FREIHERR VON WODIANER#
Der Bankier Moritz Freiherr von Wodianer und Kapriora, der am 8. Juli 1885 in Baden bei Wien verstorben, war ihr letzter würdiger Repräsentant der alten Schule, doch auch unter diesen bildete er eine Ausnahme, denn er überragte sie alle an Bedeutung. Er zählte zu den hervorragendsten Männer der Haute finance. Mehr als ein halbes Jahrhundert gehörte der Baron Wodianer dem Geschäfts- und Finanzleben des Reiches an und genoss großes Ansehen. Trotzdem er einer wohlhabenden ungarischen Familie entstammte, war er ein „self made man“, ein Mann, der alles was er jemals erreicht und erworben, sich selbst zu verdanken hatte. Sein Verlust ist um so bedauerlicher. Seine Stellung in der Wiener Finanzwelt war einzigartig, wie sie vor ihm keiner noch eingenommen. Ein Ungar, der seine Nationalität auch im Kaiserreich bewahrte, trotz allem hing er mit Leib und Seele an Wien und mit dieser Voraussetzung hielt man ihn für geeignet der dualistische Bankier zu sein. Wodianers Begabung veranschaulicht auch, welche Stellung er bei den verschiedenen Korporationen einnehmen konnte.
Früher war er Vizegouverneur der Nationalbank und bis jetzt im Generalrat der österreichisch-ungarischen Bank, die daraus entstanden ist. Er war Präsident der Börsekammer, Präsident der Theißbahn und bis zuletzt noch Präsident der Staatseisenbahn-Gesellschaft und der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft.
Alle großen finanziellen Transaktionen, die seit einem halben Jahrhundert in Wien und Pest stattfanden, war er hervorragend beteiligt, und dadurch zur lebendigen Verkörperung der aktuellen Finanzgeschichte Österreichs.
Er wurde an die Spitze der erstklassigen Institute gewählt und in den namhaften Finanzoperationen der letzten Jahre war er den Mitgliedern der Rothschildgruppe ebenbürtig.
Er bewahrte stets seine Ruhe, seinen klaren Blick und seinen guten Humor. Seine Parole hieß: „Ich war, ich bin und bleibe Bankier“.
Nach Abschluss der ungarischen Rentenkonvertierung wurde Wodianer mit dem Eisernen Kronenorden erster Klasse, ausgezeichnet. Nun hätte er sich um die Geheimratswürde bemühen können, doch er hatte kein Verlangen, denn er wollte auf den Titel Exzellenz nicht verzichten, der ihm viel mehr bedeutete.
Wie Baron Königswarter, und Baron Sina wird auch Baron Wodianer keinen Nachfolger finden. So fällt ihr Erbe den Aktiengesellschaften zu, geraten in die Hände der Banken und die Privilegien der Aktien werden immer mächtiger. Diese Entwicklung ist jedoch unerwünscht, denn die Übermacht des Kapitals wird um so empfindlicher.
Freiherr von Wodianer wurde am 3. November 1810 in Szeged als Sohn eines reichen Wollhändlers geboren. Später übersiedelte die Familie nach Pest, wo sein Bruder noch lebt. 1840 kam Wodianer in die von Stadtmauern umgebene Residenzstadt Wien um hier ein Bankhaus zu gründen. Nach bescheidenen Anfängen wurde das Bankhaus bald weltberühmt. Während der Revolution 1848 spielte das Bankhaus eine bedeutende Rolle.
Der österreichische Finanzminister Baumgartner hatte nämlich beschlossen, die großen Staatsbahnlinien zu veräußern und Wodianer war es der die Chance nützte, um eine geschäftliche Verbindung mit dem Haus Pereire herzustellen. Mit dieser ersten finanziellen Transaktion wurde Wodianer zum Gegner der Rothschilds. Der Verkauf der Staatsbahnlinien vollzog sich durch eine Gruppe, welche mit dem Welthaus rivalisierte. Nicht anders verhielt es sich bei der Gründung der Südbahn, Wodianer abermals als Gegner Rothschilds, hatte diesmal jedoch das Nachsehen. Neben Sina, Arnstein und Eskeles nahm er alsbald eine ebenbürtige Stellung ein, die er dann noch überflügelte. Es war seiner ungewöhnlichen Geschicklichkeit zuzuschreiben, oft konkurrierenden Interessen seiner eigenen Person zu vertreten, da er gleichzeitig überall als Präsident aufschien. Gerade diese Besetzung wurde ihm zum Vorwurf gemacht.
