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Aufgeputscht – Politik im Rausch #

Arnold Schwarzenegger geißelt den Sturm auf das Kapitol als Putschversuch – ein Blick in die Geschichte gibt ihm Recht: Erst die Mischung aus Kalkül und Ekstase macht Putsche zum Umstürzler-Werkzeug schlechthin. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (14. Jänner 2021)

Von

Wolfgang Machreich


Darstellung des Züriputsch (1839), durch welchen das Wort Putsch international bekannt wurde
Hetze und Kalkül. Beim „Züriputsch“ am 5. September 1839 wurde die liberale Kantonsregierung von einem „Glaubenskomitee“- Aufstand gestürzt – und der schweizerdeutsche Begriff „Putsch“ für Umstürze etabliert.. Aus: Wikicommons

Überraschung! Ausgerechnet die Schweiz, Sinnbild für Ordnung und Frieden, ist das Ursprungsland des Putsches – was den Begriff betrifft. Ohne Telefonjoker würde wohl eine Mehrheit der dazu Befragten auf Staaten wie Fidschi, das jahrzehntelang von Staatsstreichen und Wirbelstürmen gleichermaßen heimgesucht wurde, als Putsch-Namensgeber tippen; oder auf andere der von US-Präsident Donald Trump so denunzierten „Drecksloch-Länder“ in Afrika und Lateinamerika. Falsch: Das schweizerdeutsche Dialektwort Putsch bezeichnet „Stoß“; zunächst im militärischen Kontext verwendet, etablierte es sich im 19. Jahrhundert als Bezeichnung für damals in Schweizer Kantonen aufwallende politische Unruhen. Die Schweiz als Namensgeber passt aber insofern gut, als ohne eine gewisse Form schweizerischer Präzision jeder Putsch zum Scheitern verurteilt ist. Erst ein ausgefeilter Plan in Kombination mit Protagonisten, die wie Räder eines Schweizer Uhrwerks ineinandergreifen, sowie einem gezielt angefachten politischen Furor tragen die Putschisten auf einer alle Dämme politischer Stabilität niederreißenden Protestwelle in den Hafen der Macht.

Kampf um richtige Religion #

Der Münchner Historiker der Revolutions- und Polizeigeschichte, Wolfram Siemann, sieht diese Parameter beim Sturm auf das Kapitol gegeben. In einem FAZGastbeitrag bescheinigt er Trump „ein klares Kalkül“: „Der Präsident erklärt das demokratische Handlungszentrum für handlungsunfähig und ruft den Notstand aus, um wieder ‚Ruhe und Ordnung‘ herzustellen. Damit wäre er Herr der militärischen Exekutive geworden und der Kongress kaltgestellt, die Zertifizierung der Wahl zugleich wäre verhindert worden.“

Beispielhaft nachvollziehen lässt sich dieser Mix aus politischem Kalkül und populistischer Ekstase beim „Züriputsch“ 1839 in Zürich, der dem Begriff Putsch im deutschen Sprachraum und darüber hinaus zum Durchbruch verhalf: Radikal-Liberale gegen Radikal-Konservative – an der Streitaufstellung hat sich bis heute nichts geändert. Nach der Etablierung liberaler Bürgerrechte auf staatlicher und wirtschaftlicher Ebene wollte die Züricher Kantonsregierung ihre „Erneuerung“ auf das Bildungswesen und die Kirche übertragen. Den Glauben entmythologisieren, die Schulen säkularisieren, lautete ihr Plan. Nicht mehr Pfarrer, sondern in einem Lehrerseminar ausgebildete Volksschullehrer sollten die Bildungaufgaben übernehmen. Die Opposition instrumentalisierte das pädagogische Thema als Kampf um die „richtige Religion“. Der Volkszorn gegen die „moderne Volksschule“ kochte hoch und konnte auch mit Zeugnissen über das „sittliche Betragen“ der Volksschullehrer nicht besänftigt werden. Am 5. September 1839 läuteten in Zürich Pfäffikon die Kirchenglocken zum Sturm. Dem Schlachtruf „Vorwärts, wer ein guter Christ ist!“ folgend, zog das Landvolk unter Führung des Pfäffikoner Pfarrers bewaffnet in die Stadt. Letzter Akt eines Umsturz-Drehbuchs, das von einem als Gegenregierung etablierten „Glaubenskomitee“ geschrieben und organisiert wurde. Als Folge der Gefechte kam es zur verfassungswidrigen Selbstauflösung des Regierungsrates. Das „Septemberregime“ aus „gottesfürchtigen“ Männern übernahm die Regierung, besetzte alle Behörden mit Gefolgsleuten.

