„Theatergeschichte der Stadt Triest“ von 1800 bis 1918#
Triest – ein Aushängeschild des wirtschaftspolitischen Reformprogramms unter Maria Theresia#
ERGEBNISBERICHT ZUM JUBILÄUMSFONDSPROJEKT Nr. 6538
Von
Brigitte Pagana-Hammer
Zwischen dem „Carso Triestino“ und dem Golf von Triest liegt die Stadt Triest eng gedrängt auf einem schmalen, ebenen Landstreifen, der sich nur gegen Istrien hin öffnet. Schon diese Position brachte es mit sich, dass die Entwicklung der Stadt im Wesentlichen nur durch den Handel zu Wasser vorangetrieben werden konnte. Der Landweg nach Norden, nach Slowenien und in die blühenden Grafschaften von Görz und Gradisca war unwegsam und beschwerlich. Die Seefahrt in der nördlichen Adria war bis zum Ende der Serenissima, 1719, von Venedig beherrscht. So bestanden für die Stadt Triest bis zu diesem Zeitpunkt kaum Möglichkeiten zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Die Zahl der Einwohner überstieg kaum fünf Tausend, die sich überwiegend mit Landwirtschaft und nur in sehr bescheidenem Umfang mit dem Handel befassten. An diesem Zustand änderte sich auch in den ersten Jahren der Habsburgerherrschaft nichts. Triest lag bis zum Ende des spanischen Erbfolgekrieges weitab, am Rande der italienischen Interessensgebiete der Habsburger.
Um die wirtschaftliche Situation der Stadt zu verbessern, wurde Triest 1719 zum Freihafen erklärt, was nach anfänglichen Schwierigkeiten dann unter der Herrschaft Maria Theresias auch tatsächlich zu einem raschen wirtschaftlichen Wachstum und zu einer kulturellen Blüte führte. Nicht zuletzt wertete der endgültige Verlust der süditalienischen Gebiete und damit verbunden der verlorene Zugang zum Mittelmeer, 1735, sowie der Verfall der Republik Venedig den Hafen von Triest als nahen Zugang zur Adria für die Habsburgermonarchie auf. Ab Mitte des 18.Jahrhunderts wurden die Importe aus der lothringischen Toskana in die österreichischen Erblande per Erlass über den Hafen von Triest abgewickelt, um den Handel in der Stadt zu fördern. Außerdem rückten die schlechten Außenhandelsbilanzen der nur schwach industrialisierten Monarchie zunehmend in das Blickfeld der Kaiserin, die sich Abhilfe vor allem von der Erschließung der Märkte der Levante erhoffte. Zu dem hatte der Verlust Schlesiens den traditionellen Elbehandel nach Hamburg erschwert. Nach den Vorstellungen der Kaiserin sollte deshalb das Schwergewicht des Außenhandels der Monarchie in den Adriaraum verlegt werden. Dies hatte den Ausbau der Verbindungswege von Wien nach Triest und Fiume, die Ansiedlung von Industrien in diesen Städten und die Intensivierung der Schifffahrt zur Folge. Außerdem erhielt Triest neben zahlreichen anderen Förderungsmaßnahmen 1769 die volle Zollfreiheit. Die Bevölkerung der Stadt wuchs, wie überall in der Monarchie, in kurzer Zeit stark an und erreichte in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts bereits über 100.000 Einwohner, wozu auch der Zuzug von Fremden aus aller Herren Länder beitrug.
Einen Meilenstein in der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt stellt 1806 die Eröffnung der Außenstelle der neuen Wiener Börse dar. Damit war ein notwendiges Instrument zur Finanzierung eines weltweiten Handels, insbesondere auch mit Kolonialwaren, geschaffen. Dieser trat vor allem nach der Eröffnung des Suezkanals 1869 in den Mittelpunkt des Interesses. Triest wurde zum bedeutendsten Umschlagplatz für Güter aus Übersee, zur Metropole des Kaffeeimports. Der weitere Ausbau der Verkehrsverbindungen mit der Residenzstadt, der Straßenverbindung 1832 und der Bahnverbindung 1854, waren die Folge. Die Ansiedlung bedeutender Versicherungsgesellschaften, von Vertretungen internationaler Handelsunternehmen und von wichtigen Industrien, wie der Werft, gaben Triest im ausgehenden 19. Jahrhundert jene Atmosphäre, die es sich bis heute trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach Ende des 2. Weltkrieges erhalten hat.
