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Das Staatsarchiv in neuen Händen#

Kaum hatte der neue Generaldirektor Helmut Wohnout übernommen, musste das Archiv wegen der Pandemie schließen. Der Experte für Ideologiegeschichte im Gespräch.#


Von der Wiener Zeitung (11. April 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Hans Haider


Seit November 2019 Herr über das Staatsarchiv: Helmut Wohnout.
Seit November 2019 Herr über das Staatsarchiv: Helmut Wohnout.
Foto: © Andreas Riedmann

Im Staatsarchiv in Erdberg herrscht angemessene Stille. Pietätvoll werden hier Akten und Papiere eingeschlichtet, umgebettet, ausgegraben. Seit aufgrund der Pandemie der Lesesaal gesperrt wurde, ist es stiller als still. Im letzten November zog hier Helmut Wohnout, vormals Ministerialrat im Bundeskanzleramt, seit 2011 habilitierter Dozent der Geschichtswissenschaft, als Generaldirektor ein. Erste Frage in seinem Büro, im Zweimeterabstand: Wann wird wieder aufgesperrt? "Wir alle erhoffen den Tag sehnsüchtig. Archivare tun sich schwer im Homeoffice." Eine Wiedereröffnung in Raten?

"Wir haben Sicherheitsszenarien durchgespielt für die Forschenden wie für das Personal." Die Nationalbibliothek mailt Arbeitshungrigen trotz Schließung Scans ins Haus. Auch für das Staatsarchiv denkbar? "Ein Aktenbestand ist nicht so kommod wie ein Buch zu handzuhaben. Wenn aber die Situation länger anhält, wollen wir in dringenden Fällen entgegenkommen." Zur Freude der Benützer schaffte er gleich nach Antritt ein Ärgernis ab: Der Freitag ist nun kein Schließtag mehr.

Sein Vorgänger Wolfgang Maderthaner leitete seit 1983 den SPÖ-nahen "Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung". Helmut Wohnout stand 27 Jahre lang an der Spitze des ÖVP-nahen Karl-von-Vogelsang-Instituts - Wikipedia nennt den 1890 verstorbenen Freiherrn "einen Wegbereiter der Arbeiterbewegung in Österreich". Wohnout betont "die sehr lange Kollegenschaft und gute Zusammenarbeit mit Maderthaner. Unsere große Schnittmenge findet sich in der Geschichte der sozialen Bewegungen in Österreich. Karl von Vogelsang war ein bedeutender Sozialreformer und Meinungsbildner. Dank seiner politischen Kontakte hatte er einen maßgeblichen Anteil in der Sozialgesetzgebung in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Mit seinen Schriften wurde er zum Wegbereiter eines aus dem christlichen Selbstverständnis definierten sozialen Ausgleichs mit der Arbeiterschaft." Scherzhaft-ironisch stellte sich Wohnout früher einmal vor Studenten als "Nebenerwerbswissenschaftler" vor.

"Dabei ist die Geschichtswissenschaft mein erlernter Beruf. Aufgrund verschiedener Umstände bin ich in der staatlichen Verwaltung gelandet - acht Jahre im Parlament und dann zwei Jahrzehnte im Bundeskanzleramt. Ich behielt aber stets den Kontakt zur Scientific Community. 2011 konnte ich mich habilitieren." Er forscht seit Jahrzehnten zur Parteien- und Ideologiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert in Europa, unter anderem zu den kontroversen Jahren 1933/34 bis 1938. "Ende der achtziger Jahre, als ich begann, wurde noch recht dogmatisch auf der einen Seite der Begriff des ,Christlichen Ständestaates‘ und auf der anderen der des ,Austrofaschismus‘ verwendet. Ich prägte dagegen den Begriff der ,Regierungsdiktatur‘ zur Charakterisierung des damaligen autoritären Regimes und spitzte ihn später auf den Begriff ,Kanzlerdiktatur‘ zu."

Eigenständige Nation#

Wohnout visualisierte vor bald zwanzig Jahren einprägsam die Auseinandersetzungen der Christlichsozialen, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten in der Ersten Republik in einem gleichschenkeligen Dreieck, wo von jedem Eck aus die beiden anderen Parteien bekämpft wurden. Gemeinsam mit dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) ermittelte das Vogelsang-Institut die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in Österreich 1933 bis 1938, und dokumentierte die politisch Verfolgten nach 1938 (Datenbank beim DÖW im Netz). Das erste Projekt wurde Grundlage der vor wenigen Monaten erschienenen Monographie von Georg Kastner "Gruß aus Hitler-Deutschland. Der NS-Terror in Österreich".

In Hinblick auf das bevorstehende Jubiläum "75 Jahre Zweite Republik" will Wohnout besonders auf den Paradigmenwechsel 1945 hinweisen. "Karl Renner, Adolf Schärf, Leopold Figl, Felix Hurdes, Julius Raab - sie alle hatten den Willen zum Neubeginn auf einer demokratischen Grundlage trotz ihrer politischen Vergangenheit vor 1938; sie waren durch das Purgatorium der NS-Herrschaft gegangen, zum Teil als politische Gefangene. Auf diesem Fundament konnte dann die Zweite Republik errichtet werden."

Ein anderer Aspekt von Wohnouts Historikertätigkeit betrifft frühe Konzepte einer eigenständigen österreichischen Nation nach 1918. Er erinnert an Männer, "die am Rande der politischen Spektren gegen den großen Mainstream des gesamtdeutschen Denkens und einer diffusen deutschnationalen Reichsromantik in der Zwischenkriegszeit einen Akzent österreichischer Identität gesetzt haben." Und nennt Gruppen, die ganz links standen wie die um den Kommunisten Alfred Klaar. Noch näher hat er sich mit jenen "am anderen Ende des politischen Spektrums" befasst, etwa mit Ernst Karl Winter, Alfred Missong oder auch Hans Karl Zeßner-Spitzenberg, der schon im August 1938 im KZ Dachau zu Tode kam.

Helmut Wohnout hätte ungleich größere Chancen als seine Vorgänger im Staatsarchiv, sich selbst in politischen Akten wiederzufinden. Er diente seit dem Jahr 2000 dem Kunststaatssekretär Franz Morak als Kabinettschef und leitete 2006/2007 die Kunstsektion. "Ich glaube, dass es ein Vorteil ist, dass ich beide Welten recht gut kenne: die Welt der Verwaltung und die Welt der Wissenschaft." In ihn selbst betreffende Akten würde er aber nicht hineinsehen.

Was blieb von den fünf Jahren des Burgschauspielers Morak, des ersten Künstlers in der Regierung? Bekannt sind das Künstlersozialversicherungsgesetz und die Stiftung des Ernst-Jandl-Lyrikpreises. Wohnout ergänzt "die Buchpreisbindung, die auch vor der EU-Kommission gehalten hat, steuerliche Begünstigungen für Kunstschaffende oder das Gironcoli-Museum".

Nach dem Ende der Regierungskoalition vor einem Jahr kochte eine Debatte über die Ablieferung von Regierungsakten ans Staatsarchiv wieder hoch. Kreisky hatte 1983 einen Lastwagen voll in Parteiobhut gebracht. Kamen die Kabinettsakten von Bundeskanzlerin Bierlein schon im Staatsarchiv an? "Ja, so wie es das seit 1999 geltende Bundesarchivgesetz vorsieht: in versiegelter Form. Sie werden 30 Jahre aufbewahrt und sind nur für Regierungsmitglieder zugänglich."

Wiener Zeitung, 28. April 2020


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