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GEHEIMDOKUMENT#

Die „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ im August 1935:

Suez
Alois Negrelli

Geheimdokument über Suez Kanal liegt in Wien Die Möglichkeit einer Sperrung des Suezkanals durch England im Zusammenhang mit dem italienisch-abessinischen Konflikt steht seit einigen Tagen im Vordergrund des Weltinteresses. In Wien nun lebt eine 85 Jahre alte Frau, Marie Grois-Negrelli, die Tochter des ersten Gründers des Suezkanal Gesellschaft, die ein Geheimdokument bewahrt, dessen Inhalt über Recht und Unrecht in dem Vorgehen Großbritanniens in der Suez Frage entscheidet.

Seit einer Woche wird Frau Grois-Negrelli von den Reportern aller fünf Weltteile belagert, die ihr das Geheimnis entreissen wollen. Aber die alte Frau bleibt verschlossen. Wohl erzählt sie über den in der ganzen Weltpresse erwähnten angeblichen Betrug, den Ferdinand Lesseps, der Mitarbeiter ihres Vaters Alois Negrelli an ihr und einer Reihe con anderen Anspruchsberechtigten begangen haben soll, gibt jedoch den jetzigen Aufbewahrungsort der Originalverträge, die diesen Betrug beweisen könnten, nicht preis.

Unser Mitarbeiter hatte Gelegenheit, mit Frau Marie Grois-Negrelli eingehend über den Inhalt ihrer Papiere und über den Kampf, den sie seit Jahrzehnten für die Anerkennung ihrer Rechte führt, zu sprechen. Sie kündigt eine neue Aktion an und ist bereit, falls der Völkerbund sie in dieser Welt umspannenden Affäre vorladen sollte, ihr Archiv dem Völkerbund zur Verfügung zu stellen.

Frau Grois-Negrelli sagt: „Die Suezkanal Gesellschaft hat keine Konzession Es ist Tatsache, dass der Schlüssel zum Geheimnis der Suezkanal-Verträge in meinem Besitz ist. Nach dem Tod meines Vaters des Ingenieurs Alois von Negrelli, hat Lesseps, der Mitarbeiter meines Vaters, den Originalvertrag mit dem damaligen ägyptischen Vizekönig, Said Pascha, gefälscht. Aber den Wortlaut des türkischen Originals verwahre ich hier in Wien und aus diesem geht hervor, dass Österreich ursprünglich das Recht auf sechs Verwaltungsrat Sitze der Suezkanal Gesellschaft gehabt hat.

Anteilberechtigt waren außer den Erben Alois von Negrelli auch der Niederösterreichische Gewerbeverein Wien, die Handelskammer Venedig und andere Personen und Korporationen, die dann von Lesseps eigenmächtig enteignet wurden. Auch ein Brief, den Lesseps an den damaligen österreichischen Minister von Bruck über den Inhalt des Vertrages gerichtet hat, befindet sich in meinem Besitz.

Das erste Exemplar befand sich seinerzeit natürlich beim Minister. Eines Tages wurde aber seine Schreibtischlade aufgebrochen und das Dokument gestohlen.

Die von mir durch Jahrzehnte hindurch gesammelten Dokumente habe ich in sicherer Verwahrung. Sie waren schon meinem ehemaligen Rechtsanwalt, Seiner Exzellenz Poimcaré, dem späteren Präsidenten der französischen Republik bekannt. Auch Erzherzog Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko, hat sich eingehend mit der ungeheuren Betrugsaffäre beschäftigt. Seine diesbezüglichen schriftlichen Arbeiten liegen ebenfalls vor. Die ganze Materie ist gesammelt, so dass ich für den Fall, als das Problem des Suezkanals den Völkerbund beschäftigen sollte, alles in schönster Ordnung der Kommission zur Verfügung stellen könnte.

Wir suchten auch einen hervorragenden Wiener Experten des internationalen Rechtes auf, um seine Meinung über die Rechtsgrundlage einer möglichen Sperrung des Suezkanals zu hören. Der Gelehrte holte alle diesbezüglichen Verträge und internationale Abkommen aus seiner Bibliothek und bewies uns in einer spannenden Darstellung an Hand des Wortlautes der bestehenden Verträge, dass die Sperrung des Kanals einen unzweideutigen Rechtsbruch von Seiten Englands darstellen würde.

