DAS SUPERPIANO#

1929: Der Festsaal im Palais des Deutschen Ritterordens wird vom Kulturbund derzeit als Vortragssaal benutzt, und bringt am Abend Erich Wolfgang Korngolds Improvisationen auf einem unbekannten Musikinstrument zu Gehör. Diese neuartige Erfindung zählt zu den außerordentlichen Schöpfungen moderner Technik und Kunst der heutigen Zeit.
Zuerst vermutet man ein normales Pianino vor sich zu haben, auch an der Tastatur ist nichts auffälliges zu sehen. Nur die elektrischen Leitungen, die das Pianino mit einem Radioverstärker und einem Lautsprecher verbinden, machen darauf aufmerksam eine eigenartige mechanische und elektrische Konstruktion des neuartigen Musikinstrumentes hin. Man wird völlig überrascht wenn man die ersten Töne des Superpiano vernimmt, was für eine herrliche Klangfarbe und Tonfülle erinnern an die Ätherwellenmusik Theremins und Martenauts. Theremins vom staatlichen physikalisch-technischen Institut in Leningrad hat die „Ätherwellenmusik“ geschaffen und Instrumente konstruiert, auf denen sie sich ausführen lässt.
Die Patenturkunde Nr. 109.233 des Österreichischen Patentamtes nennt es einfach: Elektrisches Musikinstrument“, eine Apparatur zur Erzeugung von Tönen durch tonfrequent unterbrochene Belichtung fotoelektrischer Zellen.
Der Erfinder des neuartigen Musikinstrumentes ist ein bekannter Wiener Architekt: Emmerich Spielmann. Wir haben den Künstler in seinem Atelier besucht um mehr über seine Erfindung zu erfahren.“Superpiano“ ist kein werbender Phantasiename. Es ist wirklich als eine höhere Entwicklungsstufe des Pianos zu betrachten. Vom üblichen Klavierbau wurde nur die Tastatur übernommen: Tonerzeugung und Tonwiedergabe erfolgt auf ganz neuartige Weise, durch Verwendung der Errungenschaften der modernen Radiotechnik. Die Töne werden nicht mechanisch hervorgebracht, sondern die Musik entsteht hier aus Licht und Elektrizität. Die Seele des Superpianos ist die Selen-Zelle. Ein Element, das bekanntlich die Eigenschaft besitzt, Lichtimpulse in elektrische Ströme umzuwandeln. Die Seelen-Zellen werden wegen dieser Eigenschaft in der Radiotelegraphie, beim Fernsehen und beim Tonfilm bereits vielfach verwendet. In meinem Superpiano ist jeder Taste der Klaviatur eine durch Tastendruck in ihrer Helligkeit regelbare Lichtquelle zugeordnet, deren Unterbrechung durch die Schwingungszahl des der Taste entsprechenden Tones bestimmt ist. Als Lichtquelle benütze ich elektrische Lämpchen der gewöhnlichen Taschenlampe. Sieben solcher 3 ½ Volt Lampen in einer Fassung entsprechen sieben Oktaven eines Tones. Diese Lichtquellen sind im Mechanikkasten in der Weise angebracht, dass bei jedem Tastendruck die Lichtstrahlen durch eine rotierende Scheibe auf eine Selenzelle projiziert werden. Die Rotation der Scheiben erfolgt mit Verwendung einer Transmission durch einen kleinen Elektromotor, der im Mechanikkasten eingebaut ist. Da die Helligkeit der Lichtquellen durch den Tastendruck regulierbar ist, kann der Klavierspieler die Tonstärke jedes einzelnen Tones konstant, aber auch zunehmend oder abnehmend gestalten. Im Mechanikkasten sind für die sieben Oktaven des Superpianos insgesamt 84 elektrische Lämpchen, 12 rotierende Scheiben und 12 Selenzellen eingebaut. Die absoluten Tonhöhen, die das Instrument hervorbringen kann, hängen von den Abmessungen der Apparatur, von der Tourenzahl des Motors ab.
Die beim Bespielen der Tastatur durch die Selenzelle erzeugten elektrischen Ströme werden durch Radioröhren verstärkt und so durch den Lautsprecher hörbar gemacht.
Was ist der Unterschied zwischen Superpiano und Theremins Sphärophon?
Das Superpiano hat mit dem Sphärophon nur eine einzige Ähnlichkeit: Die Benutzung der Radioröhren als Verstärker und des Lautsprechers als Klangmedium. Während aber die Ätherwellenmusik aus den elektrischen Schwingungen der Radioröhren „hervorgezaubert“ wird, werden bei einem Superpiano die Töne durch Lichtstrahlen, die mittels Selenzellen in elektrische Ströme umgewandelt werden, erzeugt.
