Freiheit und Eros sind die beiden die Schöpfung bestimmenden Konstanten#
Von
Wolfgang Tscherne
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 216/2017
„Alle Vernunft sagt uns ja, dass wir Gott nur durch sein Wirken erahnen können. Solange die Kirche sich unbeweglich, ängstlich und geradezu verstockt an religiösen Schlussfolgerungen des Al-tertums orientiert, ist sie für denkende Menschen nicht glaubwürdig.
Die Welt bleibt nicht stehen, alles ist in Entwicklung, Gott wollte das ganz offensichtlich. Heute erwartet man sich, dass frei nachgedacht werden kann, ohne Einengung durch Wiederkauen des Althergebrachten.
Niemand, außer unterwerfungssüchtigen Fundamentalisten, würde es der Kirche übelnehmen, wenn sie neu über die wesentlichen Elemente ihres Glaubens nachdenkt. Es würde sogar ein großes Aufatmen auslösen.“ (Aus den „Gedanken“ Nr. 215 „sakrosankte Lehre ...“)
Lieber Herr Dr. Kohlmaier, seit 2 Jahren lese ich mit großer Freude jede ihrer Aussendungen. Ich war immer begeistert, aber dieses Mal war meine spontane Reaktion: Ja, Ja, endlich! Unsere Re-formwünsche und Reformbestrebungen können niemals Erfolg haben, ohne auf das einzugehen, was Fundament der Fundamentalisten ist. Und eigentlich sollten ja wir alle, Reformer und Re-form-Verhinderer, ein gemeinsames Fundament haben bzw. finden.
Anlässlich des Studientages im Herbst 2016 in Wien: „Die Alte Kirche und die jungen Leute“, an dem ich auch teilgenommen habe, habe ich vorher meine Gedanken dazu formuliert:
Wir Alten, die die Alte Kirche reformieren wollen, sind in dieser Alten Kirche sozialisiert worden, von einer Kirche, die ihre Regeln und Strukturen von heute weit über tausend Jahre „alten“ Männern, Bischöfen und Päpsten, bekommen hat. Von Männern, für die es selbstverständlich war, dass die Erde eine Scheibe ist und die Sonne diese umkreist. Von Männern, für die es keinen Zweifel gab, dass die Frauen als „Gefäß“ den männlichen Samen nur zu ernähren und zum Wachsen zu bringen haben.
Die jungen Leute von heute und wahrscheinlich auch von morgen werden von unserer „Alten Kirche“ keine brauchbare Hilfe, die die Welt heute so dringend nötig hätte, bekommen. Von deren Regeln und Strukturen wollen sie sich die Welt heute nicht mehr erklären lassen. Berufen sich doch die strengen Hüter dieser Kirche eben auf ein sehr altes Fundament. Und aus der Sicht von Fundamentalisten sind Regeländerungen, die sich von diesem entfernen, nicht zu akzeptie-ren. Daher wird eine echte, wirksame und die Welt zum Positiven verändernde Reform, davon bin ich überzeugt, nur möglich sein, wenn wir uns angstfrei in Gedanken und Diskussionen den Fundamenten unserer gemeinsamen Kirche zuwenden.
Andererseits bin ich prinzipiell Optimist und finde, dass Gutes und Richtiges enorm schnell den Weg rund um unseren Globus finden. Unzählige Beispiele wie etwa die Nutzung des Feuers, die Erfindung des Rades, der Dampfmaschine und des Computers zeugen davon.
Das gemeinsame Fundament, denke ich, ist unser Glaube an den einen Gott, der die Liebe und der Urgrund unseres Universums ist, und somit auch unserer Erde und von uns Menschen.
Da sagen die Fundamentalisten der Alten Kirche: Gott ist allmächtig, allwissend und Schöpfer des Universums, der Erde und ihrer Bewohner. Gott ist Herrscher über das All. In der Schöp-fungsgeschichte haben sich alle Geschöpfe (Atome, Sterne und Planeten, Moleküle und Lebewe-sen und dann natürlich auch der Mensch) an Gottes Schöpfungsplan zu halten. Wer es nicht tut, bringt Unordnung, ist störend und ist im Falle des Menschen Sünder mit den bekannten Folgen. Was zu tun ist und was nicht, das wissen die Stellvertreter Gottes hier auf Erden. Sanktionen, Angst, Strafe, Unfreiheit sowie nicht selten auch Zwang und sogar Tod (Scheiterhaufen) waren daher Begleiter der Alten Kirche. Ich erlaube mir, Gott anders zu denken. Natürlich weiß ich, dass jedes „Bild“ von Gott falsch sein muss und trotzdem denke ich mir unseren liebenden Gott so:
Vor etwa 13,8 Milliarden Jahren hat Gott die Singularität (unser gesamtes Universum in einem Punkt) in seinen Händen und entlässt sie im Moment des Urknalles, wie Tauben, in die Freiheit.
