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„Optanten“ und „Dableiber“ #

Am 21. Oktober 1939 schlossen Hitler und Mussolini das „Optionsabkommen“, das die Südtirolfrage im Sinne der beiden Diktatoren regelte, aber für die Bewohner des Landes schreckliche Folgen hatte. #


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 22. Oktober 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Reinhard Olt


Mussolini und Hitler mit Gefolge in Rom
Mussolini und Hitler mit Gefolge in Rom.
Foto: Archiv

Nicht allein für Südtiroler ist der 21. Oktober alljährlich als besonders schmerzlicher Gedenktag zu „bewältigen“: An diesem Tag anno 1939 gab der nationalsozialistische deutsche „Führer“ Adolf Hitler seinem faschistischen italienischen Pendant, dem „Duce“ Benito Mussolini, Südtirol preis.

Mit dem damals zwischen Berlin und Rom in Kraft getretenen „Optionsabkommen“ sollte gewährleistet werden, was nach der faschistischen Machtübernahme in Italien 1922 trotz brutaler Entnationalisierungspolitik nicht erreicht worden war, nämlich die „ewige Italianità“ Südtirols. Für dessen Einverleibung hatte Italien 1915 die Seite gewechselt und war gegen den aus Deutschem Reich und Österreich-Ungarn bestehenden „Zweibund“, mit dem es zuvor im „Dreibund“ verbündet war, in den Krieg eingetreten.

Schon in einer seiner weniger bekannten Schriften aus der „Kampfzeit“ – „Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnisproblem“ (erschienen 1926) – hatte Hitler zu erkennen gegeben, dass er die Südtirol-Frage als Hindernis auf dem Weg zur Annäherung an den späteren Achsenpartner betrachtete. Nach dem „Anschluss“ Österreichs am 13. März 1938, womit die Wehrmacht am Brenner stand, zerstreute Hitler anlässlich seines Staatsbesuchs italienische Befürchtungen, wonach eine Rückgliederung Südtirols bevorstehen könnte. Am 7. Mai 1938 erklärte er in Rom: „Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, dass es die von der Natur uns beiden aufgerichtete Alpengrenze immer als eine unantastbare ansieht.“

Geheimes Abkommen #

Diese Erklärung fand in dem am 22. Mai 1939 in Berlin im Beisein Hitlers von den beiden Außenministern Joachim von Ribbentrop und Galeazzo Graf Ciano (Schwiegersohn Mussolinis) unterzeichneten „Stahlpakt“ ihre Bekräftigung. Denn in der Präambel dieses politisch-militärischen Bündnisses zwischen dem Deutschen Reich und Italien hieß es, dass mit den „für immer festgeschriebenen gemeinsamen Grenzen die sichere Grundlage für gegenseitige Hilfe und Unterstützung gegeben“ sei. Um die „ewige Grenze“ auch „volkstumspolitisch“ zu untermauern, handelten Graf Ciano und der „Reichsführer-SS“, Heinrich Himmler, unter strikter Geheimhaltung das Optionsabkommen aus.

Es sah vor, dass sich Deutschsüdtiroler und Ladiner für Italien oder für das Deutsche Reich zu entscheiden hatten: „Optierten“ sie bis 31. Dezember 1939 für die deutsche Staatsbürgerschaft, so war damit die Verpflichtung zur Aussiedlung verbunden; entschieden sie sich für die Beibehaltung der italienischen, somit für den Verbleib in der angestammten Heimat, so taten sie dies freilich in der Gewissheit, keinen Schutz mehr für ihre Volksgruppe in Anspruch nehmen zu können.

Schon im Juni 1939 war der Inhalt des Abkommens in Südtirol bekannt geworden. Daraufhin traten Vertreter des (der Kirche nahestehenden) „Deutschen Verbandes“ (DV) wie Repräsentanten des (NS-nahen) „Völkischen Kampfrings Südtirols“ (VKS) dafür ein, geschlossen für den Verbleib in der Heimat zu stimmen.

