Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Die Bling-Bling-Enklave im Osten der Leopoldstadt#

Der neue Campus der Wirtschaftsuniversität im Prater eröffnet und startet ein neues Kapitel Uni- und Stadtentwicklungsgeschichte#


Von der Wiener Zeitung (Freitag, 4. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Solmaz Khorsand und Bernd Vasari


Auf 100.000 Quadratmeter haben sich sechs Architekturbüros ausgetobt und eine Stadt in der Stadt erschaffen, Studenten und Professoren machen die ersten Gehversuche., © Nathaniel Minor
Auf 100.000 Quadratmeter haben sich sechs Architekturbüros ausgetobt und eine Stadt in der Stadt erschaffen, Studenten und Professoren machen die ersten Gehversuche.
© Nathaniel Minor
Keine Angst vor dem teuren Prestigeprojekt haben die Einwohner des angrenzenden Stuwerviertels., © Nathaniel Minor
Keine Angst vor dem teuren Prestigeprojekt haben die Einwohner des angrenzenden Stuwerviertels.
© Nathaniel Minor
  • Anrainer wollen die angehenden Topmanager aktiv anwerben.

Wien. Wer bei der U2-Station "Messe Prater" aussteigt, erfreut sich an einem Defilee der besonderen Art. Ralph-Lauren-Pullover. Louis-Vuitton-Taschen. Lachsfarbene Männerstoffhosen. Das WU-Volk hat hier seine neue Heimat gefunden. Heute, Freitag, wird der neue Campus der Wirtschaftsuniversität offiziell eröffnet. Sechs Architekturbüros haben sich auf dem 100.000 Quadratmeter großen Areal ausgetobt. Und eine Stadt in der Stadt im Osten der Leopoldstadt geschaffen. Mit Restaurants, einem Supermarkt, einem Kindergarten, einem Sportzentrum und 231 Bäumen.

Begeistert bestaunen Touristen das Areal, fotografieren die Gebäude und halten inne vor der futuristischen Bibliothek. Anders die Studenten. Sie wandern selbstsicher durch den Campus. Das ist ihr Campus. Er gebührt ihnen. Nicht der alte Bunker am Franz Josephs Bahnhof neben der Müllverbrennungsanlage im Alsergrund. Angehende Manager können unter solchen Bedingungen schließlich nicht lernen. Das ist nicht gut für das Selbstbewusstsein. Da braucht es schon eine sechsstöckige Raumschiff-Bibliothek, entworfen von der Stararchitektin Zaha Hadid, dessen Innendesign einen schon ein bisschen seekrank werden lässt; einen Gourmet-Spar mit Sushi im Angebot und eine Mensa, in der man nicht mit kaltem Kartoffelpüree abgefertigt wird, sondern mit Teppanyaki-Spießchen und Nudeln in Vapiano-Manier vor seinen Augen direkt bekocht wird.

Gut ist nicht gut genug für das WU-Volk#

"Der Campus passt schon zu den WU-Studenten", sagt Andrea. Die 21-jährige Studentin der Internationalen Betriebswirtschaftslehre gönnt sich an diesem Vormittag gemeinsam mit ihrer Kollegin ihren ersten Spritzer im Restaurant "Das Campus", einem Lokal im Vintage Industrial Stil, das eher in die hippen Stadtzentren dieser Welt passt als auf einen Studentencampus. Die jungen Frauen hatten soeben ihre erste Prüfung in diesem Semester geschrieben. Seit Tagen halten sie sich schon auf dem Campus auf, sind de facto hier eingezogen. Denn so ist er angelegt: Einmal drinnen, soll man ihn am besten nicht mehr verlassen

Gourmetküche muss es schon sein für die 23.000 Studenten.
Gourmetküche muss es schon sein für die 23.000 Studenten.
© Wiener Zeitung

Viel gibt es für Andrea am neuen Campus zu bemängeln: die vielen Architekten, die keinen einheitlichen Stil auf dem Campus zusammengebracht haben, die fehlenden Kleiderhaken in den Hörsälen für ihre Jacken und die ausklappbaren Tischchen im Auditorium, die ein unauffälliges Verlassen des Hörsaales unmöglich machen.

