Offener Brief an Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien#
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 458/2023
Von
Willibald Eichinger
Grüß Gott, Herr Kardinal!
Vor ein paar Tagen habe ich im Internet ein Gespräch zwischen Dir und – ich weiß nicht mehr mit wem – gelesen. In diesem Gespräch hast Du mittgeteilt, dass der Hl. Vater beabsichtigt, bei der Weltsynode im Herbst 70 Männer und Frauen als stimmberechtigte Teilnehmer zuzulassen. Was denkst Du Dir dabei, wenn Du solche Aussagen machst? Bei mir ist das angekommen als wäre das eine großartige Leistung von Seiten des Papstes. Laut „Dr. Google“ besteht die röm. kath.
Kirche weltweit aus 1.360 Milliarden Gläubigen. Davon sind 410.220 Priester (Kleriker). Das ist ein kleiner Bruchteil.
Der große Rest ist die Katholische Kirche, das Herz der Kirche, die „einfachen“ Gläubigen. Diese Kirche lebt das christliche und kirchliche Leben. Hier wird lebendige Nachfolge Jesu gelebt. Diese Kirche baut und erhält durch ihre Spenden die kirchlichen Gebäude, Einrichtungen und Institutionen. Diese Kirche ermöglicht den meisten Klerikern weltweit durch ihre Spenden den finanziellen Lebensunterhalt (Priestern, Bischöfen, Kardinälen, selbst dem Papst). Ohne diese Kirche gäbe es keine Kleriker.
Viele von diesen Gläubigen haben in den vergangenen Jahrzehnten viel Zeit und Herzblut an Anregungen, Eingaben und Wünschen für eine lebendigere, heilbringendere und menschlichere Kirche eingebracht. 300 weltweit namhafte Theologen haben ein Memorandum verfasst und nach Rom geschickt. Ich weiß nicht, wie viele Reformbewegungen weltweit entstanden sind, die ihre Reformwünsche in Rom eingebracht haben.
Dir hat man auch einmal Reformwünsche in die Hand gegeben mit der Bitte, sie nach Rom zu tragen. Du sollst Dich geweigert haben, das zu tun. Damit hast Du Dich als romhörig und Verräter Deiner Gläubigen entlarvt.
Wie hat die römische und weltweite Klerisei auf all die Anregungen, Eingaben. Vorschläge und Wünsche reagiert? Nicht zur Kenntnis genommen, ignoriert, missachtet, die Wünsche der Gläubigen mit Füßen getreten. Das ist ein himmelschreiendes Verbrechen. Vor dem Vativanum II. hat es ein theologisches Axiom gegeben: vox populi vox Die (die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes). Dieses Argument wurde mit Füßen getreten. Es gibt keine vox populi und daher auch keine vox Dei mehr. Es gibt auch keinen „consensus fidelium“ (die Glaubensüberzeugung der Gläubigen) mehr. Es gibt nur noch die vox romana.
Das Argument von Seiten der vatikanischen Klerisei, nämlich: Probleme können nur weltweit gelöst werden, ist das blödeste, dümmste, geistloseste und sinnloseste Argument. Wo es keine Probleme gibt, brauchen auch keine gelöst zu werden. Wo es aber Probleme gibt, müssen sie bestmöglich gelöst werden, sagt der gesunde, normale Hausverstand. Aber den gibt es in der röm. Klerisei nicht. Und wo der Hausverstand fehlt, fehlt auch der Geist Gottes. Denn „gratia supponit naturam (die Gnade setzt die Natur voraus). Man kann sich ja immer auf den Hl. Geist ausreden. Aber der setzt die Natur, d.h. ein offenes Ohr, voraus. Und wo dieses fehlt, hat auch Gottes Geist keinen Platz.
Die kleine Gruppe der vatikanischen und weltweiten autoritären, frauenfeindlichen, machtbesessenen, präpotenten und überheblichen Klerisei nimmt sich das Recht heraus, über mehr als eine Milliarde Menschen bestimmen zu können, wie diese Menschen leben sollen. Bei ein bisschen klarem Hausverstand musst Du erkennen, dass das nicht funktionieren kann. Laut der Bibel und den Allgemeinen Menschenrechten – die der Vatikan bis heute nicht ratifiziert hat – sind alle Menschen gleich an Rechten und Würde. Alle Menschen haben das gleiche Stimmrecht. Sie dürfen über ihr Leben selbst entscheiden und müssen nicht warten, was ihnen andere vorgeben. Das angemaßte und vermeintliche Recht der Klerisei, über das Leben der anderen bestimmen und abstimmen zu dürfen, war mit eine gewaltige Ursache für die abscheulichen Missbrauchsfälle. Dieses „Recht“ ist ein Angriff auf das Ansehen, die Eigenverantwortung, die Selbstbestimmung, den Selbstwert und die Würde der anderen Person.
Wenn eine Weltsynode das reale Bild der Kirche wiedergeben will, dann muss die Teilnehmerzahl etwa so aussehen – um nur ein Beispiel zu nennen:
3oo Männer und Frauen aus dem gläubigen Volk und 5 Teilnehmer von den Klerikern.
Das wäre in etwa die reale Situation der Kirche. Aber davon kann man nur träumen, weil die Klerisei viel zu stark ist und ihre Macht nicht aufgibt. Wenn die Kirche noch eine letzte Chance haben will, muss sie heute umdenken und nicht erst morgen.
Und noch etwas: Die Kirchenführung möge den Mund halten in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte bei Staaten, wenn sie selber nicht bereit ist, grundlegende Menschenrechte einzuhalten: die Gleichstellung von Mann und Frau, die freie Wahl des Lebensstandes, etc. Die Kirche sollte mit gutem Beispiel voran gehen.
Wenn Du in etwa die Situation der Kirche verstanden hast, und ein wenig couragiert und mutig bist, und Verantwortung für Deine „Herde“ fühlst, dann bringst Du diesen Brief zum Papst und diskutierst mit ihm darüber. Oder willst Du auch Teil derer sein, die Verbrechen an der großen Zahl der Gläubigen begehen? Wenn nicht bald etwas mit dieser Kirche geschieht, wird sie zur namenlosen Sekte verkommen. Schade um die beglückende und befreiende Botschaft Jesu.
Ich habe diesen Brief nicht an den Hl. Vater geschrieben. Dort verschwindet er wieder in einem vatikanischen Archiv. Ich habe ihn Dir geschrieben mit dem Wunsch und der Hoffnung, dass Du persönlich Verbindung mit dem Hl. Vater aufnimmst als Vermittler zwischen Hierarchie und gläubigem Volk.
In der Liebe zur Kirche mit Dir verbunden grüßt
Willibald Eichinger