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Maria – Mutter Jesu, Mutter Gottes#

Lk 1,39-56 Predigt zum 2. Advent 2019 Holzkirchen#


Von

Gerhart Herold

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 314/2019


Begrüßung: Unsere katholischen Freunde feiern heute das Fest Mariä Empfängnis. Ich möchte deshalb heute auch im evangelischen Gottesdienst Maria in die Mitte nehmen. Sie hat mit Recht in unseren Weihnachtskrippen den Ehrenplatz neben ihrem göttlichen Kind.

Predigt: „Der Herr hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder“. So beginnt Maria ihren Lobgesang. Ja, an Weihnachten feiern wir, dass sie Jesus geboren hat, den Messias, den Christus, den Gottessohn und Erlöser der Welt. Die Leuchtkraft ihres Sohnes wurde so groß, dass der Glanz auch auf seine Mutter fiel. Mehr und mehr sah man in ihr ein Spiegelbild ihres Sohnes. Die Frömmigkeit der Menschen wandte sich auch ihr zu, es gab immer mehr Legenden. Auch die theologischen Fachleute bemühten sich um sie. Es ist beinahe rührend, wie sie versuchten, den irdischen Werdegang Marias zu rekonstruieren und blank zu putzen.

Freilich gerieten sie in ihrem Eifer übers Ziel hinaus; denn sie einigten sich darauf: Schon die Mutter Anna hat ihre Tochter Maria auf besondere Weise empfangen, nämlich „unbefleckt“ - so ist es bis heute die offizielle Lesart. Das bedeutet konkret: Als Joachim und Anna ihre Tochter Maria zeugten, war das „unbefleckt“, das heißt ohne Erbsünde. Denn normalerweise ist das Geschick der Menschheit verdunkelt durch die Erbsünde.

Wer Jesus kennt, der weiß, dass damit der theologische Tatendrang in die Sackgasse lief. Jesus würde bei keinem Menschen sagen, er sei „befleckt“ empfangen worden, also im Sumpf der Sünde. Dazu liebte er die Menschen zu sehr, und zwar jeden einzelnen. Er las auch in seiner Bibel die Ansage Gottes: „Ihr seid heilig; denn ich, euer Gott, bin heilig“ (3Mose 19). Heiliger als ein Mensch kann keiner sein. Auf die Idee einer „Erbsünde“ wäre Jesus nie gekommen. Das fiel erst 400 Jahre später dem Hl. Augustinus ein. Klar, man wollte Maria besonders ehren mit der Idee einer ‚unbefleckten‘ Empfängnis. Aber dafür muss man nicht die ganze übrige Menschheit schlecht machen.

Auch der Evangelist Lukas wollte Maria ins rechte Licht rücken. Aber er ging dazu einen eigenen Weg: Er legt ihr revolutionäre Worte in den Mund. Wir sehen vor uns eine junge Frau, die kämpft, leidenschaftlich, stolz und begeistert: Alte Machtstrukturen werden enden, und ein neues Bewusstsein wird beginnen. Ohne Umsturz ist das freilich nicht zu haben. Total werden sich die Verhältnisse ändern: Den Armen und Ohnmächtigen wird geholfen, und zwar auf Kosten der Reichen und Mächtigen. Man nennt ihre Worte „Magnificat“, weil sie beginnen mit dem Ruf: „Groß macht meine Seele den Herrn“. Nur Lukas, kein anderer Evangelist kennt dieses Lied. Das lässt vermuten: Er hat 80 Jahre später diese Verse ‚seiner‘ Maria in den Mund gelegt, komponiert aus Worten des Alten Testaments, wie eine Ouvertüre zu seinem Buch.

Lukas tut damit das, was nach ihm viele Theologen tun werden: Er sieht in Marias Gesicht den Widerschein Jesu. Er lässt Maria schon auf der ersten Seite seines Evangeliums das ansagen, was ihr Sohn in die Welt bringen wird. Noch vor seiner berühmten Weihnachtsgeschichte in Bethlehem gibt Lukas seinem Leser einen Überblick über das, was ihn in seinem Evangelienbuch erwartet. Jesus wird kämpfen für die „Mühseligen und Beladenen“. Hierzu ist wichtig: Lukas schreibt in Rom. Er geht mit Marias Lied ein hohes Risiko ein; denn die Staatsmacht war hellhörig geworden. Sie verfolgte die Christen wegen ihrer umstürzlerischen Ansichten. Sozialkritik war unbeliebt.

