DIE KOCHKISTE#
1903: Nach der Berufsstatistik von 1895 gab es in Deutschland im ganzen 1,057.653 erwerbstätige verheiratete Frauen. Eine sehr bedenkliche Folge dieser weitgehenden Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen ist, dass viele von ihnen ihren häuslichen Pflichten nicht mehr recht nachkommen können und infolgedessen gezwungen sind, die Bereitung der Mahlzeiten erheblich zu kürzen. Häufig tritt so Unterernährung ein, da dann die Mahlzeit oft bloß aus Kaffee besteht; oder aber der Ersatz der warmen Speisen durch kalte gibt Anreiz zum häufigen Alkoholgenuss, um dadurch die nötige Erwärmung zu erzielen. Ein Weg, diesen Übeln zu steuern, wäre eine größere Einschränkung der Erwerbstätigkeit der verheirateten Frauen. Allerdings ist das mit großen Schwierigkeiten verbunden. Daher muss nach anderen Möglichkeiten gesucht werden um den Schaden nicht noch zu vergrößern.
Ein Mittel nun, dem in unserer Volksernährung noch eine Zukunft bevorsteht, ist die sogenannte Kochkiste. In den Aufsätzen, die bereits darüber erschienen sind, werden ihr die verschiedensten Namen beigelegt. Oberregierungsrat Dr. Bittmann; Karlsruhe, nannte sie in der Zeitschrift der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrts-Einrichtungen „Konkordia“ „Die badische Kochkiste“ Darüber beschwerte sich Fräulein Hannemann, Vorsteherin des Haushaltungslehrerinnenseminars am Lettehaus Berlin Schöneberg in einem Vortrag . Wie sie bekanntgab beschäftigte sie sich bereits seit 12 Jahren um eine Kochkiste zu schaffen, die zu ihrer Verwunderung wenig Beachtung fand.
Nun scheint der Gedanke, welcher der Kochkiste zugrunde liegt, bereits sehr alt zu sein. Nach Dr. Bittmann kannten schon die Juden nach der Mischna, dem ersten Teil ihres Talmuds, eine ähnliche Einrichtung für den Sabbat, um die Speisen warm zu halten. Ferner erregte bereits auf der Pariser Weltausstellung 1867 ein mit Wolle und Filz ausgestatteter Holzkasten „la cuisine automatique norvégienne“ in welchem gekochtes Fleisch binnen drei bis vier Stunden gar wurde, großes Aufsehen. 1868 veröffentlichte Professor Dr. H. Meidinger in der „Badischen Gewerbezeitung“ einen Aufsatz über die von ihm mit einer solchen Kochkiste angestellten Versuch. Zwei Töpfe, von denen ein jeder 2.5 Liter Wasser enthielt, wurden in die Kochkiste eingestellt. Nach 4 Stunden war die Temperatur des Wassers von 100 auf 80 Grad gefallen, nach 6 Stunden auf 72 Grad, nach 12 Stunden auf 62 Grad, nach 24 Stunden auf 46 Grad, nach 36 Stunden auf 35 Grad. Seine Versuche Fleisch, Gemüse,Bohnen und Reis in der Kochkiste gar zu bringen, führten zum besten Ergebnis und stellte fest, dass selbst nach 24 Stunden ein Gericht, das kochend eingebracht wird, eine für das sofortige Genießen angemessen hohe Temperatur haben könne. Speisen bei 56 Grad sind noch zu genießen. Bei 62 Grad verbrennt man sich schon.
„Die schwedische Kochkiste“ in einem Aufsatz erwähnt wie die schwedischen Frauen mit der Heukiste kochen.
Über die Erfindung der Kochkiste entstand ein Streit der nicht zu schlichten war. Eines ist jedenfalls sicher, dass durch das Vorgehen des Badischen Frauenvereines und durch die hochherzigen Bemühungen Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin Luise von Baden die Kochkiste erst so recht eine Wohlfahrtseinrichtung für Baden geworden ist.
Als Kochkiste kann jede verschließbare Holzkiste verwendet werden.
1915: Ein Jahr vorher ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen, eine Zeit mit all ihren Entbehrungen und Einschränkungen, auch im Haushalt und in der Wirtschaft mehr als zu sparen und zu rechnen. So erinnerte man sich wieder dieser Kochkiste die nun neuerlich zu Ehren kommt, die bisher in Österreich sehr wenig Ansehen genoss. Besonders für den Haushalt der Arbeiterinnen und Angestellten hat sie große Bedeutung; denn sie müssen am meisten sparen sowohl mit Geld und Zeit, und brauchen eine richtige Mahlzeit.