Der wesentlichste Unterschied besteht aber darin, dass die Vorführung des Sphärophons eine rein artistische Produktion ist. Auf dem Sphärophon kann nur ein Radiotechniker spielen, der selbst auch ein virtuoser Musiker ist, wie Professor Theremin, oder ein Musiker, der zugleich auch ein Radiotechniker ist, wie Professor Martenaut. Auf dem Superpiano kann aber jedermann, auch ein Kind spielen wie auf einem gewöhnlichen Klavier. Es sind keine Fachkenntnisse notwendig.
Die Ravag plant einige bemerkenswerte Neuerungen. Es sollen in Experimentalvorträgen Erfindungen, die mit dem Radio zusammenhängen, populär gemacht werden
1931: Bekannte Persönlichkeiten aus Wiens Musikkreisen wurden von Architekten Spielmann eingeladen um ihnen das Superpiano vorzuführen. Der Einladung folgten: Redakteur Damisch, Prof. Heger Pianist Kessissoglou, Hofrat Dr. Marx, Dr. Rebiczek, Prof. Reichenberger, Prof. Reitler u.a.
Spielmann begann auf seiner Erfindung Bachs B-Moll-Präludium, die C-Dur-Sonate von Skarlatti, das Fis-Moll-Präludium Chopins, das Fantasiestück Nummer 4 von Schumann, ein Allegro aus einem Händel Flötenkonzert und das Andante aus dem Violinkonzert Mendelssohns.
Bevor das klangliche so Neuartige des Superpianospiel zur Diskussion kommt, öffnet der Architekt die Verschalung seines Kunstwerkes und demonstriert das Wesentliche seines Klangkörpers, der die Überleitung von Lichtwellen in akustische Wellen geglückt ist. Das Superpiano Spielmanns ist ein Selenzellenklavier. Die so seltsamen reizvollen Klangfarben der Töne seines Superpianos entstehen durch die geometrischen Figuren der Licht durchlassenden und Licht abwehrenden rotierenden Scheiben. Es handelt sich also um synthetisch erzeugte Töne, die durch überaus geistreiche Maschinerien wie etwa Register, die die Strommenge regeln, oder Verstärkerhebel oder Fußpedale dem menschlichen Willen gefügig gemacht werden....
1933: Die Arbeiten der Elektrotechniker und Instrumentenerzeuger laufen in dieser Richtung schon einige Jahre, ohne jedoch mehr als wissenschaftliche Erfolge errungen zu haben. Allen sind die aufpeitschenden Pfeiftöne der Radioröhre bei der Rückkoppelung noch bekannt, die Spielmann durch sinnreiche Schaltungen musikalisch verwertbar zu machen, was auch gelang.
Einen Mangel aber hatten diese Instrumente, zu denen die elektrische Orgel des deutschen Erfinders Jörg Mayer, ferner das „Hellertion“ und das „Trautonium“ zählen: man vernahm nur monophone Musik.
Die elektrische Musik erfasste auch Amerika die einen anderen Weg beschritt und deren Prinzip stellte sich als brauchbar heraus.
Im großen Saal des Ingenieur- und Architekten-Vereines die ansonsten für Vorträge über Wärmewirtschaft, oder Elektrotechnik und verschiedenen anderen Dingen nutzbar waren, ertönte gestern Musik: Orgelklänge, Streichquartett, Blasmusik. Doch auf dem Podium war nur ein Instrument zu sehen, das Piano. Öffnet man den Kasten des Pianos so entdeckt man einen kleinen Elektromotor, eine Anzahl elektrischer Glühbirnen und rotierende durchlöcherte Drehscheiben. Zwischen Glühbirnen und Drehscheiben sind Selen-Zellen angebracht. Die Töne werden durch eine sinnreiche Konstruktion lichtelektrisch erzeugt. Jede Taste der Klaviatur ist mit einem elektrischen Lämpchen verbunden, durch Tastendruck blinkt das Licht der Glühbirne auf, der Lichtstrahl durchleuchtet eine rotierende Lochscheibe und fällt auf die Selenzelle. An der rotierende Lochscheibe sind kleine Zacken angebracht und entsprechen den Tonaufzeichnungen auf den Zelluloidfilm. Jede Zacke gleicht einem endlosen Tonfilmstreifen für einen bestimmten Ton, für eine bestimmte Klangfarbe.
Das Superpiano wartet nur auf jene Komponisten die es verstehen auf diese neuen Klangfarben einzugehen um ein neuartiges Wunderwerk zu vollbringen.
QUELLEN: Das kleine Blatt, 17. Jänner 1929, Die Reichspost, 25. Jänner 1933, Wiener Allgemeine Zeitung, 26. März 1931, Die Stunde, 10. Jänner 1929, 26. Jänner 1933, Österreichische Nationalbibliothek ANNO
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