Esseps
Eröffnung des Suezkanals

Die angebliche Absicht des englischen Völkerbundministers Anthony Eden, so sagt der Gelehrte, bei der Völkerbundratssitzung am 4. September die Sperrung des Suezkanals vorzuschlagen, bringt nichts ganz Neues. Bereits in der Sitzung vom 7. Juni des englischen Unterhaus schlugen zwei Abgeordnete diese Maßnahme als Antwort auf die italienischen Forderungen vor. Besitzt aber England überhaupt das Recht, die Hauptverkehrsader des internationalen Handels zu sperren?

In dem internationalen Vertrag vom 29. Oktober 1888, der auch von England unterzeichnet wurde, steht ausdrücklich: „§ 1. Der Suezkanal muss sowohl im Krieg wie auch im Frieden für alle Handels- und Kriegsschiffe ohne Rücksicht auf die National Flagge offen bleiben.

Die hohen Vertragspartner vereinbaren infolgedessen, dass die Benützung des Kanals von keiner der Signatarmächte weder im Krieg noch im Frieden, unterbunden werden darf. Der Kanal darf für Zwecke der Ausübung des Blockaderechtes nicht benützt werden.

Eine Ausnahme bildet, wenn die Sicherheit des Kanals selbst gefährdet werden sollte.“

In diesem letzten Fall war ausschließlich Ägypten berechtigt, Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Kanals zu treffen. Es lag im freien Ermessen der ägyptischen Regierung, im Laufe der Sicherungsmaßnahmen militärische Hilfe Englands in Anspruch zu nehmen.

Dieser Vertrag ist noch heute wirksam. Wohl steht dem Völkerbund zu, auf Grund des § 20 des Völkerbundstatuts internationale Verträge, die dem Völkerbundstatut widersprechen, aufzuheben, doch gibt es im gegebenen Fall keinen solchen Widerspruch. England könnte sich am 4. September höchstens auf den § 16 des Völkerbundstatuts beziehen, der Sanktionen gegen ein vertragsbrüchiges Mitglied fordert. Aber ein Vertragsbruch von Seiten Italiens liegt nicht vor. Und sogar wenn einer vorläge, wäre nur der Völkerbund in der Lage, das Abkommen vom Jahr 1888 zeitweilig zu suspendieren.

Eine einseitige Sperrung des Suezkanals durch England wäre daher ein grober Bruch des internationalen Rechtes.

Die andere Möglichkeit, den Verkehr des Suezkanals brach zu legen, wäre aber ein Beschluss der in Paris residierenden Direktion der „Société Universelle du Canal Maritime de Suez“ den Betrieb einzustellen. Praktisch gibt es keine solche Möglichkeit, da die 800.000 Aktien der Gesellschaft nur zu 44 Prozent in englischen Händen befinden. Die Majorität gehört den Franzosen. In der „Administration déleguée“ sitzen 21 Franzosen, 10 Engländer und ein Holländer.

Da nach den Statuten der Gesellschaft politische Gründe die Geschäftsführung unter keinen Umständen beeinflussen dürfen, wird diese Körperschaft niemals, weder zu Gunsten Englands, noch zu Gunsten Italiens aber einer anderen Macht, irgend eine derartige Maßnahme beschließen. Wohl wird der Besitz einer Konzession dieser Gesellschaft von verschiedener Seite bestritten. Aber auch der provisorische Vertrag und die Statuten der Gesellschaft erklären ausdrücklich, dass jede politische Einmengung in die Rechte irgend eines Staates die sofortige Auflösung der Gesellschaft und die Einstellung der Betriebstolerierung auf dem Suez Gebiet nach sich ziehen würde.

Einer solchen Gefahr wird sich aber die Gesellschaft die Millionen von Pfund alljährlich an Revenuen aus den Suezkanal bezieht, niemals aussetzen.

QUELLE; Wiener Sonn- und Montags Zeitung ÖNB, Bilder: I.Ch. Graupp

https://austria-forum.org/af/User/Graupp Ingrid-Charlotte/GEHEIMDOKUMENT


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