Politisch und militärisch nahm Triest eine subalterne Position ein. Bis zur Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert war Görz mit seiner ständischen Struktur noch das Verwaltungszentrum der österreichischen Küstenlande. Im Zuge der theresianischen und josephinischen Verwaltungsreformen, spätestens aber mit den Napoleonkriegen avancierte Triest auch zum Zentrum der kaiserlichen Administration, die sich zu allen Zeiten als problemlos erwies. Zwar führte die Militärgrenze zwischen Österreich und Ungarn von Triest aus über Kroatien, das ja zu Ungarn gehörte, und dem Banat nach Siebenbürgen. Triest selbst blieb jedoch sogar während der Napoleonkriege und auch während des italienischen Befreiungskrieges 1866 weitgehend von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont. Die Besetzung durch Napoleon hinterließ außer der Beschädigung ausgerechnet des schon baufälligen Theaters „San Pietro“ nur wenige Spuren. Triest war nie Kriegshafen, die österreichische Kriegsmarine war ja im istrianischen Pola stationiert. Zu Ende des ersten Weltkrieges versuchte die italienische Armee Triest vom Land her zu erobern, was misslang. Triest fiel erst, als die 1918 die italienische Flotte in Triest landete.
Das kulturelle Profil der Stadt#
Zwar haben sich in Triest im Umkreis der Burg und der Kathedrale von San Giusto noch einige archäologische Zeugnisse aus der Römerzeit und gleich hinter der „Piazza Unità d’Italia“ das „Teatro Romano“ erhalten, im übrigen wird das Stadtbild jedoch durch die Bauwerke der Altstadt aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert und die Prachtbauten im Ringstraßenstil bestimmt. Tatsächlich war Triest zwar schon eine römische Ansiedlung „Tergeste“, woran noch einige Namen in der Stadt erinnern. Die Bedeutung von „Tergeste“ blieb jedoch weit hinter der seiner Nachbarn Aquileia und Pola zurück, und im Mittelalter war Triest kaum mehr als ein Marktflecken.
Angesichts dieser Bedeutungslosigkeit, in welcher die Stadt Triest bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts dahinschlummerte, ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die kulturellen Aktivitäten nur sehr langsam entwickelten. Erst mit dem Einsetzen der wirtschaftlichen und demographischen Blüte konnten sich auch die Künste entwickeln. So wie sich das Leben der Stadt rasch und schnelllebig entfaltete, war auch das kulturelle Leben von Veränderungen und Variantenreichtum gekennzeichnet. Triest war und ist eine Stadt der Reisenden, auch der reisenden Künstler, Literaten, Schauspieler, Musiker und Ensembles, die sich kurze Zeit in der Stadt aufhalten, gastieren und dann ihres Weges ziehen. Zu den vielen illustren Reisenden zählte auch J.J.Winckelmann. Sein Aufenthalt in der Stadt endete allerdings tragisch. Er wurde 1768 in Triest ermordet. Durch die Einflüsse und den Zuzug von Fremden aus der Levante, aus Italien, aus dem ganzen Mittelmeerraum, aus Nordafrika und aus dem Wien der Habsburger in gleichem Maße geprägt, ist Triest kosmopolitisch. Ganz anders als in den benachbarten Grafschaften Görz und Gradisca spielte in Triest der Adel nie eine besondere Rolle. Einen lokalen Adel gab es in der ursprünglich ländlichen Kleinstadt kaum. Die Beamten der staatlichen Verwaltung und auch die in der Stadt weilenden Angehörigen des Wiener Hofes orientierten sich mehr am Lebensstil und Geschmack der finanzkräftigen Vertreter der Wirtschaft, als an aus der Residenzstadt Wien importierten Traditionen, die sich hierorts als fehl am Platz und unbedeutend erwiesen. So sah man das offensichtlich auch am Wiener Hof und verzichtete auf Interventionen im Triester Theaterleben. Das offensichtlichen Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt bewog die Kaiserin sogar zu einer kulturellen Initiative, die fast aus unseren Tagen stammen könnte. 1729 führte sie in Triest die „Fiera d’Agosto“ ein, eine in Italien seit der Zeit des Kaisers Augustus erhaltene Tradition. In der Zeit um den 15. August ließ man die Arbeit ruhen und machte Sommerferien. Dabei wurde seitens der Kaiserin ausdrücklich darauf Wert gelegt, dass in dieser Zeit die Theater geöffnet sein, und dass dadurch für die Händler auch in der heißen Jahreszeit, der Aufenthalt in der Stadt durch ein entsprechendes Unterhaltungsangebot attraktiv gemacht werden sollten.