Gottes größtes Geschenk auf dem Weg des Universums in Raum und Zeit ist die Freiheit. Gottes Liebe, Agape, schenkt Freiheit!
Das zweite Geschenk von Gottes Liebe nenne ich jetzt Eros. Als Kosmischen Eros bezeichne ich die Kraft, die in irgendeiner Form zu Verbindung, Nähe, Vereinigung oder Entsprechendem drängt. Durch die Vereinigung subatomarer Teilchen (Protonen, Neutronen, Elektronen) entstanden im Urknall Atome und damit Materie mit Masse, und mit der Materie Raum und Zeit; in der Sprache der Evolution die erste Emergenz, in der Sprache des Glaubens der Beginn der Schöpfung. Die auseinander geschleuderte ungeheure Menge an Wasserstoffatomen bildete unter der Wirkung des kosmischen Eros, hier Gravitation genannt, Masseklumpen riesigen Ausmaßes, die Sterne. Unter dem inneren Druck und der Hitze entstehen in den Sonnen die weiteren 118 Atome des Periodensystems mit ihren jeweils verschiedenen Eigenschaften. Sie vereinigen sich zu Molekülen mit neuen Eigenschaften, wie zum Beispiel zwei Wasserstoffatome mit einem Sauerstoffatom zu
Wasser (H2O). Physik, Chemie, Biologie und Psychologie erkennen diese dem kosmischen Eros entsprechenden Kräfte. Durch deren Wirkung entstehen Gemeinschaften. Und manchmal ist aus einer Verbindung et-was ganz neues entstanden – Emergenz, Schöpfung... Das war dann wieder Basis für neue Ver-bindungen oder Kooperationen, aus denen manchmal wieder Neues entstand: Leben, Bakterien, Säugetiere, Menschen, Gemeinschaften und Gesellschaften. Es gibt keinen Menschen, der nicht aus der Verbindung von väterlichem Samen und mütterlicher Eizelle entstanden ist.
Freiheit und Eros als Drang (oder Sehnsucht), aber kein vorbestimmter Zwang sind die beiden die Schöpfung bestimmenden Konstanten. Freiheit und Eros werden aber in der alten Kirche stiefmütterlich behandelt und mit großem Vorbehalt, wenn nicht gar mit Unbehagen thematisiert. Ich denke daher, dass alle unsere Reformwünsche irgendwie mit Abkehr von Zwang und Zu-wendung zu Freiheit und Eros (im kosmischen Sinn) zu tun haben!
Die jungen Leute wollen heute von der Alten Kirche nicht mehr viel wissen. Sie haben sich schon längst abgewandt. Aber was wirken könnte, ist erlebte Gemeinschaft in der freie Entfal-tung und überhaupt alles, was gemeinsames Tun (Kommunikation und Kooperation) bedeutet.
Ich brauche vor meinem Gott nicht unterwürfig zu buckeln oder zu knien, oder ihn ob seiner Herrlichkeit loben und preisen. Ich empfinde meinem Gott gegenüber unendliche Dankbarkeit, dass ich sein darf, und so sein darf wie ich bin, auf dieser wunderschönen Erde mit meistens lie-ben Menschen um mich. Nicht der allmächtige, der alles beobachtende und danach richtende Gott, an dem sich seine „Vertreter“ orientieren und dem alle Unterwerfungssüchtigen Gehorsam versprechen, ist das Modell, sondern der gute Hirte, oder der Sämann. Auch ich als Vater entlasse meine Töchter in Freiheit, lasse sie ihre eigenen Wege finden und vertraue darauf, dass sie den langen Weg der Evolution gut weitergehen. Und wenn ich vielleicht erkenne, dass sie einen schlechten wählen, werde ich Hilfe anbieten, aber nicht aufdrängen.
So sehe ich Jesus als göttliches Hilfsangebot für eine Menschheit, die sich auf einen Irrweg bege-ben hat, in eine evolutionäre Sackgasse. Es ist ein in Irrweg der Macht und Ausbeutung (Miss-brauch), und als Kehrseite der gleichen Medaille die freiwillige Unterwerfung, das Anbiedern an die Macht. Seit 2000 Jahren könnte statt einer Kultur von Macht und Unterwerfung eine Kultur der Liebe im Sinne von Agape, Caritas und Eros wirksam sein. –
Lieber Herr Dr. Kohlmaier, ich danke ihnen, dass sie mit der Frage nach der Lehre diesen „Tabubruch“ gewagt haben und wünsche ihnen alles, alles Gute.
Dr.med. Wolfgang Tscherne, Arbesbach, NÖ, ist Gemeindearzt in Ruhe