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Eine „Kartierung“ der aktuellen Glaubenslandschaft#


Von

Fritz Tüchler

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 267/2018


Den Gedanken Nr. 265 von Heribert Franz Köck „Vorbemerkungen zu einem Versuch einer Darlegung der Grundlagen des christlichen Glaubens“ könnte man auch den Titel “Kartierung der aktuellen Glaubenslandschaft” geben. Aber genau genommen schafft es wohl keine wie immer geartete Betitelung, dem Kern des komplexen Themas vollkommen gerecht zu werden. Es ist doch in den meisten komplexeren Belangen ein gewisses Dilemma: die jeweilige Wirklichkeit möglichst anschaulich in Sprache zu bringen... In den beiden letzten Absätzen des Beitrages befasst sich Köck mit der Aufnahmefähigkeit und der Aufnahmebereitschaft für das Evangelium. Beide seien für das Vorurteil anfällig geworden, die biblischen Geschichten wären nur fromme Legenden, böten aber keine feste Grundlage für einen vor der Vernunft verantwortbaren Glauben. Das trifft buchstäblich den “Nagel auf den Kopf”, also das Kernproblem: eine ganzheitliche Wahrnehmung der “Dinge” bzw. ihrer Beziehung zum Ganzen - und in einem entsprechenden Umgang mit ihnen. Das betrifft wohl nicht nur Wissenschaftler und Kirchenmänner, sondern auch Politiker und Wirtschaftsleute. Sehr wahrscheinlich ist es ein menschliches Grundthema, den eigenen Einflussbereich möglichst abzusichern – und der ist durch Grenzen “abgesteckt”. Manche verhalten sich dabei sehr dominant – nicht unbedingt im besten Sinn als “Herren”.

Ich denke auch, dass die Verkündigung auf weite Strecken diese Aufgabe einer ganzheitlichen Sicht nicht nur nicht wahrgenommen, sondern aus welchen Motiven und Absichten auch immer, ziemlich vernachlässigt hat. Die lehramtliche Linie der Verkündigung hat damit jedoch die “Rechnung ohne den Wirt” gemacht. Sie beruft sich zwar immer auf die göttliche Offenbarung und die lehramtliche Kompetenz zur Interpretation, aber diese ist weitgehend von traditionellen Gesichtspunkten geprägt und damit an der Vergangenheit orientiert. Das, meine ich, ist einer von mehreren wesentlichen Gründen, dass die Verkündigung auch des Evangeliums bei immer mehr Menschen immer weniger ankommt. Der kurz- und mittelfristige “Erfolg” der Methodik und Didaktik verkehrt sich und wird zum Rohrkrepierer... Ich möchte in keiner Weise das persönliche Glaubensmodell eines Menschen beurteilen. Aber ich kann mich oft nicht des Eindrucks erwehren, dass gerade sich als “rechtgläubig” verstehende Menschen sich nicht wirklich mit den jeweiligen Lesungen im Gottesdienst auseinandersetzen: sie hören bestenfalls allem Anschein nach nur hin, horchen aber kaum “hinein”. Nämlich dahin, welchen konkreten Bezug das gehörte Wort für ihr konkretes Leben hat: sie lassen sich davon kaum berühren. Eine ähnliche Erfahrung habe ich in der Bibelrunde unserer Pfarre gemacht: es wurde versucht, den Sinn rein vernunftmäßig zu erfassen. Ich vermute, das war der Grund, warum die Runde “eingegangen” ist. Meine Hinweise und Anregungen, das Wort mit dem eigenen Leben in Verbindung zu bringen, haben es nicht geschafft, die anfängliche Scheu vor einer “Berührung” mit einem mutigen sich Einlassen zu überwinden. In vielen Gesprächen, speziell mit Patienten im Rahmen der Seelsorge, wurde diese Vermutung gestützt bzw.es kam oft eine ausgeprägte “Bibelscheu” zutage. Landläufiger Kommentar vieler Kirchgänger: eine kurze Messe und eine “schöne” Predigt stehen vorne auf der Wunschliste. Das hat sich ausgeleiert. Ich frage mich: merken das viele Pfarrer wirklich nicht oder wollen sie es lieber nicht merken? Es ist ein eigenartiger Kontrast, mit welchen widersprüchlichen “Argumenten” Kleriker auf allen Stufen der Hierarchie – aber auch nicht wenige “Laien-Kirchen-Insider” – die sich abzeichnende “Ausdünnung” in verschiedenen Bereichen zu “begründen” versuchen. Die Hauptrichtung ist die oft genug indifferente Klage über den “Glaubensverlust der Leute”, mit der jedoch meist ein schwindender Kirchenbezug gemeint ist – der “Messbesuch” vor allem. Andererseits werden gerade von Klerikern auch “Beschönigungsverfahren” angesetzt, wenn es um gewisse “Public Relations” geht. Manche gehen so weit, von einem “Prozess der Gesundschrumpfung” zu reden. Jedenfalls: an Irritationen ist kein Mangel. Wie viel Defizit an “Gottesglauben” tatsächlich allgemein und im Einzelnen gegeben ist, wage ich nicht einzuschätzen.

