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VERSICHERUNGSGESCHICHTE – LUXUS ODER NUTZEN FÜR DIE BRANCHE? #

von Dr. Wolfgang Rohrbach

Österreich ist das einzige Land der Welt mit einer komplett dokumentierten Versicherungsgeschichte, von den antiken Vorläufern bis zur Gegenwart. Über 200 Führungskräfte der Branche und dieser nahestehende Wissenschaftler, Journalisten und Funktionäre haben in 20-jähriger Arbeit mitgewirkt, die 9 bändige (über 10.000 Seiten umfassende) "Versicherungsgeschichte Österreichs" zu schaffen.

Auch serbische Autor(inn)en haben Beiträge geliefert (Prof. Dejan Medaković, Prof. Jovan Slavnić, Vitomir Perić, Prof. Zdravko Petrović, Jasmina Lechleitner usw). Für nächstes Jahr ist die Herausgabe des 1. Bandes einer Versicherungsgeschichte Serbiens geplant. Hinter solchen Projekten steckt mehr als bloß luxuriöses Interesse, wie der folgende Beitrag zeigt.

Eine häufig, insbesondere in Krisenzeiten, an Historiker gerichtete Frage lautet: Kann man aus Geschichte etwas lernen? Die Antworten darauf sind vielfältig und kontraversiell. Zunächst kommt es darauf an, welches historische Material zur Verfügung steht, welche wirtschaftspolitische Strategien "damals", also z.B. in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 im Vergleich zur Weltfinankrise 2008 angewandt wurden. Ob die damals gemachten Fehler heute -nach Einschätzung der gegenwärtigen gesetzlichen und wirtschaftlichen Grundlagen vermeidbar sind.

Damals bestand die Meinung , man könne die Krise durchtauchen, der Markt werde sich selbst helfen. Mit anderen Worten war nicht (hinreichend) bekannt, dass Korrekturen an der Finanzwirtschaft nicht automatisch positive Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben müssen. Deshalb wurde strikte Budgetdisziplin eingehalten und Deflationspoltik betrieben. Die Währung war zwar superstabil, aber grosse Teile der Bevölkerung konnten kaum mehr als Grundnahrungsmittel kaufen. Dadurch bedingt gingen noch mehr Betriebe zugrunde und die Arbeitslosenrate stieg weiter. Aber auch bei jenen, die noch Geld besaßen, wurde statt eines bedarfsgerechten Konsums das Angstsparen praktiziert, wodurch der Warenabsatz weiter ins Stocken geriet. Damit wurden auch immer mehr Versicherungsverträge (für Transporte, Gewerbebetriebe etc.) storniert. Um die Warenlager einigermaßen leer zu bekommen, boten die Unternehmer ihre Produkte mit immer geringeren Gewinnspannen, zuletzt sogar unter den Selbstkosten an. Obwohl alles billiger wurde, glich die Situation einem Albtraum. Das Steuraufkommen des Staates schrumpfte wöchentlich. Oft völlig neu feurversicherte Häuser wurden durch gedungene "Helfer" in Brand gesteckt, um mit der ausbezahlten Versicherungssumme wieder Maurer, Zimmerleute, Tischler usw im Zuge des Wiederaufbaus beschäftigen zu können.

Heute versucht man durch niedrige Zinsen die Liquidität anzukurbeln und Investitionen zu erleichtern. Manche Staaten gehen sogar bewusst höhere Defizite ein, um massiv in konjunkturstützende Programme zu investieren. Der WIFO-Eperte Stephan Schulmeister kommentiert diese Vorgangsweise wie folgt (siehe Michael Bachner, "Einlagensicherung für Häuselbauer nötig" in: Kurier v. 1.11.08, S 15): " Wenn der Staat ein höheres Defizit zulässt, fährt das Werkel nicht so stark in den Keller und der Staat hat am Ende ein geringeres Defizit." Das sind nur zwei von vielen Beispielen ,wie Ökonomen ihre Schlussfolgerungen aus vergangenen Ereignissen ziehen bzw. das historische Material auswerten, um Wiederholungen ökonomischer Fehler zu verhindern.

