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unbekannter Gast

Jesus auf der Flipchart#

Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 171/2016


Papst Franziskus II., dem wir nun schon mehrmals begegnet sind, ist recht besorgt, manchmal sogar am Rande der Verzweiflung. Das Vorhaben einer Erneuerung der Lehre, die in einem revidierten Katechismus ihren Niederschlag finden soll, erweist sich als ungeheuer schwierig. Der Krach in der Arbeitsgruppe Marienverehrung ist noch nicht bereinigt.[1] Doch man will bereits längst das Kapitel Christologie voranbringen, womit man eine ansehnliche und konfessionsübergreifende Zusammenstellung von Theologen, Philosophen und Historikern beiderlei Geschlechts beauftragt hat.

Diese ebenso honorige wie eifrige Gruppe tagt gerade. Strahlend schönes Wetter erlaubt es, sich in den vatikanischen Gärten aufzuhalten. Bei dieser Zusammenkunft wurde beschlossen, dass alle einmal nur still nachdenken und das Ergebnis auf mehreren Flipcharts niederschreiben, die im anschließenden Raum aufgestellt sind. Auf diesen steht als Rubrum: „Was ist für mich bei Jesus wichtige Voraussetzung seiner Deutung?“ Der Papst blickt durch ein Fenster auf die Gruppe, neben sich seinen engen Vertrauten, Kardinal Desmond Martin. Ein fast amüsantes Bild bietet sich ihnen dar.

Die meisten gehen auf den gepflegten Wegen schweigend auf und ab, wenn sie einander begegnen, lächeln sie vielsagend. Ein anglikanischer Bischof hat sich auf den Rasen gelegt und blickt in den Himmel. Eine Wiener Pastoraltheologin kauert in meditierender Haltung vor einem Rosenstrauch und umfasst mit ihren Händen eine Blüte. Eigenartige Atmosphäre ist geradezu greifbar, sie ist eher friedlich und spirituell geprägt – keine Spur von Auseinandersetzungen ist zu finden. Franziskus denkt angesichts dessen, ob wohl Jesus unter diesen Menschen weile, unsichtbar, aber spürbar – aber dann sagt er zu Martin, entscheidend sei wohl, was am Ende des Tages herauskommen würde.

Dieses Ergebnis wird im Anschluss an den nachmittägigen Coffee-Break von eifrigen Sekretären den Flipcharts entnommen, als „Dokument C / 87“ gespeichert und danach dem Papst überreicht. Etwa 30 Sätze, die nach der gegebenen Anleitung möglichst kurz sein sollten, wurden von einem vatikanischen Theologen gereiht, wobei dieser die unkonventionellen Aussagen voranstellte. Am Schluss findet sich eher Banales, wie etwa „Er ist Gottes Sohn und der fleischgewordene Logos“. Doch nach Derartigem war nicht gefragt, der Papst hatte ja alle gebeten, auch von der Lehre Abweichendes festzuhalten, und dies unter dem Schutz zugesicherter Anonymität.

Franziskus und William studieren nun das Dokument. Gleich am Beginn stoßen sie auf einen Satz, dem ein Venuszeichen beigefügt ist, womit offenbar ausgedrückt werden sollte, dass er von einer weiblichen Teilnehmerin stammt. Er hat es in sich, denn er lautet:

  • Jesus hatte männliche Geschlechtsorgane, die entsprechende Hormone produzierten. Also hatte er sexuelle Begierden und erwachte am Morgen mit einer Erektion.

Der kluge Theologe hatte eine dazu passende weitere Aussage angeschlossen:

  • Jesus war wahrscheinlich verheiratet. Wäre er das nicht gewesen, hätte das die bald entstehende jüdische Kritik als Mangel bei einem Rabbi mit Ansehen beanstandet.

„Starker Tobak“ meint nun Martin, doch Franziskus macht eine wegwerfende Handbewegung. „Wir haben doch gesagt, dass jeder ungehemmt niederschreiben soll, was wir bei unserem Forschen bedenken sollen. Lesen wir doch weiter!“ Nun folgt vergleichsweise nicht so Anstößiges:

  • Es ist klar, dass Josef der biologische Vater von Jesus war, dieser war weder ein Klon noch ein antiker Halbgott.

