Sehr geehrter Herr Bischof von Rom, lieber Bruder in Christus,#
Von
Herbert Kohlmaier
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 111/2014
da man erfährt, Sie würden gelegentlich auf Zuschriften reagieren, unternehme ich den Versuch eines Briefes, freilich mit wenig Hoffnung, dass er tatsächlich zu Ihnen gelangt. Aber es gibt Dinge, die jedenfalls gesagt werden müssen und ich veröffentliche auch diesen Text, da nicht wenige Menschen an meinen Gedanken betreffend unsere Kirche interessiert sind.
Anlass meines Schreibens sind Ihre Aussagen bei der Morgenmesse am 25. dieses Monats. Sie haben dabei erklärt, dass die Kirche keine Demokratie sein könne und dass Bischöfe nicht von Menschen sondern von Gott auserwählt seien. Nur durch die Weihe könnten sie dieses Hirtenamt erlangen.
Als jemand, der sein Berufsleben in den Dienst der Demokratie gestellt hat und mit Ämtern der Republik betraut wurde, fühle ich mich durch diese Erklärung zum Widerspruch aus meinem Gewissen veranlasst. Ja, angesichts der schweren Fehler, die bei der Auswahl von Bischöfen nicht nur in meinem Land begangen wurden und der Kirche enorm geschadet haben, bin ich wegen Ihrer Worte geradezu entsetzt. Dem Kirchenvolk wurden völlig ungeeignete „Oberhirten“ einfach aufoktroyiert, es muss sich daher durch Ihre Aussage eigentlich verhöhnt fühlen!
Die Kirche ist also keine Demokratie, was Herrschaft des Volkes bedeutet. Wer herrscht in ihr sonst? Es ist die Hierarchie, also „heilige“ Herrschaft. Sie hat dafür keine andere Legitimation als die Behauptung, ihre Entscheidungen in Auftrag und Stellvertretung Gottes zu treffen. Aber diese Anmaßung ist den Menschen unserer Zeit nicht mehr zumutbar. Wer nur halbwegs gebildet ist, weiß, dass alle Ämter der Kirche samt ihren hochtrabenden Würden und obrigkeitlichen Titeln von ihr selbst erfunden und keineswegs von Jesus eingesetzt wurden.
Die Geschichte belegt bis in die jüngste Vergangenheit unzählige Male, dass das, was die Inhaber der Kirchenämter unternommen haben, Gottes Absichten entgegengesetzt und nicht im Sinne Jesu war. Offenbar ist Ihnen das wohl bewusst. Sie haben ja bei ihrer Erklärung hinzugefügt, die Weihe der Bischöfe gäbe ihnen die Kraft des Heiligen Geistes, der Kirche zu dienen, aber das bedeute nicht, dass sie keine Sünder seien.
Doch die Sünde zeigt sich gerade bei der Auswahl der Bischöfe! Große Persönlichkeiten als Vorgänger in Ihrem Amt, sehr geehrter Herr Bischof von Rom, haben betont, dass niemand ohne die Befassung des Kirchenvolkes in dieses Amt berufen werden dürfe. Offenbar wussten die damaligen „Stellvertreter Christi“, wie man das Papstamt heute bezeichnet, dass der Geist dort mehr wirkt, als in der vatikanischen Bürokratie. Hat diese doch immer mehr Macht absolutistischer Art in Anspruch genommen und rücksichtslos ausgeübt.
War das nicht der Grund, warum gerade Sie „vom anderen Ende der Welt“ ins Amt berufen wurden? Höchst fragwürdige nackte Kirchenpolitik und Intrigen entschieden bis zuletzt darüber, wer „Oberhirte“ sein soll. Gegen das Gebot Jesu müssen die Bischöfe dem Papst bedingungslosen Gehorsam schwören. Sie wurden zu willenlosen Vollstreckern des vatikanischen Willens degradiert. Als Ergebnis sind immer weniger mit einem wahren geistlichen Charisma ausgestattete Männer ins Amt gekommen, ihre Autorität ist arg im Schwinden begriffen.