Schnell wird klar: Das WU-Volk hat hohe Ansprüche. Und diese gilt es zu erfüllen. Stararchitekten, Gourmet-Fresstempel und eine Aussicht über die ganze Stadt hin oder her. Bei ihrem Mutterschiff hätte ruhig mehr geklotzt werden dürfen, als ohnehin schon wurde. 492 Millionen Euro hat das Prestigeobjekt gekostet. Es handelt sich um den größten Unibau Österreichs, derzeit gar um den größten Universitätsneubau Europas.

Reinhard Moser mag seinen neuen Arbeitsplatz. Vorsichtig stampft er durch Kieselsteine zum Eingang des "Departments D1", dem Gebäudekomplex für Welthandel. Der 62-jährige Professor ist WU-Urgestein. Seit 40 Jahren unterrichtet er Außenhandel. Anfangs war das noch in der Franz-Klein-Gasse am Währinger Park im 19. Bezirk. 1982 wurde in die Spittelau übersiedelt. "Ich habe das Gefühl, dass dieses Mal mehr Aufbruchstimmung da ist als damals", erzählt Moser.

Dieses Mal konnte er seinen Arbeitsplatz gar selbst mitgestalten. Bestimmen, dass sie ein eigenes Atrium mit viel Licht bekommen würden. Zum ersten Mal sind alle 80 Welthandel-Mitarbeiter in einem Gebäude vereint. Den Kontakt zu den Studenten wird er missen. Sie wird er künftig nur noch in den Lehrveranstaltungen treffen. Denn wer zu ihm in den dritten Stock des D1 will, muss angemeldet sein oder braucht einen Chip. Ohne Chip kein Zutritt. Damit sind viele Studenten dieser Tage konfrontiert. Das System steckt noch in der Probephase. So kann es sein, dass man zwar irgendwo rein, aber nicht wieder raus kann. Abschottung bis ins letzte Detail, quasi.

Schon Schlimmeres erlebt im Stuwerviertel#

Trifft das auch auf das Gesamtkonzept zu? Hat sich die WU mit ihrem Campus eine Enklave der Reichen oder besser jener, die es gerne wären, mitten im Prater geschaffen? Werden die Einheimischen überhaupt von dem teueren Prestigeprojekt profitieren? Moser erinnert sich noch, wie besorgt man diesbezüglich noch in den 80er Jahren bei der ersten Übersiedlung war. Damals wehrte sich der Bezirksvorsteher von Alsergrund vehement gegen den WU-Glaspalast in seinem Grätzel. Seine Bedenken: zu viel Verkehr, zu viel Müll und kein Mehrwert für seinen Bezirk.

Doch von Schwarzmalerei ist man in der angrenzenden Wohngegend, dem Stuwerviertel, weit entfernt. Im Gegenteil: Man habe schon Schlimmeres erlebt, sagen die Anrainer. Etwa wenn grölende Fußballfans nach einem Spiel im nahen Ernst-Happel-Stadion durch die Straßen ziehen oder Freier mit ihren Autos unzählige Runden drehen, um nach möglichen Prostituierten Ausschau zu halten.

Corona Davit-Gsteu
WU-Studenten anwerben will Corona Davit-Gsteu.
© Wiener Zeitung

Auch Immobilienspekulanten setzten schon einmal dem Stadtviertel zu, damals 1995, als die Weltausstellung Expo auf der Donauplatte geplant war. Damals hofften die Hausbesitzer auf hohe Mietpreise für ihre Wohnobjekte. Man versuchte, alteingesessene Mieter mit allen Mitteln zu vertreiben. Mit Erfolg. Nachdem aus der Expo dann doch nichts wurde, konnten viele Hausbesitzer ihre Wohnungen nicht mehr vermieten oder verkaufen, weil die Preise zu hoch waren. Grassierender Leerstand war die Folge, bis die Preise wieder sanken.