Richtig dazu passend wurde der nächste Satz gereiht:

  • Das Konzil von Nicäa machte es sich dem Kaiser zuliebe leicht. Ein Wesen kann ontologisch gesehen nicht Gott und Mensch zugleich sein. Jesus war ein besonders begnadeter Prophet, wie er in den Evangelien durchgehend und ganz eindeutig so beschrieben wird (s. etwa Lk 24,19).[2]

William zeigt sich wieder beunruhigt. „Da bleibt doch kein Stein auf dem anderen, wie bei der Zerstörung des Tempels! Wenn wir da so weitermachen, können wir den Laden zusperren!“ Doch wieder beruhigt ihn der Papst. „Nochmals: lies doch weiter!“

  • In Jesus war nicht Gott inkarniert, sondern das Göttliche. Dieses ist in jedem Menschen angelegt, aber in Jesus auf absolut unüberbietbare Weise. Gott muss nicht auferweckt werden, schon gar nicht kann er zuvor sterben!

Dem folgt, wiederum passend:

  • Dass man die Lehre des Arius verdammte, war rein staatspolitisch motiviert, falsch und unchristlich. Wahrheit darf nicht verordnet, sondern muss fortwährend gesucht werden.

An dieser Stelle halten die beiden inne und legen das Dokument zur Seite. „Das war zu erwarten“, meint nun der Papst. „Wir stehen vor einer dramatischen Situation. Das ‚homoousios‘ ist Fundament des Christentums aller Konfessionen. Einige unserer Freunde stellen das nun in Frage. Da gibt es jetzt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass wir nicht an der Lehre des frühen Konzils rütteln – obwohl die Umstände des Zustandekommens und die theologischen Grundlagen wohl recht problematisch waren. Aber ich habe das Gefühl, dass genau dieser Kernpunkt des Christentums heute von der modernen Welt nicht mehr verstanden wird.“

„Das Interessante ist ja, dass Jesus für die Menschen dennoch und noch immer eine große Bedeutung hat, sie spüren die immense Kraft seiner Persönlichkeit, seines Wirkens und seiner Lehre. Aber sie leben einen ‚demokratisierten’ Glauben. Man will nicht mehr, dass dieser Jesus ein unerreichbarer Gott im Himmel ist, sondern einer unter und von uns. In Altertum und Mittelalter mussten ja religiöse Vorstellungen immer mit Herrschaftsattributen verbunden sein, deswegen ‚sitzt Jesus zur Rechten des Vaters’, also auf einem Thron. Wie geht man heutzutage damit um?“

Der Kardinal schüttelt den Kopf und fragt, was denn die zweite Möglichkeit sei, mit der Situation fertig zu werden? „Die ist sehr schwierig“, versetzt Franziskus, „wir müssten gleichsam die christologischen Konzile fortsetzen, also den Denkprozess von damals wieder aufgreifen, der ja jahrhundertelang andauerte und konfliktreich genug war. Ich sehe aber keine wirklich einleuchtende Lösung, welche die Gotteigenschaft Christi ersetzen könnte. Denkbar wäre aber,

dass man feststellt, es handle sich um ein unlösbares Mysterium des Glaubens. Wir können ja Gott auch nicht beschreiben oder definieren, wir können ihn letztlich nur an seinem Wirken wahrnehmen – uns also der unmöglichen Erkenntnis nähern. Wie auch beim Sohn.“

Man fährt nach einer Weile des Innehaltens mit der Lektüre der Statements fort.

  • Die Zahl 3 ist ebenso wie der Begriff „Person“ Gegenstand der Schöpfung, sie kann aber nicht dem über den Kategorien der Schöpfung sehenden Schöpfer übergestülpt werden. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind menschlich erkannte Wirkformen Gottes.
  • Jesus wandelte sich im Lauf seines erwachten Interesses am Glauben und kam mehrmals zu neuen Erkenntnissen. Er dürfte sich von Johannes abgewendet haben, die beschriebene Harmonie ist eine Fiktion.
  • Jesus hatte ein schwer gestörtes Verhältnis zu seiner Mutter. Warum sollte er sie im Himmel gekrönt haben, da sie ihn doch von seiner Predigertätigkeit fernhalten wollte?

Während Martin mit einer Geste der Verzweiflung anmerkt, dass man jetzt schon wieder bei der so unendlich heiklen Mariologie angelangt sei, tritt ein Sekretär ein und meldet, die Arbeitsgemeinschaft habe beschlossen, das Abendessen in Form eines Herrenmahls zu gestalten und die beiden Herren wären ergebenst eingeladen, daran teilzunehmen.

Es vergeht eine Stunde, während sich eine spontan gebildete Gruppe mit der Vorbereitung dieses Ereignisses beschäftigt. Dann wird in den Speisesaal gebeten. Der als Gasttheologe beigezogene evangelische Professor Holzer aus Deutschland geht zum Papst und sagt mit einer höflichen Verbeugung, man habe ihn ersucht, die Feier zu leiten. Das solle als Ausdruck der allseits vorhandenen ökumenischen Gesinnung gewertet werden. So setzt sich Franziskus unter die Gäste, die ihm freundlich Platz machen.

