KONKURS#
Wir durchleben gerade eine Krisenzeit, in der so manche Firma gezwungen ist ihr Unternehmen für immer zu schließen, egal ob es sich um ein Traditionsgeschäft handelt, oder eine Branche die nicht mehr Zeit gemäß ist – es ist ein Verlust der Vielfalt...
1885: Eine der ersten Firmen der Residenz, die Firma Franz Winklers Söhne, ist dem Konkurs verfallen. Das ist ein düsteres Ereignis auf dem Gebiete des Wiener Geschäftslebens. Die Zustände sind keine gesunden, wenn Kaufmannsfirmen ersten Ranges sich nicht zu behaupten vermögen und von einem schmählichen Untergang ereilt werden. Es fordert dies zu ernstem Nachdenken heraus. Etwas ist krank in unserem wirtschaftlichen Organismus und es ist dringend notwendig, über den Charakter und den Sitz des Übels Klarheit zu erlangen und dann für die erforderliche Abhilfe Sorge zu tragen. Das ist kein gewöhnliches Vorkommnis mehr, wenn die erste Eisenhändlers Firma unseres Platzes, die noch überdies mit dem Hoftitel ausgezeichnet ist, und deren Inhaber in den Ritterstand erhoben wurden, sich nicht mehr aufrecht halten kann und den Bankrott über sich ergehen lassen muss. Man will die Verantwortlichkeit auf die Tatsache wälzen, dass die Gebrüder Winkler zahlreiche Ehrenämter bekleidet und sich um die öffentlichen Angelegenheiten mehr als um ihr eigenes Geschäft gekümmert haben. Aber das ist eine ganz falsche Argumentationsweise und führt nur dahin, der Wahrheit aus dem Weg zu gehen und die Ursache des Zusammenbruches ganz wo anders zu suchen, als wo sie eigentlich gesucht werden muss. Das kann unmöglich richtig sein, dass ein reicher Bürger sich nicht um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern darf, falls er nicht von dem Konkurs ereilt werden will. Auf wem anders als auf unseren reichen Kaufherrn ruht denn die Pflicht, sich der öffentlichen Angelegenheiten des Staates, des Landes und der Stadt hingebungsvoll anzunehmen? Falls das wahr wäre, dass man mit dem geschäftlichen Ruin dafür belohnt wird, weil man einem unbesoldeten öffentlichen Ehrenamt einen Teil seiner Zeit widmet, so müsste alles im öffentlichen Leben nur durch bezahlte Bürokraten versehen werden und das ganze repräsentative und parlamentarische System würde zu einer absoluten Unmöglichkeit werden.
Aber der Zusammenbruch der Hofeisenhändlers Firma Franz Winklers Söhne hat ganz wo anders seinen Grund. Wien ist im Rückgang begriffen, die geschäftlichen Verhältnisse des Wiener Platzes haben sich außerordentlich verschlimmert, wir alle, die wir nicht von einer festen Rente oder einem bestimmten Gehalt leben, sehen unser Einkommen und unseren Verdienst fast um die Hälfte geschmälert, während die Regie und der Aufwand für die Familie sich beinahe gleich geblieben sind. Nicht jeder Haushalt ist so elastisch, dass sein Bedarf sofort entsprechend reduziert werden kann. Man lebt noch eine Weile fort auf dem früheren großen Fuß und das Defizit steigt und man verfällt den Hyänen des Wuchers und den furchtbaren Klauen der Wucheradvokaten, welche noch gefährlicher sind, als die Wucherer selbst, weil sie diesen die Wege lehren, auf welchen sie ihre Opfer ruinieren können, ohne mit dem Strafgesetz in Kollision zu geraten.
Wien hat durch den Aufschwung der Provizhauptstädte gelitten, ohne dass dafür gesorgt wurde, diesen Endgang irgendwie zu ersetzen. Dabei hat die Teuerung in Wien neue Fortschritte gemacht und das Kreditwesen ist so schlecht bestellt, dass der Geschäftsmann sich über eine momentane Geschäftsstockung nicht anders hinweghelfen kann, als dass er beim Wucherer seine Rettung sucht und so seinen Untergang besiegelt. Das ließ sich nicht verhindern, dass Budapest und Prag, Graz, Lemberg dem Wiener Platz einen Teil der Geschäfte wegnehmen. Aber der Wiener Platz musste auf neue Geschäfte bedacht sein und man durch eine leichte Kreditgewährung den Wiener Geschäftsleuten ermöglichen, die Besserung in der Geschäftslage ungefährdet abwarten zu können. Das ist nicht geschehen und wir fürchten sehr, dass noch manche erste Firmen sich nur mühevoll aufrecht hält und dass wir noch manchen schmerzlichen Zusammenbruch erleben werden. Wie wird als Geschäftsplatz von allen Seiten geschädigt. Die Wiener Banken machen Geschäfte und veranstalten die Subskriptionen hierzu in Paris und London, in Berlin und Frankfurt, nur nicht in Wien.
Englische Kapitalisten wollten hier eine Stadtbahn bauen und hundert Millionen Gulden in Umsatz bringen. Man verwehrte ihnen dies. Belgische Kapitalisten beabsichtigten den Bau eines großartigen Vergnügung Etablissements. Man hat sie abgewiesen. Die Tramway-Gesellschaft wird so sekkiert und malträtiert, dass sie am liebsten heute die Schienen herausreißen und auf und davon gehen möchte, wenn dies nur überhaupt durchführbar wäre. Wenn einer warme Würstel in einem Wurstkessel kochen und dann verkaufen will, wird er so lange mit Vorladungen und Laufereien behelligt, bis er es bleiben lässt. Und dann wundert man sich noch, dass Wien geschäftlich zurückgeht! Die glänzenden Bauten am Ring sind nichts als der reinste Schwindel. In diesen stolzen Bauwerken sind Milliarden verausgabt, während wir in Wahrheit nicht das tägliche Brot mehr aufbringen und unsere ersten Geschäftshäuser mit Defizit arbeiten und nicht einmal ihre Regie decken. Dieser Zusammenbruch der Hofeisenhändler Firma wirft ein grelles Licht auf unsere gesamte geschäftliche Lage. Wir gleichen dem Bettler, der sich in Samt und Seide kleidet, aber nicht einen Bissen Brot sein eigen nennt. Es ist die höchste Zeit, dass die Spitzen der Wiener Geschäftswelt und der Gemeinderat sich zu irgendwelchen Schritten aufraffen, um den Wiener Geschäftsplatz zu sanieren sonst werden wir die Katastrophe, wie sie die Hofeisenhändler Firma Franz Winklers Söhne ereilt hat, noch öfter eintreten sehen.
QUELLE: Morgen Post, 14. August 1885, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO
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