Zur Verkündung von "Nostra Aetate" am 28.10.1965 und zum Schlussdokument der Synode für Ehe und Familie#
Von
Hans J. Stetter
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 163/2015
Beim Wiederlesen der in Dokumente gefassten Ergebnisse des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) ist man immer wieder erstaunt, wie sehr die Argumentation und die Sprache mancher dieser Verlautbarungen der von unserem jetzigen Papst Franziskus gepfogenen "jesuanischen" ähnelt. Ganz besonders gilt das für das derzeit wegen des 50-Jahr Jubiläums seiner Verkündigung (28.10.1965) im Vordergrund stehenden Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen "Nostra Aetate", die man {wenn man es nicht besser wüsste {für eine Äusserung von Papst Franciskus halten könnte. Wenn man bedenkt, dass bis in die beginnende Neuzeit hinein nach katholisch-amtskirchlicher Ansicht die gewaltsame Elimination von Menschen mit einem "falschen" Glauben eine gottgefällige Handlung war, dann ist Nostra Aetate alles andere als eine Fortführung der Tradition gewesen, sondern ein echtes endgültiges Verlassen eines Irrwegs.
Das lässt natürlich die Frage aufkommen, warum analoge Entwicklungen in einigen anderen Bereichen der katholischen Lehre den meisten Amtsträgern offenbar so unvorstellbar erscheinen, dass man nicht wagt, sie anzugehen. Im Schlussdokument der gerade zu Ende gegangenen Synode zu Ehe und Familie ist zwar viel von den Familien in einer "irregulären Situation" die Rede und es wird immerhin vermieden, sie als sündhaft zu bezeichnen. Aber dass diese Situationen inzwischen selbst in christlich oder sogar katholisch geprägten Ländern für das Zusammenleben eines Paares, auch mit Kindern, den Normalfall darstellen, wird verdrängt, und auch dass eine allfällige kirchliche Segnung ihres Bundes meist nur aus äusserlichen Gründen gewünscht wird. Gleichzeitig ist aber nach dem KKK ein sexueller Verkehr ausserhalb einer sakramentalen Ehe für einen Katholiken eine schwere Sünde, die den Kommunionempfang und anderes ausschliesst.
Es ist auch fast absurd, wenn nach wie vor jeder sexuelle Verkehr zwischen einem Mann und einer Frau, beide erwachsen und nicht an einen anderen Partner gebunden, die sich in Liebe zugeneigt und einander treu sind, als eine schwere Sünde gegen das natürliche Moralgesetz, auf das sich ja die kirchliche Morallehre zurückführt, gebrandmarkt wird. Mit dem endgültigen Verlassen dieses Irrwegs würde die sakramentale Ehe zu einem mit besonderen Gnadengaben ausgestatteten Idealzustand, der auch nach einer schon längere Zeit bestehenden Verbindung erreicht werden kann, aber nicht erreicht werden muss. Auch andere Forderungen der christlichen Morallehre werden ja von den meisten Katholiken nicht perfekt erfüllt.
Die Analogie mit der Beurteilung der Gläubigen anderer Religionen nach Nostra Aetate ist so auffallend, dass ich versucht habe, eine entsprechende Erklärung in enger Anlehnung an den relevanten Teil dieses Konzilsdokuments zu konzipieren. Hier ist ein erstes Ergebnis:
Aus der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen, Ziffer 2#
Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die im Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist. [...] Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchtränkt ihr Leben mit einem tiefen Sinn. [...] So sind die [...] in der ganzen Welt verbreiteten Religionen bemüht, der Unruhe des menschlichen Herzens auf verschiedene Weise zu begegnen, indem sie Wege weisen: Lehren und Lebensregeln sowie auch heilige Riten. Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen [...], die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber [...] lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. [...] Deshalb mahnt sie ihre Söhne(!), dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistigen und sitllichen Güter [...], die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.Aus einer fiktiven Erklärung über die sexuellen Beziehungen zwischen Mann und Frau#
Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei allen Menschen die Wahrnehmung jener verborgenen Kräfte, die einen Mann und eine Frau in gegenseitiger Liebe und Hingabe vereinen. Deren Wahrnehmung und Ausübung durchtränkt ihr Leben mit tiefer Freude und Erfüllung. So sind die in der ganzen Welt verbreiteten Liebesgebräuche bemüht, der sexuellen Erregung des Leibes und des Gemüts auf verschiedene Weise zu entsprechen, durch Handlungsweisen und Lebensformen, sowie durch die Formen des sexuellen Verkehrs. Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Handlungen die Liebe zum Partner wahrhaft ausdrückt und fördert. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber lehrt, doch einen Strahl jener Liebesfähigkeit erkennen lassen, die allen Menschen geschenkt ist. Deshalb mahnt sie ihre Kinder, dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit nicht kirchlich verbundenen Paaren sowie durch ihr Zeugnis eines christlichen Sexual- und Ehelebens jene Gefühle und sittlichen Güter, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.
Erst nach einer solchen Erklärung bekämen die vagen Ausführungen über die pastorale Erziehung zur (sakramentalen) Ehe und die pastorale Begleitung auf dem Weg dorthin im jetzigen Synoden- dokument einen wirklichen Sinn. In der Arbeitsgruppe der deutschsprachigen Bischöfe wurde ein solches Vorgehen offenbar mindestens angedacht:
(From the German language group's second interim report to Synod of Bishops in Rome:)
"Another aspect of our discussion was that which is above all often mentioned in chapter 3 of the second part {namely gradually leading people to the Sacrament of marriage from non-binding relationships, to cohabiting partners, to couples who have only married in a registry once and finally to those in a valid, sacramental church marriage. Accompanying couples pastorally on these different stages is a great pastoral challenge but also a great joy."
Es wird interessant sein, was im Schreiben des Papstes zu diesem Thema zu lesen sein wird!
Em. Univ. Professor Dr. Hans J. Stetter hat an der TU Wien ab 1965 die Entwicklung der Computer- Nutzung in Forschung und Lehre initiiert und weiterentwickelt. Geb. 1930 in München, nach Ausbildung an der dortigen Univ. und TU 1965 Berufung an die TU Wien. Seit 2000 viele Aktivitäten in Richtung Kirchenreform.
Vergleiche hierzu: Erklärung vom 1.2.2017