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DER THERESIENPARK#

1926: Eine bunte Blumeninsel inmitten einer gepflegten Rasenfläche begrüßt den Besucher beim Eintritt in den Theresienpark, jetzt Theresienbadpark genannt, der sich in Wien-Meidling befindet. Wie immer herrscht rege Betriebsamkeit, denn jeder der Wiener Bezirke ist eigentlich eine Stadt für sich, die engste Umgebung der dort Lebenden.

Die Bezirksvertretung war immer schon sehr strebsam. Das ganze Gemeinwesen sieht auf eine lange Vergangenheit zurück und die Gruppe XII des Zentralausschusses für Heimatforschung fördert immer wieder Interessantes aus längst entschwundenen Zeiten zutage. Der Obmann dieser Gruppe, Direktor Karl Hilscher, ist ein warmer Vertreter aller künstlerischen Bestrebungen. Schon seit seiner Jugend, träumte er davon, dass man in den einzelnen Bezirken kleine Denkmäler setzen sollte, die an berühmte Menschen jener Bezirke erinnern.

Als der alte Hundsturmer Friedhof, jetzt als Haydnpark bekannt, auf dem Gaudenzdorfer Gürtel, aufgelassen wurde, entdeckte Direktor Hilscher dort einen sehr gut erhaltenen vier Meter hohen Obelisk aus Marmor, auf einer in Vergessenheit geratenen Gruft. Dieser Fund half ihm, den seit Jahren bestehenden Plan zur Erfüllung zu bringen. Die vier Meidlinger, die für diesen ersten Gedenkstein bestimmt wurden, sind die berühmten Wiener Maler Anton Hlavacek, der Schriftsteller Stüber-Gunther, ein echter Wiener und sein Kollege, der Schriftsteller Oskar Pach, sowie der Komponist zahlreicher schöner kirchlicher Musik, Franz Josef Zierer.

Diesen vier Männen galt die schöne Veranstaltung, die am Sonntag im Theresienpark statt fand. Alle Honoratioren des Bezirks und interessierte Gäste wohnten der Feier bei.

Bildhauer Hänlein hat die vier Medaillons in weißem Laaser Marmor ausgeführt. Sprechend ähnlich ist das Bild Hlavaceks. Jeder, der diesen Feuerkopf, diesen Idealisten und treuen Diener seiner Kunst kannte, war erschüttert von der Auffassung dieser Züge „Vergesst mich nicht!“ scheinen diese Augen zu sagen, diese Lippen zu predigen. „Vergesst ihn nicht!“ das möchte man allen Wienern zurufen, allen Freunden der Kunst Hlavacek verfügte über eine virtuose Technik, aber er legte noch weit mehr hinein in seine Bilder. Aus ihnen spricht was er gefühlt und gedacht, als er sie schuf. Seine unendliche Liebe zur Natur, sein Reichtum an diesen Gedanken beseelen alles. Eine ganze Weltanschauung spricht aus seinen Werken.

Der zweite, Fritz Stüber-Gunther, lächelt seltsam hin über die Menge. „Kennt ihr mich denn wirklich noch?“ fragen seine Augen, „und gedenkt ihr noch meiner?“ Wir alle haben ihn so oft gesehen am Vorlesetisch. Er war so ganz erfüllt vom Leben, von einem glänzenden Humor, von einem innerlichen Lächeln. Er kannte Wien wie selten einer. Wenn er von den Wienern sprach, dann schmunzelte er ein wenig. Aber er liebte sie ehrlich. Und was er ihnen zu sagen hatte, das ist erfüllt von tiefem Verstehen und von Freudigkeit.

Oskar Pach, er hieß eigentlich Prochaska, ist der Dritte im Bunde. Er hat nicht sehr viel geschrieben, aber das wenige war gut und war getragen von echt wienerischen Geist. Er hat seine ganze freie Zeit den anderen gewidmet. Zwölf Bände des Jahrbuches der Scheffel-Gesellschaft hat er redigiert. Viel jungen, strebenden Talenten hat er zu ihrem Ziel verholfen. Und als man ihn an einem stillen Herbstabend zu Grabe trug, da wussten es alle, dass ein wirklich guter Mensch zur Ruhe ging.

In die klare Herbstluft hinein blickt verträumt, kindlich heiter das gütige Gesicht des Letzten in dieser Runde, des Komponisten Franz Josef Zierer. Dieses Gesicht allein erzählt eine Lebensgeschichte. Es ist die ewig wiederkehrende Historie von dem armen Künstler mit dem heißen Herzen, von dem hoch begabten Menschen, der immer bescheiden im Hintergrund bleibt, von dem Talent, als eigentlich dem Kampf mit dem harten Leben nicht gewachsen ist, weil seine Heimat im Reiche der großen Kunst liegt. Die Kirchenkompositionen Zierers gehören in Wahrheit zu den besten seiner Zeit. Er selbst aber blieb arm und immer von anderen zurückgedrängt, ein kleiner Landschullehrer.

Vier Köpfe blicken von dem Obelisken im Meidlinger Park. Vier feine Künstlergesichter schauen wie aus weiten Fernen in das Getriebe unseres Lebens, Stimmengeflüster, Worte die uns erinnern an die Dahingegangenen: „Vergesst uns nicht!“

QUELLE: Neues Wiener Journal, 13. Oktober 1926, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

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