Im Zusammenhang mit der Branchengeschichte wie z.B. der Versicherungsgeschichte ist, wie aus den Beispielen ersichtlich, also auch die Art der Vernetzung mit anderen Wirtschaftsbereichen entscheidend. Also etwa die Art und Intensität der Partnerschaften zwischen Versicherern und Banken, Assekuranz und Politik etc. zu untersuchen. Mit anderen Worten reicht es nicht aus, in einer versicherungshistorischen Abhandlung nur rein Branchen bezogene Strukturen zu beleuchten, ohne Seitenblick auf sichere und ertragreiche Kapitalveranlagung der Assekuranz im Bankensektor, steuerliche Begünstigungen usw... Denn die besten Wirtschaftstheorien helfen nichts, solange der Gesetzgeber nicht entsprechende Rahmenbedingungen schafft, die gesunde Partnerschaften forcieren.

In den USA hat in der jüngsten Vergangenheit der Staat genau diese Aufgaben nicht erfüllt, mit anderen Worten aus der Geschichte (Krise 1929) nichts gelernt und so entscheidend zum Crash mit Wiederholung vieler alter Fehler beigetragen.

VERSICHERUNGSGESCHICHTE - MEHR ALS EINE HISTORISCHE SUBDISZIPLIN#

Versicherungsgeschichte nimmt in zweifacher Weise eine Sonderstellung ein. Sie ist nämlich einerseits ein Teil der Versicherungswissenschaft und andererseits ein Teil der Geschichtswissenschaft.

Die Versicherungswissenschaft selbst ist eine Sammelwissenschaft, die mit sehr unterschiedlichen Methoden Erkenntnisse, also Wissen, über das Phänomen der Versicherung zu gewinnen sucht. Sie gliedert sich in:
- Versicherungswirtschaft
- Versicherungsrecht
- Versicherungsmathematik
- Versicherungsmedizin (Risikobeurteilung in der Personenversicherung aufgrund des Verlaufes bestimmter Krankheiten
- Versicherungsingenieur, wissenschaft (Beurteilung von Risiken auf Basis der techn. Entwicklung und den Schadenverhütungsmöglichkeiten)
- Versicherungspolitik (Art und Intensität der staatl. Einflussnahme auf die Assekuranz)
- Versicherungskriminalität

Die Vielfalt der Untersuchungsmethoden ergibt sich schon aus dem breiten Fächer der Subdisziplinen. Aber auch die Geschichtswissenschaft weist heute eine weitgehehende und z.T. sehr unterschiedliche Gliederung der Methoden auf. So sind wirtschafts-, sozial-und/oder rechts-historische Abhandlungen unter jeweils anderen Kriterien zu erstellen als etwa unternehmens- oder alltagsschichtliche Expertisen. Österreich darf sich rühmen, die Versicherugsgeschichte als eigene historische Subdisziplin "salonfähig" gemacht zu haben (Gutachten des deutschen Assekuranzexperten Prof. Dr Peter Koch über die "Versicherungsgeschichte Österreichs").

Lange Zeit war Versicherungsgeschichte, vereinfacht ausgedrückt, ident mit der Beschreibung von Unternehmensgründern, glorifizierten Leistungen der Generaldirektoren und vor Selbstlob "triefenden" Darstellungen über "zufriedenstellende" Prämienentwicklung. Kriegs und Krisenzeiten wurden mit Stehsätzen "Und dann kamen schwere Zeiten...." umgangen. Kein Wunder, dass Kritiker wie z.B. der Essayist Michael Scharang negierten, dass aus der Geschichte Lehren gezogen werden. Und überdies feststellten: "Wer solcherart die Gegenwart verrammelt, blockiert seine Erfahrung und sein Denken... Und nur Kraft eines zureichenden Verständnisses der Gegenwart lässt sich hinreichend über Vergangenes mutmaßen und über Zukünftiges rätseln." (Vgl. Einleitung zu Band 6 der "Versicherungsgeschichte Österreichs", Wien 2000).

ZUKUNFT GESTALTEN OHNE AUFARBEITUNG DER GESCHICHTE?#

Ist es also Zeit, die Vergangenheit endlich abzuhaken und sich der Zukunft zuzuwenden? Derartige Fragen beruhen auf einem Denkfehler. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nicht voneinander zu trennen. Im Gegenteil: Sie machen in ihrer Dreidimensionalität erst die Realität aus. Gegenwart und Zukunft meistern kann also nur, wer mit wissenschaftlichen Methoden "sine ira et studio" die Vergangenheit bewältigt und die Geschichte aufgearbeitet hat. Die Bewältigungsaufgabe ist in manchen Bereichen Österreichs nicht oder erst sehr spät abgeschlossen worden. Dazu ein Beispiel: Erst 53 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges setzte die Bundesregierung eine internationale Historiker-kommission ein, die altes Unrecht an NS-Opfern gutmachen sollte. Die österreichische Versicherungswirtschaft engagierte sich hier übrigens in beispielgebender Weise. Andere, die dies nicht taten, mussten erkennen, dass unbewältigte Geschichte einen verfolgt und einholt. Nicht selten muss dann teures "Lehrgeld" für die aggressive Ignoranz gegenüber der unbewältigten Geschichte bezahlt werden.

