Der Herr der Pummerin#
Niko Blazevic lässt Österreichs schwerste und größte Glocke erklingen. Ein Blick hinter die Kulissen - in 55 Meter Höhe.#
Von der Wiener Zeitung (Donnerstag, 31. Dezember 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Alexandra Laubner
Wien. 23 Uhr 59 und 38 Sekunden: Niko Blazevic legt den Schalter der Pummerin um, damit die "Stimme Österreichs", wie die 22 Tonnen schwere Glocke am Nordturm des Stephansdoms auch genannt wird, um Punkt null Uhr zum Jahreswechsel läutet. Exakt 22 Sekunden dauert der Einschwingvorgang - vom Start der beiden Motoren, die mit der Glocke verkabelt sind, bis zum ersten Glockenschlag. Wenn die tiefen Töne der Pummerin erklingen, steht Blazevic keine zwei Meter entfernt. "Es vibriert, man hört ein starkes Getöse, die inneren Organe zittern und ich spüre einen Druck im Kopf", erzählt der Dom-Elektriker, der seit 26 Jahren an dem außergewöhnlichen Arbeitsplatz tätig ist. "Natürlich geht es nicht ohne Gehörschutz - jedenfalls ich verwende einen", meint er. Blazevic ist der Glöckner der Pummerin. Die anderen Glocken - elf am Südturm und fünf am Heidenturm - läuten automatisch.
Zu Besuch bei der "alten Dame"#
Auch wenn die Pummerin elektronisch gesteuert wird, muss Blazevic aus Sicherheitsgründen anwesend sein. Eine Stunde, bevor Österreichs größte und schwerste Glocke ertönt, fährt Blazevic mit dem Aufzug auf die 55 Meter hohe Aussichtsplattform zu seiner "alten Dame", wie er die Pummerin liebevoll nennt. "Da haben wir den Schaltkasten und das sind die Elektronikpanele, die die ganze Steuerung übernehmen", erklärt der 45-Jährige, nachdem er die Glastüre zur Pummerin aufgesperrt hat. "Was ich brauche, ist Strom. Ich schalte den Motor links ein, dann den Motor rechts. Dann lasse ich den Motor kurz an."
Blazevic wird unterbrochen, Touristen wollen die Pummerin aus nächster Nähe betrachten - ohne Glasscheibe vor der Nase. "Sorry Gentlemen, this is not for the public. Deutsch? Das ist nicht für Besucher", erklärt Blazevic freundlich. Vor dem Einbau der neuen Glockensteuerung musste der Dom-Elektriker die Pummerin manuell steuern. "Jetzt hat die Elektronik übernommen", erzählt der gebürtige Kroate. Das System einer Schweizer Kirchturmtechnik-Firma wurde vor sechs Jahren eingebaut. "Der Klang ist ein anderer. Sie ist jetzt eine Spur leiser", weiß Blazevic.
Die Maschine, die die Pummerin schaukelt, kann den Menschen jedoch nicht gänzlich ersetzen. "Man muss schon anwesend sein, denn die gesamte Konstruktion bewegt sich. Sollte etwas zu krachen beginnen, muss man sofort agieren. Denn, wenn die 22 Tonnen der Pummerin in Schwung sind, wirken die Kräfte auch auf den Turm."
Abschalten musste Blazevic die Pummerin aber noch nie: "Gott sei Dank. Es ist alles sehr gut konzipiert." Die Glocke wird nur zu hohen kirchlichen Festtagen geläutet - planmäßig zwölf Mal im Jahr, unter anderem an Heiligabend, am Ostersonntag nach dem Hochamt oder am Nationalfeiertag nach der Abendmesse. Zusätzlich ertönt die Pummerin zu besonderen Ereignissen, wie nach einer Papstwahl oder auch heuer im April zum 70. Jahrestag des Dombrandes oder Ende August anlässlich des Trauergottesdienstes für die 71 Opfer der Flüchtlingstragödie bei Parndorf. Zu Silvester ist Niko Blazevic zwei Mal innerhalb von acht Stunden im Einsatz. Mit dem letzten Gottesdienst des Jahres - der Jahresschlussandacht mit Kardinal Christoph Schönborn am 31. Dezember um 16.30 Uhr - lässt die Pummerin das Jahr ausklingen; um Mitternacht läutet sie das neue Jahr ein.
Wie lange wird die Pummerin bei jedem Einsatz geläutet? "Früher, bevor der neue Klöppel angebracht wurde, so um die fünf, höchstens sechs Minuten. Jetzt ist das Geläute durchschnittlich sieben Minuten lang", erklärt Niko Blazevic. "Früher waren nur 1000 Betriebsstunden möglich. Jetzt hat die Glocke eine unbestimmte Lebensdauer. Sieben Minuten zu läuten ist deshalb kein Problem mehr."
Glocke mit vielen Superlativen#
Zu Silvester läutet die Pummerin für "mindestens sieben Minuten", lacht Blazevic. "Es können auch acht oder zehn sein, je nachdem, welche Anweisungen ich bekomme." Dabei läuft alles routiniert ab. "Sobald ich die Spannungsanzeige sehe, weiß ich, dass sie läutet. Bisher ist noch nichts schiefgelaufen und das wird es auch nicht, da die Pummerin drei bis vier Mal pro Jahr gewartet wird."
Die Pummerin ist eine Glocke mit vielen Superlativen und einer bewegten Geschichte. Mit 22 Tonen Gewicht und einem Durchmesser von 314 Zentimetern ist sie nicht nur Österreichs größte und schwerste Glocke, sondern die drittgrößte Glocke Europas und die fünftgrößte der Welt. Europäischer Spitzenreiter ist die St. Petersglocke im Kölner Dom. 1710 von Kaiser Joseph I. in Auftrag gegeben, wurde die alte Pummerin 1711 aus türkischen Kanongenkugeln gegossen. 1945 stürzte sie beim Brand des Stephansdoms hinab und zerbrach. Aus den Trümmern wurde die Pummerin neu gegossen und war ein Geschenk des Landes Oberösterreichs.
"Bisher hat Wien seine neue Pummerin gegrüßt, nun grüßt die Pummerin zum ersten Mal Wien", endet eine Radioreportage über den ersten Probeanschlag der Pummerin aus dem Jahre 1952 (abrufbar unter www.mediathek.at/Probeanschlag der Pummerin). Die Glocke wurde damals auf einem provisorischen Gerüst neben dem Stephansdom aufgehängt und im Oktober 1957 auf den Nordturm gezogen, wo sie heute an Spitzentagen von mehr als 1000 Menschen besichtigt wird. Was ist eigentlich das Besondere? "Natürlich die Lautstärke", sagt Niko Blazevic. "Es ist ein besonderes Gefühl und natürlich eine Ehre, das Wahrzeichen Wiens ertönen zu lassen."