Heute, aus dem Abstand von knapp 2000 Jahren, können wir sagen: Was Lukas der Maria in den Mund legte, blieb keine Utopie. Der Lauf der Weltgeschichte gibt dem Jesus Recht, wie er hier durch Maria angesagt wird. Dietrich Bonhoeffer z.B. schrieb im Gefängnis des Naziregimes, während vor seiner Zelle die Wärter auf und ab gingen: Das Magnificat ist „ein unerbittliches Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt“. Ja, die schwangere Maria hatte eine Vision - und sie lief damit nicht ins Leere. Heute finden wir das z.B. im Weltsicherheitsrat der UNO und im Welt-Strafgerichtshof von Den Haag. Ein anderes Beispiel: Als vor 30 Jahren der rumänische Diktator Ceausescu hingerichtet wurde zusammen mit seiner Frau, untermalte das Fernsehen die dusteren Bilder mit dem Zitat aus dem Magnificat: „Die Machthaber stürzt er vom Thron“. Auch die Welthungerhilfe und all die Hilfsprogramme folgen der Hoffnung Marias - trotz vieler Rückschläge: „Die Hungrigen füllet er mit Gütern“.

Doch wir müssen sagen: Die Umstürze könnten häufiger sein, wir bräuchten mehr davon. Die Entwicklung geht nur langsam voran. Schon Lukas weiß das. Er bringt das zum Ausdruck durch eine Besonderheit: Nicht ein Mann hat die Vision, sondern eine Frau. Damit spielt Lukas auf das Geheimnis an, das außer ihm nur der Evangelist Matthäus kennt: Maria wurde schwanger ohne Mann. In dieser Legende von der Jungfrauengeburt verbirgt sich etwas Wichtiges: Im Leben wird das Wesentliche wird nicht von Menschen gemacht und nach Männerart gezeugt. Die wirkliche Erlösung kommt nicht auf dem Wege der Macht, des Managements, der Durchsetzung oder gar des Umsturzes. Nein, die Lebensfragen lösen sich gleichsam auf dem Wege der ‚Jungfrau‘.

Vielleicht lässt sich da neu verstehen, was dieses Dogma meint, Maria habe Jesus geboren, ohne dass sie „von einem Manne weiß“. Wer Gottes Wirken nur im Äußeren sucht, wird ihn nie begreifen. Vielleicht wissen das Frauen wirklich besser als Männer. Gott kommt von innen, er wandelt die Gesinnung.

So tut es gut, wenn Maria unser Gottesbild gleichsam weiblich aufmischt: Die göttliche Trinität aus „Vater, Sohn und Hl. Geist“ bleibt bei uns Protestanten recht männlich-patriarchal und damit lebensfremd. Es fehlt das Weibliche, die zweite Hälfte der Schöpfung, ohne die es kein Leben gibt. Ich würde Maria nicht anrufen im Gebet, aber ich sehe ihren Platz in der Menschwerdung Gottes - sagen wir ruhig als „Mutter Gottes“. Mit diesem hohen Rang könnte sie zum Modell werden für die Weihe von Frauen zu Priestern auch in der katholischen Kirche - wenn das die Männer wollten.

An dieser Stelle möchte ich noch etwas Selbstverständliches sagen: Wir verdanken Jesus nicht einer übernatürlichen Herkunft, sondern einer Familie mit Vater und Mutter. Deshalb frage ich ganz nüchtern: Woher hatte Jesus sein tiefes Gefühl der Geborgenheit, des Vertrauens und der Sicherheit, wenn nicht von seiner Mutter? Welche Rolle Maria gespielt hat bei der Entwicklung von Jesu Persönlichkeit, das dürfen wir nicht unterschätzen. Die Menschen haben in ihm Gott selbst erlebt mit seiner bedingungslosen Liebe. Das verdanken wir auch Maria. Sie hat Jesu Frömmigkeit verankert im Vertrauen auf einen Gott, der die Menschen durch Dick und Dünn, durch Tag und Nacht begleitet.

Zum Schluss frage ich: Wird „Weihnachten unterm Baum entschieden“, wie eine Werbung behauptet? Das macht Angst und wirft unseren guten Willen zurück in Unsicherheit und Zwiespalt; denn wir wollen alles recht machen. Doch wir wissen: Die schönsten Dinge des Lebens sind keine Dinge, die man bestellen oder kaufen kann. Unter dem Baum findet sich die Krippe mit Maria und ihrem Kind. Nicht die Menge der Geschenke macht‘s, sondern allein die Güte unseres Herzens und der Blick unserer Augen. Gönnen wir uns in den letzten Wochen vor Weihnachten diese Erkenntnis - und trainieren wir das! Das kann uns entlasten und auf den Weg zur Krippe bringen.

Dorthin begleite uns der Friede Gottes, der höher ist als unser Denken und Tun. Er öffne unser Auge für das Kind von Weihnachten - und für seine Eltern. Amen.

Dr. theol. Gerhart Herold ist evangelisch-lutherischer Pfarrer in Holzkirchen (Oberbayern). Er ist verheiratet mit Frau Tina Zabolitzky. Die Beiden haben zwei Söhne.