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Vom Jagen mit Pferden #

Ein rasanter Ritt durch die Kulturgeschichte #

von

Dr. Harald W. Vetter

Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von DER ANBLICK 9/2018


Reitjagden
Die europäische Jagdkultur ist spätestens seit dem Mittelalter von der Benützung des Pferdes wesentlich mitgeprägt worden. Die großen Gemeinschaftsjagden der Feudalschicht waren überwiegend Reitjagden.
Quelle: Der Anblick

Mittels Kraft, Behändigkeit und Geschwindigkeit des Pferdes wurde wehrhaftes Wild, insbesondere Hirsch und Wildschwein, gehetzt, gestellt und erlegt. Nicht von ungefähr nannte man diese Art des Weidwerks „Parforcejagd“, was aus dem Französischen übersetzt „mit Gewalt“ bedeutet. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert, also in der Ära des Absolutismus, gewann diese Jagdweise einen streng ritualisierten Charakter. Sie war besonders zu jener Zeit in Frankreich üblich, aber auch in einzelnen deutschen Fürstentümern und – in abgewandelter Form – in England. Freilich geht die Parforcejagd auf die althergebrachte Hetzjagd zurück, die im deutschen Kulturraum schon jahrhundertelang vorher praktiziert worden war.

Johann Elias Ridinger, Federschütze mit dem Schießpferde, Kupferstich, 18. Jh.
Johann Elias Ridinger, Federschütze mit dem Schießpferde, Kupferstich, 18. Jh. Das Schießpferd, mit Zügel fixiert, dient gleichzeitig als Tarnung und zur Gewehrauflage. Solche Rösser mussten geduldige ältere Tiere sein, die auch schon einmal ausgediente Kavalleriepferde waren.
Quelle: Der Anblick

Bereits in der Bronzezeit wurde diese Hetzjagd mit schweren Hunden, die man im Mittelalter „Packer“ nannte, abgehalten, wie etwa ein Felsbild in Schweden beweist. Der römische Geschichtsschreiber Arrian, selbst Jäger, schilderte ausführlich die Jagdgewohnheiten der Donaukelten. Diese, Germanen, Griechen, Perser und asiatische Völkerschaften bedienten sich des „massenweisen“ Einsatzes des Jagdpferdes. Mit ziemlicher Sicherheit darf daher angenommen werden, dass gar manches asiatische Reitervolk während der Völkerwanderungszeit seine Jagdweisen in Europa verbreitet hat. Das „Abfangen“ von gehetzten Wisenten, Bären, Sauen und Hirschen mittels Schwert oder Speer war eine ebenso lebensnotwendige Nahrungsbeschaffung, wie solches Beutemachen späterhin fast nur mehr zum adeligen Vergnügen und sportlichen Zeitvertreib geschah. Immerhin gehen die ältesten Zeugnisse feudaler Reitjagden im Ostalpenraum auf das 10. Jahrhundert, also die Babenberger-Zeit, zurück. Die gerne im Frühjahr oder Sommer stattfindenden Parforcejagden des französischen Barock liefen stets mit einem gewaltigen Tross an Jagdgehilfen und „Piqueuren“ ab, welche sowohl für den Jagdablauf als auch für die entsprechenden Parforcehorn-Signale zuständig waren. In der Regel wurden hier an die hundert Pferde eingesetzt, die keiner bestimmten Rasse zugehörig, sondern lediglich ausdauernd, schnell und geschickt im Springen und Überwinden von Gräben, Furten und Hängen sein mussten. Der berühmte schwedische Hippologe Carl Gustav Wrangel (1839–1908) schrieb dazu in seinem im 19. Jahrhundert sozusagen approbierten Standardwerk „Das Buch vom Pferde“ (1887): „Erst im Jagdfelde wird der Reiter zum Reiter!“ Er empfiehlt übrigens den Jagdreitern ein Warmblutpferd, da dies durchaus genügen würde. „Obgleich kein Vollblut, repräsentiert dasselbe in jeder Hinsicht den Typus des Gentlemans unter den Pferden.“ Hinzu kamen naturgemäß eine beträchtliche wohlgepflegte Hundemeute, Jagdwagen und nicht zuletzt die Ausrüstung der Reiter selbst. Und diese bestand aus der meist roten oder blauen Parforce-Tracht und dem schon erwähnten „zweiwindigen“ Parforcehorn der diensttuenden Jäger. Nebenbei sei bemerkt, dass auch der berühmte deutsche Jagdfachmann, Förster und Dichter Carl Emil Diezel (1779–1860) sich als besonderer Kenner des jagdlichen Reitwesens hervortat. Sein Buch „Erfahrungen auf dem Gebiet der Niederjagd“ (1849) hat bis heute ungezählte Auflagen erfahren.

