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Ein Haufen Geschichte zum Stöbern#

Die überschaubare Sammlung im "Haus der Geschichte" bietet 100 Jahre zum Anfassen.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 8. November 2018

Von

Bernhard Baumgartner


Die Zeit des Nationalsozialismus nimmt, wohl auch aufgrund der mit nur 750 Quadratmetern doch wenigen vorhandenen Fläche, in Summe überraschend wenig Raum ein., Foto: © APAweb, Robert Jaeger
Die Zeit des Nationalsozialismus nimmt, wohl auch aufgrund der mit nur 750 Quadratmetern doch wenigen vorhandenen Fläche, in Summe überraschend wenig Raum ein.
Foto: © APAweb, Robert Jaeger

Wien. In sauberer Tintenschrift sind die Ereignisse des November 1918 in den Kalender notiert: "3. November: Waffenstillstand in Italien Krieg zu Ende" steht hier. Oder: "9. Republik in Berlin - Wilhelm abgedankt". Unter dem 11. steht: "V. Adler †". Der Kalender, den die Library of Congress als Leihgabe zur Verfügung stellte, gehörte keinem Geringeren als Sigmund Freud, damals in Wien Zeitzeuge, als sich die Ereignisse überschlugen. Und Freud schrieb sie in den Kalender wie ein Tagebuch. Es sind diese raren Momente, in denen Geschichte greifbar wird, wie etwa 1918, 1956 oder auch 1989. Erst im Blick zurück erkennen wir die Bedeutung der Ereignisse, wie im Falle des hochkarätigen Ausstellungsstücks, das ab Samstag im neu eröffneten "Haus der Geschichte Österreich" in der Hofburg auch der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Es ist ein etwas anderer Blick auf die Geschichte Österreichs, den dieses Haus (das im Wesentlichen ein Halbstock mit drei großen Ausstellungsräumen ist) hier bietet. Ein Museum im herkömmlichen Sinne wurde in den eineinhalb Jahren seit der Bestellung von Gründungsdirektorin Monika Sommer im Februar 2017 nicht aufgebaut. Vielmehr hat man sich auf Geschichtsvermittlung mit allen Sinnen spezialisiert - immer mit dem Fokus auf die Republik Österreich, die dieser Tage ihr hundertjähriges Bestehen feiert.

Und so darf hier ruhig eine gewisse "Hands-on"-Mentalität an den Tag gelegt werden, wenn man etwa Fotos aus den Sechzigern durchblättert, Schautafelen neu arrangiert oder Straßennamen durch Umdrehen von Schildern selbst ändern kann. So wird aus dem Wiener Kaiserplatz der heutige Engelsplatz. An anderer Stelle dürfen Post-its beschriftet und an die Wand gepickt werden. Etwa zur Frage: "Wofür lohnt es sich, zu kämpfen?" Man kann sich die fröhlich vor sich hin brainstormenden Drittklässler schon fast bildlich vorstellen.

Auch die zu Hause Gebliebenen sollen und dürfen sich einbringen. So können etwa auf der Webseite Bilder aus der privaten Bildersammlung hochgeladen werden, die dann in der Schau auf einem mit Touchscreens ausgelegten Arbeitstisch sortiert, gruppiert und bewertet werden können. Überhaupt fällt auf, dass es viel um private Bilder geht in dieser ersten großen Ausstellung zur Eröffnung. Das soll wohl die unmittelbare Auswirkung der Geschichte zeigen. Es tut gut, dass hier die Historie einmal von der anderen Seite, sozusagen der User-Seite, aufgezäumt wird.

