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DER LETZTE WILLE#

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Testament, Graupp

Ob der letzte Wille. den man geplant hatte, auch ausgeführt wird... hier die Geschichte.

1910: Das Oberlandes- als Berufungsgericht hatte gestern unter dem Vorsitz des Herrn Hofrates Dr. Feldner in einem juristisch interessanten Rechtsstreit zu entscheiden. Am 10. Jänner 1910 starb in Admont die dortige Hausbesitzerin Fräulein Marie Kassegger mit Hinterlassung eines Vermögens von 202.186 Kronen. Da kein eigentliches Testament vorhanden war, traten die gesetzlichen Erben die Erbfolge an und wurde von ihnen die bedingte Erbserklärung abgegeben. Im Nachlass der Verstorbenen fanden sich vier Kodizille vor, die aus den Jahren 1903,1905 und 1909 datiert waren. Ein Kodizill hatte kein Datum, Die ersten drei Kodizille waren in einem versiegelten Kuvert verschlossen das die Aufschrift trug: „Testament von Fräulein Marie Kassegger, drei Tage nach meinem Sterben zu öffnen“ Diese drei Kodizille enthielten 18 Anordnungen zu Gunsten religiöser Vereine, so des „Kindheit-Jesuvereines“ in Graz, der „Marienvereinigung“ in Graz, des „Ursulinen-Konventes“ in Innsbruck. Dem Priesterseminar in Graz wurde ein Betrag von 1200 Kronen vermacht, das seraphinische Liebeswerk in Linz erschien mit zwei Beiträgen, und zwar mit 2000 Kronen und 3000 Kronen bedacht. Das letzte vierte Kodizill befand sich in einem an die Stiftsvorstehung Admont gerichteten verschlossenen Kuvert und enthielt eine Bestimmung, wonach das Haus Nr, 72 in Admont der römisch-katholischen Kirche in Admont vermacht wurde. Bezüglich des Hauses Nr, 38 in Admont traf die Erblasserin die Bestimmung, dass dieses Haus weder zu einem Gastbetrieb verwendet, noch an einen Nichtkatholischen verkauft werden dürfe, sondern zur Errichtung eines Asyls für arme, verlassene Kinder verwendet werden soll. Das erste Kodizill enthielt die bemerkenswerte Schlussbestimmung, dass das Testament nur dann Gültigkeit habe, wenn der Erblasserin zwei Tage nach ihrem Tod der Herzstich mit einer feinen Nadel beigebracht wurde, um, wie sich die Erblasserin ausdrückte, alles zu vermeiden, was die Gefahr eines Starrkrampfes hätte herbeiführen können. Diese letztwillige Anordnung konnte nicht ausgeführt werden, weil die Verstorbene zur Zeit der Testamentseröffnung, die, wie schon erwähnt, über Anordnung der Erblasserin erst drei Tage nach ihrem Tod zu erfolgen hatte, bereits im Grab lag. Da die gesetzlichen Erben die Gültigkeit der letztwilligen Anordnungen des Fräulein Marie Kassegger anzuerkennen sich weigerten, traten der „Kindheit-Jesuverein“ und die übrigen Legate gegen den Bruder der Erblasserin Herrn Jakob Kassegger, Apotheker in Salzburg, und die übrigen Erbberechtigten wegen Anerkennung der Gültigkeit von Vermächtnissen und auf Erfüllung von Anordnungen auf Grund des vorliegenden Testamentes klagbar auf. Von Seite der Erben wurden sämtliche Anordnungen der Erblasserin bestritten und geltend gemacht, dass, nachdem die Erfüllung der letztwilligen Anordnung der Erblasserin bezüglich des Herzstiches durch diese selbst unmöglich gemacht worden war, auch alle übrigen Anordnungen ungültig seien und daher das Klagebegehren abzuweisen sei. Das Legat an das Priesterseminar bestehe nicht zu Recht, da ein solches in Graz gar nicht bestehe. Dem Knabenseminar, das möglicherweise gemeint sein könne, fehle aber die Legitimation des Anspruches. Das Klagebegehren bezüglich des der römisch-katholischen Kirche in Admont zugewendeten Hauses Nr. 72 in Admont sei unzulässig, da nach der letztwilligen Anordnung der Erblasserin nur der Ertrag dieses Hauses verwendet werden dürfe. Das zweite Vermächtnis an das seraphinische Liebeswerk sei als eine Erhöhung des ersten anzusehen. Von Seite der Klagevertretung wurde ein Brief des fürstbischöflichen Ordinariates vorgelegt, worin darauf hingewiesen , dass das Knabenseminar unrichtig als Priesterseminar bezeichnet werde: Der Klagsanwalt vertrat die Anschauung, dass die Zuwendungen an das seraphinische Liebeswerk als zwei selbständige Vermächtnisse zu betrachten seien.

