Die umstrittene vierte Strophe #
Am Kärntner Heimatlied, 1911 zur „Nationalhymne“ des Bundeslandes erklärt, wurde nachträglich herumgeflickt. – Eine Revision wäre längst fällig. #
Von der Wiener Zeitung (5. Juni 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
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Es ist einer der Treppenwitze der österreichischen Geschichte. Die Enkeltochter eines kroatischen Nationaldichters, des k.u.k. Offiziers Petar Preradović, ist die Verfasserin der Bundeshymne eines Volks, das nicht selten xenophobe Attitüden zeigt.
Als sich aufrechte und mutige Menschen, darunter die österreichisch- kroatische Dichterin selbst sowie ihre Söhne, Fritz Molden und Otto Molden, auch durch ihren Widerstand der Nazi-Diktatur entledigt hatten, brauchte das erniedrigte, aber desgleichen mittäterhafte Land eine neue (Volks-) Hymne. Paula von Preradović (1887–1951), deren Todestag sich kürzlich zum 70. Mal jährte, beteiligte sich am Wettbewerb, den Unterrichtsminister Felix Hurdes angeregt und der sie explizit zur Teilnahme eingeladen hatte.
Ihr Gedicht „Land der Berge, Land am Strome“ war siegreich. Der Ministerrat erklärte es am 25. Februar 1947 zur „Österreichischen Bundeshymne“. Am 1. Jänner 2012 trat das Bundesgesetz über die Bundeshymne der Republik Österreich in Kraft und der Preradović-Text wurde gleichsam in Gesetzesrang erhoben. Österreichisch, wie wir sind, musste vor der Verabschiedung des Gesetzes am Gedicht herumgedoktert werden, was zumindest unstatthaft anmutet. Das fragwürdige Anliegen war eine gendergerechte Sprache. Man stelle sich vor, jemand würde an eine Ballade Friedrich von Schillers Hand anlegen. Weniger elegant Im Übrigen konstatiere ich, dass der ursprüngliche Preradović-Text zum Besten gehört, was europäische Hymnendichtung zu bieten hat. Es ist ein aussagekräftiges und schönes Gedicht mit reimenden Versen in zeitgenössischer Manier. Das Kärntner Heimatlied ist insgesamt älter und um eine Spur weniger elegant, in der vierten Strophe sogar ungewöhnlich und unnötig martialisch.
Dort, wo Tirol an Salzburg grenzt, / des Glockners Eisgefilde glänzt, / wo aus dem Kranz, der es umschließt, / der Leiter reine Quelle fließt, / laut tosend, längs der Berge Rand, / beginnt mein teures Heimatland.
Wo durch der Matten herrlich Grün, / des Draustroms rasche Fluten ziehen, / vom Eisenhut, wo schneebedeckt / sich Nordgaus Alpenkette streckt, / bis zur Karawanken Felsenwand / dehnt sich mein freundlich Heimatland.
Wo von der Alpenluft umweht, / Pomonens schönster Tempel steht, / wo sich durch Ufer reich umblüht / der Lavant Welle rauschend zieht, / im grünen Kleid ein Silberband, /schließt sich mein lieblich Heimatland.
Wo Mannesmut und Frauentreu / die Heimat sich erstritt aufs neu, / wo man mit Blut die Grenze schrieb / und frei in Not und Tod verblieb, / hell jubelnd klingt’s zur Bergeswand: / das ist mein herrlich Heimatland!
Am Kärntner Heimatlied wurde ebenso – wie an der Bundeshymne – nachträglich herumgeflickt. Die ersten drei Strophen stammen von Johann Thaurer Ritter von Gallenstein (1779–1840), die vierte von Agnes Millonig (1884– 1962).
Gallensteins Gedicht erschien im November 1822 in der semiwissenschaftlichen Zeitschrift „Carinthia“ in Klagenfurt. Die ersten drei Strophen wurden zur Landeshymne, die vierte, im folgenden Absatz zitiert, wurde – im Hinblick auf Kaiser Franz, den Bruder des genialen und nachhaltigen Erzherzogs Johann, verständlicherweise – nicht aufgenommen.
Und breitet über Öst’reichs Haus / Der Kaiseraar die Schwingen aus – / Dann auch, von Feinden ungeneckt, / Sein Flügelpaar Karenta deckt; / Und segnend strecket Franzens Hand / Sich über dich, mein Vaterland!
Gallensteins Vaterlandsliebe ist frei von jeder nationalistischen Zuwaage. Der Erwähnung wert ist aus informativen Gründen, dass er und seine Nach-„Dichterin“ Millonig nicht in Kärnten, sondern in der Steiermark geboren sind: er in Judenburg, sie in Eisenerz. An die poetische Kraft und das literarische Können Preradović’ reichen beide freilich nicht heran.
Die Kärntner Landsmannschaft, ein sogenannter Traditionsverband, hat im Jahr 1911 die ersten drei Strophen von Gallensteins Gedicht zur „Kärntner Nationalhymne“ erklärt.
Nach dem Ersten Weltkrieg und im Gefolge des Vertrags von Saint-Germain beanspruchte der SHS-Staat, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, vulgo Jugoslawien, das zweisprachige Kärntner Territorium. Dagegen leistete Kärnten mit dem sogenannten Abwehrkampf Widerstand. Der Friedensvertrag von Saint-Germain sah eine Volksabstimmung vor, die am 10. Oktober 1920 stattfand. Südkärnten ist mit den Stimmen der Kärntner Sloweninnen und Slowenen, die im Abstimmungsgebiet die Bevölkerungsmehrheit bildeten, bei Österreich geblieben. Wettbewerb 1930 Wegen des Abwehrkampfs hat die Kärntner Landsmannschaft im Jahr 1930, die Volksabstimmung jährte sich zum zehnten Mal, einen Wettbewerb für eine vierte Strophe ausgeschrieben. Siegreich war die Lehrerin Agnes Millonig, die die letzte Zeile ihres Originals umschreiben musste, sonst würden die Kärntnerinnen und Kärntner, nebenbei bemerkt ausgezeichnete Sängerinnen und Sänger, die Hymne wohl noch heute mit der Zeile „Das ist mein deutsch Heimatland“ ausklingen lassen. Aus „deutsch“ wurde „herrlich“ . . .