Die populäre Forderung, der Geschichte mit einem Schlussstrich zuleibe zu rücken, negiert den Umstand, dass die menschliche Zivilisation aus der Summe ihrer Erkenntnisse und Erfahrungen besteht. Es käme einer Kappung der eigenen Wurzeln gleich, wollte man auch schmerzhafte Erinnerungen aud dem kollektiven Gewissen streichen. Verdrängung führt zu Neurosen!

Diese Feststellung gilt nicht nur für Einzelindividuen, sondern auch für das Kollektiv. Die Verdrängung der Geschichte ist als Zukunftsstrategie für ein neues und sicheres Europa ungeeignet. Für die Versicherungswirtschaft, die eine extrem historisch orientierte Branche darstellt, gelten diese Feststellungen in besonderer Weise.

Wer sich die Mühe macht, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit Assekuranz in der Donaumonarchie erschienenen Gesetzestexte zu durchforsten, wird unschwer feststellen, dass jedes grobe Fehlverhalten eines Versicherers mit Wiederholungs-gefahr Anlass für neue oder reformierte Versicherungsgesetze war.

Die liberale Ära des 19. Jahrhunderts endete in der Donaumonarchie mit dem Börsenkrach von 1873. Damals gingen in Österreich rund 20 Versicherungsunternehmen zugrunde, weil sie sämtliche Prämienreserven in angeblich äusserst gewinnträchtige Aktien veranlagt hatten, deren Kurse 1873 ins Bodenlose fielen. Der Staat hatte in der liberalen Ära, die Rolle eines Nachtwächters eingenommen, der alles dem sich selbst regulierenden Markt überliess. Als Folge der Krise von 1873, die auch das Ende des Liberalismus in der Donaumonarchie brachte, entwickelte sich in Österreich die materielle Staatsaufsicht von Versicherungsunternehmen. Von der Gründung, über Produkt und Preisgestaltung bis zur Veranlagungspolitik wurde jede Maßnahme der Versicherungsunternehmen ab nun scharf reglementiert und kontrolliert. Österreich war im ausgehenden 19. Jahrhundert eine "Versicherungsweltmacht". Die Unternehmen und ihre Leiter genossen hohes internationales Ansehen. Wenn in den strengen, Deckungsstockbestimmungen des österreichischen Versicherungsaufsichts-gesetzes bzw. seiner Vorläufer, der sog. Versicherungsregulative seit dem ausgehenden 19. Jh der allzu starken Kapitalveranlagung in Aktien immer wieder ein Riegel vorgeschoben wurde, und allen Unkenrufen zum Trotz, immer wieder eine massvolle Veranlagung in Immobilien (in guter Lage) verordnet wurde, waren dies gelernte historische Hausaufgaben.

Oft zeigte sich die Richtigkeit der Maßsnahmen erst Jahrzehnte später. Ohne ihre noch in der Kaiserzeit entstandenen prunkvollen Bürogebaude und Wohnhäuser in den Landeshauptstädten wäre die österreichische Versicherungswirtschaft in der Zeit der großen Inflation nach Zerfall der Donaumonarchie (1918-1922) am Ende gewesen. Durch Verkauf oder Vermietung der Versicherungsimmobilien gegen stabile ausländische Währung oder Gold konnten Zehntausenden Leibrentnern mit (im Vergleich zu den durch die Inflation völlig entwerteten Sparguthaben) nur zum Teil abgewerteten Privatpensionen ein Überleben gesichert werden.

Übrigens liegen die Ursachen für die Finanzkrise 2008, welche das Ende des Neoliberalismus einleitet, keinesfalls in der Investition in Immobilien, sondern wie Stefan Janny im Artikel "Die Immobilien-Scharlatane" (in:Wiener Zeitung v. 25. Oktober 2008, S 25) festellt, gibt es andere Gründe: "Die Ursache für die vielfach beträchtlichen Vermögensverluste, von denen, gerade auch risikoaverse Anleger nun getroffen wurden, ist vielmehr im Umstand zu suchen, dass eben keine Immobilien gekauft, sondern Aktien oder Zertifikate von Immobilien-gesellschaften erworben wurden. Und manche (wenn auch nicht alle) dieser Gesellschaften betrieben eine überaus fragwürdige Geschäftspolitik, die nun auch Gegenstand staats-anwaltlicher oder aufsichtsbehördlicher Ermittlungen ist."