Jenes farbenprächtige Treiben ist in ungezählten oft großformatigen Barockgemälden oder Drucken dargestellt worden. So mancher Adelige und Fürst kam bei solchen im wahrsten Sinne des Wortes halsbrecherischen Jagden zu Tode, so beispielsweise der später heiliggesprochene Leopold III., Herzog Heinrich II. Jasomirgott oder auch Herzog Leopold V. Von deren Rössern weiß man natürlich weniger als nichts, Tausende dieser bedauernswerten Jagdpferde blieben sozusagen auf der Strecke, zu Tode geritten mit gebrochenen Hälsen, Vor- und Hinterhänden. Gar nicht zu reden vom Wild, das noch im ausgehenden 18. Jahrhundert massenweise in speziellen Jagdgärten und Parks zur allgemeinen Belustigung hingemetzelt wurde. Während der Französischen Revolution wurden die herrschaftlichen Jagdmeuten (und nicht nur diese) kurzerhand umgebracht, die Pferde vor allem für die Armee eingezogen. In Deutschland hingegen verhinderte die Aufklärung dieses recht brutale Jagdvergnügen zumindest partiell. Immerhin wurde die letzte Parforcejagd alten Stils 1811 im Großherzogtum Weimar in Szene gesetzt. Im alten Österreich fand diese fragwürdige Tradition 1857 auf den Gütern des Grafen Trauttmansdorff ihr Ende.

Dennoch retteten sich rudimentäre Formen der „Gallischen Jagd“, über die sich schon der eifernde Prediger Abraham a Sancta Clara zu Wien wortgewaltig verbreitete („Wider den Jagdteufel“), noch bis ins bürgerliche späte 19. Jahrhundert hinüber, und zwar als äußerst beliebtes „Fox-Hunting“. Auch in der österreichischen Monarchie nahm Kaiser Franz Joseph zumindest an einer etwas gemäßigteren Art dieses Weidwerks teil. Gerade im kaiserlichen Lainzer Tiergarten, in den Praterauen oder im Wienerwald ging’s zu Pferde öfters aufs Weidwerken. Später allerdings sollte sich der alte Kaiser seiner Leibpferde nur als Transportmittel zum Anstand im Gebirgsrevier bedienen. Bemerkenswert ist weiters auch, dass die immer als höchst sensibel beschriebene Kaiserin Elisabeth auf ihrem ungarischen Krongut Gödöllö zahlreiche Hetzjagden zu Pferde absolvierte, und zwar auf Rotwild, das in Kisten (!) aus dem kaiserlichen Wiener Tiergarten angeliefert wurde.

Lucas Cranach, Fürst auf Wildschweinjagd, Holzschnitt, Anfang 16. Jh.
Lucas Cranach, Fürst auf Wildschweinjagd, Holzschnitt, Anfang 16. Jh. Der Künstler hat hier den von den Hunden gestellten groben Keiler sicher noch größer dargestellt, um Ruhm und Mut des Jagdherrn, der den Schwarzkittel gerade mit dem Jagdschwert abfängt, hervorzuheben. Im Regelfall schützte man Pferde und Hunde durch Lederschürzen bzw. Eisenhalsungen vor dem wehrhaften Wild.
Quelle: Der Anblick

Die bereits angedeuteten Fuchs- und Hasenjagden in England waren auch dort ausschließlich Sache der sozialen Oberschicht. Reineke Fuchs und Mümmelmann hatten bei diesen „field sports“ freilich kaum Überlebenschancen, die adeligen Reitherren aber gelegentlich oft ebenso nicht. Bereits der britische Schriftsteller Oscar Wilde mokierte sich über die seltsamen Gebräuche der „Upper Class“, indem er über die nämlichen Landedelmänner meinte, dass sie „das Unsagbare auf der Jagd nach dem Unessbaren“ seien. Jedenfalls hat das britische Parlament im Jahr 2002 die Abschaffung der Fuchsjagd beschlossen, wobei sich natürlich das Oberhaus dafür aus gutem Grund nicht sonderlich erwärmen konnte. In Deutschland ist die Hetzjagd seit 1934 verboten, ebensolches gilt selbstverständlich längst auch für Österreich.

Inzwischen sind viele Jagdreiterklubs beispielsweise bei den Hubertusjagden auf die sogenannte Schleppjagd ausgewichen, auf der eine künstliche Fährte (Duftspur aus Fuchsschweiß oder Gescheide) für die Hundemeute ausgelegt wird. Eine andere harmlose Variante des immer beliebter werdenden sportlichen Jagdreitens ist die „Schnitzeljagd“, bei der ein Teilnehmer die Rolle des Fuchses zu übernehmen hat und seine Route im Gelände mittels Papierschnitzeln anzeigt. Die übrigen Reiter ersetzen dabei folgerichtig die Hundemeute – ein tatsächlich bemerkenswerter Rollenwechsel, den die Zeitläufte seit Aufklärung und Liberalismus hier bewirkt haben! Wie sehr die Rituale der Reitjagden auch gegenwärtig noch tradiert werden, lassen die verschiedenen „Jagdreiter-Knigges“ erahnen, welche die einzelnen Reitklubs an ihre Mitglieder ausgeben, um damit eine gewisse keineswegs nur sportliche Exklusivität zu betonen.

