Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

"Gegen den Willen und fern der Heimat"#

Zwangsarbeit: Die Voestalpine arbeitet in einer Dauerausstellung ihre Vergangenheit auf.#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 5. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Julia Rumplmayr


Zwangsarbeiterinnen der 'Hermann Göring Werke' auf dem Weg ins Wohnlager 44 in Niedernhart
Zwangsarbeiterinnen der "Hermann Göring Werke" auf dem Weg ins Wohnlager 44 in Niedernhart.
© voestalpine Stahlwelt GmbH/Lentia Verlag

"Die Deutschen wollten bei uns Arbeitskräfte anwerben, aber kein Einziger hat sich freiwillig gemeldet. Daraufhin bildete die lokale Polizei Sonderkommandos, die von den Deutschen angeführt wurden. Die veranstalteten eine regelrechte Menschenjagd auf uns Junge. Irgendwann haben sie auch mich erwischt und meine damalige Freundin und spätere Frau." Oleksij Kruhlyk aus der Ukraine war bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 17 Jahre alt. Mit hunderten anderen Menschen wurde er in Viehwaggons zu Kriegsbeginn nach Linz gebracht, das Adolf Hitler zur "Heimatstadt des Führers" und einem Prunkstück des Dritten Reiches gestalten wollte. Neben repräsentativen Prachtbauten sollte auch die Rüstungsindustrie hier ihren Platz haben: Hitlers Stellvertreter Hermann Göring setzte nach seinem Vier-Jahres-Plan ein groß dimensioniertes Eisen- und Stahlwerk um, dem gleich ganze Stadtteile wichen.

Görings Spatenstich#

Oleksij Kruhlyk war einer von 36.000 Zwangsarbeitern aus insgesamt 30 Ländern, die an der Errichtung und am Betrieb der Hermann-Göring-Werke beteiligt waren. Ihnen widmet die Voestalpine, die nach Kriegsende aus den ehemaligen NS-Werken entstanden war, eine umfassende Ausstellung, die die dunkle Entstehungsgeschichte des Vorgängers des nunmehrigen Weltkonzerns beleuchtet. "Wir wollten zeigen, dass unsere Geschichte bereits mit dem Spatenstich 1938 und nicht erst mit dem Wiederaufbau nach 1945 beginnt", sagt der Historiker Leonhard Woldan, der dem hauseigenen Team um Monika Schober angehört, das die Ausstellung erarbeitete.

Bereits im Mai 1938, wenige Wochen nach dem "Anschluss" Österreichs und den jubelnden Mengen auf dem Linzer Hauptplatz, nahm Hermann Göring den Spatenstich für die nach ihm benannten Werke vor. St. Peter und Zizlau wurden dafür abgesiedelt, die idyllischen Ortschaften an der Au mussten dem Werksgelände weichen. Man versuchte zunächst, Arbeiter im befreundeten oder besetzten Ausland zu rekrutieren und mit Angeboten zu locken, blieb aber weitgehend erfolglos. Schließlich begann man Zwangsarbeiter nach Linz zu holen, bis 1945 waren es 36.000 Männer, Frauen, Jugendliche und auch Kinder, die an der Errichtung und den ersten Betriebsjahren des Werks beteiligt waren. Dazu kamen 7000 Häftlinge aus dem nahen Konzentrationslager Mauthausen und etwa 10.000 Kriegsgefangene.

Die Ausstellung zeigt die unterschiedliche Behandlung, der die Arbeiter durch ihre Herkunft unterworfen waren. Westeuropäer arbeiteten noch unter besseren Bedingungen, am unteren Ende der Hierarchie befanden sich die Polen und "Ostarbeiter". Letzteren wurde von ihrem Lohn auch noch eine "Ostarbeiterabgabe" abgezogen, die vom Lohn kaum mehr etwas überließ. Aus dem Arbeitsprozess auszuscheiden war so gut wie unmöglich, auf "Entlassungsanträgen" wird als Grund des Austritts meist der Tod im Arbeitserziehungslager genannt. Einen eigenen Bereich widmet die Ausstellung auch den Zwangsarbeiterinnen: Schwangerschaften waren nicht vorgesehen, weshalb Abtreibungen oft bis zum siebten Schwangerschaftsmonat vorgenommen wurden oder die Neugeborenen in Heime gebracht wurden.

Persönliche Geschichten#

Zahlreiche schriftliche Dokumente sind die inhaltliche Basis der Ausstellung und stießen in den späten 90er Jahren auch einen Aufarbeitungsprozess in der Voest-alpine an. 1998 wurden in einem Bunker auf dem Werksgelände 38.000 Dokumente zu den Zwangsarbeitern - Lohnbögen und Personalakten - gefunden, zu einer Zeit, als auch eine Sammelklage des US-Anwalts Ed Fagan drohte. Es folgte eine Aufarbeitung durch eine Historikerkommission, die bis 2001 dauerte und zu einer Entschädigung durch den Versöhnungsfonds führte. Die Publikation, die aus der Aufarbeitung hervorging, ist Grundlage der Ausstellung.

Auf 350 Quadratmetern wird in einem ehemaligen Besucherzentrum in der Konzernzentrale, dem "blauen Turm", die Geschichte von allgemeinen Informationen zu Zwangsarbeit und NS-Wirtschaftspolitik bis zu zahlreichen Einzelschicksalen in Linz aufgerollt. Zwischen 1998 und 2001 wurden die noch lebenden Zwangsarbeiter kontaktiert, woraus 38 Interviews entstanden, die an Audiostationen nachzuhören sind. Die Geschichten stammen von Zwangsarbeitern, die wie Oleksij Kruhlyk als Kinder und Jugendliche für Linz rekrutiert wurden. Für sie war die Arbeit im Werk besonders hart und hinterließ nicht selten ein Leben lang bleibende Schäden.

An den Moment, als sie aus ihrem Leben in der Heimat gerissen wurden, können sie sich alle noch erinnern: "Mit vorgehaltenem Maschinengewehr sind wir zum Dorfgebäude marschiert. Nicht einmal von unseren Eltern konnten wir uns verabschieden oder irgendetwas von zuhause mitnehmen", erzählt Jewdokija Rosdobudko aus der Ukraine. Andere ehemalige Zwangsarbeiter berichten von ihrem Schicksal in Briefen, die an interaktiven Pulten nachgelesen werden können, hier gibt es auch hunderte Foto- und Videodokumente zu sehen.

Entwürdigende Bedingungen#

Die Ausstellung, die nun dauerhaft zu sehen ist, ist sehr informativ und interaktiv gestaltet. Sie richtet sich auch an Schulklassen, die von der Voestalpine mit Vor- und Nachbereitungsmaterial für den Unterricht versorgt werden. "Zwangsarbeit bedeutet, unter entwürdigenden Bedingungen gegen seinen Willen und fern der Heimat zur Arbeit gezwungen zu werden", leitet die Ausstellung ein.

Daneben steht ein Zitat des skrupellosen Fritz Sauckel, der für das Deutsche Reich fünf Millionen Arbeitskräfte rekrutierte: "Keine 200.000 davon sind freiwillig gekommen."

Wiener Zeitung, Mittwoch, 5. November 2014