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„Klerikofaschismus“ - ein treffliches Wort?#


Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 68/2012


Am Vorabend des ersten Adventsonntags rief mich ein Pater aus der Schweiz an, um mir zu erzählen, dass er meine Texte von dritter Seite bekomme und interessiert lese. Wir beklagten dann gemeinsam die Situation unserer lieben Kirche und dabei merkte mein Gesprächspartner an, im Vatikan herrsche der Klerikofaschismus.

Das Wort ließ mich nicht mehr los. Trifft der an sich ungenaue Begriff „Faschismus“ wirklich auf das römische Leitungssystem des Katholizismus zu? Es ist ja bekannt, dass er in der Politik gern als Totschlagargument auch dann verwendet wird, wenn er gar nicht passt. Man stülpt die Bezeichnung gern über allerlei ungute Regime einschließlich des Nationalsozialismus, welcher allerdings seine schrecklichen Besonderheiten aufwies.

Im Allgemeinen will man mit faschistisch ein autoritäres und totalitäres System bezeichnen, das antiliberal sowie antidemokratisch ganz nach dem Führerprinzip ausgerichtet ist. Dies traf natürlich auf das Hitlerregime zu, das ich noch als Kind erlebte. Vieles blieb mir da noch in lebhafter Erinnerung.

So begann ich nach Vergleichen mit dem zu suchen, was der Ordensmann meinte. Dabei entsann ich mich sogleich meines Entsetzens, als der faschistischem Denken huldigende Gründer des Opus Dei im Eiltempo „heilig“ gesprochen wurde. Bedenken dagegen, die besorgt auftraten, wurden mit dem Argument unterdrückt, der „Heilige Vater wünsche das“.

Traurige Erinnerungen#

Ich habe noch das „Führer befiel wir folgen dir“ im Ohr. Da gab es kein Wenn und kein Aber – der oberste Herrscher war sakrosankt und sein Handeln durfte in keiner Weise angezweifelt werden, wollte man nicht arge Folgen heraufbeschwören. Ein unbeschreiblicher Kult wurde um den Führer betrieben. Dazu gehörten auch Massenveranstaltungen mit hysterischem Jubel. Perfekte, prächtige (und natürlich teure) Inszenierungen gaben dem alles Beherrschenden Gelegenheit, sich höchst eindrucksvoll in Szene zu setzen.

Der Führer berief sich auf seine Auserwählung als Heilbringer, die er durch göttlichen Ratschluss („Vorsehung“) erhalten hatte. Somit stellte sich jeder, der ihn ablehnte, gegen das Wohl des Volkes und wurde zum Schädling und Zerstörer der stets beschworenen Einheit. Um den Führer sammelte sich eine ihm treu ergebene Clique, die bedingungslos Gehorsam leistete und alles unternahm, damit perfekte Befehlsstrukturen wirkten. Durch uneingeschränkte Ergebenheit gelangte man ja selbst zur Teilhabe an der Macht. Und das wurde gewissenlos ausgenutzt.

Dazu gehörte auch die Bildung von Eliteformationen, die bedingungslose Treue gelobt hatten. Mit ihren straff organisierten Befehls- und Unterwerfungsregeln sollten sie eine rücksichtslose Durchsetzung der Ideologie sicherstellen. Aber ganz allgemein wurden Amtsträger konsequent nach dem Prinzip der Führertreue ausgesucht. Andersdenkende wurden rücksichtslos eliminiert. Nicht Fähigkeiten oder Begabungen waren entscheidend, sondern die Bereitschaft, eigenes Denken zu unterdrücken und einfach zu gehorchen.

Wer sich gegen das Regime stellte, wurde gnadenlos verfolgt. Alle Sanktionen geschahen in absoluter Willkür, es gab keine Begründung und man hatte keine Chance, sich in einem Rechtsverfahren dagegen zu wehren und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Terror war perfektioniert, die Menschenrechte wurden mit Füßen getreten. Dem diente auch ein lückenloses Netzwerk der Denunziation.

Alle wurden streng beobachtet und wenn tatsächlicher oder auch nur angenommener Ungehorsam gegen das Regime gemeldet wurde, schlug dieses zu. Den Denunzianten glaubte man immer und Verteidigung hörte man weder an noch nahm man sie ernst. Viele Unschuldige mussten das bitter erleiden. Doch der Glanz musste gewahrt werden. Ein perfektes Propagandasystem bearbeitete das Volk. Alles was die Obrigkeit tat, wurde in den Himmel gehoben und jeder Gegner verteufelt.

Das System stand ja gegen das Böse, das den Heilsbringer bekämpfen wollte, und so rief man alle auf, um jeden Preis zusammenzuhalten, um den endgültigen Sieg über den Feind zu erringen. Ein System der Lüge wirkte. Gleichgeschaltete Verlautbarungsorgane berichteten über allerlei Erfolge. Misserfolge wurden konsequent verschwiegen oder beschönigt. Wer die Wahrheit sagte, wurde der „Wehrkraftzersetzung“ bezichtigt und streng bestraft.