Der Einfluss der Serenissima ist in Triest kaum spürbar. Deutliche Zeugnisse venezianischer Präsenz, wie wir sie im benachbarten Dalmatien allenthalben antreffen, fehlen im Stadtbild fast ganz und sind in der Musik und im Theater nur in den bescheidenen Anfängen im 18. Jahrhundert bemerkbar. Neben der starken Präsenz ausländischer Volksgruppen– unter anderen waren die englische, griechische und jüdische Volksgruppen wohlorganisierte, kulturell einflussreiche Minderheiten – überwog der italienische Einfluss. Sprache, Kultur und Nationalität, selbst die irredentistischen Strömungen schienen sich problemlos mit der administrativen Zugehörigkeit zum Habsburgerreich und mit den Kontakten zur Hauptstadt Wien zu verbinden. Dadurch erlangte Triest um die Jahrhundertwende zusätzlich zu seiner wirtschaftlichen auch eine überragende kulturelle Bedeutung auf europäischem Niveau. Einer der Protagonisten dieser Epoche war ein gewisser Ettore Schmitz. Sein Name und mehr noch sein Pseudonym Italo Svevo spiegeln wider, wie damals die deutsch-italienische Symbiose in Triest wirksam wurde. Aus einer einflussreichen hebräischen Kaufmannsfamilie stammend, war seine Mutter italienischer Nationalität, während die Vorfahren väterlicherseits aus Deutschland kam, wo der Schriftsteller auch seine Studien absolvierte. Er war mit der Philosophie von Schopenhauer und Nietzsche genauso vertraut wie mit den Theorien von Darwin und Karl Marx. Mit James Joyce, der sich Anfang des Jahrhunderts in Triest niedergelassen hatte, verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Er befasste sich mit der gerade im Entstehen begriffenen Psychoanalyse, lange bevor man in Italien davon überhaupt Kenntnis nahm. Damit gewinnt die Figur Italo Svevos als Exponent all jener Strömungen, welche das geistige und kulturelle Leben der Stadt zu ihrem Höhepunkt führten, nahezu emblematische Bedeutung: Triest war ein europäisches Zentrum der Literatur, das soziale und politische Leben war durch stark bürgerliche und sozialistische Einflüsse bestimmt, und die Stadt wurde zu einer der Geburtsstätten der Psychoanalyse. Die hervorragende Bedeutung auf diesem Gebiet nicht nur in Italien sondern weltweit hat sich Triest bis heute erhalten.
Zur Quellenlage#
Die Geschichte der Stadt spiegelt sich in der Quellenlage über die Entwicklung des Theaters wider. Weniges ist uns aus der Zeit vor 1730 bekannt, kaum etwas erhalten. Nachrichten über die anfängliche theatralische Betätigung finden sich eher in den Archiven anderer Städte als in Triest selbst. Das ändert sich schlagartig mit dem Jahr 1800. Die Zahl der Quellen zum Theaterleben in der Stadt Triest steigen in den ersten Jahren des 19.Jahrhunderts explosionsartig an. Die handschriftlichen Dokumente und das umfangreiche Bildmaterial im “Archivio di Stato di Trieste”, im “Archivio Diplomatico della Biblioteca Civica di Trieste” und im “Archivio Storico del Comune di Trieste“ sind im allgemeinen wohl geordnet und gut erhalten. Leider ist der Zugang oft nur schwer oder gar nicht möglich, weil sich die genannten Archive wiederholt in Restaurierung, in Umbau usw. befinden. Weitere Archivalien, allerdings von untergeordneter Bedeutung, finden sich im „Haus- Hof- und Staatsarchiv“, im „Allgemeinen Verwaltungsarchiv“ und im „Finanz- und Hofkammerarchiv“ in Wien, sowie in den Archiven und Bibliotheken in Venedig („Museo Correr“), Udine („Bibliteca Civica“) und Mailand („Biblioteca Braidense“).