Und nun sagen Sie, das geschilderte Vorgehen wäre eine Auswahl von Gott! Eigentlich wird dieser damit beleidigt, denn wie kann man das alles seinem Wirken zuschreiben? Das ginge noch an, wenn Sie alles unternehmen wollten, diese Dinge radikal zu ändern! Also nur dann Bischöfe in ihr Amt zu berufen, wenn zuvor die Priester und kirchlich engagierten „Laien“ der Diözese auf das sorgfältigste angehört und wenn im Sinne ihrer Meinung und berechtigten Interessen entschieden würde. Doch es sieht – zumindest bis jetzt – leider nicht so aus.
Sehr viele Menschen – ich gehöre dazu – schätzen und brauchen unsere Kirche, ja lieben sie. Sie haben, sehr geehrter Herr Papst, seit Antritt ihres Dienstes oft Beeindruckendes gesagt, das große Zustimmung fand. Viel Hoffnung haben Sie da erweckt, dass nach dem sich abzeichnenden Niedergang wieder Zukunftsperspektiven entstehen. Dabei haben Sie auch den Klerikalismus verworfen. Doch was Sie jetzt über die Berufung ins Bischofsamt sagen, ist Klerikalismus pur!
Sie lassen in so sympathischer Bescheidenheit erkennen, dass Ihnen die Nachfolge Jesu wichtig ist und dass Sie ein Mensch wie jeder andere wären. Das sollte für alle gelten, die in der Kirche ein Amt haben – nur ist es denen auch bewusst? Heute sind sehr viele Laien theologisch gebildet und denken darüber nach, wie das Christentum in unserer Zeit heilbringend wirken sollte. Sie erkennen die argen Fehler, die in der Kirchengeschichte begangen wurden und durch energische Reformen zu beseitigen sind. Das war mehrmals auch aus Ihren Worten zu erschließen!
Jesus ist auch heute für sehr viele Menschen wichtig. Dass dennoch die Kirche so oft abgelehnt wird, hat den Grund, dass sie in Anspruch nimmt, ihn allein mit ihren Ämtern zu repräsentieren. Die Weihe, von der Sie sprechen, soll dazu die Voraussetzung bieten. Doch gestatten Sie mir die Frage: Glauben Sie wirklich, dass Jesus, bevor er unter uns tritt, prüft, ob ihn jemand gerufen hat, der durch ein bestimmtes Ritual dazu auch berechtigt ist? Das widerspräche allem, was uns von ihm in den Evangelien überliefert wird!
Nein, es geht immer um den Dienst und Christus, um sonst nichts. Sie haben das Wort Sünde erwähnt. Nach meiner tiefsten Überzeugung ist es schwere Sünde, dass man heute noch Menschen von der Seelsorge abweist, die Gott dazu beruft, die aber in den Augen des Klerikalismus als minderwertig gelten. Weil sie die (von Gott gewollte!) Ehe eingehen wollen oder das „falsche“ (aber von Gott gewollte!) Geschlecht haben. Werden das die Päpste verantworten können, wenn sie einmal vor dem Angesicht des Herrn stehen?
Mich bedrückt eine große Sorge. Die Hoffnung, von der ich sprach, könnte in sich in bittere Enttäuschung wandeln, wenn die Menschen den Eindruck haben, den beeindruckenden Worten, die man von Ihnen hört, würden keine entsprechenden Taten folgen. Das könnte die Situation der Kirche noch viel schlimmer machen, als sie ohnedies schon ist. Neulich sagte Kardinal Schönborn nach dem Ad-limina-Besuch, Sie würden „durch Ihre einfache menschliche Art mehr verändern als durch strukturelle Reformen möglich wäre“. Welche Fehlmeinung tritt uns da entgegen! Wohl auch das Wunschdenken jenes tief sitzenden sterilen Konservativismus, der angesichts Ihres Veränderungswillens erschrak.
Als betagter Mensch, der seine christliche Überzeugung hat und sich stets bemühte, seinen Mitmenschen und deren Wohl verantwortlich zu sein, wage ich es, diese mahnenden Worte zu sprechen. Aber dazu sind wir ja in unserem Gewissen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet.
Ihr ergebener