Kindermund tut Wahrheit kund#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 188/2016
Ein aufgewecktes Bürschchen ist Max, auch ein guter Schüler. Oft stellt er seinem Papa Fragen, die dieser alle gewissenhaft beantwortet – er meint, dass das für die Erziehung seines Kindes sehr wichtig sei. So auch an diesem Tag während eines Spaziergangs draußen in der Natur. Da erzählt der Junge, dass er in seiner Klasse einen evangelischen Mitschüler habe und er will genau wissen, warum das so sei und was es bedeute.
Nun kramt der Vater sein Wissen zusammen und erzählt von Martin Luther. Dieser hätte einiges in der Kirche ändern wollen, doch damit den Zorn des Papstes hervorgerufen, er wäre verurteilt und verfolgt worden. Aber er fand einen Landesherrn als Beschützer und konnte in dessen Burg wohnen. Er nutzte diese Zeit, um die Bibel vom Lateinischen ins Deutsche zu übersetzen, damit sie jeder lesen könne. Das wäre damals einfachen Menschen verboten gewesen! Die Sache sei gut und schlecht zugleich ausgegangen – der Reformator habe viel Anklang und Anhänger gefunden, aber das bedeutete eine Spaltung der Kirche mit Streit, und das bis heute, früher sogar mit schlimmer gegenseitiger Gewalt bis hin zum Krieg.
Zunächst stellt sich Max den verfolgten Kämpfer für eine lesbare Bibel vor und nimmt – was dessen Schicksal betrifft – erfreut ein Happyend wahr, aber dann interessiert ihn doch, was bei seinem Klassenkamerad als Angehöriger der Lutherreligion nun anders sei? Der Papa versucht eine Aufzählung der Unterschiede – von dort nicht üblicher Marien- und Heiligenverehrung über das Fehlen von prachtvollen Zeremonien mit Latein, Weihrauch und Prozessionen bis zu dem Umstand, dass evangelische Pastoren heiraten und Familie haben. „Auch Frauen als Pfarrerinnen gibt es, und Papst haben sie auch keinen, aber schon so etwas wie Bischöfe“.
Nun versetzt sich Max gedanklich in die Rolle seines Mitschülers und stellt sich eine evangelische Messe vor, die eigentlich noch langweiliger wäre, vielleicht jedoch erfreulich kürzer! „Aber beten tun sie schon, gelt Papa, und singen in der Kirche auch?“ Das wird bejaht, mit dem Zusatz, dass ja Gott und Jesus für die Reformierten eigentlich dasselbe wie für alle Christen bedeuten, aber dort glaube man eben Manches nicht, das für die Katholiken gelte.
Die beiden setzen sich auf eine Bank, der Junge schaut zu den Wolken und zum Himmel, wo die verstorbene Großmutter sei, wie alle sagen. Aber er denkt weiter und an seinen Religionsunterricht. Das bewegt ihn schließlich zur naheliegenden Frage, ob nun das, was er da lernen müsse, richtig sei, oder das, was man seinem Schulkameraden Anderes unterrichte. Denn eigentlich könnte ja nur eine von beiden Glaubensarten, über die man so arg stritt, stimmen!
Das ist nun eine Herausforderung für den bemühten Vater. „Ich will dir das so sagen: Alle Religionen wollen uns Wege zeigen, die zu Gott führen sollen, aber sie sind verschieden. Das ist schwierig und kompliziert, denk an die Muslime in deiner Schule! Schau, Max, eigentlich kommt es letztlich nur auf unser Bemühen an, gute Menschen zu sein. Und selber müssen wir schon auch nachdenken, was richtig ist.“ Er steht auf, um weiterzugehen, aber das kluge Kind lässt nicht locker. „Warum sind wir aber eigentlich Katholiken und andere Evangelische?“
Die Antwort erscheint leicht, befriedigt den Knaben aber gar nicht. „Weil schon unsere Eltern katholisch waren, auch die Großeltern – es ist halt so!“ Das weitere Warum folgt daher auf dem Fuß. „Papa, es muss ja irgendwer früher bestimmt haben, ob wir katholisch oder evangelisch sein sollen! Es ist ja doch nicht dasselbe!“ Jetzt wird es dem Vater schon langsam zu viel. „Weißt du, das haben die Herrscher entschieden, was ihr Volk glauben soll, nachdem ein großes Streiten war, die Fürsten, Könige und Kaiser. Und die haben ganz energisch darauf geschaut, dass bei sonstiger strenger Strafe alle schön brav denselben Glauben haben“.
Nun liefert der Knabe ein Beispiel seiner vom Vater stets geförderten kritischen Intelligenz: „Aber haben diese Könige und der Kaiser gewusst, wo der richtige Weg zum lieben Gott ist, wenn Du, Papa, gerade gesagt hast, eigentlich kann man es gar nicht wirklich wissen! Waren die damals so viel gescheiter als wir?“ Da kapituliert der bereits etwas genervte Erzeuger. „Nein, sie waren ganz und gar nicht gescheiter als wir heute, aber sehr mächtig! Und jetzt lassen wir das, wir sind halt Katholiken und das ist so!“
Während sie den Spaziergang fortsetzen und der Bub voranläuft, denkt sich der Vater, dass ihm sein gescheiter Sohn etwas Interessantes und eigentlich Absurdes bewusst gemacht hätte: Dass sich die angeblich so wichtigen Glaubenswahrheiten für die Menschen aus einem Zufall ergäben, nämlich wessen Untertanen ihre Vorfahren waren. Und dass der kritische Verstand, zu dem er sein Kind anleiten wolle, daher mit derart Angeordnetem überhaupt nicht einverstanden sein müsste! Und so fragt er sich schließlich, warum man den Kindern im Religionsunterricht Konfessionen darlege, die eigentlich alt aussehen würden, statt ihnen ein gemeinsames und überzeugendes Christentum mit auf den Weg zu geben – angesichts unserer so vielfach bedrohten Welt mit ihren ganz neuen und großen Herausforderungen!