Diesen Ignoranten der Geschichte, stellt diese nun ihr "Zeugnis" aus: Wer heute geringes Risiko verspricht und gleichzeitig hohe gesicherte Wertsteigerungen in Aussicht stellt, ist ein Scharlatan. Gerade in Österreich gab es vor 1936 ein markantes und für alle Zukunft lehrreiches Beispiel des Irrweges einer Lebensversicherungsgesellschaft. Der sog. "Phönix-Krach" von 1936 war ein (gewiss tragischer) Einzelfall., der aber so ziemlich alle Lücken im damaligen Aufsichtsgesetz zeigte, die das (Negativ)Genie, der Phönix-Direktor Dr Wilhelm Berliner, für seine Spekulationen genutzt hatte.

Österreich besaß in der Ersten Republik ein Fülle weltberühmter Versicherungs-wissenschaftler (Ehrenzweig, Leimdörfer, Schlesinger usw). Von ihnen wurde ein "Gesetze-spanzer" geschaffen, der eine Wiederholung eines solchen Skandals in Österreich unmöglich macht.

Neben Versicherungsjuristen wurden immer mehr auch die auf versicherungs-mathematische Probleme spezialisierten Absolventen der Technischen Hochschule, die Aktuare, zu Sicherheitsgaranten der Branche. Versicherungsmathematiker untersuchen nämlich vorwiegend an Hand historisch- statistischer Unterlagen die Schaden und Leistungsfälle der Vergangenheit. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsmathematik werden dann die. Versicherungsprämien der nächsten Zukunft samt den erforderlichen versicherungstechnischen Rückstellungen kalkuliert, indem auf Basis der Erfahrungen aus der Vergangenheit Prognosen über die zu erwartenden Schäden bzw. Leistungen in der Zukunft erstellt werden. Die österreichische. Versicherungswirtschaft hat ihr Sicherungssystem über viele Jahrzehnte kostant weiterentwickelt. Seit dem Jahr 1936 (Niedergang der LV-Gesellschaft Phönix) geriet keine Versicherungsgesellschaft Österreichs mehr in Bedrängnis.

Und so ist dem Direktor des Österreichischen Versicherungsverbandes (VVO), Dr Louis Norman-Audenhove, beizupflichten, wenn er den österreichischen Gesetzgeber lobt (L. Norman-Audenhove, "Sichere Versicherungen-auch in Krisenzeiten", in: Versicherungsrundschau/Zeitschrift für das Versicherungswesen 10/08, S 3): "Generell zählt die Versicherungswirtschaft zu den am stärksten regulierten Wirtschaftszweigen innerhalb der Europäischen Union. Österreich hat im Vergleich mit anderen Ländern der EU besonders strenge Vorschriften für Eigenmittel, Kapitalanlagen und Rechnungslegung der Versicherungs-unternehmen und verfügt über ein seit vielen Jahrzehnten bewährtes internes Sicherungssystem, das gemeinsam von Versicherungswirtschaft und Aufsicht betrieben wird."

Somit dürften sowohl die alten als auch modernen Lehrer und Philosophen, die den Nutzen der Geschichte beton(t)en, doch recht haben. Der altchinesische Philisoph Konfuzius meinte: "Erzähle mir deine Vergangenheit und ich werde dir die Zukunft deuten." Die Humanisten der Frühneuzeit verkündeten: "Historia magistra vitä" (Geschichte ist die Lehrmeisterin des Lebens). Und Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts gab Erich von Däniken sein erstes Buch mit dem Titel "Erinnerungen an die Zukunft" heraus.

Der Wirtschaftshistoriker Herbert Matis, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, stellte kürzlich in einem Interview (Hermann Sileitsch, "Die Zwillinge Staat und Kapitalismus" /Interview mit Herbert Matis in d. Wiener Zeitung vom 31.10.08 S 28) fest: "Es gibt Parallelen bei jeder Wirtschaftskrise. Überproduktion und überbewertete Aktien, Spekulation, Börsenkrach. Der Ausdruck "Krach" ging übrigens 1873 von Wien aus und wurde in andere Sprachen übernommen. Meist folgen dann ein Durchschlagen der Krise auf die Realwirtschaft, Konjunkturabschwung, geringerer Welthandel und am Ende droht Massenarbeitslosigkeit."