Den Putschisten kam der Umstand zupass, dass die übrigen Schweizer Kantone zu zerstritten waren, um ihrer eigentlichen Verpflichtung einer bewaffneten Hilfeleistung für die rechtmäßige Züricher Regierung nachzukommen. Eine wichtige Putsch-Ingredienz, die der Wiener Philosoph Alfred Pfabigan, von der FURCHE nach Putsch-Wesensmerkmalen befragt, betont: „Die Erfolgsaussichten eines Putsches hängen maßgeblich davon ab, dass sich auf der einen Seite die Leute einig sind und wissen, was sie wollen, und die andere Seite, auch wenn sie vielleicht die numerische Mehrheit hat, total zerstritten oder zumindest uneinig ist.“ Pfabigan hat viele Jahre in den USA unterrichtet. Den Frust am Establishment, „viele sind wirklich sauer“, habe er in seinem US-Universitätsumfeld „immer schon gespürt“, sagt er. Aber die Vorstellung eines Sturms auf das Kapitol wäre bis dato für ihn „unmöglich gewesen“. Dass man dieses zentrale Gebäude nicht besser schützte, hängt für ihn mit dem von dieser Präsidentschaft geprägten Sicherheitsapparat zusammen. Pfabigan fürchtet, dass Trump „da noch einige böse Eier gelegt hat“.

Vertrauen in Staat und Bürger #

Arnold Schwarzenegger zählte diese in einem millionenfach geteilten Twitter-Video auf: Trump „versuchte einen Putsch, indem er die Menschen mit Lügen in die Irre führte“, sagte Schwarzenegger in Elder- Statesmen-Manier mit Conan-Filmschwert in der Hand. Der Mob habe nicht nur die Fenster des Kapitols zerbrochen, „sondern die Ideen, die wir für selbstverständlich hielten. Sie haben die Prinzipien, auf denen unser Land gegründet wurde, mit Füßen getreten“.

Der Sport-, Film- und Polit-Held benennt damit eine weitere wichtige Putsch-Voraussetzung und Folge gewaltsamer Staatsstreiche: Das fehlende oder verloren gegangene Vertrauen in die Institutionen des Staates und zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. „Politisches Vertrauen erweist sich daran, dass wir die Regeln, nach denen das politisch-ökonomische Spiel abläuft, kennen und als stabil voraussetzen, weil wir erwarten, dass sich tatsächlich alle an diese Regeln halten“, beschrieb diese Grundvoraussetzung demokratischer Systeme einmal der Berliner Soziologe und Politikwissenschafter Claus Offe.

Staaten, in denen es sowohl an „vertikalem Vertrauen“ in den Staat als auch am „horizontalen Vertrauen“ zwischen den Bürgern fehlte, waren für die polnische Journalisten-Legende Ryszard Kapuściński Zeit seines Lebens die begehrtesten Recherche- Ziele. Anhand von Beispielen aus Sansibar oder Lagos Mitte der 1960er Jahre analysierte er die „Anatomie eines Staatsstreichs“. Ist das Vertrauen in den Staat einmal zerstört, schreibt Kapuściński, betrachten die Menschen „politische Kataklysmen – Staatsstreiche, Militärputsche, Revolutionen und Kriege – als ganz natürliche Erscheinungen. Und sie nehmen sie auch mit derselben apathischen Resignation, demselben Fatalismus hin. Wie einen Orkan oder ein Unwetter.“ Erst eine „vergiftete Atmosphäre“ schaffe die für Autokraten günstige politische Gesamtwetterlage, um sich als Verteidiger der Erniedrigten und Beleidigten auszugeben und nach der Macht zu greifen.

Um Putschen ihre Grundlage zu entziehen, braucht es daher Schutz und Pflege des politischen Klimas. In der Schweiz hat es funktioniert. Sechs Jahre nach dem Züriputsch übernahmen wieder die Liberalen die Regierung – und formten ein Land, an das man zuletzt denkt, wenn von Putsch die Rede ist.

Die Furche, 14. Jänner 2021

Weiterführendes#


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