Pliwa und die Handwerker#
Die älteste Berufsschule der Welt steht groß, aber unbemerkt mitten in Wien#
Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 2. Jänner 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Ina Weber
Die Berufsschule war zu Kaiserszeiten hoch verehrt, heute muss sie kämpfen.#
Wien. Es war ihm wichtig, dass Handwerker nicht nur in ihrem Fach ausgebildet werden, sondern auch eine Allgemeinbildung bekamen. Ernst Pliwa, Beamter des Ministeriums für Kultus und Unterricht, ging zum Kaiser und initiierte die Idee einer Berufsschule, die damals erste und lange Zeit einzige Bildungsstätte dieser Art. Kaiser Franz Josef gefiel die Idee und so ließ er anlässlich seines 60-jährigen Kronjubiläums 1908 eine solche in Wien bauen. Der Jugendstilkomplex steht heute an der Linken Wienzeile, eingebettet zwischen der nach dem Beamten benannten Pliwagasse und der Mollardgasse. "1848 - 1908 Wiener Gewerbliche Fortbildungsschule" steht dort geschrieben.
So wie Pliwa geht es Heinz Pöcher, Direktor der Berufsschule seit 15 Jahren, vor allem um eines: die Lehrlinge mit Bildung auszustatten. "Der Schmied darf kein Analphabet bleiben", lautete der Leitsatz damals und irgendwie sieht Pöcher das auch heute noch so, auch wenn sich der Bildungsstandard in den letzten 100 Jahren verbessert hat. 50 Berufe lernten damals an dieser Schule. "Die Gärtner waren am Dach", erzählt Pöcher. Der Unterricht fand Montag bis Sonntag statt. Jeder Schüler bekam zusätzlich zu seiner Arbeit bei seinem Meister einen Tag in der Woche Unterricht.
Wien wäre nicht so schön#
Wien wäre heute nicht so schön, hätte es diesen Bildungsort nicht gegeben, meint der Direktor. Die Handwerker hatten einen guten Ruf. Ob Bäcker, Tischler, Schneider, Gärtner, "das österreichische Handwerk wurde in der ganzen Welt anerkannt". "Schauen Sie sich um in Wien, wenn man all die Leistungen der Handwerker weglassen würde, stünden wir auf der Wiese." Vom Plumpsklo zur Wasserspülung, vom Brunnen zur ersten Hochquellenwasserleitung am Schwarzenbergplatz: "Mit den Handwerkern kam die Hygiene in die Haushalte und manche Krankheiten waren kein Thema mehr", erzählt Pöcher leidenschaftlich.
Heute gibt es an Wiens größter Berufsschule nur noch sieben Berufe; Installateur, Schlosser, Uhrmacher, Elektrotechniker, Veranstaltungstechniker, Glaser und Informationstechniker. Nicht, dass all die anderen ausgestorben wären, aber die Berufsschulen sind in Wien an mehreren Orten verteilt. Viele Berufsbilder sind aber auch verschwunden, wie etwa der Kamm- und Fächermacher.
Die Berufsschüler sind zwischen 15 und 19 Jahren alt. Die Ausbildung dauert drei bis vier Jahre und findet neben der Praxis im jeweiligen Betrieb an mehreren Wochen im Jahr statt. 80 Prozent der Zeit verbringen die Lehrlinge allerdings in den Betrieben, mit denen sie einen Lehrvertrag abgeschlossen haben. "Die fertig Ausgebildeten sind hochbezahlte Spezialisten", die auch Gasleitungen verschrauben, so Pöcher. "Das muss gut gemacht sein, sonst fliegt das ganze Haus in die Luft". Ein guter Spezialist verdiene immerhin 2,5 Euro pro Minute.
Der Charme der Zunft ist heute großteils verschwunden. Da helfen auch Werbesprüche der Wirtschaftskammer, wie "Karriere mit Lehre", auch nichts. Es wird laut Pöcher ein viel zu hoher Wert in die Matura oder Universitätsausbildungen gelegt. Und dann heiße es immer, es gebe einen Facharbeitermangel. "Man kann nicht nur Kapitäne ausbilden und dann die Matrosen vermissen", sagt er.
Die Mehrheit der Berufsschüler fliegt bei der Lehrabschlussprüfung durch. Viele bekommen dann keinen Job mehr. Wenn sie dann jahrelang in der Arbeitslosigkeit sind, ist es meistens schon zu spät. Für Pöcher ist das seit Jahrzehnten ein ungelöstes Problem. Er würde die jungen Menschen, bei denen im Betrieb etwas schief gelaufen ist, gerne wieder an die Schule zurückholen, möglichst noch bevor diese in der Arbeitslosigkeit verschwinden. "Wenn ein junger Mensch arbeitslos wird, gehört sofort etwas unternommen", so Pöcher. Sie müssten wieder an die Schule zurückgehen dürfen, um auf den neuesten Stand der Techniken gebracht zu werden. Doch das erlaubt das derzeitige Schulorganisationsgesetz nicht. Dort steht, dass Menschen, die keinen Ausbildungsvertrag mit einem Unternehmen haben, auch nicht die Berufsschule besuchen dürfen. Das macht Pöcher wütend. Denn das sei ein Teufelskreis. "Wenn jemand Probleme hat, aus der Firma rausfliegt, bekommt er keine Lehrstelle mehr. Das AMS setzt dann die Buam vor den Computer, was gar nichts bringt."
Für Nachqualifizierung#
Viele Politiker hat Pöcher bereits überzeugt, dass der Berufsschulen-Paragraf geändert gehört. Doch für die notwendige Zweidrittel Mehrheit hat es noch nicht gereicht. Der immer wieder beklagte Facharbeitermangel sei nicht notwendig, wenn es den Lehrlingen erlaubt sei, ihr Wissen an der Berufsschule aufzufrischen und ihnen damit erneut eine Chance gegeben wird, in den wieder Arbeitsmarkt einzusteigen. Seinen Herzenswunsch, wie er selbst sagt, wird Pöcher demnächst wieder zu Gesprächen ins Parlament tragen: "Dass junge Menschen, bei denen etwas schief gelaufen ist, mit 22 oder 23 Jahren, zu einer Nachqualifizierung in die Berufsschule gehen können".