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Österreich und Türkei#

Österreichisches Engagement in der Türkei#

Von

Franz Kangler


Ende September 2019 fand in Salzburg die 22. Jahrestagung der Initiative Christlicher Orient statt, die diesmal die Türkei zum Thema hatte. Ich wurde dabei eingeladen, über das langjährige und umfangreiche österreichische Engagement in der Türkei zu berichten.

Zunächst wollte ich dabei aufzeigen, daß die Frage der Beziehungen Österreichs mit der Türkei wieder stark Thema der politischen Auseinandersetzungen geworden ist, wenn man etwa an den Wiener Erinnerungsaufmarsch an die 2. Türkenbelagerung 1683 im September denkt. Verbunden damit gibt es auch Diskussionen darüber, daß man für diesen Wendepunkt dankbar sein müsse, da sonst wohl eine Islamisierung Österreichs erfolgt wäre. Damit klingt rasch die Frage nach der Haltung zum Islam auf, der in Österreich oft in sehr negativem Licht wahrgenommen wird, auch wenn man zwischen politischen Ausprägungen und der Weltreligion zu unterscheiden versucht. Manche Katholiken schauen auch mit einem gewissen Mißtrauen auf für die jüngsten Dialogbemühungen von Papst Franziskus in Nordafrika, die sehr wohl in der Fortsetzung der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils mit dem Grundsatzdokument "Nostra Aetate" liegen. Dort heißt es ja ausdrücklich: "mit Hochachtung betrachtet die Kirche die Muslime..." .

Übersehen wird bei uns manchmal, daß es auch in der Türkei ähnlich kritische Gefühle dem Westen und dem Christentum gegenüber gibt. Manches steht im Zusammenhang mit innerpolitischen Auseinandersetzungen um die Grundausrichtung dieses Staates, der unter Kemal Atatürk mit großer Radikalität eine nationale und laizistische Neuordnung umgesetzt hatte. Vielen Kritikern der Türkei im Westen ist allerdings beim ihrem gegenwärtigen kritischen Hinterfragen des Zustandes der Türkei nur mehr schwach im Bewußtsein, daß dort noch immer komplexe Gefühle über das Handeln europäischer Großmächte im 19. Jahrhundert unausgesprochen existieren - vergleichbar mit manchen Gefühlen bei uns im Hinblick auf die Wiener Türkenbelagerung. Ähnliches klingt in der Türkei manchmal auch im Blick auf vermutete westliche politische Ziele im religiösen Kontext an, gerade weil sich die Sichtweite der Türkei im Blick auf die Rolle der Religion im Staat und im öffentlichen Leben in den letzten 15 Jahren radikal geändert hat.

Ich habe daher auf meine sehr verschiedenen Erfahrungen der 42 Jahre meines Lebens in Istanbul hingewiesen und aufgezeigt, daß ich seither versuche, die Sichtweise verschiedener türkischer Bevölkerungsgruppen ein wenig zu begreifen und mich deshalb auch vor vorschnellen Urteilen hüte. Das gilt vor allem heute, da die türkische Bevölkerung selbst zutiefst in zumindest zwei einander immer weniger akzeptierende Gruppen zerfällt.. Es mag manchmal leichter sein, in Zeiten zu schweigen, in denen oft sensationell Aufgemachtes viel größere Aufmerksamkeit findet. Das Wirken von St. Georg gibt es allerdings seit 140 Jahren in sehr ruhiger und ausgleichender Form -- auch in konfrontativen Zeiten.

Deshalb habe ich daran erinnert, daß im Jahr 2005 eine Gruppe von Absolventen unseres Kollegs mich um Unterstützung für eine geplante Protestaktion im Hinblick auf österreichische Vorurteile gegen ihr Heimatland gebeten hat. Unsere Absolventen gehören zu einem größeren Teil zu den laizistisch geprägten und in früheren Jahrzehnten führenden Schichten der Türkei. Nach längeren Gesprächen konnte ich sie überzeugen, daß es viel positiver wäre, die vielen guten Beispiele österreichisch-türkischer Beziehungen aufzuzeigen. Wir haben dann im Jahr 2006 im Wiener Palais Epstein eine Ausstellung zur „Zeitreise in die Österreichisch-Türkische Vergangenheit“ gezeigt, eröffnet vom österreichischen Nationalratspräsidenten, die dann auch in Istanbul im Dolmabahce Sarayi und in Ankara im türkischen Außenministerium gezeigt wurde. Aus dem heraus ist auch ein liebevoll gestaltetes Buch erschienen.

Deshalb wollte ich unbedingt neben dem Datum 1683 auch auf ein anderes wichtiges Ereignis hinweisen, durch das vieles an Beziehungen neu möglich wurde: Es ist der Friede von Passarowitz , der nach den Siegen des Prinzen Eugen im Juli 1718 ganz neue Möglichkeiten eröffnete. Mit diesem Vertrag verlor der vorherige „Erbfeind der Christenheit“ seinen Bedrohungscharakter und eröffnete durch einen Handelsvertrag gleichzeitig Möglichkeiten, die manchen Zügen des heutigen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraumes entsprechen.

