Vorbemerkungen zu einem Versuch einer Darlegung der Grundlagen des christlichen Glaubens (I)#
Von
Heribert Franz Köck
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 264/2018
Der sperrige Titel soll nicht abschreckend wirken. Was gemeint ist, lässt sich am besten erklären, wenn wir ihn von hinten aufrollen. Es geht um den christlichen Glauben, näherhin um die Grundlagen desselben. Diese darzulegen ist das angestrebt Ziel. Das ist natürlich ein größeres Projekt, von dem Herbert Kohlmaier und ich meinen, dass es irgendwann und irgendwie in Angriff genommen werden sollte, zumindest als Versuch, von dem wir freilich noch nicht wissen, ob er tatsächlich gelingt.
Die hier dargebotenen Vorbemerkungen sind nicht mehr als wieder ein Versuch, nämlich der Darlegung der Gründe, die uns an veranlasst haben, ein solches Projekt und den Wegs, auf dem es angegangen werden müsste, einmal anzudenken.
Diese „Vorbemerkungen“ sind mein (vorläufiger) Beitrag zu diesen Überlegungen. Wir hoffen, dass dies für den Kreis unserer Leser interessant ist, denn sicher haben viele unter ihnen schon ähnliche Überlegungen angestellt!
Was hat uns zum Andenken dieses Projekt bewegt? Es ist eine sozialwissenschaftlich erhobene Tatsache, dass die gläubigen Christen in unserer Gesellschaft eine Minderheit geworden sind. Viele Menschen haben die Bindung verloren – nicht nur zu ihrer Kirche, sondern auch zu Jesus Christus und nicht wenige auch zu Gott! Das für uns Bestürzende dabei ist, dass vielen dieser Menschen – wie sie selbst sagen – deswegen nichts abgeht. Sie fühlen sich auch ohne Kirche, ohne Jesus Christus, ohne Gott wohl. Sie brauchen diese „Dinge“ – wie sie meinen – für ihr Leben nicht. Das bestürzt uns, weil wir Gott, Jesus Christus, ja selbst die Kirche als für uns wichtig ansehen und weil wir glauben, dass zumindest ein Bezug zu Gott – allgemeiner: zum Transzendenten, das alles „umgreift“ – eigentlich für jede/n objektiv wichtig ist und subjektiv so gefühlt werden müsste. Obwohl auch wir den „rechten“ Glauben nicht gepachtet haben, sondern uns immer wieder um ihn bemühen müssen, verstört uns dieser verbreitete Unglaube.
In einer solchen Situation stellt sich die Frage, warum denn das so ist. Die erste Antwort, die einem darauf einfällt, ist, dass wir eben in einer säkularisierten Welt leben, in der das Leben im öffentlichen Raum nicht mehr von religiösen Vorstellungen geprägt ist, was zur Folge hat, dass die Religion auch im privaten Bereich keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Das Schlagwort „Religion ist Privatsache“ versteht sich ja nicht als Aufforderung, Religion als Privatmensch zu pflegen, sondern als Forderung, andere mit seiner Religion nicht zu belästigen. Dem entspricht, dass es schon fast Ausdruck einer social correctness ist, in Gesellschaft religiöse Frage, die Frage nach Gott, nach Jesus Christus, gar die Frage nach der Kirche erst gar nicht anzuschneiden.
Gibt man sich als „innerkirchlicher Reformer“ zu erkennen, dann gelingt es vielleicht das eine oder andere Mal, eine kurze Aufmerksamkeit zu erwecken, aber meist wird man auch da als ein Mensch angesehen, der sein Engagement vergeude: „Warum ereifern Sie sich denn – die Kirche ist doch längst völlig irrelevant geworden.“ Unter diesen Umständen wirken die kämpferischen Atheisten fast erfrischend, weil sie – wenn auch mit einem negativen Vorzeichen – Fragen über „Gott und die Welt“ anschneiden und man daher mit ihnen ein seriöses Gespräch führen, diese Fragen aufnehmen und versuchen kann, Antworten anzubieten.
Im Mittelpunkt solcher Gespräche steht dann meistens die Sinnfrage. Sie kann ganz allgemein sein: Hat „das Ganze“, „alles“, also die Wirklichkeit, die Welt, in der wir leben, das Universum, die menschliche Geschichte usw. einen Sinn? Aber meist läuft es zuletzt hinaus auf den Sinn des menschlichen Lebens, der menschlichen Existenz. Und wenn es sich nicht ohnedies von selbst ergibt, dann werfen wir diese Sinnfrage bewusst auf.
