DER ERLKÖNIG#
1900: Der Musikhistoriker W. Tappert sammelt seit dem Jahr 1870 „Erlkönig“-Kompositionen. Er hat es auf 59 Objekte gebracht; es sind 13 darunter, die niemals veröffentlicht wurden. Die Goethe Ballade gehört als Arie einem Liederspiel an, welches der Dichter im Jahr 1781 geschrieben hat. Am 22. Juli 1782 wurde es zum ersten Mal „auf dem natürlichen Schauplatz in Tiefurth vorgestellt“, zwei Monate später in der Berliner Literatur- und Theater Zeitung, 21. und 28. September. Die berühmte Corona Schröter 1748-1802 sang das Lied bei der Premiere nach ihrer eigenen Weise, denn sie komponierte, wie Tappert in seinem „Erlkönig“ Heft mitteilt, den „Erlkönig“ zuerst. Nach Corona Schröter kommen J. F. Reichardt, Romberg und andere Meister des Liedes und der Ballade. Von Beethoven ist nur eine Skizze erhalten, die jüngst von Becker ausgeführt wurde. Als Schubert den „Erlkönig“ komponierte, war er 18 Jahre alt. Am 29. Februar 1821 wurde der „Erlkönig“ Schuberts in Wien zum ersten Mal öffentlich gesungen, nicht lange darauf als Opus I auf Kosten der Freunde gedruckt.
Tapperts Sammlung enthält auch: „Le Roi des Aunes“. Paroles francaises de Marc Constantin, Musique des Francois Chubert. Auch Karl Blums „Erlkönig“ wurde viel gesungen. Der berühmte Balladen-Komponist Karl Loewe schrieb den „Erlkönig“ wie Schubert als Opus I. Wenzel Tomaschek in Prag widmete seine „Erlkönig“-Komposítion dem Dichter. Dedikation: „Seine Exzellenz, dem Hoch- und Wohlgeborenen Herrn Johann Wolfgang von Goethe großherzoglich Sachsen Weimarer geheimen Rat und Staatsminister. Kommandeur des österreichischen kaiserlichen Leopoldorden, Ritter des Russisch kaiserlichen St. Annenordens erster Klasse, wie auch des großherzoglichen Sachsen Weimar'schen weißen Falkenordens usw. achtungsvoll gewidmet.
Miss Mounsey gab einen englischen „Erlkönig“ bei Novello heraus.
Der Wiener „Gschnas“ bemächtigte sich selbstverständlich der Balladen zu Gunsten des Männergesanges.
Auch Otto Ludwig vertonte in - Gis-moll den „Erlkönig“.
In Wien wurde ein romantisches Melodram „Der Erlkönig“ mit Musik von Adolph Müller aufgeführt. Eine Rezension sagte: „Zu den unverzeihlichsten Missgriffen gehört die widersinnige Idee, Franz Schuberts treffliche Komposition als Chor- und Orchestersatz zu verarbeiten, während der Inhalt der Volkssage in einem beweglichem Traumtableau mimisch-plastisch vorgestellt wird...“
Auch von Meyerbeer muss ein „Erlkönig“ vorhanden sein, denn die Erben Meyerbeers aber ängstlich vor der Veröffentlichung bewahren … Goethe kannte Schuberts Werk. Genast berichtet „Aus dem Tagebuch eines alten Schauspielers, 1830: „Die Schrödter- Devrient sang Goethe unter anderem auch die Schubert Komposition des „Erlkönig“ vor und obgleich er kein Freund von durchkomponierten Strophenliedern war, so ergriff ihn der hochdramatische Vortrag der unvergleichlichen Wilhelmine so gewaltig, dass er ihr Haupt in beide Hände nahm und si mit den Worten „Haben Sie tausend Dank für diese großartig künstlerische Leistung!“ auf die Stirn küsste. Dann fuhr er fort; „Ich habe diese Komposition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen, gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild!“
Schuberts „Erlkönig“ ist der bekannteste von allen, weil er der wirksamste und darum der dankbarste für den Sänger war. Ob er oder irgend ein anderer der beste sei, diese müßige Frage lasse ich unberührt.
Schubert schrieb den „Erlkönig“ an einem Nachmittag gegen Ende des Jahres 1815 oder Anfang nächsten Jahres. Spaun kam hinzu und traf den Freund mitten in der Arbeit. Am Abend besuchte der Komponist das Konviet, er und ein gewisser Holzapfel sangen die Ballade den ehemaligen Studiengenossen vor. Man stutze über den Missklang bei den Worten: „Mein Vater, mein Vater jetzt fasst er mich an!“ Meister Ruczizka, Dirigent des kleinen Convietisten-Orchesters, übernahm es, die Zulässigkeit der grellen Dissonanz zu erweisen und die jugendlichen Kritiker zu beruhigen.
