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Papst Franziskus – Jahresbilanz#

Von

Anton Kolb

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 118/2014


Es ist interessant und erfreulich, wie zielsicher und genau Franziskus die Situation, die Probleme der Kirche erkannt hat, die hauptsächlich daraus resultieren, dass das Konzil nicht umgesetzt wurde. Er hat das Menetekel an der Wand erkannt. Er will die Kirche vom Kopf auf die Füße stellen, die Differenz zwischen Lehre und Leben, zwischen Glaube und Kirche verringern. Er hat den Kurswechsel, den Paradigmenwechsel von der Kirche alt zur Kirche neu, insbesondere in folgenden 10 entscheidenden Punkten bereits in Angriff genommen, die bei seiner bisherigen Beurteilung zum Teil zu wenig beachtet wurden. Er soll in diesem Beitrag vor allem selbst zu Wort kommen.

1. Franziskus fordert eine „Neuausrichtung des Papsttums“. (Evangelii gaudium, Nr. 32) „Ich glaube auch nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige und vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen.“ (Nr. 16) „Außerdem besitzen weder der Papst noch die Kirche das Monopol für die Interpretation der sozialen Wirklichkeit oder für einen Vorschlag zur Lösung der gegenwärtigen Probleme.“ (Nr. 184) „Ich möchte in der Reflexion über den Primat des Petrus fortfahren.“ („La Civiltà Cattolica“)

Er sieht sich selbst als „Bischof von Rom“. Franziskus tritt vor allem mit seinem Gremium von 8 Kardinälen, mit dem aufgeschlossenen und gebildeten Oscar Kardinal Maradiaga von Honduras an der Spitze, sowie mit der Erneuerung der Bischofssynode für die Kollegialität, für die von ihm immer wieder geforderte „Dezentralisierung“, für eine Enteuropäisierung und zugleich für eine Globalisierung der Kirche ein. Auch seine bisherigen Kardinalsernennungen entsprechen diesem Anliegen.

2. Franziskus spricht sich gegen „eine statische und rückwärtsgewandte Vision“, gegen eine „rein bewahrende Ordnung“, gegen „Verteidigung“ („La Civiltà Cattolica“), gegen eine „vermeintlich doktrinelle oder disziplinäre Sicherheit“ (Nr. 94), gegen „die geschichtswidrigen Fundamentalismen“ aus. (Nr. 231) Er mag keine „Generäle von geschlagenen Heeren“. (Nr. 96) Man dürfe „die Dinge nicht so belassen, wie sie sind.“ (Nr. 25). „Gott kommt im Heute entgegen. Gott zeigt sich in einer geschichtlichen Offenbarung, in der Zeit…, nicht als Kompendium von abstrakten Wahrheiten.“ Das sei kein „Relativismus“. („La Civiltà Cattolica“) Benedikt hat diesen überall gewittert und verurteilt. Franziskus warnt vor „Intellektuellen ohne Talent, Ethikern ohne Geist“, sprach im Konklave von einem „theologischen Narzissmus“. Er bekennt sich zur „Hierarchie der Wahrheiten“ (Nrn. 36 und 246), gerade auch Sexualfragen betreffend. „Die Sicht der Kirche als Monolith, der ohne jeden Abstrich verteidigt werden muss, ist ein Irrtum.“ („La Civiltà Cattolica“)

Bei Unveränderlichkeit gibt es keinen Fortschritt, keine Geschichte, keine Zukunft, keinen Wandel, keine Entwicklung. Ewige Wahrheiten schließen Schuld, Irrtum, Reform, Praxis, Empirie, Induktion und Dialog aus. Eine Monopol-Wahrheit bleibt ohne Beziehung, ohne Kommunikation, bleibt blind und ohne Erfolg.

3. Für Franziskus hat die Pastoral eindeutigen Vorrang gegenüber der Lehre, ganz im Sinne des Konzils, das ein „Pastoralkonzil“ sein wollte. Er tritt wieder nachhaltig für das Konzil ein. „Die Wirklichkeit steht über der Idee.“ (Nr. 233) Gemäß Maradiaga gehe es Franziskus mehr um Pastoral als um Doktrin. Nach Marc Kardinal Quellet, Präfekt der Bischofskongregation, vollziehe Franziskus eine „große pastorale Wende“. Dieses Ziel des Konzils realisiere nun Franziskus. Das „Petrusamt“ übe er „auf pastorale Weise“ aus. „Die Reflexion muss bei uns mit der Erfahrung beginnen.“ („La Civiltà Cattolica“)

So besteht also die Chance, dass die Lehre nicht ins Leere geht. Mit seiner Botschaft will er alle Kulturen erreichen. Bei Franziskus haben Liebe, Barmherzigkeit, Bescheidenheit, Ehrlichkeit, die Armen, die Ausgeschlossenen Vorrang gegenüber Geboten und Verboten, Gehorsam, Disziplin, Kodex, Ausschlüssen und dem „anathema sit“. Er relativierte bereits die Glaubenskongregation. Sie solle einen „konstruktiven, respektvollen und geduldigen Dialog“ führen. (So der Papst am 31.01.2014)