Als das militärische Desaster eintrat und es zunehmend an Menschen und Material fehlte, bezeichnete man den Rückzug als „Frontbegradigung“. Der oberste Kriegsherr selbst wurde von Problemen möglichst abgeschirmt. Geschah Übles, hörte man Gutgläubige sagen: „Ja weiß das der Führer überhaupt“? Zunehmend entstand der Eindruck des Realitätsverlustes und der totalen Selbsttäuschung an der Spitze. Aber niemand wagte, die Dinge schonungslos darzustellen und dem Diktator reinen Wein einzuschenken.

Als Folge all dessen lösten sich die meisten Menschen voll verbittertem Entsetzen von diesem Regime, an das nicht Wenige in Zeiten der wirtschaftlichen Not zunächst geglaubt hatten. Es gab ja überhaupt keine Chance, daran etwa zu ändern. Das System der Machterhaltung hatte sich brutal gegen jeden Einwand und gegen jede andere Meinung abgesichert. Wenn es auch die Gedanken nicht kontrollieren konnte, so doch die Worte, die man sich sehr überlegen musste, um nicht Missfallen zu erregen. Es blieb nichts Anderes übrig als in die innere Emigration zu gehen. Manche wagten den Widerstand, doch wurden sie ertappt, hatten sie Schlimmes zu befürchten.

Ich wurde sehr nachdenklich#

Als mir das alles in Erinnerung kam, wurde mir schon sehr unbehaglich. Beklemmende Gedanken drängten sich mir wie schon seit Längerem auf. Schrieb doch jüngst ein Bischof, der von einem Katholiken nach den Gründen der Absetzung seines angesehenen Amtsbruders Bezak gefragt wurde, wörtlich zurück: „Ich weiß nur eines: dass ich die Gründe für die Entscheidung des Papstes nicht kenne … Mein Wissensstand sagt mir: Die Abberufung erfolgte nicht ohne ernste Gründe. Und das genügt mir.“

Den Menschen unserer Zeit genügt so etwas aber keineswegs mehr. Sie wollen, dass die Menschenrechte überall und immer gewahrt werden. Sie wollen Offenheit und Ehrlichkeit. Sie sind als Bürger in einem demokratischen Rechtsstaat davon überzeugt, dass jede Entscheidung, die bestrafenden Charakter hat, öffentlich zu begründen ist und dass der Beschuldigte die Möglichkeit haben muss, sich vor aller Welt zu verteidigen und zu rechtfertigen.

Ist dies ausgeschlossen und wirken nach wie vor Geheimdiplomatie und Denunziation, entsteht der schreckliche Eindruck von Parallelen zu dem, was ich zuvor geschildert habe. Geht es nicht heute wie damals um die Wahrung der Menschenwürde? Ist es nicht haarsträubend, wenn Menschen in der Gemeinschaft entrechtet werden, nur weil sie freimütig reden und Änderungen einmahnen, wie erst neulich wieder mit einem 75-jährigen Ordenspriester in den USA geschehen? Sein Vergehen ist, dass er sich für die Weihe von Priesterinnen einsetzt.

Und wie steht es um die Wahrheit und die strikte Vermeidung von lügenhaften Beschönigungen? Ist es nicht Systemblindheit, wenn man das eigene Unvermögen, den Glauben zeitgemäß zu verkünden, mit einem allgemeinen „Glaubensverlust“ rechtfertigen will? Wird nicht der Rückzug von der zusammenbrechenden Seelsorge gar zum organisatorischen Fortschritt erklärt? Als ich von der fehlenden ungeschminkten Information des obersten Machthabers schrieb, war ich versucht, das Wort im Sinne des Einschenkens von reinem (Gens)Wein zu variieren.

Nicht unerwähnt kann ich lassen, dass mich auch sehr beunruhigte, was ein Theologe zum letzten Papstbuch kritisch anmerkte, nämlich dass Benedikt das Judentum Jesu im Christentum „auflösen“ wolle. Da scheint etwas wirksam zu werden, was nicht nur eine Frage theologischer Auffassung ist. Es wurde auch sichtbar, als man die Karfreitagsbitte in Bezug auf die Juden änderte oder den Antisemitismus der Piusbrüderschaft geflissentlich übersah. Fehlt diese dem Papst als erwünschte Elitetruppe?

Das Wüten der bedingungslos gehorsamen Formationen des Gesinnungsterrors ist mir noch in Erinnerung. Gottlob haben sich die Zeiten geändert. In der zivilisierten Welt des Fortschritts können Recht und Wahrheit nicht mehr durch physische Gewalt beseitigt werden. Doch gibt es nicht eine ebenso schlimme geistige Gewaltanwendung? Wird damit nicht gerade jene Freiheit unterdrückt, die das Christentum zur Erfolgsgeschichte machte?

„Bei euch soll es nicht so sein“. Immer wieder tritt da in mir mit Wucht die Frage auf: Was würde Jesus zu all dem sagen? Geht es doch um seine Nachfolge, die noch vielfach geschieht und auch ein unabdingbarer Maßstab gerade für jedes Führungsverhalten sein müsste! Sollte da nicht Barmherzigkeit das oberste Prinzip sein?

So hat mich das Wort meines Gesprächspartners sehr beschäftigt. Verdient der Vatikan die von ihm gewählte Bezeichnung? Es ist wohl angebracht, darüber nachzudenken.