WIEDERHOLT SICH GESCHICHTE?#

Mit der Geschichte verhält es sich ähnlich wie mit dem Schachspiel. Wenngleich jedes Spiel für sich einzigartig ist, gibt es doch immer wieder aus der Erfahrung (Vergangenheit) abgeleitete Figurenkombinationen und Spielzüge, die Gefahren ausschalten oder mildern. Auch lassen sich bei bestimmten Konstellationen, die nächsten Züge des Partners ziemlich genau vorhersagen, ohne dass man deswegen gleich ein Prophet sein muss.

Das gilt auch für die Wirtschaft in ihrer gesellschaftspolitischen Vernetzung. So rief der em. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien, Erich W. Streissler, kürzlich ökonomische Binsenweisheiten der Geschichte in Erinnerung, die gerne verdrängt werden (E. Streissler, "Konsumieren wie verrückt" in: Wiener Zeitung vom 31.10.08/Beil. "extra". S 1 u 4): Höhere Einkommen für alle sind nur bei gleichmäßigem Wirtschaftswachstum möglich. Dementsprechend können Spekulationsgewinne, also Gewinne aufgrund von erwarteten Ertragssteigerungen in der Zukunft, nur dann allgemein resultieren, wenn es nennenswertes Wirtschaftswachstum gibt. Ist jedoch die Steigerung des Sozialprodukts pro Kopf nur gering oder gar nicht vorhanden, dann führt Spekulation lediglich zur Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Ja es kann sogar vorkommen, dass bei Spekulationshysterien, so gut wie alle verlieren. Wenn sich also Geschichte im Detail auch nicht wiederholt, gibt es doch immer wiederkehrende Regeln und Abfolgen. Jürgen Kocka beschreibt (in seinem Aufsatz "Gesellschaftliche Funktionen der Geschichtswissenschaft").

Fünf Gedanken: #

1. Historische Erkenntnis ist nicht wegzudenken für das Verständnis einzelner Gegen-wartserscheinungen, indem sie deren Ursachen und Entwicklungen aufdeckt.

2. Historische Erinnerung dient auch der Legitimation bestehender sozialer und politischer Herrschaftsverhältnisse, bei der Rechtfertigung politischer Entscheidungen, bei der Abwehr von Kritik und bei der Begründung von Protest.

3. Indem die Geschichtswissenschaft die soziale und politische Gegenwart in ihrem Gewordensein und damit in ihrer Wandlungsfähigkeit zeigt, kann sie dazu beitragen, eine Haltung zu erzeugen, die die Wirklichkeit nicht in ihrer scheinbaren Notwendigkeit akzeptiert, sondern auf dem Hintergrund ihrer genutzten und versäumten, vergangenen und vielleicht noch bestehenden Möglichkeiten begreift.

4. Geschichte schafft Identität. Durch Konfrontation mit dem frappierend Anderen und Erklärung gegenwärtiger Phänomene aus ihren historischen Ursachen kann die Geschichte zur Orientierung von Individün und Gruppen in ihrer Gegenwart beitragen.

5. Schließlich kann Geschichte auch Gegenstand der Unterhaltung und des Vergnügens sein. Es gibt dümmere, schädlichere und unangenehmere Weisen, seine freie Zeit zu verbringen, als mit der Lektüre eines historischen Buches, selbst wenn dies der reinen Unterhaltung dient.

ANATOMIE DER WELTFINANZKRISE 2008#

Die gegenwärtige Finanzkrise, von der zahlreiche historisch versierte Wirtschafts-Experten behaupten, dass sie die größte seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre (des 20.Jhdts) sei, hat ihre Wurzeln in den USA. In der Euphorie des "Sieges des Kapitalismus und im Hochmut der offenbar einzigen Weltmacht, in dem daraus vielleicht erklärlichen Eifer, das Erfolgsmodell auf die ganze Welt auszudehnen, dem viele Politiker, viele Publizisten und Prediger und nicht wenige Ökonomen erlagen." (Helmut Kramer, Herbst des Kapitals, Die Presse/Spectrum v. 4.10.08, S 2) Die Überlegenheit der amerikanischen Marktwirtschaft wurde am steigenden Kurs-Gewinn-Verhältnis des Standard + Poors-Aktienindex gemessen. Der vermeintlich grenzenlose Boom, technisch möglich gemacht von den Potentialen der neuen Kommunikationswelten mit hoher Produktivität und geringer Inflation, verleitete dazu.

