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Warum „NEWCAT“?#


Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 379/2021

Von

Herbert Kohlmaier


Es ist zehn Jahre her, als ich mich erstmals mit „Gedanken zu Glaube und Zeit“ an einen interessierten Kreis wandte. Daraus wurde eine ansehnliche und mittlerweile umfangreiche Reihe, die nun Heribert Franz Köck betreut. Heute will ich mich aber persönlich an Sie wenden, so als ob ich Ihnen allen einen Brief darüber schreiben wollte, was mich bewegt.

Aus einem eher liberalen Elternhaus stammend kam ich durch meine Frau in näheren Kontakt mit der Kirche und war dann auch in unserer Pfarre aktiv. Als Politiker, der sich mit dem Wirken unserer Gemeinwesen befasste, nahm ich allerdings Mängel im System Kirche wahr, die mich störten und auch empörten. Ich äußerte mich dazu auch öffentlich und so war naheliegend, dass ich eingeladen wurde, die Laieninitiative als neue Kirchenreformbewegung zu leiten. Ich setzte mich dafür ein, es war auch nicht erfolglos, vieles habe ich dabei gelernt und ich beobachte die Entwicklung noch immer mit Interesse, aber auch großer Sorge.

Allmählich gelangte ich zu einer eigentlich naheliegenden Schlussfolgerung. Wenn wir Änderungen kirchlicher Regeln einmahnen, die überholt und oft auch schädlich sind, bewegen wir uns nur an der Oberfläche viel tiefer sitzender Probleme. Diese werden allerdings – aus welchen Gründen auch immer – kaum offen ausgesprochen. Aber es ist unübersehbar: Die Institution Kirche weist mit dem Verharren in religiösen Vorstellungen längst vergangener Zeiten insgesamt und auch in ihrer Lehre erhebliche Irrtümer und Fehler auf. Sie aufzuzählen ist hier nicht möglich, aber ich nenne einige:

Man hält die frommen Betrachtungen der Evangelisten für das „Wort Gottes“. Legenden wurden zu Glaubensinhalten. Obwohl die biblischen 10 Gebote verbieten, sich ein Bild von Gott zu machen, stellten Konzile solche her, die bis heute verbindlich, aber von den religiösen Vorstellungen der Antike gekennzeichnet sind. Man meint, Christi Willen zu erfüllen, indem man ein Machtgebilde nach dem Muster früherer weltlicher Herrschaftssysteme handhabt, das eine Stellvertreterrolle Jesu und unanfechtbare alleinige Autorität beansprucht. In Wahrheit entfernte sich die Kirche aber immer mehr von dem, was wir aus der Bibel als Willen Jesu erschließen können.

Ich will keinesfalls ungerecht sein. Der Glaube leitet noch immer die Menschen zum Guten an, ohne das sähe die Welt anders aus. In der Kirche bewirken nach wie vor sehr viele Menschen Großartiges und Unentbehrliches – Gott sei Dank! Sie sind aber einem Regime unterstellt, das unerträglich und mit aller Entschiedenheit abzulehnen ist. Viele identifizieren dennoch Christentum nach wie vor mit Kirche – das war ja immer so und wo gibt es etwas anderes und Besseres? Doch das System entspricht nicht den Erfordernissen funktionierenden Gemeinschaftslebens, es verliert unaufhaltsam Achtung und Beachtung.

Viele wenden sich deshalb ab, verlassen die Kirche oder gehen auf kritische, schlimmer noch auf gleichgültige Distanz. Die Leitung Roms ist unfähig zum Krisenmanagement. In ihr haben Leute das Sagen, die von steriler Gehorsamspflicht, systematischer Indoktrination und Ämterhochmut geprägt sind. Es ist das anscheinend nicht änderbar, auch nicht von einem gutwilligen Papst, der die Missstände sieht, aber dem Kraft, Wille und Mut zu echter Veränderung fehlen. All das ist ebenso offenkundig wie tragisch. –

Nun zum Wesentlichen. Wie so oft dachte ich gemeinsam mit meinem Freund Heribert über Auswege nach und da äußerte er eine interessante Idee. Sollte man nicht einmal, statt nur zu kritisieren und zu klagen, darlegen, was Christentum wirklich bedeutet? Also was wir heutzutage glauben könnten und sollten? Drohe doch die Gefahr, dass mit einem überholten Kirchenglauben der Glaube überhaupt verloren gehe. Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los. Liegt nicht gerade in unserer Zeit der Schlüssel zum Erringen einer besseren Welt in einem wohlverstandenen Christentum?

Das bewegte mich dazu, dem kuriosen Katechismus der Kirche einen NEWCAT gegenüberzustellen. (Die Bezeichnung ist vom Jugendkatechismus Youcat des Benedikt XVI. abgeleitet.) Keineswegs will ich mir mit diesem Unterfangen theologische Kompetenz anmaßen, sondern nur dem folgen, was uns allein der eigene Verstand als Willen Jesu erkennen ist. Der Inhalt seiner überlieferten Aussagen ist für jeden Menschen verständlich und einsichtig. Wenn man das Glaubwürdige beschreiben will, muss man auch das Unglaubwürdige benennen. In meinem Buch lege ich einiges davon dar.