Die Konservativen stellen de facto das Lehramt über die Bibel, im Widerspruch zu dieser und zum Konzil. Es gibt bei diesen sogar den Versuch, das Konzil als „bloß pastoral“ abzuwerten, um seine Lehre leichter hintergehen zu können. Als ob es nicht um die Einheit der beiden Seiten ginge! In den pastoralen Aussagen von Franziskus steckt eine Menge Theologie. Er spricht sich jedoch gegen die bloße „Schreibtisch-Theologie“ aus. (Nr. 133) Kritiker haben versucht, Franziskus – im Vergleich zu Benedikt – als Theologen abzuwerten. Müller sagte, „Evangelii gaudium“ sei „kein dogmatischer Text“. Es ist überflüssig und verkehrt, die veraltete Amtstheologie von Benedikt hochzujubeln und Franziskus als „Dorfpfarrer“ zu degradieren.

4. Schon wiederholt hat sich Franziskus für eine Reform der Kurie ausgesprochen, die er offensichtlich ernstlich in Angriff nehmen will, insbesondere durch das Gremium der acht Kardinäle (C-8) und durch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Die Dikasterien, deren Zusammenarbeit bisher sehr mangelhaft war, dürfen nach ihm keine „Zensurstellen“, sondern müssen „Vermittler…, Einrichtungen des Dienstes“ sein. „An der Kurie gibt es manchmal Höflinge. Sie ist Vatikan-zentriert.“ („La Civiltà Cattolica“) Ihre „Sicht vernachlässigt die Welt, die uns umgibt.“ „Die Führer der Kirche waren oft narzisstisch, von Schmeichlern umgeben und von ihren Höflingen zum Üblen angestachelt. Der Hof ist die Lepra des Papsttums.“ Er verurteilt den „Klerikalismus“. („La Repubblica“) Zur Kurienreform gehört auch die Reform der Finanzen im Vatikan, die Franziskus bereits in vielen Punkten durchgeführt hat.

Ein Teil der Kurie ist reformorientiert, ein anderer verunsichert, irritiert, bezweifelt den neuen Kurs, geht in Deckung oder leistet Widerstand. Nach Maradiaga würden manche dafür beten, dass Franziskus möglichst bald stirbt. Früher ist es der Kurie leichter gelungen, ihrem Wunsch gemäß am Papsttum, am Lehramt teilzuhaben. Ohne Kurienreform gibt es keine Kirchenreform. Die nächsten Sitzungen der C-8 finden vom 28. –30.04. und vom 01. –04.06.2014 statt.

5. Franziskus setzt sich für eine Strukturreform der Kirche, „die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist“ (Nr. 27), für eine Reform der Bischofssynode ein, die er zu „statisch“ findet. Wir dürfen „nicht in der Nostalgie von Strukturen und Gewohnheiten verhaftet bleiben“. (Nr. 108) Von den Kirchenreformern wurden diese Forderungen leider immer wieder vergeblich erhoben. Dezentralisierung bedeutet aber auch Verantwortung und Beauftragung der nachgeordneten Dienststellen, der Bischöfe. Nach dem Wunsch von Franziskus sollen die nationalen Bischofskonferenzen mehr Kompetenzen bekommen, mehr Verantwortung übernehmen. Zu nennen und zu betonen sind auch die Kapitalismuskritik von Franziskus sowie sein Einsatz für die „Kirche der Armen“, für die Ökologie. „Proselytismus ist eine Riesendummheit.“ („La Repubblica“)

6. Franziskus vertritt völlig zu Recht eine „Hermeneutik der Kontinuität und der Diskontinuität“ („La Civiltà Cattolica“), im Widerspruch zu Benedikt und dessen Nachbetern, die nur eine Kontinuität gelten lassen wollen. Nach Benedikt würden die Medien und die neue Theologie die Diskontinuität vertreten. Nun eben erfreulicherweise auch Franziskus. Die Bedeutung dieser Aussage wird leider meistens übersehen! Bei bloßer Kontinuität würden sich alle Fehlurteile und Fehlentscheidung der Vergangenheit wiederholen.

7. Franziskus hat sich schon wiederholt und bereits real für den „Dialog mit allen, auch mit den Fernstehenden und Gegnern“ („La Civiltà Cattolica“) und für die Ökumene eingesetzt, bei der nur sehr wenig weitergegangen sei, wie er kritisch und zutreffend sagt. „Ich habe die Demut und den Ehrgeiz, es tun zu wollen.“ („La Repubblica“). Mit seiner Dialog- und Diskussionsbereitschaft allen gegenüber greift er eine dringende Forderung des Konzils und der Kirchenkritiker auf, die man fallweise theoretisch zugestanden, in der Praxis aber fast immer verweigert hat.