Durch die Assoziation mit dem Haus Pereire verdankt er sein großes Vermögen. Außerdem war er Berater des Ministeriums Tisza und der Gruppe, als die ungarische Schatzbons durch Ausgabe der 6% ungarischen Goldrente konvertiert wurden, und einem weiteren seines Einflusses ist die Ausgabe der 4% ungarischen Goldrente, der Beginn und die Durchführung der großen ungarischen Konversions-Operation zuzuschreiben.
Ohne davon wahrzunehmen war der Ausgleich zwischen der Staatsbahn und Ungarn geschlossen worden. Hinter seinem Rücken waren jene Abschlüsse durchgeführt worden, die die heutige Gestaltung der Staatsbahn inne hat. Diese Hinterlist konnte Wodianer nicht mehr verwinden, eine gedrückte Stimmung war seither an ihm zu bemerken, und erwartete, dass er sich von der Staatsbahn zurückziehen würde, doch diesen Gefallen tat er ihnen nicht. Obwohl aus diesem Verhältnis immer wieder Differenzen entstanden, die ihn bis zu seinem Ende verfolgten.
Wodianers Tod war für die Wiener Börse ein herber Verlust, denn eine derart hervorragende Erscheinung war dahin, für immer.
Sein Bankhaus erfreute sich in der Vergangenheit eines großen Klientels, bestehend aus dem Kreis der ungarischen Aristokraten. Die Bedeutung Wodianers spezieller Banktätigkeit hatte längst etwas an Glanz verloren, trotz allem konnte man sich die Börse ohne Moritz von Wodianer nicht vorstellen. Außerdem war sein Interesse für die Wiener Börse nach wie vor groß. Obwohl er Mitglied des ungarischen Oberhauses war, von seinem Stimmrecht Gebrauch machte sowohl über das Zivil-Ehe-Gesetz und die ungarische Oberhausreform. Sein Sohn im ungarischen Unterhaus saß und ihn die intimsten verwandtschaftlichen Beziehungen mit Familien ungarischer Aristokraten verbanden, wollte er nur Bankier sein und bleiben.
Wodianer war in letzter Zeit von seinem Sohn enttäuscht, der das Bankgeschäft nicht übernehmen wollte, und keinerlei Neigung dazu zeigte. So wird nun ein weiteres berühmtes Haus in Wien verlöschen.
Während der Dienstzeit wurde er mit so manchen kaiserlichen Orden ausgezeichnet.
Als Universal-Erbe ist sein Sohn Baron Albert Wodianer eingesetzt worden. Im Testament scheinen auch Graf und Gräfin Nemes und deren Kinder auf. Die zweite Tochter, die mit Grafen Ferry verehelicht ist, und deren Kinder, sowie die Kinder der dritten bereits verstorbenen Tochter erhalten ihren gesetzlich entsprechenden Erbteil. An humanen Legaten vermachte der Freiherr 25.000 Gulden je für Wien und Pest. Legate erhalten auch der Erzieher und Erzieherin der Kinder Wodianers.
Der Bankier ist an Darmverschlingung gestorben. Die Leiche wurde nach Szanda bei Szolnok überführt. Er wünschte ein einfaches Begräbnis.
Börserat Fischhof gestellter Antrag, die Marmorbüste des Präsidenten auf Kosten der Börsenkammer von Professor Tilgner anfertigen und im Börsensaal zum ewigen Andenken aufstellen zu lassen, wurde in der nächsten Plenarsitzung behandelt.
QUELLEN: Morgen Post, 9. Juli 1885, Prager Tagblatt, 9. Juli 1885, Badener Bezirks Blatt, 9. Juli 1885, Neue Freie Presse, 9. Juli 1885, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO
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