Österreichische Staatsbürger hatten nun das Recht, frei und ungehindert bzw. steuerlich begünstigt auf dem Boden des Osmanischen Reiches Handel zu treiben. Das führte zu einem starken Ausbau von Verkehrswegen am Balkan bis hin zu einer sich immer stärker entwickelnden Donaudampfschifffahrt, aber auch zur Gründung des Österreichischen Lloyd 1836. Da sich im diplomatischen Umfeld so viele neue österreichische Interessen eröffneten, gründete man in Wien 1752 die Orientalische Akademie zur Ausbildung von Fachpersonal für den Umgang mit dem Osmanischen Reich. Daraus entstand dann die bis heute noch bedeutsame Diplomatische Akademie in Wien.

Die schon früher von uns besprochene Buchreihe „Österreich in Istanbul“ macht deutlich, wie eng im 19. Jahrhundert die Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei verflochten waren. Gerade im 19. Jahrhundert entwickelte sich ja ein wahrer Orientboom, wenn man etwa an Mozarts Türkischen Marsch oder an die „Entführung aus dem Serail“ denkt. Auch Architektur und Mode verwiesen immer wieder auf diese fremdländische Märchenwelt. Ein gutes Beispiel dafür war die Wiener Weltausstellung 1873, wo eine orientalische Stadt samt großer Moschee, einem Nachbau des Achmed-Brunnens aus Konstantinopel und einem türkischen Kaffeehaus zum Besuch einluden. Wie sehr sich auch Forscher und Wissenschaftler aus Österreich-Ungarn mit dem Orient beschäftigten, kann man durch Namen wie Hammer-Purggstall, Prokesch-Osten, oder auch Prälat Musil, Gegenspieler des Lawrence of Arabia im I. Weltkrieg, aufzeigen.

Schon im Jahr 1838 hatte Sultan –Mahmud II. von Österreich mit den nötigen Sachkenntnissen ausgestattete Ärzte erbeten, um Maßnahmen zur Bekämpfung verheerender Seuchen zu ergreifen. In diesem Zusammenhang kamen auch deutschsprachige Barmherzige Schwestern erstmals nach Konstantinopel und ergänzten die Aufgaben ihrer französischen Mitschwestern. Auch in vielen anderen Bereichen zeigte sich der Einfluß der vielfältigen Beziehungen mit der Habsburger Monarchie. 1874 reite der Gründer der Budapester Feuerwehr Edmund Szechenyi nach Istanbul, wo er als Szechenyi Pasa durch 35 Jahre und unter fünf Sultanen die Istanbuler Feuerwehr modernisierte.

Die internationale Bedeutung Wiens als Kunst- und Kulturzentrum wurde in vielfacher Weise und durch viele Einrichtungen besonders im Viertel Beyoglu wahrgenommen. Wiener Restaurants, Kaffeehäuser und Biergärten entstanden. Aber auch österreichische Warenhäuser wurden in Konstantinopel eröffnet. Als im 19. Jahrhundert der moderne türkische Fez den konservativen Turban ersetzte, verlagerte sich die Fez-Industrie sehr stark ins Habsburgerreich. Ab 1870 gab es riesige Fez-Importe aus Böhmen.

Seit 1895 hat sich die österreichische Grabung Ephesus in der West-Türkei zu Österreichs größtem Wissenschaftsunternehmen im Ausland entwickelt. Hier werden auch immer wieder neue Bereiche erschlossen wie in der Paulus-Forschung durch die Ausgrabungen von Prof. Pillinger.

Am Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer verstärkten Zuwanderung aus dem Habsburgerreich für die jüdische Aschkenazim-Gemeinde. Um 1900 entschloß sich diese anwachsende Gruppe, die damals noch stark deutsch und jiddisch sprach, zu einem Synagogen-Neubau, der auch von Kaiser Franz Josef gefördert wurde. Er ist bis heute als Österreicher-Tempel bekannt, während die türkische Synagoge in Wien 1938 niedergebrannt und nie wieder errichtet wurde.

Viele solcher Beziehungen kann man natürlich auch für die ganz anders geartete Türkische Republik des Staatsgründers Kemal Atatürk ab 1923 aufzeigen. Er verlegte das Zentrum seiner neuen Republik in die Landesmitte, in das anatolische Angora und errichtete hier in Ankara eine in allen Bereichen europäisch geprägte Hauptstadt. Einer der wichtigsten Architekten war dabei der Österreicher Clemens Holzmeister, der neben großen staatlichen Bauten auch die neue österreichische Botschaft schuf. Der Bildhauer Heinrich Krippel oder Fotografen wie der Grazer Othmar Pferschy sind wichtige Zeugen der Atatürk-Zeit.

