DAS BOSNISCHE PFERD#
1910: In den letzten Jahren hat die Zucht spezieller Pferderassen in Bosnien und der Herzegowina große Fortschritte gemacht. Besonders die ausgedehnte Heranziehung dieser Pferdeschläge zu militärischen Zwecken hat nachhaltig gewirkt. Gegenwärtig sind bosnische Pferde bei allen berittenen Truppen des 15. Sarajewo und 16. Ragusa Korps in Verwendung. Die Kavallerie ist fast durchwegs mit Pferden des größeren, im bosnischen Hügelland heimischen Schläge in Verwendung. Die Gebirgsartillerie weist meistens Pferde des bosnisch-herzegowinischen Gebirgsschlages auf. Dasselbe gilt vom Gebirgstrain, von den Maschinengewehrabteilungen und von den berittenen Offizieren und Mannschaften der Fußtruppen. Den Terrain- und klimatischen Verhältnissen entsprechend, welche dass ganze Land in drei Zonen und zwar in jene der Tiefebene, des Vorgebirges und Hügellandes und des höheren Gebirges, teilen, haben sich im Laufe der Zeit auch verschiedene Pferdeschläge entwickelt, welche sich voneinander mehr oder weniger unterscheiden und in ziemlich scharf begrenzten Gebieten heimisch sind. Streng genommen unterscheidet man das Gebirgspferd, das Pferd des Hügellandes und das Pferd der Ebene.
Der gebirgige Teil West- und Ostbosniens, sowie die ganze Herzegowina ist die Heimat des für diese Gegenden typischen Gebirgspferdes, welches, wenn auch nicht von hervorragendem Adel, für die Pferdezucht des Landes doch von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Dieses Pferd, dessen westasiatischer Ursprung außer Zweifel steht, hat ich als Produkt der Scholle im Laufe der Zeit den klimatischen, den Boden- und Nahrungsverhältnissen seiner bosnischen. bzw. herzegowinischen Heimat vollkommen akkommodiert und weist heute alle das Saumpferd charakterisierenden Eigenschaften in vollkommenster Weise auf. Seine Größe schwankt zwischen 120 und 150 cm. Das bosnische Gebirgspferd hat einen ungemein sicheren Schritt, ist ein unerschrockener Bergsteiger, trägt die schwersten Lasten und begnügt sich mit kargem Futter. Es zeichnet sich durch eine eiserne Konstitution aus. Seine Bedeutung in volkswirtschaftlicher Beziehung, welche nach der Okkupation durch die Anlegung zahlreicher fahrbarer Verkehrsverbindungen teilweise zurückgetreten war, ist infolge des in letzter Zeit eingetretenen großen Bedarfes an guten Tragtieren für militärische Zwecke bedeutend gestiegen. Insbesondere die Gebirgsartillerie, die Traintruppe und die Maschinengewehrabteilungen absorbieren einen großen Teil des gelungenen Repräsentanten dieses Schlages. Die für das Gebirgspferd gezahlten verhältnismäßig hohen Preise bilden einen Ansporn für die Bevölkerung, diesem bisher vernachlässigten Zweig der Landwirtschaft größere Sorgfalt zuzuwenden.
