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"Schmeißt die Waffen hin, geht’s z’haus"#

Vor 70 Jahren wurde Ottakring gewaltlos von der NS-Herrschaft befreit. Eine "Datenbank" in Sandleiten erinnert nun daran.#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 16. Oktober 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Alexander Maurer


Eingeweiht wurde die Sandleitendatenbank durch die Widerstandskämpfer Helene Neuhaus (rechts im Rollstuhl) und Paul Vodicka (rechts auf der Bank)
Eingeweiht wurde die Sandleitendatenbank durch die Widerstandskämpfer Helene Neuhaus (rechts im Rollstuhl) und Paul Vodicka (rechts auf der Bank).
© PID/Messner

Wien. Bänke laden oft dazu ein, sich zu setzen und die eine oder andere Geschichte zu erzählen. Aber ab und zu kommt es auch vor, dass eine Bank selbst eine Geschichte erzählt. Eine solche steht im Sandleitenhof in Ottakring. Augenscheinlich eine gewöhnliche alte Bank, wurde ein Holzbrett der Sitzgelegenheit durch ein metallenes ausgetauscht. Steckt man seine Kopfhörer an die darauf befindlichen Buchsen, kann man einem Gespräch zwischen Schülern der Ganztagsmittelschule Roterdstraße und den Zeitzeugen Helene Neuhaus und Paul Vodicka lauschen, die von der gewaltlosen Befreiung Ottakrings im April 1945 erzählen.

"Es ist ein sehr leises Objekt", meint der Künstler Andreas Strauss über seinen Siegerentwurf. "Man kann seine eigenen Kopfhörer anstecken oder sich in Einrichtungen, die entsprechend gekennzeichnet sind, Kopfhörer ausleihen. Da das Projekt auf Daten basiert, kann es beliebig erweitert werden. Es ist nicht in Beton gegossen, sondern ein lebendiges Teil."

Der Anstoß für das Denkmal kam vom Zeitzeugen und ehemaligen Widerstandskämpfer Paul Vodicka. "Die offiziellen Quellen verschweigen oft, was die Kommunisten im Widerstand für Wien geleistet haben. Sehen Sie sich mal einen Hugo Portisch an, da hört man nichts davon", meint er zerknirscht. Der 87-jährige Vodicka, der auch an den Oktoberstreiks 1950 in Wien beteiligt war, wollte daran erinnern, wer dafür verantwortlich war, dass Ottakring gegen Kriegsende von der Zerstörung verschont blieb.

"Wien darf kein zweites Budapest werden"#

Der 16. Bezirk überstand das Kriegsende 1945 schier unversehrt. Grund dafür war eine groß angelegte Entwaffnung der verbliebenen Wehrmachtssoldaten, die vom Sanitätsunteroffizier Heinrich Klein organisiert wurde. Er war im März 1945 desertiert und hatte Verbindungen zum 1944 zerschlagenen Kommunistischen Jugendverband Österreichs, der sich im Untergrund als KJV 44 neu formiert hatte. "Heinrich Klein hat das alles organisiert", erinnert sich Zeitzeugin Helene Neuhaus, die damals als 23-Jährige im KJV 44 aktiv war. "Unser Motto damals, dass uns gestärkt hat, war: ,Wien darf kein zweites Budapest werden‘." Die ungarische Hauptstadt wurde im Zuge der erbitterten Kämpfe zwischen der Roten Armee und der Waffen-SS weitestgehend verwüstet. "Die Menschen konnten zehn Tage nicht aus ihren Kellern gehen. Viele, vor allem Kinder und Alte, sind verhungert oder verdurstet", erzählt Neuhaus.

Der KJV 44 versuchte, verbliebenen Wehrmachtssoldaten zur Abrüstung zu bewegen. "Wir haben ihnen gesagt: ,Schmeißt eure Waffen weg, der Krieg ist bald aus und geht’s z’haus‘".

"Wir haben zuerst geglaubt, die Russen kommen vom Burgenland", erzählt Neuhaus weiter. "Heinrich Klein hatte Verbindungen zu einem hohen Militaristen der Widerstandsgruppe 05 und hat erfahren, dass die Russen vom Westen her kamen. Wir stellten uns alle zum Sandleitenkino, weil da musste jeder vorbei, der in die Stadt kam. Wir wollten die Wehrmachtssoldaten dort überreden, nicht zu kämpfen" Der Anfang war schwierig, meint sie. "Wir hatten keine Gewehre, die Soldaten aber schon." Für Personen, die sich "anrüchig" verhielten, galt damals der sofortige Schießbefehl. Angst hatte Helene Neuhaus aber keine. "Man entscheidet sich für das kleinere Übel. Wenn man vor der Wahl steht, ob man von Bomben getötet oder von Soldaten erschossen wird, versucht man zumindest, etwas zu tun, um die Kämpfe zu beenden."

Tausche Waffe gegen Zivilkleidung#

Die Aktion lief anfangs auch recht gut. "Wir hatten vielleicht auch Glück, dass die ersten Soldaten, die rückgeströmt sind, Wiener und Österreicher waren. Die haben natürlich nicht mehr weit nach Hause gehabt und haben ihre Waffen, sogar Maschinengewehre, abgegeben", meint Neuhaus. "Wir hatten unter einer halben Stunde einen Berg Waffen vor dem Sandleitenkino aufgetürmt."

Die Soldaten, die zögerten, hatten Angst, als Verräter erschossen zu werden, wenn man sie ohne Waffe, aber in Uniform anträfe.

"Da kam uns die Idee, dass wir eine Spinnstoffsammlung aufbrechen", erinnert sich Helene Neuhaus. Die "Spinnstoff-Sammelstellen" waren Kleidersammlungen der NS-Volkswohlfahrt. Eine solche befand sich gegenüber des Sandleitenkinos. "Wir haben gesagt: ,Holt’s euch Zivilgewand, aber gebt‘s die Waffen weg.‘ Das war für die Soldaten dann viel leichter. Es ist uns so gelungen, dass Ottakring und Hernals kampflos gefallen sind. Erst am Gürtel haben die heftigen Kämpfe wieder begonnen, wohin sich die SS zurückgezogen hatte", erzählt Neuhaus. Zu verdanken war dies einer Finte Heinrich Kleins. "Er hat damals in einer Schreibstube gearbeitet. Da hat er auch einen Schirach-Befehl gefälscht und zur Sophienalpe gebracht", erinnert sich Vodicka gegenüber der "Wiener Zeitung". Gauleiter Baldur von Schirach war zu diesem Zeitpunkt bereits aus Wien getürmt, daher flog der Schwindel nicht auf. "In dem Befehl stand, dass die Hauptkampflinie an den Gürtel verlegt werden sollte, daher ist die SS überhaupt erst aus den Randgebieten Richtung Stadtkern abgezogen."

Außer der "Tracht Prügel" für einen widerspenstigen Offizier, wie Heinrich Klein später bemerkte, verlief die Entwaffnungsaktion in Ottakring am 7.April 1945 gewaltfrei.

Wiener Zeitung, Freitag, 16. Oktober 2015