Das Kreisgericht Leoben hat als Prozessgericht zurecht erkannt, dass die letztwilligen Anordnungen des Fräulein Kassegger gültig und die Beklagten schuldig seien, die frommen Vermächtnisse sofort auszubezahlen und die übrigen Vermächtnisse binnen Jahresfrist zu übergeben. Das Klagebegehren auf Übergabe des Hauses Nr, 72 an die Kirche in Admont wurde abgewiesen.Dieses Urteil wurde damit begründet, dass die Erblasserin eine tief religiöse Person war und ihre Verfügungen ernst zu nehmen waren. Ihre Bestimmungen wegen des Herzstiches konnte nur so aufgefasst werden, dass ihre Anordnungen dann gültig seien, wenn der Eintritt des wirklichen Todes festgestellt wurde. Die Zuwendung des Hauses Nr. 72 an die Kläger erscheine nicht zulässig, da nicht das Haus selbst, sondern nur der Ertrag desselben vermacht wurde. Gegen dieses Urteil wurde von beiden Streitteilen die Berufung eingebracht. Der Beklagten Vertreter, Herr Rechtsanwalt Dr. Schmölzer aus Leoben, machte geltend, dass, wenn die Ausführung der Anordnung wegen des Herzstiches unmöglich gemacht wurde, diese Bestimmung nach § 698 a. b.G.B. ungültig sei. Sind aber durch Zufall die gestellten Bedingungen nicht eingetroffen, dann sind auch die daran geknüpften Bestimmungen nicht gültig. Es sei nicht zulässig, diese Bestimmung als Befristung aufzulassen. Die Erblasserin habe den Willen gehabt, dass ihr Tod genau festgestellt werde; es gehe nicht an, diese Bestimmung anders zu deuten. Wer kann es wissen, ob die Erblasserin nicht absichtlich ihr Testament so verfasst habe, dass seine Durchführung unmöglich gemacht würde.Sie wollte vielleicht ihren armen Verwandten etwas hinterlassen. Was das Legat an das Priesterseminar betrifft, so könne unter letzterem nicht das Knabenseminar verstanden werden, da in diesem nur Hochschüler, aber keine Priester herangebildet werden. Der Klagsanwalt, Herr Rechtsanwalt Dr. R. von Metzler aus Leoben, führte aus, dass das erste Gericht nach dem Willen der Erblasserin forschte, um ihre letztwilligen Bestimmungen in eine logische Entscheidungsform zu bringen. Es war der tief religiösen Erblasserin darum zu tun, dass ihr Tod festgestellt und nach diesem für ihr Seelenheil gebetet werde. Eine gegenteilige Absicht erscheine logisch und menschlich ausgeschlossen. Mit Rücksicht darauf habe das erste Gericht den Herzstich nicht als Bedingung aufgefasst. Die Erblasserin habe das erreicht, was sie wollte: einen Gott seligen Tod. Nach Bekanntwerden der Bestimmung über den Herzstich, habe man diesen nachträglich vornehmen wollen, aber Herr Kassegger habe sich dagegen gewendet. Der Berufung der Kläger wurde keine, jener der Beklagten teilweise Folge gegeben. Der Klageanspruch des Knabenseminars wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht hat in der Bestimmung des Kodizills, dass dieses erst dann Gültigkeit erlangen soll, wenn zwei Tage nach dem Tod der Erblasserin der Herzstich vorgenommen wurde, nicht eine Bedingung, sondern nur einen Auftrag erblicken können, der an die gesetzlichen Erben gerichtet war. In diesem Beweggrund wurzelt die Anerkennung der Vermächtnisse, die von der Erblasserin zuerkannt wurden. Dagegen musste der Anspruch des Knabenseminars abgewiesen werden, weil das Priesterseminar nicht als Knabenseminar angesehen werden könne, da im letzteren nur Gymnasiasten und keine Theologen herangebildet werden.

QUELLE: Grazer Volksblatt, 3, Dezember 1910, S 8, ANNO Österreichische Nationalbibliothek.

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