Dieser Illusion unterlag auch die amerikanische Notenbank, die Fed (Federal Reserve System) unter der Führung "des begnadeten Magiers Alan Greenspan. Sie verantwortete jedenfalls ab Mitte der Neuzigerjahre, die unorthodoxe Zufuhr von viel heisser Luft in eine monetäre Blase (bubble)"(H. Kramer a.a.O) und auf der anderen Seite erlagen Banken und andere Finanzinstitute (so auch der amerikanische AIG-Versicherungskonzern) der Versuchung, absurd hohe Renditen einfahren zu wollen, indem sie das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital(leverage) immer weiter streckten, stellenweise bis auf 40:1. Die Fed legte in der Greenspan-Ära das Fundament für den gegenwärtigen Crash, parallel zur Lockerung der Regeln und Sitten durch die amerikanische Finanzmarktaufsicht (SEC).

AGGRESSIVE US-IGNORANZ GEGENÜBER WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT UND GESCHICHTE#

Die Finanzkrise ist in ihrem Ausmaß zwar beängstigend - ungewöhnlich ist sie nicht. Der Blick auf frühere Bankenzusammenbrüche kann helfen, einen Weg aus der Misere zu finden. (Aus einem Kommentar von Nikolaus Piper, Deutschland Okt. 08).

Seit Beginn des 20. Jhdts hat es spektakuläre Bankpleiten gegeben: 1907 in den USA, 1990 in Schweden und in Japan, 1994 in Mexiko, 2001 in der Türkei. Ein Sonderfall ist die Bankenkrise von 1931. Sie war die erste globale Krise ihrer Art, und sie führte wegen politischer Fehler in die Katastrophe. Ökonomen wie Paul Krugmann und Joseph Stiglitz warnten schon 1997, die weltgrösste Volkswirtschaft könne nicht uferlos auf Pump von der übrigen Welt leben.

Gier und Überheblichkeit kennzeichnen die Krise an den Finanzmärkten - heute wie damals. Dabei gibt es erschreckende Parallelen: All das war schon einmal da - vor knapp 80 Jahren. (Aus einem Kommentar von Ulrich Schäfer, Händler an der Wall Street /Okt. 2008).

Wer wissen will, wie schlimm die Finanzkrise werden kann, sollte bei John Kenneth Galbraith nachschlagen. Der amerikanische Ökonom schrieb vor fünf Jahrzehnten ein Buch mit dem Titel "Der große Crash". Auf 205 Seiten zeichnet Galbraith nach, wie die USA - und mit ihnen der Rest der Welt - 1929 in die Weltwirtschaftskrise taumelten. Er erzählt eine Geschichte der Gier, des Überschwangs und der Überheblichkeit. Niemand sah die Gefahren, niemand sorgte sich, dass das ganze Finanzgebilde zusammen-brechen könnte. Alle glaubten, dass das amerikanische Wirtschaftsmodell nahezu perfekt ist.

So verhielt es sich auch bis zum 14. September 2008, als das Beben an der Wall Street begann. Heute wie damals glaubten die Amerikaner, sie seien in ein neues Zeitalter vorgestoßen, in eine Phase des immerwährenden Wohlstands. 1929 begeisterten sie sich für das Automobil, das Radio, das Flugzeug, die Fließband-Produktion. Die neün gefährlichen Produkte wurden entsprechend (dh. nach neün Kriterien) versichert. Viele begeisterten sich für die Börse und steckten ihr Geld in undurchsichtige Fonds. Einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler der USA, Irving Fisher, versicherte noch wenige Tage vor dem großen Crash, die Aktienkurse hätten "ein dauerhaft hohes Niveau erreicht". Auch vor dem damaligen Crash gab es einen Immobilienboom in den USA. Der Wert von Häusern und Grundstücken stieg kräftig, ehe die Preise von 1925 an abrutschten. Der Absturz am Immobilienmarkt war nur der Auftakt zur eigentlichen Krise. Zudem wurde Amerika von einem Präsidenten geführt, der die Realität verdrängte - so wie dies auch in jüngster Vergangenheit der Fall war. Herbert Hoover verkündete damals, was auch von George W. Bush stammen könnte: "Wir sind dem endgültigen Sieg über die Armut heute näher als je zuvor in unserer Geschichte." Natürlich gibt es Unterschiede zwischen 1929 und 2008. Vor allem einen: Politiker wie Ökonomen behaupten, sie seien heute schlauer. Regierung, Notenbanken und Wissenschaftler wüssten, was damals schiefgelaufen sei, sie hätten gelernt, und deshalb würden sie die Fehler nicht wiederholen. Das mag ja sein. Aber auch die Handelnden heute haben gravierende Fehler gemacht. Teils die gleichen wie damals, teils andere. Diese Fehler haben in die jetzige Krise geführt.

ENTSCHEIDENDE FEHLER IN DER KRISE 2008#

Amerikaner haben über Jahrzehnte hinweg auf Pump gelebt. Sie haben sich nicht darum geschert, ob sie ihre Schulden noch bezahlen können, sondern haben darauf vertraut, dass die ganze Welt ihr Leben (und auch die Exzesse an den Kapitalmärkten) auf Dauer finanziert. Mit ihrer Maßlosigkeit haben die USA den Rest der Welt als Geisel genommen. China, Japan und andere asiatische Länder, teilweise auch die EU , die Ölexporteure und Brasilien waren bis vor Kurzem im Interesse ihrer Exporte und des Werterhalts ihrer riesigen Dollarguthaben unerschütterlich bereit, die immer stärker defizitäre Leistungsbilanz Amerikas klaglos und zu niedrigen Zinsen zu finanzieren.

Diese Schuldenwirtschaft bricht nun zusammen. Keinlaut räumt Bush ein, dass Amerikas ganze Wirtschaft in Gefahr sei. Leider bekommt auch Europa seinen Teil ab. Die EU hat zwar eine Zentralbank, aber leider keine zentrale Finanzmarktaufsicht "mit Biss". Die teure Lehre aus der jüngsten Geschichte lautet: Auch Europa braucht dringend eine schlagkräftigere gemeinsame Wirtschaftspolitik mit strengerer Regulierung als bisher.

Der zweite Fehler. Schwache US- Aufsichtsbehörden, die wahnwitzige Exzesse zuliessen. Renditenmaximierung ohne Nebenbedingungen. Kaltschnäuzigkeit von CEOs und jugendlich unerfahrenen Tradern. Hasard auf Kosten redlicher Menschen. Wenige Leute ausserhalb der Finanzindustrie haben je verstanden, wie komplexe Derivate wirken. Und nun stellt sich heraus, dass auch nur wenige Insider sie wirklich durchschauten, Nicht nur die amtliche US-Aufsicht versagte, sondern auch die Rating-Agenturen, Wirtschaftsprüfer und Regierungsberater.

Viel Geschäft wurde aus den Bilanzen der traditionellen Geschäftsbanken ausgelagert und damit der Finanzmarktaufsicht entzogen. An dem Spiel beteiligten sich nicht nur die jetzt untergegangenen Investmentbanken, sondern auch Kreationen europäischer Banken und Zweckgründungen für den Handel. mit Zertifikaten, Futures, Derivaten auf Zertifikate und Hedge-Fonds nicht zu vergessen.

Der dritte Fehler: Die Amerikaner haben darauf vertraut, dass sich Geld beliebig vermehren lässt. Die Notenbank hat die Wirtschaft viel zu lange mit billigem Geld versorgt. Hypothekenbanken haben die Milliarden genutzt, um mittellosen Amerikanern einen Immobilienkredit aufzuschwatzen. Investmentbanken und Hedgefonds haben das billige Geld in ihre komplexen Finanzinstrumente gesteckt, die gefährlicher sind als alles, was es 1929 gab. Die Amerikaner haben sich als Finanz-Supermacht aufgespielt, wie Peer Steinbrück es nennt. Ein Status, den sie nun zu Recht verlieren. Die amerikanische Volkswirtschaft ist für längere Zeit als Konjunktur-lokomotive "out". Der amerikanische Versicherungsriese AIG weist ein Defizit von 150 Mrd US-Dollar aus. Über hunderttausend Jobs von Finanzberatern, Brokern, Finanz-innovatoren, Anwälten, Software und Computerspezialisten sind bereits im ersten Schritt verloren gegangen. Die Wall Street wird nie mehr sein, was sie noch vor Kurzem war (H. Kramer, Der Herbst des Kapitals, a.a.O). Ins Entsetzen mischt sich Schadenfreude vieler Europär über den Hochmut der zu Fall kam. Aber auch ein neutraler Analytiker wie der Chef der Österreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny, meint (Interview in der Tageszeitung "Kurier" v. 19.10.08, S 3): "Das große Selbstbewusstsein des US Finanzsystems hat sich als unberechtigt erwiesen. Das früher als altmodisch bezeichnete kontinentaleuropäische System von Universalbanken ist deutlich stabiler."

AUSBLICK#

Es wird künftig weltweit wieder mehr auf jene "hellen Köpfe" gehört werden, die Zukunftspläne unter Zuhilfenahme der Erfahrungen aus der Vergangenheit gestalten. Dazu gehören auch gesunde Kooperationsverhältnisse und weniger Eigensinn. Das Beispiel Island zeigt deutlich, wie gefährlich ökonomische Alleingänge kleiner europäischer Staaten in Krisen sein können. "Gemeinsam sind wir stärker", ist nicht nur einer der wichtigsten Grundsätze der Versicherungswirtschaft, sondern auch eine weise Erkenntnis der europäischen Kulturgeschichte Serbien ist ein Teil dieser Kultur und ihrer Geschichte.

RESUMEE#

Eine häufig , insbesondere in Krisenzeiten, an Historiker gerichtete Frage lautet: Kann man aus Geschichte etwas lernen? Die Antworten darauf sind vielfältig und kontraversiell. Kritiker negieren, dass aus der Geschichte Lehren gezogen werden. Ist es also Zeit, die Vergangenheit endlich abzuhaken und sich der Zukunft zuzuwenden?

Derartige Fragen beruhen auf einem Denkfehler. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nicht voneinander zu trennen. Im Gegenteil: Sie machen in ihrer Dreidimensionalität erst die Realität aus. In guten Gesetzen und Rechtskommentaren spiegelt sich diese Tatsache besonders gut wider.

Gegenwart und Zukunft meistern kann also nur, wer mit wissenschaftlichen Methoden die Vergangenheit bewältigt und die Geschichte aufgearbeitet hat. Die populäre Forderung, der Geschichte mit einem Schlussstrich zuleibe zu rücken, negiert den Umstand, dass die menschliche Zivilisation aus der Summe ihrer Erkenntnisse und Erfahrungen besteht. Ökonomen ziehen zahlreiche Schlussfolgerungen auch aus vergangenen Ereignissen, werten also das historische Material aus, um Wiederholungen ökonomischer Fehler zu verhindern. Die USA-Finanzwirtschaft glaubte in den letzten Jahren ohne diese in ihren Augen veraltete europäische Logistik auszukommen. Der Endeffekt war, dass die Finanzkrise 2008 unter anderem auch eine eklatante Wiederholung alter Fehler darstellte, die den USA schon in der Krise von 1929 zum Verhängnis geworden waren.

Versicherungsgeschichte nimmt diesbezüglich in zweifacher Weise eine Sonderstellung ein. Sie ist nämlich einerseits ein Teil der Versicherungswissenschaft und andererseits ein Teil der Geschichtswissenschaft. Die Versicherungswissenschaft selbst ist eine Sammelwissenschaft, die mit sehr unter-schiedlichen Methoden Erkenntnisse -also Wissen- über das Phänomen der Versicherung zu gewinnen sucht. Sie gliedert sich in:
-Versicherungswirtschaft
-Versicherungsrecht
-Versicherungsmathematik
-Versicherungsmedizin
-Versicherungsingenieur-wissenschaft
-Versicherungspolitik
-Versicherungskriminalität

Aber auch die Geschichtswissenschaft weist heute eine weitgehehende und z.T. sehr unterschiedliche Gliederung der Methoden auf. (Vgl. etwa wirtschafts-, kunst- und religionshistorische Abhandlungen). Es wird künftig weltweit wieder mehr auf jene "hellen Köpfe" gehört werden, die Zukunftspläne unter Zuhilfenahme der Erfahrungen aus der Vergangenheit gestalten. Dazu gehören auch gesunde Kooperationsverhältnisse und weniger Eigensinn. Das Beispiel Island zeigt deutlich, wie gefährlich ökonomische Alleingänge kleiner europäischer Staaten in Krisen sein können. "Gemeinsam sind wir stärker", ist nicht nur einer der wichtigsten Grundsätze der Versicherungswirtschaft, sondern auch eine weise Erkenntnis. Der europäischen Kulturgeschichte Serbien ist ein Teil dieser Kultur und ihrer Geschichte.