Tatsächlich muss die Hetzjagd vergangener Zeiten ein durchaus emotional ansprechendes, wenn auch höchst blutiges Erlebnis gewesen sein: Von der Anjagd mit hellem Jagdhorngeschmetter und von den Hetzlauten der Meute begleitet über Stock und Stein zu setzen Wälder und Wasserläufe zu durchqueren, auf Feldern und Wiesen im vollen Galopp auszuholen, um unter Horrido- und Halali-Rufen Beute zu machen. Sowohl Pferde als auch Hunde waren für ihre Herren ein kostbarer Besitz, Zureiten und Abrichten eine langwierige, anstrengende Sache – und trotzdem galt die Kreatur fast nichts. Das Pferd hatte unter Jagdtrieb und Prestigegefühl zu parieren, zu leiden und, wenn es sein musste, auch kläglich zugrunde zu gehen.

Dass derartige Prunkjagden besonders im Zeitalter der Romantik mit dem Rückgriff auf das Mittelalter oft zitiert, ja verklärt worden sind, verwundert eigentlich nicht. Solch „fröhliches Jagen“ ist geradezu ein Topos der romantischen Literatur, ohne aber das qualvolle Abfangen des Wildes und die darauf folgende ziemlich makabre Curée näher schildern zu wollen. Da war vielleicht eine Falkenjagd hoch zu Ross, etwa aus der Zeit Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen, schon um Etliches ästhetischer. Der große Dichter Joseph von Eichendorff (1788–1857), in seiner Jugend selbst leidenschaftlicher Weidmann, wird in seinem Roman „Ahnung und Gegenwart“ (1815) stets aufs Neue zum Verkünder dieser „alten, schönen (Jagd)zeit“ werden.

Doch abseits der Verwendung des Pferdes für das Weidwerken mit Falken oder Hunden, jenseits vom blutigen Spektakel eines großen Kurfürsten oder Sonnenkönigs wurde es überdies vor allem im 18. und 19. Jahrhundert als Zugtier für den „Pirschwagen“ (österr. „Bürschwagen“) eingesetzt. Dieser leichte, auf beiden Seiten offene Jagdwagen, nicht selten getarnt oder „maskiert“, diente gleichzeitig als Anstand und ebenso als Transportmittel für erlegtes Wild. Notwendigerweise mussten die Zugpferde hier ein besonders ruhiges Wesen besitzen. Eine weitere Verwendungsmöglichkeit des Pferdes wird in verschiedenen deutschen Jagdpraktika und Lexika des 18. Jahrhunderts gut beschrieben und abgebildet, wobei sich hier – wie stets – der Ulmer Kupferstecher und Maler Johann Elias Ridinger (1668–1767) als umfassender Dokumentarist hervortat. Da bis weit in das 19. Jahrhundert hinein weder Waffentechnik noch Optik dazu ausreichten, das Wild auf weitere Distanz sicher zu beschießen, wurde zum Anpirschen auf Hoch- und Flugwild das sogenannte Schieß- oder Pirschpferd abgerichtet. Dieser vermutlich doch ziemlich stoische und „schussfeste“ Gaul wurde vorsichtig an das Beutetier herangeführt, um es dann über den Pferderücken oder unter dem Hals anzuvisieren, wobei die Büchse auf dem gestreckten Zügel auflag. Eine wahrhaft listige Camouflage, was doch letztlich ganz und gar im Wesen des Weidwerks liegt!

Das Pferd war über weite Strecken der Menschheitsgeschichte ein wichtiger und treuer Gehilfe fürs Beutemachen. Ohne es ist wohl auch das europäische Weidwerk eigentlich nicht vorstellbar, doch als der oberschlesische Dichter Joseph von Eichendorff 1836 seine ahnungsvollen Verse „Im Walde“ verfasste, war die große Zeit des Jagdpferdes längst schon vorbei: „Es zog eine Hochzeit den Berg entlang,/Ich hörte die Vögel schlagen,/Da blitzten viel Reiter, das Waldhorn klang,/Das war ein lustiges Jagen!/Und eh ichs gedacht, war alles verhallt,/Die Nacht bedecket die Runde,/Nur von den Bergen noch rauschet der Wald/Und mich schauert im Herzensgrunde.“

DER ANBLICK 9/2018


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