Jesus wurde bestimmt nicht vom Heiligen Geist mit einer Jungfrau gezeugt. Er ist nicht eine der göttlichen Personen in der Dreifaltigkeit. Wäre er als Gott von Gott aus dem Grab befreit worden, wäre das kein wunderbares Geschehen, sondern nur ein für die Menschheit bedeutungsloses Schauspiel in einem fernen, unerreichbaren Himmel. Die Kreuzigung musste der Rabbi aus Nazareth erleiden, weil er seiner Berufung bis zur letzten Konsequenz treu blieb. Sie bedeutet kein sündentilgendes Opfer, das Gott mit der Menschheit versöhnen sollte. Jesus hat mit seinem Tod nicht die Welt erlöst, sondern sie kann nur und erst dann erlöst werden, wenn wir aus der Frohbotschaft die richtigen Schlüsse ziehen. Christus wird auch nicht in der Messe durch Worte des Priesters als Lamm Gottes in die Hostie befördert.

Bei all dem handelt es sich um alte Glaubenskonstruktionen, die heute auf ihre Plausibilität zu prüfen sind, aber nicht um „Glaubenswahrheiten“. Glaubenswahrheit kann nur in christlichem Leben und christlicher Gesinnung sein. Ich versuche das darzulegen und zu begründen, vielleicht in mancher Hinsicht ein wenig zu schlicht. Was sollte heutzutage Gegenstand unseres Glaubens sein? Wie können wir Gott, Jesus, die Welt des Geistes, das Beten und unseren Tod verstehen? Vom so genannten Kirchenrecht vorgeschriebener „Glaubensgehorsam“ (sogar des Verstandes!) gegenüber dem Katechismus kann uns keine befriedigende Antwort auf die großen Fragen des Lebens geben.

Unsere Glaubensgemeinschaft wäre dazu berufen, den Menschen Hilfe bei der niemals endenden Suche nach dem Sinn ihres Daseins zu bieten. Das könnte sie nur als offene, lebendige und kreative Liebesgemeinschaft derer, die Jesu Worten folgen und einander zugetan sind. Manchmal hört man, dass Jesus seine Kirche nicht verlassen und sie letztlich bewahren werde. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass das, was wir heute vor uns sehen, keinesfalls „seine“ Kirche ist, wie er sie gewollt haben könnte, und begründe das auch. Doch Gott greift nicht in die Geschehnisse ein, sondern handeln müssen wir, damit sich nicht nur das verdunkelte Bild der Kirche ändert, sondern auch diese selbst. Wenn wir weiterhin nur zuwarten, hoffen und ergeben bitten, dass sich dieses System ändern möge, machen wir uns schuldig.

Immerhin hat sich schon einiges zum Besseren geändert, meist durch Nichtbeachtung der uns auferlegten Vorschriften. Immer mehr Menschen gestalten Glaubensfeiern selbständig und so, wie es ihrem bemühten Verständnis entspricht. Versammeln wir uns zum Brotbrechen im Gedächtnis Jesu abseits ungeeigneter Rituale! Jeder kann zum notwendigen Wandel beitragen. Lehnen wir ab, in der Messe ein Glaubensbekenntnis wie im Schulunterricht aufzusagen, das nicht die Frohbotschaft wiedergibt, sondern fremdartig wirkende Formeln, die man sich in längst vergangenen Zeiten entsprechend dem damaligen Weltbild ausgedacht hat.

Wir müssen uns ganz bewusst, selbstbewusst und erkennbar von einer heillos antiquierten „Amtskirche“ lösen. Mir ist klar, dass mir viele da (noch) nicht folgen können oder wollen. Es wird Unverständnis und Ablehnung geben. Aber man darf der Realität nicht ausweichen und muss Klartext reden, komme es gelegen oder ungelegen! Ich weiß nicht, wie viele von denen, die heute zweifeln und auf der Suche sind, ich erreichen kann. Vielleicht gelingt es mir, Widerspruch der Kirchenobrigkeit auszulösen. Exkommunizieren wird man mich wohl nicht, denn so wichtig bin ich ja nicht und man weiß inzwischen, dass Bestrafung abweichender Meinung nur lächerlich ist. Sollte es dennoch geschehen, würde ich um eine gefällige Ausfertigung des betreffenden Dekrets ersuchen, um es meiner Sammlung von allerlei Erfahrenem hinzuzufügen

Ich hoffe, verstanden zu werden. Was ich in meinem Buch schreibe, habe ich mir ernsthaft überlegt. Mehr kann ich als einer, der sich immer um möglichen Fortschritt bemüht hat, nicht tun. Aber ich fühle mich dazu verpflichtet, diesen Beitrag zu leisten. Die Kirche ist unentbehrlich, doch sie hat nach meiner Überzeugung nur Zukunft, wenn wir sie entsprechend unserem christlichem Gewissen durch eigenverantwortetes Tun von der niederdrückenden Last des Klerikalismus befreien!


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