Uns kommt es genau auf diese Sinnfrage an. Denn wir glauben, dass nur Gott die letzte Antwort auf diese Sinnfrage ist. Und wir glauben auch, dass die richtige Form dieser Antwort über Jesus Christus gefunden werden kann. Das macht freilich nur Sinn, wenn Gott und Jesus Christus untrennbar zusammengehören. Denn wenn wir schon mit Gott allein zurechtkämen, dann hätte es ja keinen Sinn, ihm noch den „Hut“ einer bestimmten Religion aufzustülpen, hier also: den christlichen „Hut“.
Nun ist Gott ein Postulat der Vernunft. Das, was existiert, könnte nicht existieren ohne Gott; und Gott muss als der „ganz Andere“ gedacht werden. Er muss der sein, der alles in seine Existenz gerufen hat, selbst aber von niemandem in seiner Existenz abhängen kann, denn sonst kämen wir zu einem sinnlosen regressus ad infinitum. Also zu einer Kette, die es gar nicht geben könnte, würde sie zuletzt wieder nur an einem (letzten) Glied der Kette, das wie jedes andere wäre, hängen. Dass es Gott gibt, ist also notwendig; wie er ist, hingegen ein Geheimnis, weil wir uns dieses „Wie“ nicht vorstellen können. Man spricht daher auch von der Transzendenz Gottes, weil er den Horizont unseres Denkens übersteigt. Zwar transzendiert der Mensch sich und die Welt, indem er das Dass Gottes erfasst, aber das Wie kann er von sich aus nicht ausschöpfen.
Gott muss sich daher, wenn er etwas von diesem Wie, und damit von sich selbst erkennen lassen will, dem Menschen offenbaren. Ein erster Offenbarungsschritt ist die Schöpfung, denn aus ihr und der in ihr erscheinenden, von Gott in sie hineingelegten Ordnung können nicht nur Anleitungen für unser menschliches Verhalten abgeleitet werden (nach dem Grundsatz: den Schöpfer dankbar verehren, seine Ordnung achten und sie nicht stören). Es sind auch Rückschlüsse auf Gott selbst zu ziehen (z.B. auf seine „Macht“, seine „Güte“, seine „Weisheit“, wenn auch nur in menschlichen Formulierungen).
Schon dieser Gott der (wie man zu sagen pflegt) „natürlichen“ Religion kann vom Menschen als dessen Ursprung und Ziel erkannt werden. Mit seiner Schöpfung ist er also nicht nur der transzendente, sondern auch der im Bereich des Menschen Wirkende, Anwesende, Immanente. Mehr noch: der Mensch kann erkennen, dass die Schöpfung, und damit besonders er selbst, von Gott mit Vernunft und freiem Willen ausgestattet, um seiner selbst willen da ist. Der Mensch kann ja nicht um Gottes willen da sein, da Gott – die Fülle des Seins – seiner nicht bedarf, für ihn also sozusagen gänzlich überflüssig ist. Er selbst ist daher ein Ausdruck der „überfließenden“ Güte Gottes, der die Schöpfung, und insbesondere den Menschen, an seinem – Gottes – Leben teilnehmen lassen will.
Hier ein Einschub: Ich glaube, dass von dieser – oft nicht weiter reflektierten – Einsicht das Grundvertrauen vieler Menschen herrührt, dass „alles“ irgendwie seinen guten Ausgang finden wird. Der immer wieder zu hörende Satz „Es muss etwas geben“ bringt in der Regel eine diffuse Hoffnung auf Gott (auf etwas „Höheres“) und ein Weiterleben nach dem Tod zum Ausdruck. Wenn sich jemand damit zufriedengibt, weil es ihn nicht drängt, weitere Fragen zu stellen, dann ist seine „metaphysische Unruhe“ eben noch nicht ausreichend geweckt.