Eine der wichtigsten Herausforderungen des Landes waren für Kemal Atatürk Bildung und Erziehung als Grundlage vieler seiner Reformen. Er war höchst interessiert an allen kulturellen Entwicklungen in Europa und sandte 1928 auch fünf Pädagogen zum Wiener sozialistischen Schulreformer Otto Glöckel. Auch eine bahnbrechende und revolutionäre Universitätsreform führte der Staatsgründer vor allem mit Universitätslehrern aus Deutschland und Österreich durch, die nach 1933 bzw. 1938 dort ihre Tätigkeit aus politischen und rassischen Gründen beenden mußten. Es sind namentlich 38 aus Österreich stammende Akademiker und Akademikerinnen bekannt, die nach dem „Anschluß“ Exil in der Türkei fanden.

In der jungen türkischen Republik überlebten nur wenige österreichische Institutionen, darunter allerdings als eine der wichtigsten Kirche, Schule und Spital von St. Georg. Und damit konnte ich zum Abschluß noch einige Worte über Sankt Georg sagen: Die wachsende Zahl deutschsprachiger Katholiken seit dem Krimkrieg hatte die Österreichische Provinz des Lazaristenordens bewogen, für die muttersprachliche Seelsorge Ordensangehörige nach Istanbul zu entsenden, ein Waisenhaus und eine Knabenschule wurden eröffnet. 1882 konnte die Kirche und das Kloster von St. Georg von den bosnischen Franziskanern erworben werden- ein Namenspatron und ein geistliches und bauliches Zentrum waren gefunden! Die Jahrzehnte nach 1923 waren sehr fordernd für den Schulträger, der bereit war, innerhalb der neuen Formen des laizistischen Staates eine geänderte Rolle weiter zu übernehmen. 1938 wurden wir deutsches St. Georgs-Kolleg. Durch die Annahme des türkischen Angebotes einer Internierung in Zentralanatolien konnten wir 1947 wieder die Österreichische Schule St. Georg eröffnen.

Da die Republik Österreich ab 1950 bewußt wieder eine österreichische Auslandkulturpolitik betreiben wollte, suchte man nach bestehenden Anknüpfungspunkten und fand einen solchen in Istanbul – St. Georg. Es wurden österreichische Lehrkräfte nach Istanbul entsandt, beginnend mit fünf, später als Höchstzahl 48 und heute nach manchen türkischen Neuerungen wie der Schließung der Mittelstufe 35 österreichischen Lehrerinnen und Lehrern.

Von St. Georg aus erfolgte auch ein vielfältiger Einsatz in Bereichen von Musik, Literatur und Kunst. So entstand durch den Einsatz österreichischer Lehrer von St. Georg ein eigenständiges Österreichisches Kulturinstitut in Istanbul, das sich bis heute stark auf das Interesse unseres sehr aktiven Absolventenvereins stützen kann. Ebenso befindet sich in St. Gerg einde der bestehenden Österreich-Bibliotheken des österreichischen Außenministeriums.

Als das II. Vatikanische Konzil in vielfacher Weise für die Kirche neue Wege eröffnete, wollte St. Georg das vor allem auch im liturgischen Bereich aufzeigen. Der damalige Superior Dr. Franz Oitzinger CM gewann den für ein Jahr in Istanbul wirkenden österreichischen Künstler Anton Lehmden für eine völlige Neugestaltung des gesamten Kirchenraumes. Der 2018 verstorbenen Professor Anton Lehmden gehört zur Gruppe der Wiener Phantastischen Realisten. Auch durch seine beeindruckenden Werke in St. Georg wird Österreich in besonderer Weise in Istanbul sichtbar. Am Anfang der österreichischen Institution St. Georg stand vor 140 Jahren unsere Kirche, die dem gesamten Werk den Namen gab. Wenn heute im Zentrum der Georgs-Kirche der Lebensbaum des Österreichers Anton Lehmden sehr viele verschiedene Aufgabenbereiche verbindet, ist uns das auch heute ein hoffnungsvolles Zeichen für weiteres österreichisches Wirken in der Türkei.

Weiterführendes#


Autor -Text und Bilder: Hofrat Franz Kangler (Congregatio Missionis des hl. Vinzenz von Paul, Lazaristen-Orden) Sankt Georgs Blatt Oktober 2019

Edition: Kurt Hengl

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Christus am Kreuz
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In Vorschau auf die beiden Jubiläen 100 Jahre Republik Türkei (2023) und 100 Jahre diplomatische Beziehungen Österreich-Türkei (2024)! Elmar Samsinger: Von Türken und Wienern. Türkler ve Vyanahlar. Deutsch/Türkisch. Eigenverlag Wien 2022

-- hengl kurt, Montag, 26. Dezember 2022, 11:25