Zu den handschriftlichen Quellen kommt eine große Zahl an gedruckten Werken. Die zahlreichen Einzeldokumentationen zu den großen Spielstätten werden durch eine umfangreiche, fortlaufende Dokumentation in den zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften der Stadt vervollständigt. Das Zeitungswesen in Triest war auf Grund der wirtschaftlichen Struktur der Stadt, wegen der auf die aktuellen Meldungen aus Politik und Wirtschaft angewiesenen Kaufleute und durch die vielen Durchreisenden, die Informationen über ihren Aufenthaltsort suchten, hochentwickelt. Dass dabei die Unterhaltungsmöglichkeiten aller Art nicht unerwähnt blieben, versteht sich von selbst. Sowohl der schon 1790 erschienene „Osservatore Triestino“ als auch der noch heute existierenden „Il Piccolo“ und der „L’Independente“ berichteten regelmäßig über das Theatergeschehen der Stadt. Neben den Zeitungen war es vor allem die Zeitschrift „Archeographo Triestino“, in dem regelmäßig Artikel über das Triester Theater erschienen. Ferner veröffentlichte die Gemeinde Triest die Protokolle der Gemeinderatssitzungen, sodass auch alle das Theater betreffende Debatten und Beschlüsse der Stadtvertretung gedruckt vorliegen.
Neben den obgenannten Archiven, verfügt Triest auch noch über ein eigenes Theaterarchiv, dem „Museo Teatrale ‚C.Schmidl’ di Trieste“, wo sich eine, ab dem Jahr 1800 über 200 Jahre geschlossene Dokumentation des Triester Theaterlebens befindet. Leider gilt das, was über die oft schwierigen Möglichkeiten der Konsultation gesagt wurde, auch für dieses Archiv. Bei den hier aufbewahrten Dokumenten handelt es sich um Archivalien zu sämtlichen in Triest bespielten Theatern, also auch zu den, vor allem um die Jahrhundertwende von 1900 in großer Zahl entstehenden Kleinbühnen, die oft nur kurze Zeit bestanden. Gerade diese kleinen Theater sind für die Stimmung, die damals in der Bevölkerung geherrscht hat, aufschlussreich. Erste Nachforschungen dahingehend lassen vermuten, dass das Risorgimento und die Italianitá hier in Triest, ganz andere Züge aufwiesen, als z.B. in Görz. Dort war sie von einem breiten, politisch engagierten und hoch gebildeten Bürgertum getragen, das den altösterreichischen Adel abgelöst hatte, der in dem „Nizza Austriaca“, wie Görz genannt wurde, nur noch die kalten Wintermonate verbrachte. In Görz war das alte, angesehene „Teatro Comunale“ Austragungsort politischer Auseinandersetzungen. In Triest waren die von Intellektuellen und sozial Schwächeren getragenen Kleinbühnen der Ort politischer Positionierung. Dabei darf auch das in Triest florierende Dialekttheater nicht außer Acht gelassen werden. Ein eingehendes Studium des Repertoires dieser Bühnen und eine Analyse der Theatererhalter, Akteure und des Publikums, sind eine ebenso lohnende wie zeitaufwendige Forschungsarbeit, die bislang noch nicht in Angriff genommen werden konnte.
Von “San Giusto” ins “San Pietro”#
Über theatralische Betätigung im mittelalterlichen Triest ist nichts überliefert. Zwar lässt sich vermuten, dass, wie überall in Norditalien, auf den Plätzen des Städtchens und bei Märkten Darbietungen von Schaustellern und Gauklern zu sehen waren, und dass im Dom von San Giusto genauso wie in den benachbarten Städten Görz und Udine „Sacre Rappresentazioni“ zur Aufführung kamen. Allerdings gingen alle diesbezüglichen Unterlagen am Ende des 16. Jahrhunderts verloren, sodass anfänglich nur spärliche Dokumente über die musikalische Gestaltung der Liturgie vorliegen. Eine Ausnahme macht hier die Aufführung eines von dem Triestiner Monsignore Pietro Rossetti verfassten Dramas „La fiducia in Dio ovvero Vienna liberata dalle armate turchese“ am 12.Februar 1684. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts scheint der Wunsch nach einem geeigneten Veranstaltungsort für Bälle und theatralische Aufführungen aufgekommen zu sein. Schon früher wurden im „Palazzo Comunale“ gelegentlich Räumlichkeiten für solche Veranstaltungen verwendet, und auch noch die durch Libretti belegten Aufführungen von „La Contadina“ (1721) mit der Musik von J.A. Hasse, von „Serpilla und Bacocco“, (1730) mit dem Text von Antonio Salvi und der Musik von G.M.Orlandini fanden dort statt. Aus 1733 ist die erste Aufführung eines Intermezzos von Goldoni „Il gondoliere veneziano“ bekannt.
