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Im vierten Jahr des Franziskus#

Versuch einer realistischen Beurteilung#

Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 193/2016


Der 266. Bischof von Rom hat mit seinem Amtsantritt viel Hoffnung hervorgerufen, aber auch manche Enttäuschung. Hat man sich zu viel von ihm erwartet, gerade aus der Sicht der Reform-bewegungen? – Blicken wir zurück. Nach dem Amtsverzicht seines Vorgängers herrschte Verwirrung. Das Kardinalskollegium erkannte, dass ein keineswegs erträglicher Zustand der Kurie Benedikt überfordert hatte, einen Theologenpapst mit fehlender Seelsorgeerfahrung und Gestaltungskraft. Bergoglio erschien da als Retter in der Not, bewährter Glaubenspraktiker, unberührt von den Intrigen des Vatikans und damit geeignet, endlich Ordnung zu schaffen.

Unbefangen also trat Franziskus den Petrusdienst an, und das, wie sich sogleich zeigte, in einem überraschend hohem Ausmaß. Sein Amtsverständnis, auf das schon die Wahl seines Namens hinweist, erwies sich ganz anders als das seiner Vorgänger. Wie Johannes XXIII. will er eine dynamische Kirche, offen, eine Kirche der Armen und damit ganz in der Nachfolge Jesu stehend. Er praktiziert Bescheidenheit und Schlichtheit, frei von Dünkeln geht er auf die Menschen zu, deren Nöte ihm ebenso wichtig sind wie deren Glaube.

Für die weltweit sich abmühenden Reformbewegungen wurde ein Kirchenoberhaupt sichtbar, das Spiritualität mit Realismus und nüchternem Urteil verbindet. Wiederholt und gleich von Beginn an sprach dieser neue Papst von Reformen, die „antike Strukturen“ überwinden sollten. Er wolle kein Kontrollor des Glaubens sein. Es war so, als ob Barrieren der Unzugänglichkeit endlich beseitigt würden und an die Stelle steriler Starrheit Bewegung in Gang käme. Und dass sich die Kirche endlich bewegen sollte, war ja der große Wunsch der Erneuerungswilligen!

Ja, Bewegung entstand tatsächlich, doch die Frage erhob sich, wohin sie wirklich führen würde. Mittlerweile ist es möglich, die Richtung zu erkennen und dabei zeigt sich ein ebenso ernüchterndes wie in mancher Hinsicht auch unklares Bild. Ganz zweifellos ist als großer Fortschritt zu vermerken, dass sich das gesamte Klima in der Kirche wesentlich verbessert hat. Der Druck von oben, der Bedrückung hervorrief, ist gewichen. Viel freiere Rede und Diskussion sind möglich geworden, man kann sogar „ungehorsam“ sein, ohne böse Folgen befürchten zu müssen. Der Papst selbst ist in seiner lebhaften Rede oft spontan, weswegen ihm sogar Unbedachtheit vorgeworfen wird.

Aber bedeutet das die Entwicklung zu einer sich wirklich erneuernden Kirche? Seien wir realis-tisch. Den Auftrag zu einem solchen Unterfangen hat Franziskus bei seiner Wahl nicht erhalten. Er weiß zwar, dass es mehr als nur oberflächliche Änderungen geben muss, doch er unterlässt es – und damit sind wir beim entscheidenden Punkt – , seine ihm zustehende und praktisch unbegrenzte Entscheidungsbefugnis einzusetzen, um notwendige Änderungen herbeizuführen. Er will vielmehr als Bischof von Rom, dass seine Brüder im Amt Anstöße dazu liefern und damit prüfende Überlegungen auslösen.

Sehr deutlich hat sich das bei der Familiensynode gezeigt. Der geradezu sensationelle Schritt einer weltweiten Befragung, wie die kirchliche Ehe- und Sexualoral angenommen wird, hätte die Voraussetzung für eine große Besinnung herstellen können; die Ergebnisse waren ja eindeutig. Doch der Papst musste zur Kenntnis nehmen, dass die Gegenkräfte groß sind und sich zunehmend formieren statt einzulenken. Überraschung ist das allerdings keine angesichts einer jahrzehntelang praktizierten strikt konservativen Ernennungspolitik seiner Vorgänger.

