Warum ich aus der Kirche austrete #
Von
Sarah Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 88/2013
Lieber Großpapa,
ich habe mich gefragt, ob Du es sehr missbilligen würdest, wenn ich die Kirche verlasse. Als ich mit meinen Gedanken auf Dich zugegangen bin, hast Du Verständnis gezeigt und mich gebeten, meine Gründe dafür darzulegen. Das will ich nun tun:
Du kennst mich seit meiner frühen Kindheit als interessiertes, die Welt hinterfragendes Mädchen. Oft erzählst Du mir von gemeinsamen Kirchgängen – ich auf Deinen Schultern sitzend -, nach denen ich schon als Kind die Gedanken des Predigenden mit Dir besprechen und reflektieren wollte.
Oft machten wir uns die Welt und den Glauben der Menschen zum Gegenstand philosophischer Gespräche.
Bis weit über mein Studium hinaus haben mich Spiritualität, Religionen und Glaubenswege fasziniert und begleitet (nicht zuletzt habe ich meine Diplomarbeit dem Thema Spiritueller Selbsterfahrung und religiöser Pluralität in Wien gewidmet). Du weißt wohl, dass Spiritualität und Gläubigkeit für mich nicht nur mitreißende Forschungsinhalte darstellen, sondern genauso Teil meiner persönlichen Lebensphilosophie sind. Mein ethisches Bewusstsein, die Art mein eigenes Leben zu interpretieren und zu hinterfragen, sind wesentlich von meinem persönlichen spirituellen Credo geprägt.
Doch spreche ich hier bewusst von Spiritualität und Gläubigkeit und nicht von einer mich „leitenden“ Kirche. Denn Fundament meines spirituellen Bewusstseins ist das Wissen über unterschiedlichste Glaubensgrundlagen, welches mir nie und nimmer erlauben könnte, von EINER Institution derart überzeugt zu sein, um sie als einzig wahre Lehre Gottes annehmen zu können.
Es stimmt mich immer wieder traurig und wütend, dass unter dem Deckmantel der „wahren katholischen Lehre“ im Laufe der Geschichte unzählige Menschen ihr Leben und ihren eigenen Glauben opfern mussten . Es ist schlimm genug, das Leid missionarischer Ambitionen als Teil der Vergangenheit anerkennen zu müssen. Es ist für mich unverständlich, dass Mission nach wie vor einen wesentlichen Bestandteil der katholischen Lehre ausmacht und somit andere Glaubens-Formen und Spiritualität grundsätzlich nie als gleichberechtigt gelten können. Ist diese Form des Hochmutes nicht an sich Verstoß gegen christliche Grundwerte?
Natürlich bin ich in der katholischen Kirche sozialisiert worden. Ich erinnere mich auch, meine Firmung ganz bewusst durchlebt zu haben. Damals empfand ich den Gedanken an eine meinen Glauben stützende Gemeinschaft als beruhigend. Heute jedoch belastet mich das Wissen darum, dass viele Elemente meiner Gläubigkeit und moralischen Werte von der katholischen Kirche eben NICHT unterstützt werden, da sie sich auf veraltete, patriarchalische Hierarchien berufen. Bei all dem Glauben an den sozialen und symbolischen Sinn religiöser Überlieferungen: zu viel Menschenhand bestimmt(e) (durch das Verfassen, wie auch Auslegen der heiligen Schrift) diese Werke, als dass ich meine Lebenspraxis allein durch sie bestimmen und regeln möchte!
Dass Frauen nicht als Priester zugelassen werden, ist einer Kirche, die Frau und Mann als „Gottes Geschöpfe“ gleichermaßen anzusehen vorgibt, nicht würdig! Wie soll ein Papst jemals als Vertreter Gottes auf Erden fungieren, wenn Frauen in dieser Funktion nicht einmal in Betracht gezogen werden? Womit ist begründet, dass dafür nur Männer „geeignet sind“? Wie soll ein Priester, dem es verboten ist, offiziell in einer liebenden Partnerschaft mit Gleich- oder Andersgeschlechtlichen zu leben, über Familie und Liebe zu predigen wissen?
Ach ja, die Liebe... wer sind wir, die wir es uns erlauben, zwischen „natürlichen“ und „unnatürlichen“ Formen der Liebe zu urteilen? Ich empfinde es als unaussprechlich verlogen, gleichgeschlechtliche Liebe als „nicht gottesgewollt“ zu verurteilen und hinter heruntergelassenem Vorhang unschuldige, junge Männer, Knaben, Kinder nach Missbrauch zum Schweigen bewegen zu müssen. Auch wenn an dieser Stelle nicht jede/r KatholikIn gemeint sein kann – eine Institution, die solche Geschehnisse durch ihre Struktur und Machtgefüge möglich macht, muss nach meinem Verständnis von Menschenwürde in Frage gestellt werden!
Genug Stimmen erheben sich schon gegen diese patriachalen Machtstrukturen, gegen Intransparenz und Machtmissbrauch. Wie taub kann sich eine Institution gegenüber diesen Stimmen aus den eigenen Reihen denn noch verhalten? Immer lauter rufen sie, doch die Kirche würgt ihre Stimmen ab. Insofern die Dialogbereitschaft katholischer Würdenträger dahingehend nicht zunehmend in Taten wirksam wird, sehe ich für mich leider keine Veranlassung, meine Enttäuschung darüber hinter verborgener Hand zu halten.
Freilich gibt es eine Vielzahl an Menschen, die als Teil der katholischen Kirche Veränderungen im Sinne eines ureigenen, christlichen Glaubens herbeisehnen. Auch sind viele Mitglieder der katholischen Kirche wahrlich im Sinne der Nächstenliebe aktiv. Doch anscheinend sind nicht sie es, die „an der Spitze“ das Sagen haben – und es aufgrund ihrer uneigennützigen, modernen Gedanken wohl leider auch nicht haben werden.
Wohl habe ich lang daran festgehalten, dass die Veränderung eines Systems von innen her kommen muss und meinen Glauben als Teil des christlichen interpretiert. Doch wenn mögliche, zeitgemäße Veränderungen jener Institution, die ihn umgibt, im Keim erstickt werden, sehe ich keine andere Möglichkeit, als den „Notausgang“ zu wählen. Institutionen erleichtern den Menschen, sich zu organisieren, Austausch zu finden und strukturierte Formen von Unterstützung für alle zu bieten, die derer bedürfen. Doch wie viele Regeln, wie viele Strukturen sind für eine Institution „gesund“, ohne dass menschliche Machtkämpfe und Intrigen überhand nehmen und den ureigenen, spirituellen, lebensbejahenden und nächstenliebenden Sinn dahinter überschatten?
Natürlich könnte ich sagen: schau Dir mal den Franziskus an, vielleicht wird es anders. Doch ich wähle, nicht mehr zu warten „bis es anders wird“ – bis wahre Toleranz über Diversität, Anerkennung und Nächstenliebe im ureigenen selbstlosen Sinn im Zentrum der religiösen Praxis stehen.
Mein Glaube ist frei.
Mag. Sarah Kohlmaier, Jg. 1985, ist Kultur- und Sozialanthropologin, sowie Mediatorin und Konfliktmanagerin. Zurzeit arbeitet sie als Karriereberaterin für AkademikerInnen.