Wie so oft in dieser Epoche wurde damals auch in Triest Theater mit Musiktheater gleichgesetzt, sodass das „San Pietro“, das 1751 gegründet wurde und 1801 seine Pforten wegen völliger baulicher Unzulänglichkeit schließen musste, fast ausschließlich eine Opernbühne war. In den Jahren 1762 bis 1801 kam dort nahezu das ganze gängige Opern-Repertoire von Anfossi bis Mozart zur Aufführung. Das Theater war jetzt zwar in einem eigens dafür errichteten Gebäude untergebracht, war aber nach wie vor eine kommunale Einrichtung. Es besaß eine gut ausgestattete Bühne. Das Parkett, das Parterre und die zwei Ränge fassten insgesamt 500 bis 600 Besucher. Die Ausstattung entsprach genauso wie die Namensgebung nach der nächstliegenden Kirche den venezianische Gewohnheiten. Am venezianischen Vorbild orientierte sich auch die Organisation des Hauses. Daran konnte selbst das kaiserliche Dekret nichts ändern, durch welches das Theater zu einem „Cesareo Reggio Teatro“ erhoben wurde, und womit eine jährliche staatliche Subvention verbunden war. Der dahinter stehenden Absicht, dass die Disziplin nach den Vorstellungen von Sonnenfels an dieser Spielstätte Einzug halten sollte, wurde, wie im übrigen Italien, auch hier nicht entsprochen. Die Vorstellungen begannen erst am späten Abend, man spielte – sehr zur Verwunderung der Besucher aus allen Teilen des Reiches – in den verbotenen Monaten und es wurde improvisiert, wie eh und je am italienischen Theater. Auch um die Zensur kümmerte man sich hier wenig.
Das Theater war gut geführt, erreichte rasch einen hohen künstlerischen Standard und wurde bald zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum. In der Spielzeit zwischen Karneval und Quaresima gastierten regelmäßig alle großen italienischen Theatergruppen hier. Sie brachten sowohl die Opere serie und buffe bekannter Autoren zur Aufführung als auch Produktionen von weniger bekannten und neuen Stücken, die gerade auf der italienischen Halbinsel in Mode waren. Häufig gastierten mit diesen auch gefeierte italienische Stars am „San Pietro“. Da das Theater auch weitgehend gesellschaftlicher Treffpunkt war, diente es regelmäßig als Ballsaal und wurde 1763 Sitz des „Casino dei Nobili“, wie die Clubs der Patrizier damals genannt wurden. Letztere widmeten sich gerade in Triest besonders der Förderung der konzertanten Musik, woraus sich in wenigen Jahren eine regelmäßige Konzerttätigkeit entwickelte. Jeden Sonntag gab es Akademien, bei denen vor allem lokale Künstler mit instrumentalen und vokalen Darbietungen auftraten. Diese aus Wien inspirierte Einrichtung stand in starkem Kontrast zu dem sonst an Italien orientierten Geschmack der Triestiner. Konzertante Musik kam in Italien erst wesentlich später in Mode.
Das ”Teatro Verdi”#
Als das „San Pietro“ um die Jahrhundertwende baufällig wurde und darüber hinaus eine der wenigen von den napoleonischen Truppen abgefeuerten Granaten ausgerechnet das Theater traf, entschloss man sich zu einem Neubau. Es wurde 1801 mit „Ginevra di Scozia“ von Simone Mayr und „Annibale in Capua“ von A. Salieri eingeweiht und kurz „Teatro Nuovo“ genannt, woraus später „Teatro Grande“ und „Teatro Comunale“ wurde bis es schließlich, 1901, am Todestag des Meisters, in „Teatro Verdi“ umbenannt wurde. Das vor wenigen Jahren neu restaurierte Gebäude liegt direkt am Meer. Es wurde von den Architekten G.A. Selva, der auch das „Fenice“ in Venedig erbaut hatte, und M. Pertsch, der ein Schüler des Erbauers der Mailänder Scala war, in klassizistischem Stil entworfen. Die Baukosten wurden von einer Gruppe privater Mäzene, bestehend aus lauter reichen Triester Kaufleuten, getragen. Das Gebäude wurde mehrfach erweitert und verfügte 1884 über 2000 Plätze. Es hatte außerdem ein “Ridotto“ in dem bis zu 700 Besucher Platz fanden. Man bemühte sich stets, das Theater auch technisch auf dem neuesten Stand zu halten. 1846 wurde zunächst Gaslicht, 1889 dann eine elektrische Beleuchtung installiert.