8. Franziskus bekennt die Schuld der Kirche sowie seine eigene, entschuldigt sich dafür und übt Selbstkritik, ganz im Sinne des Konzils, ganz im Unterschied zu seinen Vorgängern und zum Großteil der Bischöfe, die fast immer nur die Fehler der anderen erkannt und benannt haben. „Bedürfnis nach Erneuerung, das heißt auch Berichtigung der Fehler.“ (Nr. 26) Die Restaurativen verwechseln ständig Ursache und Wirkung.

9. Franziskus hat sich schon wiederholt für die Frauen in der Kirche eingesetzt. Ich zitiere einige Aussagen aus „La Civiltà Cattolica“: „Die Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz in der Kirche müssen weiter werden… Die Kirche kann nicht sie selbst sein ohne Frauen und deren Rolle… Maria – eine Frau – ist wichtiger als die Bischöfe… Man muss noch mehr über eine gründliche Theologie der Frau arbeiten... Der weibliche Genius ist nötig an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden.“

Ähnliche Aussagen finden sich auch in den Nrn. 103f. 212 und 214 von „Evangelii gaudium“. Dort heißt es unter Nr. 285: „Dem Herrn gefällt es nicht, dass seiner Kirche das weibliche Bild fehlt.“ Mit der „aufgabenbezogenen Förderung... allein kommt man aber nicht weiter... Die Kirche hat einen weiblichen Artikel: die. Sie ist von Anfang an weiblich.“ („Corriere della Sera“) Auch gegen diese Aussagen und Reformbestrebungen gibt es bereits Widerstände.

Leider lehnt auch Franziskus die Frauenordination ab, wenn auch nicht so strikt wie seine Vorgänger. Er wollte offensichtlich nicht noch eine weitere schwierige Front eröffnen, die ihm zusätzlich Schwierigkeiten und Gegner für seine derzeit geplante Reform gebracht hätte. Seine Sicht der Rolle der Frau bedeutet aber dennoch einen deutlichen Fortschritt. Er will offensichtlich den Päpstlichen Rat für die Laien zu einer Laien-Kongregation aufwerten. Eine Kongregation für die Familien wäre wünschenswert.

10. Franziskus tritt für das Volk Gottes, für die Communio, für die Laien ein. „Wir sind alle gleich.“ (Generalaudienz am 26.06.2013). „Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker.“ („La Civiltà Cattolica“) Er beklagt die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. (Nr. 54) Die Christen dürfen nicht „in Mumien für das Museum verwandelt werden“. (Nr. 83) Die Gläubigen, die Laien, die Frauen sind keine Objekte, sondern Subjekte und Verkünder des Glaubens. „Das Volk ist das Subjekt.“ („La Civiltà Cattolica“) Was Jesus angeblich zum hl. Franz von Assisi gesagt hat, das gilt analog auch für den Papst: „Franziskus, baue meine Kirche wieder auf. Sie liegt in Trümmern.“ Es möge ihm gelingen.

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Bei Franziskus haben wir es mit einem wahren Menschen und wahren Christen zu tun, wie dies auch schon über Johannes XXIII. gesagt wurde. Er bezeichnet sich selbst als „normalen Menschen“. („Corriere della Sera“) Der Mensch steht wieder im Mittelpunkt. Der Papst ist wieder zu einer moralischen Instanz geworden. Sein Stil überzeugt, seine Aussagen berechtigen zu Hoffnung und Mut, seine Sprache wird verstanden. Er hat der Kirche die Glaubwürdigkeit zurückgegeben, eine neue Freiheit, die Freiheit der Kinder Gottes, wiedergegeben.

Er sorgt für Transparenz. Er spricht und handelt damit gemäß dem Evangelium und dem Konzil, was seine Vorgänger und viele Bischöfe zwar meistens behaupten, aber in Wirklichkeit nur selten umsetzen. Die Charmeoffensive von Franziskus allein wird allerdings nicht genügen. Es bedarf neuer Inhalte und Taten, sonst verliert er seine Autorität und die Kirche erneut viele Mitglieder. Wem Franziskus zu modern ist, wer ihn weniger mag, der lobt umso mehr Benedikt. Franziskus lobt immer wieder Benedikt – umgekehrt viel weniger –, vertritt aber laufend Auffassungen, die Benedikt direkt widersprechen.

Franziskus sagt von sich selbst, dass er „kein Rechter“ sei. Er hat bei seinem Amtsantritt eine ähnliche Situation angetroffen, wie seinerzeit Johannes XXIII., dem er in vielen Dingen ähnelt, dem das Konzil geholfen hat. Die Widerstände gegen diesen Papst und das Konzil sind jenen von heute ähnlich. Nach der Wahl von Franziskus sagte ein Vatikan-Insider: „Heute wurde Benedikt abgewählt.“ Im Dezember 2013 hat das US-Magazin „Time“ Papst Franziskus zu Recht zur „Persönlichkeit des Jahres“ gewählt.

Prälat Em. Univ. Prof. Dr. Anton Kolb lehrte Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.


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