte er mit der Bestellung eines Rivalen, des Grafen Franz Anton Kolowrat-Liebsteinsky zum Staats und Konferenzminister seinen Aktionsradius empfindlich ein. Die massiven Repressionsmaßnahmen, die zwischen 1815 und 1848 im Habsburgerreich gesetzt wurden, fi rmieren zwar unter dem Markennamen "System Metternich", aber der Staatskanzler war dafür nicht allein und nicht ausschließlich verantwortlich. Weitaus schlimmer als die politische und geistige Bevormundung des Bürgerstandes in diesem Zeitraum war die himmelschreiende Not breiter Bevölkerungsschichten. Metternich und seinen adeligen Standesgenossen fehlte dafür jedwedes Verständnis.

Klemens Metternich hatte den Kampf gegen die Revolution längst verloren, als sie am 13. März 1848 in Wien losbrach. Der verhasste Staatsmann wurde seines Amtes enthoben und verließ noch am Abend dieses Tages die Stadt, von der aus er europäische Geschichte geschrieben hatte. Er fand im liberalen England Zuflucht. 1851 kehrte er nach Wien zurück, am 11. Juni 1859 starb er im 87. Lebensjahr an Altersschwäche.

Friedrich Weissensteiner, pensionierter Gymnasialdirektor, ist Autor zahlreicher historischer Bücher.

FURCHE, 10. Juni 2009


Grosser Europäer war er sicher keiner, da ihm - wie ja eingehend dargelegt wird - das Verständnis für die Bevölkerung fehlte und er sich und den Adel "absolut" von dieser sah.
In der jüngsten Geschichtsschreibung wird bisweilen versucht, in einer retrospektiven Projektion vieles unter den gegenwärtigen europäischen Wünschbarkeiten zu sehen, wodurch dann sogar Bismarck als Europa - Politiker dargestellt wird, der er als Gründer des nationalstaatlichen zweiten deutschen Reiches niemals war und auch nicht sein wollte. Ein sehr relevanter Beitrag, vor allem auch durch die Erörterung der historiografischen Tendenzen ....

--Glaubauf Karl, Sonntag, 20. Februar 2011, 09:05