Gibt es ein internationales Netzwerk des Terrorismus?#
Otmar Höll
Jährliche Berichte des US-amerikanischen Außenministeriums zur Entwicklung des internationalen Terrorismus weisen auf die überraschende Tatsache hin, dass sich die Charakteristik des internationalen Terrorismus im Vergleich mit dem vergangener Jahrzehnte signifikant verändert hat. So ist etwa die Zahl von Terroranschlägen weltweit paradoxerweise zurückgegangen.
Allerdings wird das gleichzeitig wachsende Zerstörungspotential, über das Terroristen verfügen, betont. Die Zahl religiös motivierter Terroranschläge nimmt zu, die Vernetzung von Terrororganisationen sowie die Bedeutung nicht-staatlicher Unterstützung ist ebenfalls im Steigen begriffen. Diese Daten zeigen auch, dass Terroristen mit relativ weniger Anschlägen eine immer höhere Anzahl an Opfern verursachen. Auch ist die Bereitschaft und Fähigkeit von Terrorgruppen, massivste Zerstörungen zu verursachen, ebenfalls gestiegen, was nicht allein auf das beinahe weltweit agierende Netzwerk Al’Qaida zurückzuführen ist.
Bereits in den 1990er Jahre wurde von der damals latenten Gefahr des „transnationalen Terrorismus“ ausgegangen: Vor allem in Afghanistan ausgebildete Kämpfer könnten als „Söldner“ in unterschiedlichen Terrornetzwerken aktiv werden. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA wird dieser Tendenz, dass international agierende Terroristengruppen sich zu Netzwerken zusammenschließen, erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Allein in den 1990er Jahren sollen dort nach Schätzungen 50.000 bis 70.000 Kämpfer aus etwa 55 Ländern ausgebildet worden sein, die sich in der Folge global verstreuten. Die von Bin Laden 1988 gegründete Terrororganisation Al’Qaida bildete ein eigenes transnationales Netzwerk, das wiederum mit zahlreichen anderen Gruppen Kontakte unterhält.
Zu den mit Al’Qaida verbundenen Organisationen zählt etwa der ägyptische Aljihad, der auch im Jemen, Pakistan, Afghanistan, im Libanon und in Großbritannien präsent sein soll; weitere Kooperationsorganisationen wie etwa Jamaatul- Mudschaheddin und andere operieren im Bereich von Pakistan und Kaschmir. Kontakte sollen auch zu der auf den Philippinen tätigen Gruppe von Abu Sayyaf, zu palästinensischen Gruppen im Libanon, Somalia, Jemen und in vielen anderen islamischen Staaten unterhalten werden.
Man sollte sich diese internationalen Netzwerke jedoch nicht als straff und hierarchisch durchorganisierte Konzernstrukturen vorstellen. Die Zusammenarbeit zwischen derartigen Gruppen und Netzwerken kann unterschiedliche Formen annehmen, die von rein ideologischer oder logistischer und finanzieller Unterstützung über gemeinsame Ausbildung bis hin zur Planung und Arbeitsteilung bei Terroranschlägen reichen kann.
Es scheint auch so zu sein, dass in den letzten Jahren eine stärkere Verzahnung zwischen mehr innerstaatlich aktiven Terrorgruppen mit den international agierenden Terrornetzwerken erfolgt ist. Man geht davon aus, dass der nationale/lokale Terrorismus nach wie vor weltweit die dominierende Form terroristischer Aktivitäten darstellt und als eine der wichtigsten Quellen für den internationalen Terrorismus und die internationale Verknüpfung von Netzwerken gesehen werden muss. Insofern gilt der Nah-Ost-Konflikt (insbesondere der Palästina-Konflikt) als sowohl tatsächlicher als auch ideologischer Angelpunkt des internationalen (islamischen) Terrors.
Das für viele überraschende Ergebnis des 2006 veröffentlichten Untersuchungsberichts der britischen Regierung über den Terroranschlag in London aus dem Jahr 2004, dass eine Beteiligung von Al’Qaida nicht gegeben gewesen sei, zeigt, dass das Ausmaß und die Reichweite internationaler Terrornetzwerke nicht überschätzt werden darf. Vielmehr scheinen Osama Bin Laden und die Al’Qaida für gewisse terrorbereite Gruppierungen auf der gesamten Welt eine Vorbildfunktion übernommen zu haben.
Auch muss bei präziser Betrachtung zwischen internationalem und transnationalem Terrorismus unterschieden werden. Der internationale Terrorismus beschränkt sich darauf, durch Anschläge in der westlichen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für lokale Konflikte zu erreichen.
Der transnationale Terror hat hingegen den Westen selbst zum Gegner. Al’Qaida etwa geht es, wie es scheint, darum, den Einfluss des Westens und insbesondere der Vereinigten Staaten in der arabischen und islamischen Welt zurückzudrängen und gleichzeitig eine große globale Konfliktlinie zwischen den „Ungläubigen“ und den „Rechtgläubigen“ zu konstruieren. Während der internationale Terrorismus typischerweise durch Ad-hoc-Kooperationen zwischen unterschiedlichen Gruppierungen gekennzeichnet ist, die eher aus pragmatischen Überlegungen zusammenarbeiten, bemüht sich der transnationale Terrorismus um eine möglichst homogene Anhängerschaft und um bestimmte ideologische „Messages“.
Die Ideologie übt dabei eine doppelte Funktion aus: Sie ist einerseits Handlungsanleitung für jeden Einzelnen und gleichzeitig verbindendes Element für die Mitglieder der Gruppe, da sie Symbole und Werte vorgibt, die von allen anerkannt sind. Religiöse Inhalte bieten sich deshalb an, da sie von vielen und ohne Ansehen nationaler Herkunft geteilt und akzeptiert werden.
Eine Bekämpfung des transnationalen wie des internationalen Terrorismus kann nicht allein mit militärischen Mitteln, sondern muss auf verschiedenen Ebenen erfolgen und sie muss vor allem auf die tiefer liegenden Ursachen rückgebunden werden. Es wird auch darauf ankommen, das staatliche und gesellschaftliche Umfeld von Terroristen von der Sinnlosigkeit und Verantwortungslosigkeit der Unterstützung derartiger Organisationen zu überzeugen.
Islamistische Terrororganisationen:
Al’Qaida (arab. „Stützpunkt“)
Al-Jihad al-Islami (Islamischer Heiliger Krieg)
Al-Jama’at al-Islamiyya (Gemeinschaft der Muslime)
Harkat-ul-Mujaheddin (Kaschmirische Freiheitsbewegung)
Jihad Islami
Islamische Armee Aden
Abu-Sayyaf-Separatisten (südliche Philippinen)
Separatistengruppen in Indonesien und Malaysia
Groupe Islamique Armé – GIA (Islamische Bewaffnete
Gruppe) in Algerien
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: