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Versuch eines Brückenbaus#

Eine Dauerausstellung im ehemaligen KZ Mauthausen will die Nazi-Gräuel so zeigen, dass sie auch die junge Generation berühren#


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Der Standard (Freitag, 26. April 2013)

Von

Petra Stuiber


"Ich will an die Leichenberge erinnern, an die toten Menschen. Es waren unzählige." Mit lauter Stimme liest die Lehrerin die Erinnerungen von Eva Lukash vor, einer aus Prag gebürtigen Jüdin, die als 19-Jährige den Todesmarsch nach Mauthausen nur knapp überlebt hat. Rund 20 Schülerinnen und Schüler, Teenager, stehen im modernen Besucherzentrum im KZ-Memorial Mauthausen um die Lehrerin herum, hören ihr zu. Es wird kaum gezappelt oder geflüstert, niemand entwischt heimlich in die Kantine - obwohl die verlockend nahe ist. Immerhin.

Einige hundert Meter weiter, auf der "Todesstiege", die grob gehauen über einen Geländeabbruch zum Steinbruch führt. Tausende Häftlinge, die Granitsteine schleppen mussten, sind hier gestorben, gestoßen und geschlagen von SS-Wachen. Gingen sie nicht schnell genug, wurden sie erschossen. Eine Gruppe von italienischen Schülern rennt über die Stiege, sie springen über die Stufen, sie balgen sich, johlen und lachen. Ihr Lehrer ist ganz augenscheinlich überfordert.

"Genau das ist unsere Herausforderung", sagt Barbara Glück. Gerade hat sie ein paar Besucher weggeschickt, die auf dem Baustellenparkplatz hinter der Gedenkstätte parkten und, direkt hinter dem ehemaligen Krematorium 3, die schöne Aussicht auf die sanften Hügel des Mühlviertels bewunderten. Glück, Historikerin und Politologin, seufzt ein wenig und sagt: "Es geht darum, dass unsere Besucher ein Gefühl dafür bekommen, dass alles hier auch etwas mit ihnen zu tun hat." Glück leitet die Abteilung IV/7 "Gedenkstätten und Kriegsgräberfürsorge" im Innenministerium. Sie verantwortet die neue Dauerausstellung in Mauthausen, die am 5. Mai eröffnet wird. Mit einem Sonderbudget von 1,7 Millionen Euro und einem Forscherteam um den Zeithistoriker und KZ-Experten an der Uni Wien, Bertrand Perz, haben Glück und ihr Team, gemeinsam mit vier Kuratoren und internationalen Rechercheteams in über 40 Ländern, insgesamt fünf Jahre an der Neugestaltung gearbeitet. Auf 800 Quadratmetern soll demonstriert werden, dass die Nazi-Verbrechen vor mehr als 70 Jahren auch heute noch relevant sind. Die Latte liegt hoch: Rund 200.000 Menschen besuchen das Memorial Mauthausen pro Jahr, davon 100.000 Schülerinnen und Schüler - rund 60.000 davon aus Österreich. " Mauthausen wirkt nach, bis heute", sagt Perz. "Diese Brücke zu bauen ist der Anspruch dieser Ausstellung."

Eine dieser Brücken ist im ersten Raum des ehemaligen Krankenreviers zu sehen. Glück nennt sie den "Prolog", hier finden sich Bezüge zur Gegenwart - auch wenn diese selbst bereits einige Jahre zurückliegen. Ein Brettspiel der Nachkriegszeit ist ausgestellt: "Das kaufmännische Talent" (DKT) - ein Vorläufer des international gehaltenen Monopoly -, wo Spieler jahrzehntelang bedenken- und gedankenlos Anteile am Kraftwerksprojekt Großraming "kaufen" konnten - ohne Hinweis darauf, dass dieses von 1800 KZ-Häftlingen, bewacht und traktiert von SS-Wächtern aus Mauthausen, errichtet wurde. 227 Gefangene starben. " Dieser Umgang mit der Geschichte erscheint uns exemplarisch für den jahrzehntelangen Umgang mit der NS-Geschichte in Österreich", heißt es im Ausstellungskonzept.

In den nachfolgenden Räumen und im Mittelgang des ehemaligen Krankenreviers laufen drei Zeitachsen parallel: im Mittelgang der zeitgeschichtliche Verlauf, von 1933 über den Überfall der Nazis auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 bis zum Untergang und zur Kapitulation von Nazi-Deutschland 1945. Die Texte zu den Fotodokumenten an der Wand geben einen kurzen Abriss der menschenverachtenden NS-Ideologie, der damit verbundenen Kriegsindustrie und der Vernichtungsstrategien der Nazis. Links davon, in den kleinen Räumen und Nischen, in denen sich die Bettlager der dahinsiechenden Häftlinge stapelten, ist die chronologische Geschichte der KZs Mauthausen, Gusen 1 und Gusen 2 und ihrer über 40 Außenlager aufgerollt.

Auf der anderen Seite des Gebäudes finden sich, mit Anschauungsgegenständen und Audio-Einspielungen, individuelle Erfahrungsberichte von Häftlingen - etwa die KZ-Erinnerung von Roman Frister, "Die Mütze oder Der Preis des Lebens". Frister, ein deutscher Jude, wurde in Auschwitz von einem "Funktionshäftling", das ist ein Häftling, dem die SS eine besondere Ordnerfunktion übertragen hatte, vergewaltigt und seiner Mütze beraubt - de facto ein Todesurteil. Um zu überleben, stahl Frister einem anderen schlafenden Häftling dessen Mütze. Dieser wurde beim nächsten Morgenappell von einem KZ-Wächter kommentarlos erschossen. Frister, der später als Journalist arbeitete und in den 60er-Jahren Herausgeber der israelischen Tageszeitung Haaretz war, schildert in einer Tonbandzuspielung seinen Überlebenskampf und seine Gewissensnöte. In einer Vitrine die gestreifte Stoffkappe, die über Leben oder Tod eines Häftlings entschied.

Sterben war Alltag in allen Konzentrationslagern auf österreichischem Boden. Mehr als 90.000 Menschen starben in Mauthausen und seinen Außenlagern, fast die Hälfte der, laut wissenschaftlichen Schätzungen, etwa 200.000 Inhaftierten. Die Themenausstellung "Tatort Mauthausen" im Keller des Krankenreviers beschäftigt sich mit der Allgegenwart des Todes: Menschen starben im Steinbruch, auf der Todesstiege, sie wurden von SS-Schergen in den Tod gestoßen, vergast, mit Injektionen ermordet, stranguliert oder "auf der Flucht erschossen". Sie starben an Erschöpfung und Unterernährung, durch Schläge oder an Typhus-Epidemien. Oder sie wurden einfach ertränkt, weil sie Läuse hatten. In der neuen Dauerausstellung ist auch ein neu angefertigter "Karteikasten" zu finden - mit Täterbiografien. Auch das ist ein Novum in Mauthausen.

Verlassen die Besucher Krematorium 3, tauchen sie in einen dunklen, stillen "Raum der Namen" ein - den wissenschaftlichen Stolz der Ausstellungsmacher. Auf waagrecht angebrachten Glasplatten sind die Namen der hier Ermordeten zu lesen - in ihrer Originalsprache und -schrift, ohne Ordnungsschema. 81.000 Namen von Opfern aus etwa 50 Nationen haben Forscher in sechs Jahren zusammengetragen. Hier, auf 80 Quadratmetern aus Glas, solle die Individualität und auch die Internationalität des Gedenkens zum Ausdruck kommen, betont Glück.

Nun mutet das Konzept nicht bahnbrechend neu an - es ist solide gemacht und auf der Höhe der Zeitgeschichteforschung. Für Mauthausen ist es allerdings geradezu spektakulär: Die erste Dauerausstellung, die Bruno Kreisky 1970 eröffnet hatte, war ein Werk der überparteilichen Lagergemeinschaft, eines Zusammenschlusses von Häftlingen, die aus politischer Gegnerschaft zu den Nazis in Mauthausen inhaftiert gewesen waren. Nur ihrer Unermüdlichkeit und Hartnäckigkeit war zu verdanken, dass hier überhaupt der Verbrechen der Vergangenheit gedacht wurde - über ideologische Gräben hinweg.

Das Geschichtsbild damals war freilich simpel: Die Opfer wurden als (zumeist männliche) Helden des politischen Widerstands dargestellt, die Täter als amorphe Masse entmenschter Bestien. Mehr oder weniger engagierte Zivildiener führten zu unmöglichen Öffnungszeiten durch das ehemalige KZ. Frauen, die im Lagerbordell Zwangsprostituierte gewesen waren, wurden zunächst ebenso totgeschwiegen wie die Rolle der Anrainer-Bevölkerung, die mit der SS gute Geschäfte gemacht und zum Teil brav kollaboriert hatte.

Zudem wurde das Lager nach dem Krieg herausgeputzt, als gelte es hier ein ganz normales Denkmal zu pflegen. Der Appellplatz wurde betoniert, die Baracken wurden gestrichen und sogar teilmöbliert.

Heute kratzt man den Verputz zum Teil mühsam herunter, um Besuchern wenigstens einige "Sehhilfen" zu geben, wie es "damals" war. Der nächste Schritt nach der Eröffnung der neuen Dauerausstellung soll die Gestaltung des Außenareals sein. Dort, wo heute grüne Wiesen sind, war etwa das berüchtigte "Sanitätslager", wo vor allem in den letzten Kriegstagen Massen von Gefangenen starben. Hier vor allem bräuchten Besucher Sehhilfen, sagt Glück: "Damit sie Ort und Inhalt des Gedenkens besser miteinander verknüpfen können."

Wie lange diese Umgestaltung dauert, wird auch eine Frage weiterer Sonderbudgets sein - und die ist politisch sensibel. Schon jetzt gibt es immer wieder Kritik von Überlebenden-Verbänden, dass Mauthausen alles Gedenken dominiere - auch finanziell. Das Besondere an diesem Memorial über dem Donautal ist gleichzeitig sein größtes Problem: Auf dem weitläufigen Plateau ist, im Vergleich zu vielen anderen KZ-Gedenkstätten, viel an Bausubstanz erhalten - die Gefahr ist groß, dass sich Besucher rasch ein Bild vom längst Vergangenen und Abgeschlossenen machen. Ganz anders ein paar Kilometer weiter, auf dem Gelände der ehemaligen Lager Gusen: Dort stehen heute Einfamilienhäuser, und die Stollen, in denen Häftlinge Düsenflugzeuge bauten, sind zum Großteil verschüttet oder wurden "aus Sicherheitsgründen" geschlossen.

"Wir freuen uns, dass es endlich eine zeitgemäße Ausstellung in Mauthausen gibt", sagt etwa Willi Mernyi vom unabhängigen Mauthausen-Komitee, allerdings: "Es muss gelingen, das gesamte System Mauthausen darzustellen." So glaubten Generationen österreichischer Schüler, es habe auf heimischem Boden "nur" Mauthausen gegeben. Dass etwa auch in Ebensee, am Kärntner Loiblpass, in der Hinterbrühl bei Mödling oder in Gusen im Namen der Nazi-Kriegsindustrie ausgebeutet und gemordet wurde, wurde verdrängt und totgeschwiegen. Mernyi ärgert bis heute, dass das KZ Hinterbrühl bei Touristenführungen durch die nahegelegene Seegrotte, in der während des Zweiten Weltkriegs bis zu 1800 Häftlinge Flugzeuge für die Nazis bauen mussten, "nicht einmal erwähnt" werde. Mernyi: "Wir haben nichts davon, wenn irgendwo eine Gedenktafel hängt und die Leute sich denken: 'Schlimm war das damals im Krieg.'"

Glück gibt Mernyi recht: "Dabei kann man es keinesfalls belassen, das Ziel muss eine Form von Menschenrechtserziehung sein." Sie sieht die Forderung aber zum Teil bereits als eingelöst an und verweist auf ein neues pädagogisches Konzept, mit dem die Guides bereits seit einigen Jahren arbeiten. Dieses hole Besucher "inhaltlich ab und begleitet sie". Zivildiener-Führungen wurden gänzlich abgeschafft, mittlerweile gibt es 100 professionelle Guides, die sechs Monate lang ausgebildet werden, ehe sie eine Besuchergruppe führen dürfen.

Aus Sicht des Mauthausen-Komitees könnten die Bezüge zur Gegenwart ruhig etwas forscher hergestellt werden: etwa durch den Hinweis auf die starken rechtsextremen Verstrickungen heutiger FPÖ-Funktionäre, die gerade in Oberösterreich und gerade aktuell evident sind. Doch eine Erwähnung etwa von Jörg Haiders Sager von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" sucht man auch in der neuen Dauerausstellung in Mauthausen vergeblich. "Uns ging es nicht um aktuellste politische Bezüge, so etwas wirkt in einer Dauerausstellung auch schnell veraltet", erklärt der Wissenschafter Bertrand Perz. "Uns ging es um die Feststellung, dass Mauthausen für die Überlebenden 1945 nicht einfach endgültig aus und vorbei war."

Dazu verweist man im ersten Raum des Krankenreviers immerhin auf den rechtsextremen Briefbomben-Terror der 1990er-Jahre: Gezeigt wird jene Tafel "Roma zurück nach Indien", die der Attentäter Franz Fuchs auf der Rohrbombe anbrachte, die am 4. Februar 1995 nahe der Roma-Siedlung in Oberwart explodierte und vier Männer tötete - darunter beide Enkel des Mauthausen-Überlebenden Michael Horvath. Für das Oral-History-Projekt " Mauthausen erzählen" sprach Horvath 2002 mehrere Stunden lang mit einer Wissenschafterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts. Darin sagt er, er glaube nicht, dass die Gräuel der Nazi-Zeit wiederkommen könnten. " Zigeuner", sagt Horvath, seien heute gleichberechtigt mit "allen anderen. Da gibt es keine Ausnahme. Zigeuner oder Weiße, Roma, jeder gleich."

Michael Horvath starb 2006. Sein unerschütterlicher Glaube an die guten Seiten Österreichs könnte auch eine Brücke vom KZ Mauthausen ins Heute sein. (Petra Stuiber/DER STANDARD, 27./28. 4. 2013)

Petra Stuiber studierte Kommunikations- und Theaterwissenschaften und leitet seit 2007 das Chronik-Ressort des STANDARD.

--> Bilder von Matthias Cremer

Der Standard, Freitag, 26. April 2013


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