Repräsentanten des faschistischen Staates gaben öffentlich zu verstehen, dass die für Italien optierenden Südtiroler nach Sizilien umgesiedelt werden könnten, wo das Regime gerade eine Landreform in Gang gesetzt hatte, um 20.000 neue Bauernstellen zu schaffen. Späteren Erklärungen der italienischen Behörden, wonach Italien-Optanten in Südtirol verbleiben könnten, wurde nicht mehr geglaubt, vor allem, weil eine vom Brixner Fürstbischof Johannes Baptist Geisler geführte Delegation, die bei Mussolini vorsprechen wollte, nicht empfangen worden war. Man sah sich auf Gedeih und Verderb der römischen Willkür ausgeliefert. Daraufhin hatte sich der VKS direkt an Himmler gewandt. Dieser erklärte einer VKS-Abordnung bei einer Begegnung am Tegernsee unverblümt, dass das Deutsche Reich die „Dableiber“ ihrem Schicksal, mithin der unabwendbaren Italianità, überlassen werde.

Der VKS schwenkte nun um und begann, mit deutscher Unterstützung, für eine möglichst geschlossene Option für das Reich zu werben. Kanonikus Michael Gamper und sein Freundeskreis vom DV und dem Andreas Hofer- Bund (AHB) hingegen waren überzeugt, dass man bleiben und auf eine Änderung der Verhältnisse hoffen müsse. Die emotionalen Auseinandersetzungen führten zu einer tiefen Spaltung der Bevölkerung, die durch Dörfer und selbst durch Familien ging, wobei die Optanten als „Heimatverräter“ und die Dableiber als „Volksverräter“ beschimpft wurden. Von den 246.036 dazu Berechtigten optierten 211.799 für die deutsche Staatsbürgerschaft und Aussiedeln, 34.237 votierten für die Beibehaltung der italienischen und Bleiben. Wer ging, ließ alle unbewegliche Habe zurück. Von den Optanten wurden schließlich „nur“ 76.000 ausgesiedelt. In ihre Häuser und Höfe, über deren Wert hastig zusammengestellte Kommissionen befanden, zogen zumeist Süditaliener ein – der ganze Landstrich sollte ja seinen „deutschen Charakter“ verlieren. Krieg und Nachkrieg Der Zweite Weltkrieg verhinderte die vollständige Ausführung der Umsiedlung. Letztlich war die Entscheidung für Gehen oder Bleiben mit der „Operationszone Alpenvorland“ obsolet geworden, zu der Südtirol mit der Besetzung Norditaliens durch deutsche Truppen gehörte, nachdem Mussolini 1943 vom Faschistischen Großrat abgesetzt worden war und in der „Republik von Salò“ als Satrap Hitlers „regierte“.

Nach Kriegsende stieß die Rückkehr der Deutschland-Optanten auf enorme Schwierigkeiten. Es bedurfte trotz des „Pariser Vertrags“ über die (dann bis 1972 von Rom torpedierte) Autonomie Südtirols, der auch die „Revision der Option“ zum Gegenstand hatte, zäher Verhandlungen, den zunächst Staatenlosen, überdies von Rom als Nazis Gebrandmarkten, die italienische Staatsbürgerschaft wieder zuzuerkennen. Die damals geschlagenen, tiefen seelischen Wunden sind auf beiden Seiten erst nach vielen Jahren vernarbt.

Selbst der von Angehörigen beider Lager gegründeten Südtiroler Volkspartei (SVP), an deren Spitze nachmals für gut drei Jahrzehnte Silvius Magnago stand, ein Optant, fiel es nicht leicht, die Kluft allmählich zu überwinden. Kanonikus Michael Gamper gebührt das Verdienst, durch sein leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe und Toleranz die Südtiroler nach Kriegsende wieder zu einer handlungsfähigen Volksgruppe zusammengeführt zu haben. Bis 1952 hatte lediglich ein Drittel aller Ausgesiedelten wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Für lange Zeit auch stellte sich die vermögens- und versicherungsrechtliche sowie die technische Abgeltung von Leistungen für Optanten dem deutsch-italienischen Nachkriegsverhältnis in den Weg. Diese hatten sämtliche Guthaben verloren. Die Ablösesummen für ihre zwischen 1939 und 1941 in Südtirol verlassenen Besitztümer waren auf Sperrkonten ohne Verfügungsberechtigung überwiesen worden. In Österreich, wohin viele Südtiroler gelangt waren, hatte die Geldentwertung die „freien Einlagen“ dahingerafft. Und in Ansiedlungsgebieten wie Böhmen und dem Elsass waren von Optanten erworbene Liegenschaften als „deutsches Eigentum“ entschädigungslos konfisziert worden.