Allein an der Definition “Gottes- oder Christusglaube” werden sich die Geister scheiden. An der kirchlichen Messlatte wird die Marke wohl ziemlich unten sein – auch wenn diese eine qualitative “Eichung” sehr notwendig hätte. Ich denke, der “Pegel” des Glaubens hängt eher an – vermittelten, tradierten und von vielen Einflüssen manipulierten – Gottesbildern. Aber die Grundsehnsucht nach Sinn und Liebe ist jedem Menschen zutiefst eingepflanzt, sodass sie auf Dauer nicht verloren gehen könnte. Und vielleicht müssen manche eingefahrenen Geleise so “holprig” werden, dass die Ausschau nach neuen Wegen möglich wird. Solche Zwischenphasen sind nicht angenehm und fordern entweder viel ausdauerndes Vertrauen heraus – oder eine lähmende Resignation... Ich frage mich in Gesprächen oft, was in dieser Beziehung in den Vorstellungen alles verwoben sein mag. Dass skeptisch orientierte Geister schnell das Kind mit dem Bad ausschütten, scheint mir sehr verständlich, auch in Bezug auf eine oft “aus dem Häuschen geratene”, unreflektierte Kirchenkritik. Was bleibt aber an der Basis für ein Ur-Vertrauen, wenn ich aus meinem Leben alles ausräume, was nicht rationell niet- und nagelfest ist? Die Frage nach einem Lebenssinn, nach einem Woher und Wohin, auch nach einem Wozu, ist eben doch nicht bloß eine überflüssige Marotte. Es ist – so meine Version und eine mögliche Wortwahl – mein existenzieller Lebenskern: die unbedingte Beziehung meines kleinen Selbst zu einem alles umfassenden und durchdringenden Du.

Und das ist, wenn ich es so sagen darf, das Wesentliche der Christusgegenwart in unser aller Leben, wie sie in Jesus von Nazareth so eindrücklich Gestalt angenommen hat. Es ist dann letztlich eine Frage, wie weit das Bewusstsein dafür entwickelt und gefördert wird – oder gehemmt. Was als “Glaubensverlust” in meiner Sicht eher unscharf ausgedrückt wird, ist in seiner Essenz ein Defizit an Beziehung und Bewusstsein zu mir, zu meinem wahren Selbst als “Sohn bzw. Tochter Gottes”. Dieses Defizit drückt sich markant schon in jedem unbewussten “Vater unser” oder in nicht reflektierter Teilnahme an Gottes-“Diensten” aus. Obwohl sicher auch hier die Grundsehnsucht am Werk ist... Ich möchte damit natürlich nicht der nächsten Folge der “Vorbemerkungen” vorgreifen. Aber es ist das, was mich in dieser “Sache” zutiefst bewegt, persönlich und allgemein. Auch in Bezug auf die Entwicklung der Kirchen, und aller Religionen. Ich glaube fest, die Entwicklung zu einer globalen Einheit in Vielfalt ist nicht aufzuhalten, sie ist “nur” eine Frage der Zeit. Wenn die römische Kirche eine wahrhaft katholische und als solche “maß-gebend” sein will, dann wird sie sehr wahrscheinlich ihr Selbstverständnis, ihre Rolle in der Welt und ihre Methoden gründlich überdenken – und “wandeln” müssen. Ich denke dabei immer wieder an Karl Rahner und sein “prophetisches” Wort kurze Zeit vor seinem Heimgang: “Der Christ der Zukunft – und mit ihm die Kirche – wird mystisch sein, oder er/sie wird nicht mehr sein”. Nur – was fangen wir mit dem Begriff “mystisch” an? Ich versuche es ganz einfach und simpel mit einer Redewendung: Wo sich Himmel und Erde verbinden. Aha!?