Vor Holzer in der Mitte der Tafel ist ein Korb mit Broten aufgestellt, daneben Krüge mit Wein. Als alle ruhig sind, erhebt er sich. „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Alle bekreuzigen sich. „Wir sind im Namen des Herrn zusammengekommen und wollen ihm gemeinsam danken. Danken für die wunderbare Gemeinschaft und für die Gaben auf dem Tisch“. Nachdem alle mit Amen geantwortet haben, setzt der Theologe fort: „Wir gedenken des Abends, an dem Jesus die Seinen versammelte, so wie er uns jetzt zusammengerufen hat und wie nach seiner Auferstehung unzählige Christen. Er ist unter uns, das hat er uns in seiner unverbrüchlichen Treue zugesagt.“

„Ebenso ist der Geist Gottes mit uns, dessen sind wir voll Ehrfurcht gewiss. So ist es mir erlaubt, den Segen auf diese Gaben herabzurufen, die wir von der Güte Gottes empfangen“. Holzer nimmt eines der Brote zur Hand und bricht es, der Korb wird weitergereicht, alle nehmen davon. Danach gießt er aus einem der Krüge den Wein in ein Glas und setzt fort: „Der Wein, den wir nun trinken, ist wie das Brot für uns Jesus, der wahre Gastgeber dieses Mahles, das uns auch künftig im Reich Gottes verheißen ist Das Brot ist das Leben, der Wein die Freude, die beides uns Menschenkindern geschenkt sein sollen.“

Danach fordert er alle auf, einander den Frieden zu bekennen. Viele umarmen sich, gehen zum Papst und tun das auch mit ihm, sie lassen eine tiefe Rührung erkennen, einige der anwesenden Damen führen ihr Taschentuch zu den Augen. Brot und Wein werden verzehrt, dann kommt das Personal und serviert das Essen. Die Stimmung ist nun gelöst, Heiterkeit breitet sich aus.

Man plaudert über allerlei, nur nicht über die Arbeit des Tages. Noch während der Nachtisch gereicht und dem Wein zugesprochen wird, erhebt sich der Papst und verlässt den Raum. Er lächelt den Anwesenden zu, um den Eindruck zu vermeiden, er gehe aus Unmut weg. Nach einer Weile folgt ihm Martin um sich zu vergewissern, ob sein Chef etwas brauche. Diesen trifft er im Nebenzimmer an, vor einem Tisch sitzend, den Kopf auf die gefalteten Hände gestützt. Als er näher kommt, sieht er Tränen in den Augen des Papstes.

Der Kardinal ist erschrocken, der Kontrast zur Stimmung im Saal ist für ihn schockierend. „Warum weinst Du?“ Franziskus schweigt und sagt dann leise: „Ich weine über die Kirche, und ich frage mich, warum sie so oft von Jesus verlassen war, den wir heute so sehr in unserer Mitte gespürt haben“. Aber dann, nach einer Weile, erhebt sich der Papst, lächelt und sagt: „Gehen wir wieder hinein. Lassen wir in uns wirken, was wir hier erfahren haben, dann wird schon alles gut“.

Drinnen nimmt Franziskus nun an den Gesprächen lebhaft teil. Einer der Anwesenden steht schließlich auf, klopft an sein Glas und sagt mit lauter Stimme: „Jetzt trinken wir auf den Bischof von Rom. Danken wir ihm für seine Heiterkeit, die er wie seine Vorgänger Johannes und Franziskus uns alle spüren lässt, denn Heiterkeit gibt Mut, Mut, um auch mit schweren Aufgaben fertig zu werden!“ Alle prosten nun dem so Angesprochenen zu.

In diesem Augenblick hört man eine Uhr schlagen. Holzer erhebt sich von seinem Platz und sagt: „Ich glaube, jetzt ist der rechte Moment, dass wir uns zur Ruhe begeben.“ Er atmet tief durch. „Erwarten wir den Morgen, der sicher kommen wird, und…“ – er zögert ein wenig – „so sicher, wie für unsere ganze gemeinsame Kirche“. Alle sind aufgestanden. Sie antworten ihm sogleich mit einem sehr kräftig gemeinsam gesprochenen „Amen!“

Fußnoten#

[1] S. „Gedanken“ Nr. 166 v. 12. Dez. 15

[2] „Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk“.


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