Agnes Millonig ist zweifach fraglich beziehungsweise umstritten. Einerseits wegen ihres „blutigen“ Verses und andererseits wegen ihrer frühen und bis zuletzt treuen Nähe zum Nationalsozialismus.
Der dritte Vers in der vierten Strophe, „wo man mit Blut die Grenze schrieb“, ist in Kärnten sehr oft der Anlass, nur die ersten drei Strophen, also das Gallenstein- Gedicht, zu singen. Dennoch hat sich das Kärntner Landesparlament bis heute nicht dazu durchgerungen, die fragwürdige Strophe aus der Landeshymne zu entfernen. Es wäre eigentlich die hehre Aufgabe des jetzigen Landeshauptmanns, eines an der Alpen- Adria-Universität Klagenfurt/ Univerza Celovec humanistisch gebildeten Akademikers, eine zeitgemäße Novellierung in die Wege zu leiten. Wer in Europa heute noch die Grenzen mit Blut schreibt, hat aus der Geschichte nichts, aber schon gar nichts gelernt – oder lernen wollen.
Im 21. Jahrhundert sollten wir Grenzen nicht mehr mit Blut schreiben, sondern der Aufklärung und Offenheit das Wort reden. Fraglich ist überhaupt, ob Wörter wie Blut, Grenze, Mut, Tod und Treue heute noch inbrünstig gesungen werden sollten. Die Konnotation bedient nichts anderes als martialische Klischees von vorgestern.
Es ist heute ohnehin verwunderlich, dass in den nationalistisch aufgeladenen Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts das „deutsche“ Wort aus dem dritten Vers der vierten Strophe verschwinden musste.
Und zum Zweiten: Agnes Millonig war eine fragwürdige Verse Verseschmiedin. Gewiss hat sie die „vierte Strophe“ geschrieben, bevor sie zur „Illegalen“ geworden ist, das ist der Redlichkeit halber zu konstatieren. Sie war bereits im Jahr 1933 NSDAP-Mitglied und verfasste 1938 das Gedicht „Das Heilige Ja“ zum „Anschluss“ Österreichs an Hitler- Deutschland.
Wiederum aus Redlichkeit sei festgehalten, dass eine von der Kärntner Landesregierung bestellte Historikerkommission Millonig als „minder belastet“ eingestuft hat. Vermutlich sei „Das Heilige Ja“ das einzig problematische Gedicht in ihrem Werk. Eine abschließende Aussage kann dazu nicht getroffen werden, da das Gesamtwerk nie herausgegeben wurde – und aller Wahrscheinlichkeit nach nie erscheinen wird. Allgemein bekannt ist im Eigentlichen nur die „vierte Strophe“.
Ungeehrt geblieben ist die Lehrerin dennoch nicht. Mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 25. Juni 1996 wurde in der Stadt Klagenfurt der Millonigweg nach ihr benannt. Eine weitere Ehrung erfolgte am 20. September 2007, als an der alten Volksschule im steirischen Neumarkt, wo sie unterrichtet hat und die heute ein Heimatmuseum ist, eine Gedenktafel für sie enthüllt wurde. Angeregt hat die Tafel der Landeshymnen- Ausschreiber von anno dazumal, die Kärntner Landsmannschaft. In unseren Breitengraden schließen sich die Kreise immer wieder mit erstaunlicher Kontinuität. Neues Heimatlied? In Kärnten hat es in letzter Zeit Initiativen gegeben, einen Wettbewerb für ein neues Heimatlied auszuschreiben. Ich halte eine solche Auslobung nicht für notwendig. Das altväterische und schöne Gedicht Gallensteins sollte man einzig und allein von der Fremdstrophe befreien, zumal die unglückliche Legierung zweier Intentionen, einer mit Vaterlandsliebe, der anderen mit Nationalismus, um kein anderes Wort zu gebrauchen, keine stimmige literarische Verschmelzung ergibt.
In der Literatur ist es ein singulärer und ungewöhnlicher Vorgang, zwei Verfasser in einem Gedicht ungeschickt zusammenzuspannen. Man stelle sich vor, jemand würde nach rund einhundertzehn Jahren, also 2056, an die Preradović-Hymne eine vierte Strophe anhängen, die ein Mann gedichtet hat . . .
Tu, felix Austria, hast aber ja zum Glück mehrere heimliche Hymnen, die die Österreicherinnen und Österreich intuitiv in der passenden Situation anstimmen. Der Donauwalzer von Johann Strauß Sohn oder der Radetzky- Marsch von Johann Strauß Vater gehören zweifellos dazu. Ein Lied, Rainhard Fendrichs „I am from Austria“, macht jedoch fast alle zu Patriotinnen und Patrioten, mag der Titel auch Englisch sein, österreichisch sind und bleiben wir.
Janko Ferk ist Richter des Landesgerichts Klagenfurt, Honorarprofessor für Literaturwissenschaften an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Univerza Celovec und Schriftsteller. U.a. veröffentlichte er den Essayband „Kafka, neu ausgelegt“ (Leykam, 2019). Im ORF-Radiokulturhaus leitet er die Gesprächsreihe „Unser vielfältiges Erbe“.