Der Spielplan des neuen Hauses orientierte sich weiterhin an den Programmen der großen italienischen Bühnen, wobei sich nach und nach eine deutliche Vorliebe für die Werke Rossinis, Donizettis und Verdis bemerkbar machte. Dies entspricht auch den Tendenzen am Görzer Theater in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei sich ganz allgemein eine immer engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Häusern abzeichnet. Die stark verbesserten Verkehrsverbindungen ermöglichten eine intensivere Zusammenarbeit und ein wirtschaftlicheres Denken legten diese ebenfalls nahe. Ob die Entwicklung des Geschmacks dazu beitrug oder umgekehrt, die Zusammenarbeit geschmacksbildend war, ist kaum zu sagen. Sicher ist, dass der Förderung der Opern Verdis in beiden Städten nationalistische Motive zu Grunde lagen, die jedoch sehr unterschiedliche Wurzeln hatten. Görz, besonders der Görzer Adel, aber auch das Bürgertum, war und fühlte sich ursprünglich österreichisch. Die irredentistische Bewegung in Görz richtete sich mehr gegen Habsburg als für Garibaldi. Triest war, trotz der nahezu reibungslosen Zusammenarbeit mit den habsburgischen Behörden, italienisch. Als sich der junge italienische Staat konstituierte, erhob sich auch im kosmopolitischen Freihafen Triest die Frage nach der eigentlichen Zugehörigkeit. Das Gemisch verschiedenster Nationalitäten in der Stadt selbst schwächte nationalistische Bestrebungen in der einen oder anderen Richtung ab. Die ländliche, meist slawische Bevölkerung in der Provinz Triest hatte starke Bindungen an Istrien, das als Triester Hinterland angesehen wurde, und sich deutlich vom ungarischen Kroatien abhob, wodurch das Gefühl der Triester Eigenständigkeit noch verstärkt wurde. Ein Lebensgefühl, das sich noch heute allenthalben bemerkbar macht. Wie sich diese Autonomie im Theaterleben, abgesehen von der evidenten Bevorzugung von Verdis Opern am großen Theater manifestierte, sollte Aufgabe weiterer Untersuchungen sein. Der Befund, den man in der italienischen Literatur immer wieder findet, dass Verdi in Triest quasi als der Schirmherr der Auflehnung gegen den „Alptraum ausländischer Unterdrückung“ angesehen wurde, ist sicher falsch. Denn – bemerkenswerter Weise – hatte das Triester Publikum in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine ähnliche Begeisterung für die Werke Richard Wagners entwickelt. 1875 war es zunächst Verdis „Nabucco“, der das Publikum zu Beifallsstürmen hinriss. Kurz darauf aber war Wagners „Lohengrin“, damals noch in deutscher Sprache, an der Reihe. Beide Vorlieben, die für Verdi und die für Wagner, haben sich übrigens bis in unsere Tage erhalten. Und das lässt doch eher auf ästhetische Gründe als auf politische schließen. Kaum in einer anderen italienischen Stadt wurden und werden die Werke des deutschen Meisters so häufig aufgeführt, wie in Triest, allerdings in jüngrer Zeit stets in italienischer Übersetzung!