In Südtirol bemühten sich Josef Zingerle, diözesaner Caritasdirektor von Brixen, Rudolf Freiherr Unterrichter von Rechtenthal, Johannes Schauff von der in Genf ansässigen „Internationalen Katholischen Wanderungskommission“, sowie die SVP-Senatoren Karl Tinzl und Karl Mitterdorfer um Rücksiedlungshilfen für Heimkehrwillige aus der Bundesrepublik. Erst Anfang der 1960er Jahre konnten ihre Bemühungen mit finanzieller Hilfe Deutschlands in geordnete Bahnen gelenkt werden. Grundlage dafür war das 14. Deutsche Lastenausgleichsgesetz, welches 1963 auf „Umsiedlungsgeschädigte und Optanten“ angewendet wurde.

In Bozen wurde ein „Berufungsausschuss für Umsiedlungsgeschädigte“ eingerichtet, über den man das Verfahren zur individuellen Entschädigung nach dem deutschen Reparationsschä Reparationsschädengesetz abwickelte, welches in einem 1969 in Kraft getretenen „Abkommen zur Regelung von Kriegsschäden italienischer Staatsangehöriger in der Bundesrepublik Deutschland und deutscher Staatsangehöriger in der Republik Italien“ seine Anwendung fand. Letztendlich mündete es in das deutsch-italienische Rentenabkommen von 1976, in welchem eine über die Abgeltung von Vermögensschäden hinausreichende Zubilligung von Ausfallzeiten sowie Rentenleistungen geboten war.

Gemäß dem deutschen Lastenausgleichsgesetz sind 121,3 Millionen DM bewilligt worden, die Aufwendungen Bonns im Rahmen des Rentenabkommens mit Rom beliefen sich auf 262 Millionen DM. Dreißigtausend Akten hatte der Berufungsausschuss angelegt, mehr als fünfzehntausend Anträge bearbeitet; nahezu zehntausend Begünstigte kamen in den Genuss von Zahlungen.

Anno 1999, mithin 35 Jahre nach seiner Gründung, 60 Jahre nach dem unseligen Optionsabkommen und 53 Jahre nach dem „Pariser Abkommen“, hatte der Berufungsausschuss seine gänzlich ehrenamtliche Tätigkeit beendet.

Damit wurde ein beklemmendes Kapitel der jüngeren deutschitalienischen Geschichte geschlossen, damit war zugleich eine über Jahrzehnte belastende Hypothek auf den Beziehungen zwischen Bonn/Berlin und Rom sowie der beiden Hauptstädte zu Bozen auf langwierige, aber humanitäre und pekuniäre Weise geräuschlos abgetragen worden.

Österreichs Verhalten #

Ein Beteiligter sah sich indes gegenüber den Optanten nicht in der Pflicht, wie der damalige Abschlussbericht des Ausschussvorsitzenden festhielt: „Die Verhandlungen um eine Entschädigung seitens der Republik Österreich für die Einbehaltung von cirka 11.000 Wohnungen, die mit Geldern der Südtiroler Umsiedler, gestützt auf Reichsbürgschaften, noch während des Zweiten Weltkrieges für diese errichtet wurden, führten zu keinem Erfolg.“ Weiter hieß es darin: „Es wäre sicherlich opportun, wenn die CABank Innsbruck noch alle Konten der Optanten nach dem Vorbild der Schweizer Banken offenlegen würde.“ Durch jahrhundertealte Bande historisch legitimiert und mit der Jurisdiktion zweier UN-Deklarationen im Rücken gibt sich Wien zwar stets zurecht als „Schutzmacht“ der Südtiroler aus. Wo es der „Schutzmacht“ aber gut angestanden hätte, zusammen mit Deutschland Rückgrat zu zeigen, da zog sich die Republik Österreich in bewährter Weise auf den von ihr vertretenen, quasi staatsdoktrinären Standpunkt von der „Nichtexistenz als Völkerrechtssubjekt zwischen 1938 und 1945“ zurück – er kostet(e) nichts.

Reinhard Olt, geboren 1952, war Korrespondent der „FAZ“ in Wien, wo er nach seinem Ausscheiden verblieb. Seitdem lehrt er an österreichischen und ungarischen Hochschulen.

Wiener Zeitung, Samstag, 22. Oktober 2016