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BAULICHE ENTWICKLUNG#

Wien
Zinshaus,Graupp

Baurat Fr. R. von Neumann hielt am am 12. Februar 1885 im Museum am Stubenring einen interessanten Vortrag über die bauliche Entwicklung Wiens. Der Redner behandelte die architektonischen Leistungen der Neuzeit in Wien, den prächtigen Monumentalbauten, wie den Zinshausbauten längs der Ringstraße volles Lob spendete, gipfelte schließlich in einer Kritik der Wiener Stadtanlage und verglich diese mit Paris und Berlin.

Die Stadterweiterung Wiens, welche von der Demolierung der alten Basteien ihren Ausgang nahm, war leider nicht imstande, unsere Stadtanlage vom Grund aus zu reformieren; an der heute noch ungelösten Frage der Einverleibung der Vororte scheiterte bisher die Abfassung eines groß angelegten Stadtbebauungsplanes, mit dessen Hilfe allein es möglich wäre, Wien in wohnlicher Beziehung auf die gleiche Höhe mit anderen europäischen Großstädten zu bringen.

Paris und Berlin, die älteste und jüngste Großstadt des Kontinents, weisen beide die gleichen Eigenschaften ihrer Anlage auf welche unserer Stadt noch mangeln, nämlich die Einteilung in ein Geschäftszentrum und verschiedene, gesund gelegene und Luft reiche Wohnbezirke für die vornehmeren, wie für die Ärmeren der Bevölkerung. Mit dieser Einteilung im Zusammenhang steht die Anordnung von großen und breiten Avenuen oder Radialstraßen welche die Hauptverkehrsadern bis zu der Peripherie der Stadt und zugleich in architektonischer Beziehung den Glanzpunkt der von ihnen durchzogenen Stadtbezirke bilden.

Für Wien hält der Vortragende die Abhänge der Hügelkette vom Kahlenberg westlich bis St. Veit und Schönbrunn für das natürliche Terrain zur Anlage von Wohnungsvierteln, welche durch einen Bahngürtel untereinander und durch Radiallinien mit dem Zentrum der Stadt und den Geschäftsvierteln, die ihren natürlichen Platz in den Niederungen an der Donau fänden, zu verbinden wären.

Redner hob hervor, dass es sich an Hand der Geschichte nachweisen lasse, wie alle großen Verkehrszentren, Paris wie Berlin, und sogar unsere kleine Rivalin an der Donau, Budapest, sich nur durch die kräftige Hilfe des Staates zu ihrer Bedeutung aufzuschwingen vermochten, wie sie aber auch diese kräftige Hilfe zu allen Zeiten gefunden, nicht so sehr um ihrer selbst willen, sondern weil die Regierungen die Notwendigkeit eines solchen Verkehrszentrum für einen einheitlichen Staat erkannten und die Vorteile gar wohl zu schätzen wussten, welche diesemchsen Gesamtstaat aus einem solchen Mittelpunkt des industriellen wie geistigen und künstlerischen Verkehrs zufließen.

In Wien liegen die Verhältnisse bekanntlich anders. So wie zur Zeit Metternichs, konnte man auch in der einen abgelaufenen Woche von Seite der Regierung die Theorie verteidigen hören, dass das Anwachsen der großen Städte ein Übel sei, welchem man möglichst entgegentreten müsse, statt es zu fördern. Wer daher noch immer nicht an das bedrängte Wien glauben will und meint, dass es sich nur selbst zu helfen brauche, darf nur einen verständnisvollen Blick auf die bauliche Entwicklung Wiens werfen, um eines anderen belehrt zu werden. Das große Werk der Stadterweiterung ist bis jetzt nur ein Stückwerk geblieben und wird es so lange bleiben, bis alle Hindernisse beseitigt sind, welche heute noch dem Entwurf oder zumindest der Durchführung eines nach den vorerwähnten Prinzipien gearbeiteten Städtebebauungsplanes im Wege stehen. Die Beseitigung dieser Hindernisse liegt aber außerhalb der Machtsphäre der Gemeinde Wien.

Die große Bedeutung, welche der architektonische Ausbildung des Zinshausbaues für die Zukunft unserer Architektur innewohnt, denn auf diesem Gebiet kann ja unsere jüngere Künstlergeneration nach Vollendung der großartigen Monumentalbauten einzig und allein ihren Lorbeer holen. Dass aber auch die Entwicklung eines vernünftigen und gesunden Zinshausbaues nur durch eine Rezertifizierung unserer Stadtanlage ermöglicht wird, ist selbstverständlich, denn so lange sich unsere Zinsburgen auf dem teuren Boden unserer höchstens vier bis sechs Parzellen umfassenden Baugruppen auftürmen müssen, wird auch ihre Pseudo-Palast-Architektur mit ihrem gefälschten Material und ihrer gefälschten Großartigkeit nicht auszumerzen sein.

QUELLE: Österreichische Kunst Chronik, 21. Februar 1885, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Historisches_von_Graupp


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