Eindeutig ist, dass die Begeisterung für das Musiktheater zu allen Zeiten größer war als jene für das Schauspiel. Ein Grund dafür ist sicher, dass neben den schon erwähnten regelmäßigen Konzerten die Musik in den wohlhabenden Bürgerfamilien fester Bestandteil des geselligen Lebens und der Ausbildung der Jugend war. Chorgesang, Kammermusik und sogar sinfonische Konzerte waren fixer Bestandteil bei gesellschaftlichen Ereignissen. Meist wurden diese Aufführungen von musikbegeisterten Hobbymusikern gestaltet. In den immer beliebteren literarischen und kulturellen Vereinigungen, die bald neben dem „Casino nobile“ entstanden, wie der „Societá Minerva“, der „Societá Filarmonico-Drammatica“ und dem „Schillerverein“ war man selbst künstlerisch aktiv. Bezeichnender Weise brillierte in den Jahren 1860 bis 1900 unter diesen vor allem der „Schillerverein“ weniger durch die Aufführungen der Werke des Meisters als durch seine musikalische Aktivität. Immer häufiger wurden die Konzerte aber auch von Berufsmusikern bestritten, die in den zahlreichen Vereinigungen der Stadt, allen voran das spätere „Conservatorio ‚Tartini’“ eine erstklassige Ausbildung erhielten. Es kam, abgesehen von den Opern, zu Aufführungen nahezu aller berühmten Werke der romantischen Musikliteratur, wobei viele davon unter der Leitung weltberühmter Musiker wie z.B. F. Busoni standen.
Eine bedeutende Rolle spielte am „Teatro Verdi“ auch das Ballett. Vor allem im Jahr 1885 kam es zu einer Serie von Ballettaufführungen, die von den berühmtesten Tanzgruppen Italiens bestritten wurden. Man verpflichtete dazu auch die besten Choreographen und Tänzer, wie Renzoni und Fanny Cerrito.
Das Sprechstück erfreute sich in Triest erst gegen die Jahrhundertwende hin größerer Beliebtheit. Mehr als das Musiktheater ist es ja von den gesellschaftlichen Voraussetzungen des Publikums abhängig. Zwar besuchten auch dramatische Kompanien aus Italien regelmäßig die Bühnen der Stadt und brachten jene Stücke zur Aufführung, die auf der italienischen Halbinsel populär waren. Dabei überwiegten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Goldoni und seine Epigonen. Im Lichte der rasanten Entwicklung einer rein bürgerlichen Gesellschaft, in der der Adel nur eine bescheidene Rolle spielte, ist es nicht verwunderlich, dass das Interesse für ein Theater, das an das höfische Theater oder an das Theater Goldonis anknüpfte, und das sozialkritisch die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und adeliger Gesellschaft thematisierte, nicht vorhanden war. Außerdem war Italien am Anfang des Jahrhunderts ohnehin arm an Dramatikern. Die in Italien beliebten historischen Dramen und die Werke Alfieris gaben den Triestinern kaum Identifikationsmöglichkeiten und boten keine Anregung zur Auseinandersetzung mit dem Dargebotenen. Die hiesige, neue Gesellschaft konnte zu diesen Werken keinen Bezug herstellen. Sie riefen wenig Begeisterung hervor, und wurden allenfalls als Beiträge zur Bildung wahrgenommen. Die Beziehung zum Wiener Hof war nicht wie in Görz durch familiäre Bande gegeben. Die Vertreter des Wiener Hofes in Triest waren Verwaltungsbeamte, die hier außer ihrer Amtsausübung keine gesellschaftlichen Interessen hatten. Es gab weder eine adelige Selbstdarstellung, noch war man aus persönlichem Ehrgeiz darum bemüht das, was gerade in der Reichshaupt- und Residenzstadt in Mode war, zu importieren. Das Theater sollte gute gehobene Unterhaltung bieten und die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Monarchie fördern.
Die erste Nachricht von der Aufführung dramatischer Werke stammt aus dem Jahr 1776, als die Compagnia drammatica di Pietro Rossi in Triest Werke von Goldoni, Gozzi, Voltaire und Beaumarchaise zur Aufführung brachte. In den folgenden Jahren gastierten regelmäßig prominente italienische Kompagnien am Triester Theater. 1781 wurde von der venezianischen Kompagnie Mazotti-Malipiero „Il Mezenzio“ von Lorenzo Da Ponte, der sich zu dieser Zeit in Triest aufhielt, aufgeführt. 1829 war in Triest erstmals Pellicos „Francesca da Rimini“ zu sehen. Bemerkenswert sind die Gastspiel zweier deutscher Theatertruppen: 1787 kam die deutsche Kompagnie Giovanni Friedel ans „Teatro San Pietro“ und führte neben Werken von Schiller, Iffland und Schroeder Goethes „Clavigo“ in deutscher Sprache auf. Eine weitere denkwürdige Aufführung in deutscher Sprache gab es 1841, als Shakespeares „Hamlet“ von der Kompagnie Loewe in einer ungekürzten Fassung in deutscher Sprache über die Bühne ging. In den fünfziger bis siebziger Jahren des 19.Jahrhunderts folgten dann eine Reihe von Aufführungen berühmter italienischer und ausländischer Dramen, so z.B. 1852 „Adelchi“, 1853 „Die Kameliendame“ und „Il trionfo d’amore“ von Giocosa. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts gastierte bereits einmal Eleonora Duse mit „La moglie ideale“ und „L’inamorate“ von M. Praga in Triest. 1902 begeisterte sie dann mit d’Annunzios „La Gioconda“ die Triestiner.