Wie funktioniert diese Kochkiste?
Die Kochkiste ist aus Holz und wird mit Heu, Sägespänen, Holzwolle und Papier ausgepolstert, und muss nur genügend Platz für Kochtöpfe übrig haben, darauf kommt ein Deckel der innen ebenfalls ausgepolstert ist.
Das bestimmte Essen wird gekocht und sehr heiß in die Kiste gestellt und verschlossen. Mittags nimmt man das Essen aus der Kiste und kann die noch warme Speise sofort essen.
Wie man sieht bietet die Kochkiste so manchen Vorteil, man erspart sich Brennmaterial, ein weiterer Vorteil, es brennt nichts an, geht nichts über, nichts zerkocht sich. Im Gegenteil das Nahrungsmittel wird gründlich erweicht und das Essen von Kochkisten ist daher viel gesünder. Kein Dampf entweicht. Die Frau erspart sich ständig beim Herd zu stehen, kann einer anderen Arbeit nachgehen, wie eine Heimarbeiterin die durch das Kochen in ihrer Arbeit aufgehalten wird. So erledigt sie die Zubereitung des Essen bereits mit dem Frühstück.
Wer geschickt ist, kann eine solche Kochkiste selbst herstellen, wer sich diese Arbeit nicht antun möchte kann in das Heim des Katholischen Arbeiterinnenvereines IX., Pramergasse 9, gehen und sich so eine Kiste vorführen lassen.
Die Bauerntöchter des Grabnerhof in der Steiermark schrieben ein Kochbuch speziell für Speisen zur Verwendung für die Kochkiste.
Es ist erstaunlich darin sind nicht weniger als 218 Kochrezepte enthalten, darunter 53 Anweisungen für Suppen, 39 Fleischgerichte, 56 für Gemüse und Saucen, 35 für gesalzene und süße Mehlspeisen; eigene Abschnitte behandeln die Herstellung von Hafer- und Milchgerichten usw.
Auch die Murtaler Zeitung erinnert die Menschen an die Kochkiste an die in der Zeit des Überflusses niemand mehr gedacht hatte, aber jetzt in den Kriegstagen des Jahres 1915 ist sie wieder willkommen. Eine Sparkünstlerin ohnegleichen.
In der durch den Gebrauch der Kochkiste erwirkten Zeitersparnis liegt der Hauptwert der Kochkiste für die Bevölkerung. Zeit ist Geld!
Im Sommer 1914 auf dem von Frau Professor Hoffmann-Kober gehörigen Thalhofgut bei Göß gehaltenen hauswirtschaftlichen Kurse für schulentlassene Mädchen hatten diese ihre Kochkiste, in der für 14 Personen das Mittags- und Abendessen gekocht wurde, so gut gestopft, dass die Kochkiste die Speisen nicht nur mürbe kochte (auch Bohnen und festes Fleisch), sondern dieselben bis zu 24 Stunden und darüber heiß erhielt.
Schon seit einigen Jahren wird für die Verwendung der Kochkiste geworben, ohne dass diese wahre Zauberkiste eine allgemeine Verbreitung gefunden hätte. Erst der Krieg hat – wie so vielen anderen - auch diesem Zauberherd, der ohne Beisein der Hausfrau in wahren Sinn selbst kocht, zu Ansehen verholfen.
Es ist der Zeitung „Der Abend“ zu verdanken, der auf die Erleichterung, die eine Kochkiste bieten kann, eindringlich aufmerksam machte und darüber eine Broschüre erscheinen ließ, die in den meisten Trafiken für nur 6 Heller zu haben ist.
Für Hebammen, die oft den ganzen Vormittag auswärts zu tun haben, kann die ausgiebige Benutzung der Kochkiste segensreich genannt werden. Ein Misslingen der Speisen in der Kiste ist ausgeschlossen, wenn diese richtig hergestellt ist,
In jeder Notzeit ist so eine Kochkiste eine große ideale Hilfe, wenn die Teuerung derart drückend wird, soll man einen Versuch wagen.
QUELLEN: Arbeiterinnen Blatt 1915 H 4, S 2, Murtaler Zeitung 9. Mai 1915, S 4, Österreichische Frauen Zeitung 4. Oktober 1903, S 5. ANNO Österreichische Nationalbibliothek.
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