Der Pferdeschlag des Hügellandes weist, wiewohl aus dem Gebirgspferde hervorgegangen, in höherem Maße den Einfluss edleren Blutes auf. Er ist vornehmlich im Hügelland und in der Nähe der Städte zu Hause und dient dort den einheimischen Grundbesitzern als Reit- und leichtes Wagenpferd, wird aber auch für anderweitige Wirtschaftszwecke verwendet. Dieser Schlag zeichnet sich durch edleres Exterieur, leichteren Körperbau bei bedeutenderer Größe aus. Der arabische, richtiger orientalische Einschlag fand schon vor der Okkupation statt, da die ottomanischen Offiziere und Beamten sich meistens importierter arabischer, syrischer, Berber- und anderweitiger orientalischer Hengste als Reittiere bedienten; diese Hengste wurden insbesondere in der Nähe der Städte und in den mehr zugänglichen Teilen des Landes allerdings planlos zum Decken einheimischer Stuten, namentlich jener der Großgrundbesitzer, verwendet und trugen mithin zur Verbesserung des Zuchtmaterials in nicht geringem Maß bei. Diese planlos durchgeführte Veredelung wurde durch sie österreichisch-ungarische Verwaltung in systematischer Weise verbessert und zweckdienlich ausgestaltet. Der Pferdeschlag der Ebene, des nordöstlichen, zwischen Bosna und Drina gelegenen und mit Posavina bezeichneten Raumes, welcher den Charakter der Tiefebene trägt, nähert sich im Gegensatz zum Gebirgspferd sehr den Bauernpferden der ungarischen Tiefebene. Dieser Teil des Landes konnte sich eben dem Einfluss der nahen Grenze nicht ganz entziehen, so dass sich bei fast ganz gleichen Verhältnissen ein Pferdetypus entwickeln musste, welcher jenem der benachbarten ungarischen Tiefebene, dessen asiatische Abstammung alle Wahrscheinlichkeit auch das bosnische Pferd der Ebene teilt, in Exterieur und Leistung nahekommt. Seiner Körperbeschaffenheit und den Bedürfnissen ebener Lagen entsprechend, wird dieses Pferd im allgemeinen mehr als Zug- denn als Reitpferd verwendet.
Die Landesregierung, welche der Pferdezucht die ihrer Wichtigkeit entsprechende Sorgfalt widmet, hat mit Rücksicht auf das Vorkommen dreier ausgesprochener Pferdeschläge das ganze Land in drei Zuchtgebiete eingeteilt. Der nördliche Teil Bosniens ist für die Zucht eines schweren Reit- und Wagenschlages, die Gebirgsgegenden für jene des Gebirgsschlages und die übrigen Landesteile für die Zucht eines leichteren Reit- und Wagenschlages bestimmt. Für die nördlichen, ebenen Landesteile werden von Seiten der Landesverwaltung schwere massige Orientalen als Vatertiere eingeteilt, während die kleinen Landesbeschäler in den für den leichten Reit- und Wagenschlag reservierten Gebieten zur Aufstellung gelangen. In das Zuchtgebiet des Gebirgsschlages werden die kleinen ramaßierten Orientalen und in letzter Zeit auch die dem bosnischen Pferd stammverwandten Huzulen exponiert. Das zu diesem Zweck schon seit Jahren bestehende Hengstdepot in Gorazda wies im Jahr 1909 einen Stand von 102 Zuchthengsten auf. Da der Bedarf an Hengsten ein überaus hoher ist, werden außer den Landesbeschälern noch eine größere Anzahl von Leihhengsten geführt, Hengste, welche vom Landesärar im Lande selbst angekauft und bei Privaten auf dreijährige kostenlose Haltung zu Nutz und Frommen des Pferdestandes des Umgebungsgebietes der Hengststandorte aufgestellt werden. Als Entschädigung für die unentgeltliche Haltung geht der Hengst nach Ablauf dieser Zeit in das unbeschränkte Eigentum des Halters über. Im Jahr 1910 betrug der Stand der Leihhengste 72 Tiere. Zur weiteren Ausgestaltung der im Interesse der Landespferdezucht getroffenen Maßnahmen werden überdies noch Privathengste lizenziert. Gemäß den diesbezüglichen Bestimmungen werden zu diesem Zweck zuchttaugliche, tunlichst veredelte einheimische Hengste von Privatbesitzern, denen die Einhebung einer entsprechenden Sprungtaxe bewilligt wird, herangezogen. Besonders gut lizenzierte Privathengste erhalten bei Nachweis einer befriedigten Anzahl von belegten Stuten Prämien von 60 Kronen. Im Jahr 1909 wurden rund 100 Privathengste lizenziert. Mit Rücksicht auf diese besondere Wichtigkeit des bosnischen Gebirgspferdes für gewisse militärische Zwecke wurde die Ergänzung des bestehenden Staatsgestütes in Gorazda, welches sich vornehmlich mit der Zucht der Orientalen beschäftigt, durch die Errichtung eines Gestüts bosnischer Gebirgspferde bewirkt. N.P.
Quelle: Österreichischer Soldatenfreund, 18. Juli 1910, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO
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