Das „Politeama Rossetti“#
Auch nachdem 1878 das „Politeama Rossetti“ mit Verdis „Maskenball“ eröffnet wurde, das einen größeren Fassungsraum als das „Verdi“ aufwies - es bot 3000 Zuschauern Platz -, und disem an Eleganz nicht nachstand, blieb das „Teatro Verdi“ das bedeutendste Theater der Stadt. 1882 gastierte im „Rossetti“ mit großem Erfolg das Orchester der Mailänder Scala und 1883 wurde hier Wagners „Ring der Nibelungen“ in italienischer Sprache aufgeführt. Schon bald aber setzte sich am „Rosetti“ immer stärker der populärere Geschmack durch. Es wurden überwiegend Operetten gespielt, schon bald wurden auch Revuen, Vorführungen von Akrobaten und Zirkuskünstlern und erste Kinovorführungen geboten. Während das „Verdi“ als kulturelles Aushängeschild mit internationalem Flaire betrachtet wurde, waren die Triestiner im „Politeama Rossetti“ zu Hause. Hier traf sich das Berufstheater mit dem volkstümlichen, oft von Laien getragenen, heimischen Theater. Triester Schauspieler führten hier die Werke von Triester Autoren, wie M. Verdoni, De Rosè und vielen anderen auf. Sogar noch knapp vor dem Ende der habsburgischen Ära, am 14. März 1918, wurde im „Rossetti“ das vom Triestiner S. Benelli für Triest geschriebene „La Grogona“ uraufgeführt.
Zusammenfassend lässt sich das Theaterleben der Stadt Triest als ein Phänomen beschreiben, das eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt verknüpft und durch sie geprägt war. Das Theater diente einer sich rasch entwickelnden kosmopolitischen, bürgerlichen Gesellschaft als Stätte der Unterhaltung, der Geselligkeit, der kulturellen Aktivität und der Repräsentation, was im Rahmen der vielfältigen nationalen und internationalen Beziehungen der hiesigen Kaufleute von größter Bedeutung war. Das führte zu einer raschen Blüte des Theaterlebens, dem allerdings eigenständige Wurzeln fehlten. Lagebedingt und durch das Vorherrschen der italienischen Sprache, weniger als durch das Gefühl nationaler Zugehörigkeit, orientierte man sich am Theatergeschehen der italienischen Halbinsel. Damit war die überragende Rolle des Musiktheaters besiegelt. Das Sprechstück blieb demgegenüber im Hintergrund, wobei nicht die sprachlichen Aspekte sondern der Mangel an für das hiesige Publikum interessanten Inhalten ausschlaggebend gewesen ist.
Trotz der Dominanz des italienischen Elements war die Stadt durch den deutschen Einfluss und die engen Kontakte mit zahlreichen anderer Nationalitäten fast polyglott und auch allen anderen Einflüssen gegenüber aufgeschlossen und liberal. Politische und ideologische Gesichtspunkte traten in der Gestaltung des Triester Theaterlebens nur am Rande, an den volkstümlichen, kleinen Bühnen in Erscheinung, die jedoch vor allem gegen Ende der Habsburgerherrschaft zu einer großen Vielfalt des Theaterlebens beitrugen. Zwar fehlte das soziale Engagement insbesondere zur Jahrhundertwende auch in der gehobenen und sehr wohlhabenden Triester Gesellschaft nicht. Die beiden großen Theater, vor allem das „Verdi“ aber im Wesentlichen auch das volkstümlichere „Rossetti“, behielten jedoch ihren wohlorganisierten, repräsentativen Charakter. Zu phantasievollen und exzentrischen Höhepunkten war es im Triester Theaterleben nie gekommen. Die hohe Funktionalität und Zweckorientiertheit bescherte uns dafür heute eine hervorragende und lückenlose Dokumentation der zwar kurzen aber umso intensiveren Theatergeschichte der Stadt Triest.
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