Viel ist bezüglich der Entstehung des Schuberts „Erlkönigs“ gefabelt worden, in Wirklichkeit ging alles sehr natürlich zu. Diesem genialen Wurf gingen ungezählt vorher und folgten gemessen andere melodische Perlen, die jugendlichen Gönner hatten vollauf zu tun, um alles zu bewundern und zu sammeln. Der Unerschöpfliche kümmerte sich, wie es scheint, nicht sehr um die sprossenden Blüten, er überließ die Sorge den anderen.
Gymnich, ein Dilettant, sang den „Erlkönig“ am 1.Dezember 1820, einem Produktionsabend, im Haus des Dr. von Sonnleitner; der Erfolg war glänzend, er veranlasste den Sänger, die Ballade am 25. Jänner 1821 in einer Abendunterhaltung des sogenannten kleinen Musikvereins öffentlich vorzutragen.
Zu jener Zeit lebte und wirkte in Wien der Bariton Joh. Michael Vogl, geboren 1768 in Steyr. Er wurde mit Schubert bekannt und bemächtigte sich der in Rede stehenden Komposition, weil sie für ihn wie geschaffen war. Mit ihm machte „Erlkönig“ die Runde durch alle Privatzirkel, bis endlich beide am 7. März 1821 in die „große Welt“ gelangten.
Alljährlich am Aschermittwoch veranstaltete die aus adeligen Damen bestehende Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Nützlichen eine musikalisch-deklamatorisch-choreographische Soirée, herkömmlich Akademie genannt. Onkel Joseph Sonnleithner war mit dem Arrangement betraut und hatte sich durch seinen Neffen Leopold bestimmen lassen, drei Werke von Schubert ins Programm aufzunehmen, darunter den „Erlkönig“.
Das Konzert bestand aus 15 Nummern buntester Mischung. Sophie Schröter deklamierte, Fanny Elsler tanzte, Leon de Lubin spielte ein Violinkonzert; Worczicek Variationen für Klavier, ein Romberg Violoncellosolo wechselten mit Ouvertüren von Gyrowetz und Herold; Wilhelmine Schröder-Devrient und Karoline Unger vereinigten sich zu einem Duett von Rossini, nachdem jene zuvor durch eine Mozart Arie sich eingeführt hatte. Den „Erlkönig“ musste Vogl auf stürmisches Verlangen wiederholen. Nun werden doch die Herren Verleger den bescheidenen Künstler nicht wie früher ablehnend beschieden, sondern ihn begehrlich aufgesucht haben? „Oho! Dös giabts net!“ Aber die Freunde legten das Geld zusammen und edierten als Op. 1 den „Erlkönig“; sie deckten durch den Erlös des ersten Heftes die Kosten des zweiten usw. bis zwölf Lieferungen auf diese Weise erschienen waren. „Erlkönig“ fand reißenden Absatz! Diabelli fand den Zeitpunkt gekommen und erstand Platten samt Eigentumsrecht für 800 Gulden. Die Freunde rasten, aber es war zu spät. Das Geschäft war das beste das jemals abgewickelt wurde.
Der „Erlkönig“ und der „Wanderer“ sind zwei Goldgruben für die Firma gewesen. Schubert hat die Ballade in zwei nicht ganz übereinstimmenden Fassung hinterlassen.
Vogl hielt den „Erlkönig“ sicher und warm; noch im Jahr 1834 sang er ihn öffentlich in Wien.
In Berlin wurde der „Erlkönig“ zuerst am 9. Juni 1825 von Anna Milder öffentlich gesungen und schreibt an Schubert, dass die Ballade unendlich gefallen habe. Die Zeitungen äußerten sich mit den Worten: „Franz Schubert in Wien ist ein sinniger, die Modulation liebender Gesangs Komponist. Der „Erlkönig“ ist höchst originell, mit tragischem Ernst behandelt und die Orchester-Triolen-Figur in der sehr schweren Klavierbegleitung konsequent durchgeführt. Nacht und Graus, Sturm und Schrecken ist in diesem Nachtstück schauerlich phantastisch gemalt“. Schubert war in Berlin bereits durch die „Forelle“ bekannt.
Schuberts „Erlkönig“ hat nicht allen gefallen; Goethe konnte durchkomponierten Gesängen keinen Geschmack abgewinnen, zu Gunsten der Schubert Komposition gelang es der genialen Schröder-Devrient den Dichter umzustimmen.
QUELLEN: Signale H 3 1900, S 4, Musikalisches Wochenblatt, 9. Dezember 1870, S !, ANNO Österreichische Nationalbibliothek.
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