Artefakte bis oben hin.© Hertha Hurnaus
Artefakte bis oben hin.
Foto: © Hertha Hurnaus

Apropos aufgezäumt. Auch die politischen Kontroversen nehmen hier breiten Raum ein, wenn etwa das hölzerne Pferd, das als Skulptur gewordener Protest gegen Kurt Waldheim in den Achtzigerjahren von Alfred Hrdlicka und Freunden zusammengezimmert wurde, sozusagen das raumgreifende Herz eines der Säle ist. Ob das auch nach Jahrzehnten immer noch provozieren kann, wird sich in den kommenden Monaten im Feldversuch weisen. Die Zeit des Nationalsozialismus nimmt, wohl auch aufgrund der mit nur 750 Quadratmetern doch wenigen vorhandenen Fläche, in Summe überraschend wenig Raum ein. Die Restitution von Raubkunst, immerhin ein maßgebliches Thema der vergangenen Jahre, wird fast verschämt gerade einmal gestreift.

Von Wurst zu Wurlitzer#

Doch auch andere Themen sollen nicht zu kurz kommen. So hat es etwa Hermann Maiers Goldene aus Nagano (samt Renn-Helm) genauso in die Schau geschafft wie Conchita Wursts Song-Contest-Robe oder die Metalltafel, die an der Oberwarter Sprengfalle montiert war. Aber auch der Wurlitzer, der in der gleichnamigen ORF-Show viele Jahre das Publikum mit Musikwünschen begeisterte, ist hier untergebracht. Eine andere Installation widmet sich dem Thema Grenzen und zeigt, wie 1991 und 2015 mit der österreichischen Südgrenze und den dort eintreffenden Flüchtlingen umgegangen wurde.

Auch alte Wahlplakate sind bisweilen aufschlussreich. Die durchaus resche Nein-Kampagne der Grünen zum EU-Beitritt kann sich heute auch kaum mehr jemand vorstellen. Wie Kurt Waldheim ernsthaft "Ein Österreicher, dem die Welt vertraut" plakatieren konnte, ist aus heutiger, wissender Perspektive, auch wenig nachvollziehbar.

Leihgabe aus den USA: Sigmund Freuds Kalender aus 1918
Leihgabe aus den USA: Sigmund Freuds Kalender aus 1918.
Foto: © Klaus Pichler/HDGÖ

Mit viel gutem Willen hat man eine Vielzahl an Objekten in diese Ausstellung gepackt, von durchaus wechselnder Güte, wenn man das anmerken darf. So geht in der Flut der Artefakte eine Arbeitsfassung des Staatsvertrages aus 1955 fast unter: ein dünnes Heftchen, in dem mit Bleistift und Tinte ergänzt, korrigiert und sogar wild herumgestrichen wurde. So wird ein historisches Dokument, das später in Prunkprägung und mit Siegeln versehen stolz vom Balkon herabgezeigt wurde, dekonstruiert auf den Kern: Ergebnis eines harten Ringens um jedes Detail eines ganz gewöhnlichen Texts in einem braunen Heft. Ein echter Zeitzeuge aus Papier. Wie auch das vielleicht jüngste Stück: das Liederbuch der Burschenschaft Germania, das kürzlich ob der darin enthaltenen Texte für einen Skandal sorgte.

Hitlers Balkon gesperrt#

Einen Stock höher vor dem Altan (von dem aus einst Adolf Hitler den "Anschluss" Österreichs proklamierte) hat man eine symbolische Ausstellung inszeniert. "Nur die Geigen sind geblieben" widmet sich Alma und Arnold Rosé, zwei Ikonen des österreichischen Musik- und Gesellschaftslebens. Alma Rosé, deren Namen das Plateau künftig tragen wird, starb am 5. April 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau. Die Terrasse selbst ist aus baulichen Gründen nicht zugänglich. Eine Sicherung wäre zu teuer gewesen.

Ausstellung#

Aufbruch ins Ungewisse - Österreich seit 1918#

Haus der Geschichte Österreich. Wien, Heldenplatz.

Eröffnung am 10. November, 11 bis 21 Uhr bei freiem Eintritt. Infos unter www.hdgoe.at.

Wiener Zeitung, 8. November 2018


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