HABSBURGFORSCHUNG#
1888: Die Abstammung des Hauses Habsburg von dem uralten elsässischen Herzogsgeschlecht der Ediconen, wie sie von den Genealogen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, Guillimann Vignier, Eccard, Calmet, Herrgott, allerdings ohne Beweise behauptet wurde, ist von der historischen Kritik der Neuzeit sehr in Zweifel gezogen worden. Th. von Liebenau Staatsarchivar in Luzern, leugnet dieselbe in einer vor wenigen Jahren im Verlag des Vereins „Adler“ in Wien erschienenen Schrift: „Die Anfänge des Hauses Habsburg“ völlig ab und die beglaubigte Geschichte des Hauses erst um das Jahr 1000 mit Bischof Wernher von Straßburg, dem angeblichen Erbauer der Habsburg, und seinem Bruder Graf Radbot beginnen. P Martin Kiem lässt in seiner 1883 in den „Quellen zur Schweizer Geschichte“ erschienenen neuen Ausgabe der Chronik des Klosters Muri in Aargau, dieser ältesten Gründung der Habsburger, die Herkunft des Geschlechtes dahingestellt, findet aber wenigstens keinen Grund, an seiner Abstammung von Guntram dem Reichen, um das Jahr 950, den die Chronik des Klosters Muri uns als ersten Stammvater des Hauses und als Großvater des Grafen Radbot nennt, zu zweifeln. Die historische Forschung ließ sich durch Liebenaus starre Negation nicht beirren, sondern beschäftigte sich weiter mit der Frage nach dem Geschlecht Guntrams des Reichen. Außer diesem, der nur durch die Chronik von Muri bezeugt wird und, wie gesagt, um 950 gelebt haben muss, werden uns gleichzeitig zwei andere Guntram genannt, und es war die Frage zu entscheiden: Sind zwei von diesen drei gleichzeitigen Guntram oder gar alle drei nur eine Person? Die beiden anderen Guntram sind: 2. Guntram, Sohn Hugos von Egisheim, des Grafen von Nordgau im Elsaß, dessen Haus nachweisbar ein Zweig des Ediconengeschlechtes war. Guntram schenkte zwischen 965 und 970 dem von seinem ältesten Bruder Eberhard 966 gegründeten Kloster Altorf im Elsaß Besitz in Dorlisheim in der Nähe von Altorf. 3. Guntram, Graf eines nicht bestimmt nachweisbaren Gaues (Breisgau). Er wurde im Jahr 932 auf einem Reichstag zu Augsburg wegen Hochverrats verurteilt und seiner Reichslehen verlustig erklärt. Wir besitzen eine ganze Anzahl von Urkunden, in denen diese Reichslehen anderweitig vergeben werden, wodurch wir über Namen und Lage von Guntrams Besitzungen gut orientiert sind. Nun wies zunächst Dr. W. Gisi in Solothurn in einem in den „Forschungen zur deutschen Geschichte“ veröffentlichten Aufsatz des bestimmtesten nach, dass Guntram von Egisheim 2. zirka 965 bis 970 mit dem 952 zu Augsburg verurteilten Guntram 3. identisch ist. Fast gleichzeitig hatte Archivrat Alois Schulte in Karlsruhe in den „Mitteilungen des Institutes für österreichische Geschichtsforschung“ nachgewiesen, dass die Habsburger schon von 1050 an bedeutenden Stammesbesitz im Elsaß hatten, womit die Frage nach ihrer Herkunft aus dem Elsaß wieder bedeutend in den Vordergrund gerückt wurde. Gestützt auf die Resultate dieser beiden Forscher, sowie auf eigene Forschung über die Stammesbesitzungen der Habsburger und über das Herzogsgeschlecht der Ediconen tritt nun im neuen „Jahrbuch für Schweizer Geschichte“ Oberlehrer E. Krüger in Zürich mit einer Studie: „Zur Herkunft der Habsburger“ an die Öffentlichkeit, welche die Frage, soweit dies überhaupt möglich ist, im Sinne der Ediconen Abstammung der Habsburger lösen dürfte.
Der genannte Historiker weist nach, dass die Habsburger schon um 1050 in all jenen Gegenden und zum Teil an denselben Orten Eigengut hatten, wo die 952 aberkannten Besitzungen des Grafen Guntram des Egisheimers lagen. Das gilt vom Elsaß und Thurgau, ganz besonders aber vom Breisgau. Hier hatte der 952 verurteilte Egisheimer Guntram in zwei räumlich von einander ganz getrennten Gegenden Besitz gehabt, einmal westlich und nördlich vom „Kaiserstuhl“ und dann im Südwesten des Breisgaues. Und genau in denselben beiden Gegenden, zum Teil an denselben Orten, lässt sich schon um 1050, also noch nicht ein Jahrhundert nach Guntram, zahlreiches Habsburger Eigengut nachweisen. Weiterhin weist Krüger noch nach, dass in allen Gegenden des Elsasses wo vor Rudolphs Königswahl sich Habsburger Stammesgut vorfindet, auch ebenso, und zwar vielfach an denselben Orten, alter Ediconenbesitz genannt wird. Hauptsächlich gestützt auf diese in der Tat interessanten Ergebnisse und hinweisend auf die weitere Tatsache, dass Guntram der Reiche der von der Chronik von Muri genannte Stammvater der Habsburger, genau um dieselbe Zeit gelebt haben muss, wie der 952 wegen Hochverrates verurteilte Egisheimer Guntram, stellt der genannte Verfasser es als äußerst wahrscheinlich hin, dass beide Guntram eine und dieselbe Person sind, ein Resultat, dem die Kritik kaum noch widersprechen dürfte.
QUELLE: Innsbrucker Nachrichten, 7. Juni 1888, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO
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