Aber: Dürfen s‘ denn das? Sie dürfen nicht nur, sie sollen sogar – und sie können auch: “Vater im Himmel” und “Mutter Erde”, “wie oben so unten”. Dieser “Mythos” ist wahrscheinlich alt wie die Menschheit und zeitlos gültig. Das Paradigma der Trennung ist längst überfällig im Ablaufdatum. Es hat von Gott her nie gegolten, es ist ein Konstrukt des menschlichen Ego: der “Sündenfall”. Sünde als Abkehr, Absonderung, Trennung: der Mensch isoliert im Schatten seines Ego. Und er spürt und weiß und glaubt es nicht, dass er immer noch umfangen ist von Gott, der Liebe ist. Das Drama: Religionen und Kirchen haben die Sache mit der Sünde zum barbarischen Werkzeug der Angst um das Heil instrumentalisiert – und zum Geschäft. Das hat offenbar langfristige Konsequenzen – und wird von manchen “Amtsträgern” noch immer aufrecht erhalten. Dabei ist “Heil” in keiner Weise käuflich, weder mit Geld noch mit “frommen Werken”, sondern unwiderrufliches Angebot Gottes im “Siegel” von Jesus Christus. “Heil”: Gebrochenes, Getrenntes wird wieder ganz, heil (engl. whole für ganz). Erster Schritt dazu ist Vergebung: für andere – und für sich selber. Was ist da schief gelaufen, dass viele Menschen ihr “Heil” bzw. was sie dafür halten, lieber außerhalb der Kirchen und des von diesen verkündeten “Glaubens” suchen? Ansätze waren und sind ja vielfach vorhanden, wenn auch Liebe meist als “Gnade” (Zuwendung) benannt wurde. Für meinen Begriff, bzw. besser für mein Gefühl (und möglicherweise das Gefühl vieler, die mit Kirche ihr Problem haben), liegt das Dilemma darin, dass die Heilsbotschaft Jesu “heillos” überfrachtet wurde mit Vorgaben und Lehren. Die Hierarchien haben ein Monopol an “Glaubenssätzen” daraus gemacht, die den “Gläubigen” überfordern und damit abstumpfen. Selbst die “Fachexperten” der Amtskirche haben immer mehr Mühe, wenigstens den Schein an “Einheit” zu wahren (Stichwort “Kirchenkrise”).