Damit tritt für Franziskus die Sorge in den Vordergrund, er würde mit Entscheidungen gegen die beharrenden Gruppen Konflikte auslösen, die zur Zerreißprobe für die Kirche werden könnten. Zu solchem Wagnis sieht er sich weder ermächtigt noch in der Lage. Dem entsprechend war das Ergebnis der Synode, was das Kernthema des Umgangs mit den Wiederverheirateten betrifft, in seiner allseits rücksichtsnehmenden Vorsicht mehr als enttäuschend. Jeder glaubt, etwas für seinen Standpunkt herauslesen zu können; und das ist wohl nicht der päpstlichen Weisheit letzter Schluss!

Ähnliches zeichnet sich in der Frage des Diakonats der Frauen ab. Eine gewisses Verstehen der Probleme spürt man, den Mut, die Dinge wenigstens anzusprechen. Aber eines scheint klar zu sein: Jene Entscheidungen, die der Kirche den bisher „gehemmten Sprung“ (Helmut Krätzl) in die Gegenwart ermöglichen würden, wird es auch unter diesem Papst nicht geben. Es sieht – zumindest bis zur Stunde – nicht einmal so aus, als wollte Franziskus angesichts des katastrophalen Priestermangels die Leitung der Eucharistiefeier durch bewährte Laien ermöglichen. Er bestätigt zwar, dass der Pflichtzölibat der Geistlichen lediglich eine kirchliche Ordnungsvorschrift ist, aber hat der Papst überhaupt noch genug Zeit, dieses Thema auf die Agendaliste zu setzen? Die Öffnung der Weiheämter für Frauen ist, wie wir erfahren mussten, kein Thema für ihn. Man merkt ja immer wieder, dass es vermeiden will, Festlegungen seiner Vorgänger zu übergehen.

Leider muss man es feststellen: So sehr Aufgeschlossenheit und Mut zum Unkonventionellen Franziskus auszeichnen, so sehr ist er doch Produkt jenes klerikalen Systems, das ihn ins Amt befördert hat. Muss es nicht zu denken geben, dass er einen „Ablass“ ankündigt, und das ange-sichts des nun stattfindenden Gedenkens an die Reformation? Oder dass er sich weiterhin um die das Konzil ablehnende Piusbruderschaft bemüht, der „Einheit“ der Kirche zuliebe. Gibt es diese überhaupt noch angesichts der widerstrebenden Kräfte in der Hierarchie? Und wäre der Einheit nicht viel mehr gedient, würde man sich auch mit den Reformwilligen ernsthaft auseinandersetzen?

Lehrt doch die Geschichte, dass die Unversehrtheit der Kirche am meisten aufs Spiel gesetzt wird, wenn man jene ignoriert, die notwendige Korrekturen einmahnen. Franziskus ist der Selbstfesselung ausgeliefert, die sich das Kirchenregime mit seinem Wahrheitsanspruch auferlegt hat. Daran ändert das Setzen frommer Akzente wie ein Jahr der Barmherzigkeit nichts. Jene drückenden Lasten der Lehre und des Kirchenrechts, die unsere Kirche nicht vorankommen lassen, werden damit nicht weniger hinderlich und nicht weniger unbarmherzig.

Die Reformkräfte in der Kirche müssen also zur Kenntnis nehmen, dass Franziskus zwar ein Mann des guten Willens und beeindruckend glaubwürdiger Aussagen ist, aber kein Reformpapst. Es wird noch lange dauern, bis das scheinbar Unmögliche möglich wird. Es wird auch unter diesem Papst nicht geschehen. Und es wird auch sicher nicht von „oben“ herab gewährt werden, sondern von „unten“ zu erringen sein, also vom Kirchenvolk. Das unverdrossene Bemühen in dieser Richtung darf also nicht erlahmen. Auch dann nicht, wenn da und dort alte Zöpfe abgeschnitten werden, so sehr das auch verdienstvoll ist! Denn letzten Endes gilt auch hier das Wort des Herrn, dass man den Wert allen Tuns an seinen Früchten erkennt.


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