Nun hat sich die WU am Westrand des Stuwerviertels auf der anderen Seite der Ausstellungsstraße niedergelassen. Dieses Mal sind die Stuwerianer vorbereitet. Befürchtungen, dass dadurch der Preisdruck auf Mieten wieder steigen könnte, weist man zurück. Durch die Expo-Erfahrung hätten sich viele Mieter über ihre Rechte informiert, heißt es.

Brainstormen mit den angehenden Topmanagern#

"Wer einen befristeten Mietvertrag hat, der hat sowieso Angst, egal, ob mit oder ohne WU", sagt Friedrich Schalamon, der seit 30 Jahren in der Stuwerstraße wohnt. Denn das Stuwerviertel sei jetzt schon eine Top-Wohngegend. "Wir sind in unmittelbarer Nähe von Autobahnen, zahlreichen U- und Schnellbahnlinien sowie Straßenbahnen. Prater, Donau und Lobau erreicht man in ein paar Minuten. Und da haben wir noch nicht einmal von der WU geredet", sagt Schalamon. Er ist überzeugt davon, dass die WU der Gegend viele positive Impulse bringen werde. Finanziell werde vor allem die Gastronomie profitieren.

Corona Davit-Gsteu von der Gebietsbetreuung, die im Zentrum des Grätzels am Max-Winter-Platz angesiedelt ist, geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie will die angehenden Manager und Volkswirte aktiv anwerben. Etwa um das Stiefkind Vorgartenmarkt in Schuss zu bringen. "Die Studierenden sollen ihr wirtschaftliches Know-how einbringen." Die Zeiten, in denen jeder dritte Marktstand leer stand, sollten dann endgültig vorbei sein. Aber auch Inputs zum ganzen Viertel seien willkommen. Davit-Gsteu kann sich eine Art Zukunftswerkstatt vorstellen, in der Ideen für das Grätzel mit Anrainern und Studenten gemeinsam entwickelt werden könnten.

Derzeit spürt man im Viertel noch nichts von den Neuankömmlingen. Nur hie und da verirren sich WU-Angehörige auf die andere Seite der Ausstellungsstraße. So wie eine Frau, die vor ihrem geparkten Auto auf ihren Sohn wartet und dabei nervös in die Gegend blickt. "Mein Sohn studiert jetzt da drüben BWL", erzählt sie und zeigt in Richtung Campus-Gelände. Kurze Zeit später taucht ein adrettes Bürschchen auf und die beiden brausen davon. Wird ihr BWL-Sohn es je wagen, den Campus zu verlassen und das berüchtigte Stuwerviertel zu erkunden?

Friedrich Schalamon ist überzeugt: "Es wird einen Austausch stattfinden, das ergibt sich schon alleine aus der Verschiedenheit der Menschen, die bei der WU ein- und ausgehen werden." Die negativen Zuschreibungen über das Stuwerviertel seien Legenden, die mit der Realität nichts zu tun hätten. Im Gegenteil: Das Miteinander im Grätzel funktioniere gut. Und Gauner gebe es hier wahrscheinlich auch weniger als woanders. So habe er etwa einmal auf seinem Motorrad seine Aktentasche vergessen. Am nächsten Tag sei die Tasche aber noch immer da gewesen. Und zwar an der selben Stelle und unberührt, wie er betont. "Das würde ich gerne einmal im 13. Bezirk probieren."

Und auch wenn es nach wie vor Prostituierte im Viertel gibt - die Zeiten, in denen Schalamon von seinem Balkon aus 3000 kreisende Autos pro Stunde zählte, sind vorbei.

Davit-Gsteu wird die WU mit Kaufleuten aus der Gegend besuchen, um sich bei den Studierenden vorzustellen. Sie ist optimistisch. Denn: "Wen interessiert auf Dauer ein pipifeines Univiertel? Auch die WU-Studierenden werden sich irgendwann einmal denken: Gehen wir doch lieber in ein altgewachsenes Viertel, wo es nicht nach Farbe riecht."

Wiener Zeitung, Freitag, 4. Oktober 2013