DIE JESUITENGRUFT#
1934: In Wien gibt es noch viele Geheimnisse, denn überall wo gegraben, sind zur Freude der Archäologen, historische Funde zu finden. So war Wien im Mittelalter, eine Stadt mit 40 bis 60 tausend Einwohner innerhalb der heutige Ringstraße, wimmelte es von Friedhöfen und Grüften und in den Kirchen durchzog stets ein Leichengeruch und dass es unter der Erde eine Stadt gab, die ebenso groß war wie die oberirdische. Das war die Stadt der Grüfte, der Katakomben und der Weinkeller.
Dieses Wien kennt man heute nicht mehr,man kann es nur erahnen. Unter allen Kirchen der Inneren Stadt befinden sich viele Stockwerke tiefe Katakomben. Nicht nur unter dem Stephansdom. Diese Katakomben hängen miteinander zusammen und es ist keine Übertreibung, von einem zweiten unterirdischen Wien zu sprechen.
Die Entdeckung des verschollenen Grabgewölbes unter der Jesuitenkirche, der „Wiener Universitätskirche zu Maria Himmelfahrt“, in der Inneren Stadt hat vor kurzem diese Tatsache neuerlich bewiesen.
Die Wiener Jesuiten, deren Ordensmitglieder auf dem Zentralfriedhof beerdigt wurden, sahen sich vor einiger Zeit vor der Tatsache, dass ihr dort befindlicher Klosterfriedhof voll belegt war..Sie mussten sich um eine neue Begräbnisstätte umsehen.
Der Jesuitenorden war bekanntlich im August 1773 durch päpstliches Breve aufgelöst, in der Ära der Heiligen Allianz aber wieder errichtet worden. Bei dieser Auflösung vor 161 Jahren gingen von den zahllosen Geheimnissen des Ordens die meisten verloren. Das Archiv der „österreichischen Provinz der Gesellschaft Jesu“ zum Beispiel wanderte in die Hofbibliothek, wo es heute noch unerforscht liegt. Damals ist auch die große Jesuitengruft unter der Kirche in Vergessenheit geraten und es war eine große Überraschung, als sie vor mehreren Wochen wieder entdeckt worden ist.
Sie besteht aus zwei Teilen, die 900 Quadratmeter groß sind. Die Einstiegsöffnung befindet sich in der Kirche vor dem Haupteingang. Im ersten Teil, der unter der eigentlichen Kirche liegt, sind 104 „Kolumbarien“, das sind Mauernischen, in die die Särge geschoben wurden. Nachher hat man die Nische vermauert und die Verwesung begann hier ihr grausiges Spiel. 52 Kolumbarien waren noch unbelegt.
Zahlreiche Särge waren zerfallen; es lagen Skelette herum, die nun in den „Karner“, das Beinhaus, geschafft wurden, den man einen Stock tief unter der Gruft entdeckt hat. Man darf aber annehmen, dass sich unter diesem Karner noch einen Stock tiefer ein Gewölbe befindet.
Beginnt man nun zu ahnen, welche Abmessungen das unbekannte, unterirdische Wien haben kann?
Im zweiten Teil der Gruft sind einige gut erhaltene kupferne Särge gefunden worden. Ein reich ornamentierter besonders hoher Sarg soll der einer Gräfin Waldstein sein, die mit dem Kind, bei dessen Geburt sie starb, hier beigesetzt wurde
Kaiser Josef II. hat am Anfang seiner Regierung jede Beisetzung von Leichen innerhalb der heutigen Inneren Stadt verboten. Alle Grüfte und Friedhöfe sind geschlossen worden. Das ist so geblieben bis in unsere Zeit. Die heutigen Jesuiten planen jedoch, die Gruft zu renovieren und ihre Ordensmitglieder, die künftig sterben, hier beisetzen zu lassen. Was ein sehr denkwürdiger Fall in der Geschichte Wiens wäre. Seit Josef II. nicht mehr dagewesen.
Der Jesuitenorden wurde 1773 von Papst Clemens XIV. aufgehoben und die Jesuitenkirche ging in den Besitz des Staates über. Die Grabstätte der Patres geriet allmählich in Vergessenheit Doch auf Wunsch Roms feierte der Orden 1814 neuerdings seine Auferstehung. Auch in Wien. Daher war die Wiederentdeckung der Gruft 1934 sensationell.
QUELLE: Kuckuck, 4. Februar 1934, Österreichische Nationalbibliothek ANNOh
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