Freilich – und das ist ein weiterer Einschub – die Menschen erleben die Schöpfung nicht nur als „heile Welt“. Sie fühlen sich auch bedroht; aufgrund der oft negativen Erfahrungen – eigener und anderer – mit Mühsal, Krankheit und Leid, mit Enttäuschung, aber auch persönlicher Schuld, und durch die Angst vor der Zukunft, vor Terror und Krieg – die vor dem letztlich unabweislichen Tod inbegriffen. Den einen hilft fürs erste das gerade genannte Grundvertrauen über diese Angst hinweg, andere verdrängen das Unheile in der Welt oder betäuben sich durch ein Streben nach dem „guten Leben“, das sie „hier und heute“ genießen können oder doch genießen wollen; die sog. Konsumgesellschaft kann als Ausdruck dafür angesehen werden, ebenso der Umstand, dass der Tod ein Tabuthema ist, weil man an ihn nicht erinnert werden will. Jetzt aber weiter in unserem Gedankengang. Wenn es so ist, wenn Gott Ursprung und Ziel des Menschen ist und dieser an Gottes Leben teilnehmen soll, Gott also am Menschen „Interesse nimmt“, dann ist es zu mindestens nicht ausgeschlossen, dass er sich dem Menschen über die allgemeine Weise der Naturoffenbarung in der Schöpfung hinaus in besonderer Weise offenbart, und zwar auch schon, bevor der Mensch an sein letztes, transzendentes Ziel – eben Gott – gelangt ist. Ich möchte sogar weitergehen: Wenn Gott es so eingerichtet hat, dass er sich dem Menschen offenbaren kann, dann wird er sich ihm auch offenbaren, damit die Fähigkeit des Menschen, Gottes Offenbarung zu empfangen, nicht brach liegen bleibt. Das scheint mir der Schöpfungsökonomie zu entsprechen.
So oder so – es lag bzw. liegt in der Hand Gottes, ob, wann, wie und wem er sich offenbart. Der konkrete Akt der Offenbarung ist also kein (bloßes) Postulat der Vernunft, er ist – wenn er sich denn ereignen sollte – ein geschichtliches Ereignis, das stattgefunden haben kann, aber nicht muss. Es ist aber ein Postulat der Vernunft, an die Möglichkeit eines solchen (oder mehrerer solcher) Ereignisse zu glauben und die an den Menschen herangetragenen Berichte über solche Ereignisse unvoreingenommen zu prüfen. Da es sich um ein geschichtliches Ereignis handelt, sind für diese Prüfung die üblichen Kriterien für die historische „Echtheit“ anzulegen.
Diese Prüfung muss in Form einer ganzheitlichen Betrachtung erfolgen, wo der Mensch nach dem sogenannten gesunden Menschenverstand darüber entscheidet, ob für ihn jeder „vernünftigen Zweifel“ ausgeschlossen ist. (Die von der Geschichtswissenschaft im Laufe der Zeit erarbeiteten Kriterien können dabei eine Hilfe sein; mehr nicht. Muss/te doch jeder, also auch der nicht wissenschaftlich vorgebildete Mensch – wie der Mensch im „vorwissenschaftlichen“ Zeitalter überhaupt – in der Lage sein, sich mit seinen jeweiligen Mitteln Einsicht die Zuverlässigkeit geschichtlicher Ereignissen zu verschaffen.
Dass dem so ist, ist ein sich aus der Schöpfung ergebendes Postulat, weil es sinnlos wäre, wenn der Mensch sich zwar durch entsprechende Tradition Zugang zu geschichtlichen Ereignissen verschaffen könnte, aber gleichzeitig an der Zuverlässigkeit dieser Tradition prinzipiell zweifeln müsste.
Wir glauben, dass sich Gott in der Geschichte mehrfach geoffenbart hat, insbesondere aber in der Person Jesu, den seine Jünger nach seinem Tod am Kreuz als Lebenden (als „Auferweckten“ bzw. „Auferstandenen“) erfahren haben und den sie in der Folge als den Christus, als den Erlöser der Menschen und der Welt, verkündigt haben. Durch diese Verkündigung hat sich der christliche Glaube in alle Teile der Welt verbreitet und das Leben vieler Menschen zwei Jahrtausende hindurch bestimmt. Er ist auch heute noch präsent. Nur in der säkularisierten Gesellschaft, die im Wesentlichen mit der modernen Industriegesellschaft ident ist, ist er offenbar auf dem absteigenden Ast.
Mit dem Verlust des Glaubens geht ganz unübersehbar auch eine Einbuße an moralisch-ethischem Verhalten einher. Wer keine Verantwortung gegenüber seinem Schöpfer empfindet, wird weniger Hemmung haben, die Gebote der Menschlichkeit zu missachten; und wie zahlreich dies heutzutage geschieht, zeigt der Blick auf jene weltweit stattfindenden Entwicklungen, die zu große Sorge Anlass geben Als Christen, die in dieser säkularisierten Gesellschaft leben, sind wir mit diesem Rückgang des Glaubens schmerzlich konfrontiert. Wir können ihn auch nicht als natürliche Entwicklung, gar als gottgegeben, hinnehmen. Darum wollen wir der Sache auf den Grund gehen und die Frage stellen, warum das so ist und – noch wichtiger – was dagegen getan werden kann.
Erste Überlegungen dazu sollen in der nächsten Folge dieser „Vorbemerkungen“ angestellt werden.