Das zentrale Anliegen Jesu aber, die Gottes-Beziehung (Vater unser!), geht dabei weitgehend unter – oder wurde zum Teil mit Absicht umgangen. “Glaubensverlust” demnach als Verlust an Bewusstheit, dass sich in jedem Menschen wie in Jesus Himmel und Erde nicht nur berühren, sondern vereinen. Nicht bloß von der Sünde sind wir durch Jesus erlöst, sondern für das Bewusstsein, als Söhne und Töchter Gottes in seiner Liebe zu sein. Das könnte die Essenz dessen sein, was “Erlösung” meint: heil gemacht, ganz gemacht – “geheiligt”. Ich meine, die Kirchen (alle!) haben sich zu sehr selber zum Heilsmittel gemacht statt ihrem eigentlichen Auftrag gerecht zu werden: “Zeugen” zu sein. Das Amt, die Verwaltung der Sakramente, das dogmatische Selbstverständnis, die diversen Skandale – all das scheint der “heiligen Herrschaft” über den Kopf zu wachsen. Hans Küng fragt: “Ist die Kirche noch zu retten?” (Buchtitel). Ich habe seine Antwort nicht parat. Die Kirche hat sich die Antwort schon vielfach gegeben, aber nicht beherzigt: “Kehrt um, das Himmelreich ist nahe!”. Nahe – das verstehe ich als allgegenwärtig. Aber es ist mir, meinem Denken, Fühlen immer nur so “nahe” – oder ferne – wie ich ihm in meinem Bewusstsein Raum gebe. “Mensch halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir! Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für” (Angelus Silesius, 1624 -1677).

Gilt das nicht auch für “Kirche”, die aus Menschen besteht? Sollte Verkündigung nicht darauf gerichtet sein, die Menschen an den “Himmel”, an Christus in sich zu “erinnern”? Und zwar unabhängig von “Heilsmitteln”, die als Bedingung für den “Zugang” vermittelt werden. Sie haben ihren Sinn als sinnenhafte Zeichen, aber abhängig ist die Gegenwart Christi nicht davon. Da wäre letztlich Christus abhängig vom Tun und Lassen kirchlicher Amtsträger. Ihre “Schlüsselgewalt” besteht in der Hinführung zur umfassenden Kommunion mit Christus (siehe Joh. 6,22 ff). Was Wunder, wenn Menschen wegen erlebter “Dominanz” etc. auf die Bedingung, auf die Mittel und den Zugang gleich ganz verzichten? Wie ist die Verantwortung dafür verteilt? Metanoite – kehrt um, denkt um! Papst Franziskus “erinnert” daran auch seine “Brüder” im Leitungsamt sehr eindringlich. Und erntet dafür Verständnislosigkeit, “Dubia” an lehramtlicher Integrität und verhaltene Empörung. “Was er sagt, ist unerträglich” (vgl. Joh 6,60). Typisch menschlich, auch in höchsten Kreisen. Es trifft offenbar auch da zu: “In unseren Herzen wäre mehr Himmel, wenn sich darin nicht so viel Erde befände”. Punkt. Ende – aber nur für diesen Abschnitt, diese Phase der Kirchengeschichte. Entwicklungsphasen überlappen sich meistens. Das neue “Drehbuch” wird schon geschrieben – hinter den „Kulissen”.

Vielleicht sind sie ja schon im Entstehen: der “neue Himmel” und die “neue Erde”. Vielleicht hat es ja schon ausgetrieben, das “Senfkorn”. Es könnte sein, dass die Eminenzen und Exzellenzen mit all ihrem Anhang in all ihren Bestrebungen um Bewahrung des “rechten” (!) Glaubens das ganz übersehen – und den Anschluss verpassen: “Von zwei, die auf dem Feld sind, wird einer mitgenommen und der andere zurück gelassen” (vgl. Mt 24,40). Sie würden auch sehr irre werden: Denn “die heilige Stadt, die von Gott her kommt, ist ein neues Jerusalem” (vgl. Offb 21,2) – nicht Rom. Und sie würden sich weiter wundern, wenn der Seher sagt: “Einen Tempel, einen Dom, (oder gar eine Kurie) sah ich nicht in dieser Stadt. Denn Gott ist ihr Tempel, ihre Leuchte, er und das Lamm” (vgl. Offb 21,22). “Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt” (vgl. Offb 2,29 u.a.). Den Gemeinden, von Exzellenzen ist nicht die Rede. Aber – vielleicht gelingt es ihnen ja doch, sich in der Gemeinde zu verstehen, nicht über ihr – als “Stellvertreter” Christi...

Fritz Tüchler, Jg 1947, Absolvent der theologischen Kurse der ED Wien, war langjährig in der Heimatpfarre tätig und ist derzeit ehrenamtlicher Krankenhausseelsorger.


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