HEILENDE ELEKTRIZITÄT#

1922: Die Anwendung der Elektrizität nimmt im modernen Zeitalter, im Jahrhundert der Erfindungen einen besonderen Platz ein.
Bereits im Altertum kannte man die wohltuende Wirkung der der Elektrizität. Der römische Hygieniker und Philosoph Marsilius unter Kaiser Trajanus verordnete zum Beispiel elektrische Bäder in besonderen Krankheitsfällen. Diese Bäder waren von einfachster Art, indem man die Kranken in Gewässer tauchte, darin befanden sich Zitterwelse, sogenannte Zitterrochen. Diese Fische haben die Eigenschaft, elektrische Energie abzugeben und verursachen bei Berührung einen elektrischen Schlag.
Die Erfindung der maschinellen Elektrizitätserzeugung wird erst im 19. Jahrhundert aktuell und fand bald fachliche Anwendung in der Körper- und Schönheitspflege. Besonders in der Medizin wollte man sich die neue Errungenschaft zunutze machen. Es wurden Hochfrequenzapparate konstruiert und die verblüffenden Erfolge, welche durch dieses Verfahren, bei der großen Anzahl menschlicher Leiden, aber auch in der Kosmetik und Schönheitspflege seit mehr als zwanzig Jahren Erfahrung gesammelt, bürgerten diese Behandlungsmethode allseits ein.
Zur Erzeugung derartiger Hochfrequenzströme benutzten die Ärzte ihren Röntgenapparat in Verbindung mit einem Hochspannungstransformator, deren Anschaffung besonders mit ungeheuren Kosten verbunden ist. Daher mehr als begreiflich, dass der Wunsch und das starke Bedürfnis nach einem kleinen, leicht transportierenden und billigen Apparat besteht, der es ermöglicht, diese außerordentlich wichtige Therapie ausüben zu können. „Sanitas“ eine Elektrizitätsgesellschaft in Berlin stellt einen derartigen kleinen, handlichen Apparat her.
Der Apparat selbst besteht aus einem Stromerzeuger, Hartgummikörper, an dessen oberem Teil sich eine Öffnung für die verschiedenen evakuierten Glaselektroden befindet, welche ganz bestimmte Behandlungsarten gestatten. Mittels eines Steckkontaktes kann der Apparat an jede Stromquelle angeschlossen werden; durch Rechtsdrehen der am unteren Rand befindlichen Regulierschraube werden violette Strahlen, sogenannte „Effluvien“ in der Elektrode hervorgerufen, die durch weiteres Drehen der Schraube bis zur starken Funkenentladung gesteigert werden können.
Die Elektrode wird direkt auf die Haut gesetzt wodurch eine intensive Wärme erzielt wird, bei geringerem Abstand von der Haut eine Heilwirkung auf diese durch den Funkensprung ausgeübt wird. Durch die Funkenentladung wird Ozon erzeugt, der zur Inhalation äußerst erfolgreich verwendet werden kann. Das seltsame dieser mit dem Apparat erzeugten Hochfrequenzströme ist, dass die sogenannten Effluvien sowie die blitzähnlichen Ausstrahlungen auf den menschlichen Körper keinerlei Muskelzuckung oder „faradisches Gefühl“ ausüben, sondern nur ein leichtes Prickeln auf der Hautoberfläche, und trotz der fehlenden Reizerscheinungen lassen sich bei Einwirkung auf den menschlichen Organismus tiefgehende Wirkungen erzielen, die zu vielfältiger Anwendung in der Gesundheits- und Schönheitspflege sowie zur Krankenbehandlung in allgemeiner wie in lokaler Behandlung geführt haben. Zur Heilung von Krankheiten verordnen die Ärzte die Hochfrequenztherapie und wenden sie erfolgreich an bei Gicht, Ischias, Neuralgie, Bronchitis und anderen Krankheiten.
Vom medizinischen Standpunkt überhaupt ist die Behandlung mittels Hochfrequenzströme ein hervorragendes Mittel zur Bekämpfung krankhaften Teints und des Haarausfalles.
Die Wirkung besteht in der Abschaffung der ausgeschiedenen Fettstoffe und der abgestoßenen Schuppen der Haut. Die Haut wird durch die Entfernung der abgestorbenen Oberhaut gereinigt, sie wird zarter, elastischer und weicher. Die Absonderung der Schweiß- und Talgdrüsen wird lebhafter, die Sauerstoffeinnahme und die Kohlenstoffabgabe wird ganz gewaltig erhöht. Mit einem Wort: es wird die physiologische Funktion der Haut bedeutend gehoben. Gleichzeitig werden die feinsten in der Haut befindlichen Nervenenden durch Einwirkung der Effluvien in wohltuender Weise angeregt, die Blutzirkulation in der Haut wird beschleunigt, der Ernährungsvorgang gestaltet sich lebhafter, die Ausscheidung wird erhöht und infolgedessen die übrigen Ausscheidungsorgane, wie Lunge, Niere usw., in wirksamer Weise entlastet.
Die Hochfrequenztherapie wirkt aber nicht nur direkt auf die Haut vorteilhaft ein, sondern sie bewirkt auch durch ihren wohltuenden Einfluss auf Blut- und Saftleben einen beschleunigten Stoffwechsel, verhilft zu einem besseren Gesundheitszustand und dadurch indirekt zu einem frischen, lebhaften und schönen Teint. Die allgemeinen Teintfehler, wie Blütchen, Bläschen, Quaddeln oder Flecke, die Entfärbung, Rauheit, Sprödigkeit und Rissigkeit der Haut werden mit bestem Erfolg behandelt. Doch auch schwierige Hautleiden, wie Finnen, Runzeln, Warzen, Mitesser, Kupferrose, Flechte, Akne, Hautrötung werden mit verblüffendem Erfolg geheilt.
Vom hygienischen Standpunkt entspricht der Apparat den pedantischen Ansprüchen. Es ist ein ungemein reines und leichtes Arbeiten.
Die Damen sind für Neuheiten besonders empfänglich und der Friseur sichert sich einen treuen und dankbaren Kunden, wenn dies Neue für die Erhaltung und Konservierung der Frauenschönheit so vielseitige Vorteile bietet. Die Hochfrequenzbehandlung zur Kosmetik und Körperpflege auf das beste zu empfehlen.
QUELLE: Neue Wiener Friseur Zeitung, 15. Dezember 1922, Österreichische Naionalbibliothek, ANNO
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